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Full text of "Kunst und Kultur des 18. Jahrhunderts in Deutschland"

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KUNST  UND  KULTUR 

DES   i8.  JAHRHUNDERTS 

IN   DEUTSCHLAND 


KUNST  UND  KULTUR 

DES  i8.  JAHRHUNDERTS 

IN  DEUTSCHLAND 


VON 

HERMANN  SCHMITZ 


VERLAG    F.  BRUCKMANN  A.-G.     *     MÜNCHEN 


NIAY24  1945 


INHALT 

Seite 

Einleitung 

1.  Überblick  über  die   Kunst  des  Jahrhunderts.     Die  Stilepochen:    Barock, 
Rokoko  und   Frühklassizismus i 

2.  Politischer  und  sozialer  Zustand   Deutschlands  im  Zeitalter  des  Barock  g 

3.  Die  Geistesbildung  im  deutschen  Barock 21 

4.  Die  großen  Feste 30 

5.  Die  Stellung  der  Baukunst  im   18.  Jahrhundert 47 

6.  Die  Baumeister,  die  Bauherren  und  der  Baubetrieb.      Stadtbaukunst    .  .  54 

7.  Das  geistige  Wesen  des  Katholizismus  im  deutschen  Barock  und  Rokoko  65 

8.  Der  katholische  Kirchenbau  des   Barock 75 

g.   Der  katholische  Kirchenbau  des  Rokoko g4 

10.  Der  Protestantismus  des   18.  Jahrhunderts  in   Deutschland 108 

11.  Der  protestantische  Kirchenbau      113 

12.  Die  weltliche  Architektur  des  Barock.   Die  Schlösser,  Abteien,  Bürgerhäuser  125 

13.  Die   Schloß-  und   Hausarchitektur  im  Rokokozeitalter      151 

14.  Die   Deckenmalerei 167 

15.  Innenausstattung  der   Schlösser.    Das   Ornament  des  Barock  und  Rokoko  180 

16.  Die   Möbel  des  Barock  und  Rokoko     igS 

17.  Die  Bildhauerkunst  des   Barock 20g 

18.  Die  Bildhauerkunst  des  Rokoko      231 

ig.  Die  Ölmalerei 242 

20.  Schmiedekunst  und  Waffen 260 

21.  Gold  und  Silber 267 

22.  Das   Porzellan      274 

23.  Die  Fayence  .  . 2gi 

24.  Die  geschnittenen   Gläser      2g8 

25.  Die  Kunst  des  Theaters 303 

26.  Die  Gartenkunst 313 

27.  Der  Geist  des  deutschen  Rokoko 325 

28.  Der  Umschwung  zum   Frühklassizismus  in  der  Baukunst      335 

29.  Die  Wandlung  in  den  übrigen   Künsten 347 

30.  Das  geistige  Leben  und  die  Dichtung  im  letzten  Drittel  des  Jahrhunderts  358 

Ausgang  des  Jahrhunderts 366 

Anmerkungen  und  Zusätze 373 


EINLEITUNG 


Keine  Epoche  der  Kunst-  und  Geistesgeschichte  Deutschlands  verlangt  so 
gebieterisch  eine  gründliche  Darstellung,  wie  das  i8.  Jahrhundert. 
Die  Geringschätzung,  die  die  nachfolgenden  Generationen  dem  i8.  Jahr- 
hundert entgegenbrachten,  hat  längst  einer  lebhaften,  stetig  wachsenden  Zu- 
neigung Platz  gemacht.  Doch  erst  der  nach  einem  geschlossenen  Stil  stre- 
benden Gegenwart  sind  der  tiefer  liegende  Gehalt  und  der  einheitliche 
Charakter  der  künstlerischen  Äußerungen  dieses  Jahrhunderts  völlig  klar  ge- 
worden. Insbesondere  hat  die  moderne  Architektur  die  in  der  Baukunst  des 
i8.  Jahrhunderts  liegenden  Werte  erkannt  und  aus  deren  Studium  den  reich- 
sten Vorteil  gezogen.  Für  die  Erzeugnisse  der  Malerei,  der  Bildnerei  und 
aller  übrigen  Kunstzweige -des  1 8.  Jahrhunderts  verbreitet  sich  die  Schätzung 
von  Tag  zu  Tag.  Die  Museen,  die  Sammler,  die  Künstler  und  Gelehrten 
wetteifern  in  der  Sammlung  und  Sichtung  des  fast  unübersehbaren  Stoffes. 


Dieses  Buch  unternimmt  es  nun,  weiteren  Kreisen  der  Kunstfreunde  ein  Bild 
der  Kunst  und  Geistesbildung  Deutschlands  im  i8.  Jahrhundert  zu  liefern. 
Der  Blick  soll  in  erster  Linie  auf  die  eigentümliche  Leistung  der  deutschen 
Kunst  in  diesem  Zeitalter  gelenkt  werden.  Die  besondere  Stellung  Deutsch- 
lands im  großen  Rahmen  der  europäischen  Kunst  des  i8.  Jahrhunderts  soll 
ins  Licht  treten.  Das  Beste  ist  damals  in  Deutschland  ohne  Einschränkung 
auf  dem  Gebiete  der  Baukunst  und  der  in  ihrem  Dienste  stehenden  dekora- 
tiven Künste  geschaffen  worden.  In  der  freien  Bildnerei  und  erst  recht  in 
der  Ölmalerei  ist  Deutschland  —  von  vereinzelten  Ausnahmen  abgesehen  — 
weit  hinter  den  Italienern  und  Franzosen,  und  hinsichtlich  der  Malerei  auch 
hinter  den  Engländern,  zurückgeblieben. 

Der  Höhepunkt  des  künstlerischen  Lebens  des  Jahrhunderts  liegt  in  dessen 
erster  Hälfte,  in  der  Epoche  des  Barock  und  Rokoko.  Die  Vorstufe 
dazu  bildet  das  letzte  Drittel  des  17.  Jahrhunderts.  Das  Ausleben  der  Barock- 
und  Rokokoströmung  und  ihre  Umwandlung  in  den  sogenannten  Frühklassi- 
zismus umfaßt  die  spätere  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  genauer  den  Zeit- 
raum vom  Ende  des  Siebenjährigen  Krieges  ab.  Der  Schwerpunkt  unserer 
Darstellung  liegt  in  der  Herausarbeitung  des  deutschen  Barock  und  Rokoko. 
Die  Entwicklung  des  Barock  in  dem  späteren  1 7 .  Jahrhundert  und  das  Fort- 
wirken der  in  dem  Barock  und  Rokoko  lebendigen  Kräfte  bis  an  den  Aus- 
gang des  18.  Jahrhunderts  bilden  die  notwendige  Begleitung  zu  dem  Haupt- 
thema. So  klärt  sich  die  Stellung  des  18.  Jahrhunderts  in  der  Gesamtge- 
schichte unseres  geistigen  Lebens,  das  Verhältnis  zu  dem  voraufgehenden 
Zeitalter  der  Reformation  und  Renaissance,  sowie  zu  dem  nachfolgenden 
19.  Jahrhundert. 

Unser  hauptsächlichstes  Augenmerk  ist  darauf  gerichtet,  den  einheit- 
lichen, das  Jahrhundert  von  Anfang  bis  zu  Ende  durchziehenden  künst- 
lerischen Geist  zu  erfassen.  Die  äußeren  und  inneren  Verhältnisse  Deutsch- 
lands sind  soweit  berücksichtigt  worden,  als  dies  zum  Verständnis  der 
Kunstgeschichte  unerläßlich  ist.  Das  Kulturleben  unseres  Volkes  ist 
hier  also  nur  in  seinem  Verhältnis  zur  Kunst  behandelt.  Allein 
auch  in  dieser  Hinsicht  konnten  viele  grundlegende  Fragen  nur  flüchtig  ge- 
streift werden,  um  die  Darstellung  nicht  ins  Uferlose  zu  erweitern.  Dahin 
gehört  die  Beziehung  der  deutschen  Musik  des  18.  Jahrhunderts  zur  Blüte 
unserer  Baukunst,  ferner  die  zwischen  der  erlahmenden  bildnerischen  Fähig- 
keit und  der  stetig  wachsenden  dichterischen  Schaffenskraft  im  späteren 
18.  Jahrhundert,  die  Wandlung  der  philosophischen,  insbesondere  der  ästhe- 
tischen Anschauung  von  Leibniz  über  Wolf  und  Baumgarten  zu  Kant  und 
endlich  zu  Schiller. 


Das  hier  entworfene  Gemälde  des  i8.  Jahrhunderts  gibt  dem  Leser  kein 
Bild  der  Kulturzustände  dieser  Epoche.  Eine  solche  Darstellung 
gehört  in  das  Gebiet  der  eigentlichen  Kulturgeschichte;  sie  kann  nicht  Auf- 
gabe der  Kunstgeschichte  sein.  Es  fehlt  leider  bisher  für  das  deutsche 
1 8.  Jahrhundert  eine  objektive  Kritik  der  gesamten  Lebensverhältnisse,  wie 
sie  für  Frankreich  Taine  in  dem  ersten  Bande  der  „Origines  de  la  France 
moderne"  geliefert  hat.  Auch  für  Deutschland  würde  eine  solche  Erzählung 
ein  Bild  reich  an  Wertvollem  und  Nützlichem,  aber  doch  nicht  ohne  tiefe 
Schatten  ergeben.  Als  die  Kehrseite  des  Glanzes  würde  aus  Memoiren,  aus 
Aktenstücken  und  Briefen  ein  Meer  von  Leidenschaften,  von  Intrigen,  von 
leerem  Schein,  von  Elend  und  Jammer  sichtbar  werden.  Die  Menschen  des 
Barock  und  Rokoko  waren  im  Grunde  nicht  anders  wie  heute  und  zu  jeder 
Zeit.  Unter  der  Allongeperücke,  unter  dem  Zopf  und  im  kurzgeschnittenen 
Haar  sind  die  Gehirne,  unter  dem  schwerbestickten  Staatsgewand,  unter 
dem  geblümten  Seidenfrack  und  unter  dem  schlichten  Tuchrock  die  Herzen 
die  gleichen  geblieben.  Aber  der  Gegenstand  unserer  Betrachtung  ist  eben 
nicht  die  Wirklichkeit  in  diesem  Jahrhundert  Leibnizens,  Friedrichs  des 
Großen,  Kants  und  Goethes,  sondern  die  daraus  hervorwachsende  Schöp- 
fung des  künstlerischen  Genius.  In  den  bleibenden  Werken  der  Kunst  ver- 
körpert sich  nicht  das  alltägliche  Dasein,  sondern  ein  höheres  Leben  geistiger 
Ideen,  das  den  rauhen  Tag,  der  es  geboren,  überdauert. 


I.ÜBERBLICK   ÜBER   DIE  KUNST   DES  JAHRHUNDERTS 
DIE   STILEPOCHEN:   BAROCK,  ROKOKO  U.  FRÜHKLASSIZISMUS 


Als  Glied  im  Kreise  der  europäischen  Kunst  des  1 8.  Jahrhunderts  hat 
Deutschland  an  den  großen  Wandlungen  des  europäischen  Geschmacks  in 
diesem  Zeitraum  Anteil.  Diese  Veränderungen  nehmen  aber  den  besonderen 
Verhältnissen  unseres  Vaterlandes  gemäß  einen  von  der  Gesamtentwicklung 
in  bestimmter  Weise  abweichenden  Verlauf.  Das  Jahrhundert,  das  uns  hier 
beschäftigt,  fällt  in  die  Epoche,  wo  der  Barockstil  in  Europa  seinen 
Höhepunkt  erreicht  hat  und  mit  dem  Rokoko  in  sein  letztes  Stadium  tritt. 
Man  kann  das  Wesen  und  die  Geschichte  der  deutschen  Kunst  dieses  Zeit- 
raums nicht  verstehen,  ohne  ihre  Stellung  in  dem  großen  Bilde  der  europä- 
ischen Kunst  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  zu  kennen. 

Nur  wenige  Jahrzehnte  bedurfte  Deutschland,  um  sich  aus  den  Trümmern 
des  Dreißigjährigen  Krieges  neuverjüngt  zu  erheben.  In  dem  letzten  Drittel 
des  17.  Jahrhunderts  lebte  die  künstlerische  und  geistige  Kraft  wieder  auf 
und  mit  der  Wende  vom  17.  zum  18.  Jahrhundert  entfaltete  der  deutsche 
Genius  aufs  herrlichste  seine  Schwingen. 

Schmitz,  18.  Jahrh.     i  I 


Nun  beruhen  aber  die  Grundlagen,  auf  denen  die  neue  Kunst  Deutsch- 
lands sich  aufbaut,  nur  zum  geringsten  Teile  in  den  bodenständigen  Über- 
lieferungen des  Landes.  Die  heimische  Spätrenaissance  hat  zwar  besonders 
in  den  Kunsthandwerken  der  süddeutschen  Reichsstädte  durch  den  Dreißig- 
jährigen Krieg  hindurch  fortgelebt.  Eine  Fülle  von  künstlerischer  und  hand- 
werklicher Geschicklichkeit  hat  sich  in  diesen  Kreisen  von  den  Vätern  auf 
die  Söhne  vererbt.  Nürnberg  und  Augsburg  haben  in  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts  den  Ruhm,  den  sie  in  der  Renaissanceepoche  erworben, 
behauptet.  Allein  der  Aufschwung  des  deutschen  Kunstlebens  im  letzten 
Drittel  des  17.  Jahrhunderts  ist  in  der  Hauptsache  durch  die  Anknüpfung 
an  den  Barockstil  Italiens,  der  Niederlande  und  Frank- 
reichs erfolgt.  Während  die  deutschen  Gaue  von  der  Kriegsfurie  ver- 
wüstet und  die  deutschen  Gemüter  durch  die  politischen  und  religiösen 
Kämpfe  zermürbt  wurden,  hatte  sich  in  Italien  und  damit  im  Zusammen- 
hang in  den  Niederlanden  und  in  Frankreich  der  künstlerische  Geist  unge- 
hindert entfalten  können.  In  Rom,  in  Antwerpen,  in  Amsterdam  und  in 
Paris  hat  sich  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  die  europäische 
Kunst  von  der  Spätrenaissance  befreit  und  den  Barockstil  geschaffen.  Das 
wichtigste  Kennzeichen  dieses  Stils  ist  die  zusammenfassende  große  Form, 
ob  es  sich  um  die  Architektur,  um  die  Bildnerei  oder  um  die  Malerei  handelt. 
Der  Barock  erwächst  auf  den  von  der  Renaissance  unter  Benutzung  antiker 
Formen  und  Ideen  geschaffenen  Grundlagen.  Eigentümlich  ist  der  neuen 
Anschauung  das  Streben  nach  stärkerem  räumlichen  plastischen  und  male- 
rischen Ausdruck,  verbunden  mit  tieferer  Beseelung.  Eine  Fülle  neuer  Be- 
handlungsweisen  und  technischer  Mittel,  sowohl  in  der  großen  Kunst  wie  in 
dem  Kunsthandwerk  —  man  denke  z.  B.  an  die  Keramik  — ,  kommt  damit 
empor.  Eine  Reihe  äußerer  Umstände  haben  die  Aufnahme  des  Barock  in 
Deutschland  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  befördert.  Die  durch  die  Re- 
formen der  Päpste  und  die  Wirksamkeit  der  Orden  neu  gestärkte  katho- 
lische Kirche  war  in  erster  Linie  die  Vermittlerin  der  barocken  italienischen 
Kirchenkunst  nach  dem  Süden  Deutschlands.  Der  protestantische  Kirchen- 
bau im  Norden  Deutschlands  entwickelte  sich  in  Fühlung  mit  dem  der  Nie- 
derländer und  der  französischen  Hugenotten. 

Die  Hauptträger  der  weltlichen  Kunstpflege  waren  jetzt  die  Fürsten,  deren 
Macht  aus  dem  Westfälischen  Frieden  so  stark  wie  nie  zuvor  hervorgegan- 
gen war,  und  der  ebenfalls  wieder  gekräftigte  Adel.  Und  diese  Kreise  wur- 
den ganz  von  selbst  darauf  gewiesen,  dem  modernen  Kunst-  und  Lebensstil 
der  italienischen  Höfe  und  alsbald  dem  des  alle  überstrahlenden  Hofes 
Ludwigs  XIV.  nachzueifern.    Die  Umgangsformen,  die  Bildung  und  Etikette 


Abb.  I.    Kaiser  Leopold  I.,  von  Steinle,  Elfenbein.   Wien,  Staatsmuseum 


Abb.  2.    Kaiser  Karl  VI.,  von  Solimena  (Ausschnitt) 
Wien,  Staatsgalerie 


der  Mehrzahl  der  deutschen  Fürsten  und  der  höfischen  Gesellschaft  kleide- 
ten sich  in  italienische  und  französische  Formen.  Dieser  Wandlung  hat 
zweifellos  die  nach  dynastischen  Gesichtspunkten  betriebene  Politik  der 
Fürsten  Vorschub  geleistet.  Waren  doch  mehrere  von  ihnen,  wie  Kaiser 
Leopold  I.,  Kurfürst  Ferdinand  Maria  von  Bayern,  Jan  Wilhelm  von  der 
Pfalz  mit  spanischen  und  italienischen  Prinzessinnen  verheiratet.  Im  Norden 
knüpfte  die  Verbindung  der  Häuser  Brandenburg  und  Anhalt  mit  dem  der 
Oranier  die  Verbindung  mit  Holland. 

Die  Kunst  in  Deutschland  ist  also  zunächst  ein  Teil  der  europäischen 
Barockkunst,  die  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  ein  interna- 
tionaler Besitz  der  Kirche,  der  Fürsten  und  des  Adels  geworden  war.  Wie 
die  Kunst  der  Renaissance,  so  hüllt  sich  auch  die  des  reifen  Barock  in  die 
Formen  der  Antike.  Überwiegend  sucht  sie  in  den  darstellenden  Künsten 
eine  Schönheitsidee  und  nicht  die  unmittelbar  angeschaute  Natur  zu  gestal- 
ten. Auch  darin  ist  sie  eine  Fortsetzung  der  Grundströmungen  der  Renais- 
sance. 

Es  ist  nun  daran  zu  erinnern,  daß  schon  in  der  Zeit  vor  dem  Dreißig- 
jährigen Kriege  die  Kunst  in  Deutschland  eine  Reihe  von  Ansätzen  zu  dem 
klassischen  und  idealisierenden  Geschmack  der  italienischen  Spätrenaissance 
aufzuweisen  hat.  Man  denke  an  die  in  Italien  gebildeten  Niederländer  und 
Deutschen  am  Hofe  Rudolfs  II.  in  Prag,  an  Baumeister,  wie  an  Schick- 
hart in  Stuttgart,  an  Holl,  den  Erbauer  des  Augsburger  Rathauses,  und  an 
Sustris,  den  Schöpfer  der  Münchner  Jesuitenkirche  St.  Michael,  an  Bild- 
hauer wie  Pieter  Candid  in  Augsburg  und  München  und  endlich  an  den 
ersten  römischen  Maler  deutscher  Nation  Elzheimer  aus  Frankfurt.  Neben 
[München,  Prag  und  Wien  ist  Salzburg  unter  den  Erzbischöfen  Wolf  Dietrich 
und  Marcus  Sittich  ein  Vorort  der  italienisierenden  Richtung  im  ersten 
Drittel  des  17.  Jahrhunderts.  Noch  während  der  ersten,  für  den  Kaiser  und 
die  katholische  Liga  glücklichen  Hälfte  des  Dreißigjährigen  Krieges  geht 
diese  Entwicklung  weiter,  wofür  die  unter  Kurfürst  Maximilian  von  Bayern 
entstandenen  Teile  der  Residenz  in  München,  eine  Reihe  von  Kirchengrün- 
dungen dieses  Fürsten  und  des  Herzogs  Wolfgang  Wilhelm  von  Pfalz-Neu- 
burg, wie  auch  Wallensteins  Palast-  und  Gartenschöpfungen  in  Böhmen 
zeugen.  Die  Schriften  des  trefflichen  Ulmer  Stadtbaumeisters  Furttenbach, 
der  auch  in  Italien  gereist  war,  zeigen  das  Umsichgreifen  wenigstens  der 
Theorien  in  der  späteren  Epoche  des  Krieges.  Die  nach  dem  Kriege  einset- 
zende Kunsttätigkeit  bildet  mithin  eine  Fortführung  der  in  der  Spätrenais- 
sance eingeleiteten  Bewegung. 

Der  im  letzten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  beginnende  Barock  in  Deutsch- 


land  ist  aber  keine  aus  der  künstlerischen  Kraft  des  Landes  von  innen  heraus 
kommende  Erscheinung,  wie  der  italienische,  niederländische  und  franzö- 
sische. Das  wird  durch  die  große  Zahl  jetzt  einwandernder  oder  von  den 
Fürsten  berufener  italienischer,  niederländischer  und  französischer  Künstler 
dargetan.  S  i  e  sind  die  Träger  der  neuen  Ideen,  aber  nicht  die  Bauhand- 
werker und  die  Zimmerleute  der  deutschen  Reichsstädte,  die  Tischler,  Silber- 
schmiede, Glas-  und  Fayencemaler,  die  Elfenbeindrechsler,  die  Waffen- 
schmiede, Eisenschneider  und  Schlosser  von  Nürnberg  und  Augsburg,  die 
freilich  beim  Wiederaufbau  mitwirken.  Die  Frühzeit  des  deutschen 
Barock  umfaßt  die  Jahrzehnte  von  rund  1660  bis  1690,  also  die  Epoche 
Kaiser  Leopolds  L,  des  Kurfürsten  Ferdinand  Maria  von  Bayern  und  des 
Großen  Kurfürsten  Friedrich  Wilhelm  von  Brandenburg. 

Die  Reife  des  deutschen  Barock  beginnt  im  letzten  Jahrzehnt 
des  17.  Jahrhunderts  und  dauert  bis  in  die  Mitte  der  dreißiger  Jahre  des 
18.  Jahrhunderts.  Die  markantesten  Fürsten  dieser  Epoche  sind  Kaiser 
Joseph  I.,  sowie  namentlich  sein  Bruder  und  Nachfolger  Karl  VI.  (171 1  bis 
1740),  ihr  großer  Feldherr  und  Staatsmann,  Prinz  Eugen  von  Savoyen,  nicht 
zu  vergessen;  dann  Max  Emanuel  von  Bayern,  Friedrich  I.  von  Preußen  und 
August  der  Starke  von  Sachsen  und  Polen.  Mehrere  geniale  Meister  haben 
die  Gedanken  des  Barock  im  deutschen  Sinne  fort-  und  umgebildet:  Schlüter, 
Bernhard  Fischer  von  Erlach,  Lukas  von  Hildebrandt,  Pöppelmann  und 
Balthasar  Neumann,  der  letztere  bereits  in  die  Folgezeit  hinüberführend. 
Die  italienische  Strömung  kreuzt  sich  in  den  Schöpfungen  dieses  Zeitraums 
mit  der  mehr  und  mehr  eindringenden  französischen,  dem  Stil  Louisqua- 
torze.  Die  in  Frankreich  auf  das  Louisquatorze  folgende  „R  e  g  e  n  c  e"  ist  in 
Deutschland  nur  in  der  Ornamentik  des  späteren  Barock  zu  beobachten. 

Seit  der  Mitte  der  dreißiger  Jahre  geht  der  Barock  in  den  Rokokostil 
über.  Der  Rokokostil  bringt  den  der  deutschen  Kunst  eigentümlichen  Raum- 
sinn zur  höchsten  Entfaltung.  Das  Barockornament  lockert  sich  unter  An- 
regung von  Seiten  des  französischen  Louisquinze  zum  Rocailleornament. 
Der  Kurfürst  Karl  Albert  von  Bayern,  der  kurze  Zeit  und  ohne  Glück  als 
Karl  VII.  den  Kaiserthron  innehatte,  und  sein  Bruder,  der  Kölner  Kurfürst 
Clemens  August,  Friedrich  der  Große  und  Maria  Theresia  sind  die  wichtig- 
sten fürstlichen  Vertreter  des  Rokokozeitalters  in  Deutschland.  Als  über- 
ragende Künstler  sind  der  schon  genannte  Balthasar  Neumann  in  Würz- 
burg, Francois  Cuvillies  und  der  Kirchenbaumeister  Johann  Michael  Fischer 
in  München,  sowie  der  Freiherr  von  Knobelsdorff  in  Berlin  aus  der  Fülle 
trefflicher  Meister  hervorzuheben.  Das  Rokoko  erreichte  um  die  Mitte  des 
Jahrhunderts  den  Höhepunkt.   Seine  Nachblüte  endete  aber  erst  gegen  1770. 

6 


Abb.  3.    Max  Emanuel  von  Bayern,  von  Vivien.    München,  Pinakothek 


Mit  diesem  Zeitpvmkt  beginnt  eine  abermalige  Wandlung.  Wir  kommen 
zur  dritten  Generation  des  Jahrhunderts,  zur  Epoche  des  Frühklassi- 
zismus. Der  Name  ist  nicht  glücklich,  allein  besser  als  der  des  ..Louis- 
seize",  der  nur  für  die  gleichzeitige  Ent^vicklung  Frankreichs  berechnet  ist, 
oder  gar  der  des  ..Zopf".  Die  Kaiser  Joseph  II.  und  Leopold  II..  Kurfürst 
Carl  Theodor  von  der  Pfalz,  Friedrich  Wilhelm  II.  von  Preußen  und  Karl 
August  von  Weimar  sind  unter  den  Regenten  dieses  Abschnitts  die  bekann- 
testen. In  dem  letzten  Drittel  des  Jahrhunderts  verschmelzen  sich  die  in  dem 
Barock  und  Rokoko  ■«•irkenden  Kräfte  langsam  mit  neuaufkommenden 
künstlerischen  Grundsätzen.  EndHch  aber  verfallen  sie  unter  dem  Druck 
ge^valtiger  äußerer  und  innerer  Umwälzungen  der  Auflösung.  Um  die  Wende 
zum  neuen  Jahrhundert  sinken  zugleich  mit  dem  alten  deutschen  Reiche  die 
aristokratischen  Mächte  dahin,  deren  durch  den  Dreißigjährigen  Krieg  be- 
gründete Vorherrschaft  die  Entfaltung  der  Kunst  und  Kultur  des  Barock 
und  Rokoko  bedingt  hatte. 

Die  Gliederung  Ln  die  Hauptstilabschnitte  ist  natürlich  nur  ein  Schema 
nach  äußerlichen  Kennzeichen,  das  uns  den  Verlauf  der  fortgehenden  Ent- 
vricklung  klären  hilft.  Dieser  Verlauf  selbst  geht  ohne  Unterbrechung  seinen 
Weg.  Er  spiegelt  den  Gang  der  sinnlichen  und  seelischen  Empfindung  un- 
seres Volkes  in  der  Epoche  seit  dem  Dreißigjährigen  Kriege  bis  zum  Ende 
der  alten  Reichsherrlichkeit. 


^"^Z 


2.  POLITISCHER  UND  SOZIALER  ZUSTAND 
DEUTSCHLANDS   IM  ZEITALTER  DES   BAROCK 

Um  die  Entwicklung  und  den  besonderen  Charakter  des  deutschen  Barock 
zu  verstehen,  ist  es  unerläßlich,    sich  die  politischen  und  gesellschaft- 
lichen   Verhältnisse  im  damaligen  Deutschland  zu  vergegenwärtigen. 

Die  Grundlagen  der  deutschen  Verfassung  sind  durch  den  Dreißigjährigen 
Krieg  nicht  wesentlich  geändert  worden.  Der  Kaiser  des  Heiligen  Römischen 
Reiches  Deutscher  Nation  wurde  nach  wie  vor  von  den  Kurfürsten  gewählt 
auf  Grund  der  Goldenen  Bulle  Karls  IV.  aus  dem  14.  Jahrhundert,  deren 
wichtigstes  Original  in  dem  Frankfurter  Römer  aufbewahrt  wurde.  Die  Ab- 
hängigkeit des  erwählten  Reichsoberhauptes  von  den  Kurfürsten  und  Stän- 
den war  indessen  durch  den  Krieg  nur  noch  größer  geworden.  Die  Macht  des 
Kaisers  im  Reiche  war  beschränkter  als  je  vorher.  Der  Westfälische  Friede 
hatte  Deutschland  geradezu  in  eine  Reihe  souveräner  Staatsgebilde  gelockert. 
Die  Fürsten  des  Reiches  hatten  ihre  eigenen  Steuerrechte,  ihre  eigene  Münze, 
eigene  Rechtsprechung  und  Armee.  Der  Friede  von  Münster  und  Osna- 
brück hatte  den  Fürsten  sogar  das  Recht  zugestanden,  auf  eigene  Faust 
Bündnisse  zu  schließen.  So  wurde  der  unerhörte  Zustand,  den  der  Dreißig- 
jährige Krieg  geschaffen,  verewigt,  daß  deutsche  Reichsfürsten  mit  auswär- 
tigen Mächten  verbündet  gegen  Kaiser  und  Reich  zu  Felde  zogen.  Nur  mit 
äußerster  Schwierigkeit  vermochte  der  Kaiser  in  den  Zeiten  gemeinsamer 
Gefahr  ein  Heer  aus  dem  Reiche  zusammenbringen.  Jedes  Hilfskorps,  jede 
Geldbewilligung  der  Fürsten  und  Stände  mußte  der  Kaiser  mit  der  Gewäh- 
rung neuer  Privilegien  erkaufen.  Die  ganze  Politik  scheint  ein  Tauschge- 
schäft von  Regimentern  und  Geldsummen  gegen  Titelerhöhungen,  Steuer- 
rechte, Monopole  und  Landerwerbungen  zu  sein.  Aber  auch  die  Reichsfür- 
sten ihrerseits  hatten  mit  den  Unabhängigkeitsbestrebungen  ihres  landsäßigen 
Adels  zu  käm.pfen.  Was  konnten  bei  solchen  verwickelten  Verhältnissen  die 
Zentralbehörden,  der  in  Regensburg  in  Permanenz  tagende  Reichstag,  das 
Reichskammergericht,  das  erst  in  Speier,  dann  in  Wetzlar  saß,  der  Reichs- 
hofrat in  Wien  ausrichten?  So  geht  denn  Straßburg  und  das  Elsaß  an  Lud- 
wig XIV.  verloren,  so  wird  die  Pfalz  verwüstet  und  den  Franzosen  eine  stra- 
tegische Stellung  am  Oberrhein  überlassen. 


Der  Kaiser  freilich  ging  den  übrigen  Fürsten  voran  in  der  Verfolgung 
einseitiger  Hausinteressen.  Das  Haus  Habsburg  hatte  seine  Herrschaft 
durch  den  Krieg  in  den  österreichischen  Stammlanden  und  in  Böhmen  unter 
tätiger  Mithilfe  der  Kirche  neubefestigt.  Unter  der  unglaublich  langen 
Regierung  Leopolds  I.  (Abb.  i),  unter  Joseph  I.  und  Karl  VI.  (Abb.  2) 
breitete  sich  die  Macht  Habsburgs  infolge  der  glänzenden  Siege  des  Prinzen 
Ludwig  von  Baden.  Karls  von  Lothringen  und  des  Prinzen  Eugen  donauab- 
wärts  über  Ungarn  aus.  Die  Verschwägerung  des  Hauses  mit  den  italieni- 
schen Dynastien  eröffnete  die  politischen  Beziehungen  zu  Italien.  Sogar  die 
spanische  Krone  schien  wie  zu  Karls  V.  Zeiten  dem  Kaiserhause  zuzufallen, 
als  durch  den  Einspruch  der  Bourbonenmonarchie  der  große  Spanische  Erb- 
folgekrieg ausbrach.  Siegreich  fechten  Habsburgs  und  des  Reiches  Waffen 
im  Süden  Deutschlands,  in  den  belgischen  Niederlanden  und  in  Italien  — . 
Prinz  Eugen  gewinnt  die  Schlachten  von  Höchstädt,  bei  Turin,  bei  Malpla- 
quet  und  Audenarde,  in  denen  zuerst  Brandenburgs  Fahnen  den  Franzosen 
entgegentreten.  Der  Frieden  von  Utrecht  17 13  und  der  von  Rastatt  und  Ba- 
den 17 14,  die  den  Krieg  beendigen,  sichern  dem  Kaiser  die  belgischen  Nieder- 
lande und  einen  Teil  der  italienischen  Besitzungen.  Es  beginnt  jetzt  unter 
Karls  VI.  Regierung  eine  außerordentliche  Blüte  des  wirtschaftlichen  und 
des  künstlerischen  Lebens  in  Österreich.  Wien  wird  für  die  nächsten  dreißig 
Jahre  der  Mittelpunkt  für  die  Baukunst,  die  Bildnerei,  die  Malerei,  für  Musik 
und  Oper  im  deutschen  Reiche.  Im  Anschluß  an  die  kaiserlichen  Erblande 
entwickeln  sich  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  die  übrigen  katholischen 
Gebiete  im  Reiche,  deren  Schwerpunkt  im  Süden  Deutschlands  lag.  Die 
Scheidung  zwischen  dem  katholischen  und  dem  protestantischen  Deutschland 
blieb,  wie  man  sich  erinnern  muß,  nach  dem  großen  Religionskriege  bestehen. 
Mißtrauisch  standen  sich  die  katholischen  und  protestantischen  Reichsstände 
gegenüber.  In  den  katholischen,  namentlich  in  den  geistlichen  Fürstentü- 
mern, arbeitete  die  Gegenreformation  ruhig  weiter,  wenn  auch  mehr  mit  den 
Mitteln  des  sanften  Drucks  und  der  Überredung  als  mit  roher  Gewalt.  Die 
protestantischen  Landschaften  gaben  an  Unduldsamkeit  oft  wenig  nach.  Die 
Restaurierung  des  Landesglaubens  in  den  Zeiten  nach  dem  Dreißigjährigen 
Kriege  kam  der  Stärkung  der  absoluten  Fürstenmacht  zustatten,  was  natür- 
lich doppelt  für  die  geistlichen  Gebiete  gilt.  Der  mächtigste  katholische 
Reichsfürst  war  der  Kurfürst  von  Bayern,  der  nicht  nur  die  Kurwürde  son- 
dern auch  die  Oberpfalz  aus  dem  Dreißigjährigen  Kriege  davontrug.  Eine 
glänzende  Persönlichkeit  war  der  Kurfürst  Max  Emanuel  (Abb.  3),  der 
Schöpfer  von  Schleißheim  und  Nymphenburg.  In  jugendlichen  Jahren  hatte 
er  an  der  Seite  Österreichs  vor  Belgrad  hohen  Kriegsruhm  errungen.    Die 

10 


Abb.  4.    Joh.  Wilhelm  von  der  Pfalz,  Bronze  von  Grupello  (1711).    Düsseldorf 


II 


Abb.  5.    Karl  Philipp  von  der  Pfalz,  von  Goudreaux.     München,  Pinakothek 


12 


Teilnahme  am  Spanischen  Erbfolgekriege  im  Bunde  mit  Ludwig  XIV. 
brachte  ihm  die  schweren  Niederlagen  von  Höchstädt  und  am  Schellenberg 
und  langjährige  Verbannung  aus  seinem  Lande.  Neben  dem  bayerischen  er- 
hob sich  unter  den  katholischen  Fürstenhäusern  als  das  glänzendste  das  kur- 
pfälzische. Es  ging  hervor  aus  der  Linie  Pfalz-Neuburg,  dem  Wolfgang  Wil- 
helm, einer  der  eifrigsten  Restauratoren  des  Katholizimus  vor  dem  Dreißig- 
jährigen Kriege,  angehörte.  Im  Rahmen  des  deutschen  Barock  um  1700  haben 
aus  diesem  Hause  Jan  Wilhelm  (Abb.  4),  der  Verschönerer  Düsseldorfs  — 
der  Hauptstadt  der  kurpfälzischen  Herzogtümer  Berg  und  Jülich  — ,  sowie 
sein  Bruder  Karl  Philipp  (Abb.  5),  der  Erbauer  des  Mannheimer  Schlosses, 
Bedeutung.  Am  Oberrhein  ist  noch  die  Markgrafschaft  Baden  anzureihen. 
Markgraf  Ludwig  Wilhelm,  der  berühmte  Türkensieger,  gründete  die  Resi- 
denz Rastatt,  und  seine  Gattin  Susanna  ist  die  Schöpferin  des  köstlichen  Lust- 
schlößchens Favorite.  Die  große  Zahl  kleinerer  katholischer  Reichsfürsten, 
Grafen  und  Herren,  die  namentlich  in  Schwaben  und  am  Main  saßen,  können 
wir  übergehen.  Dagegen  verlangen  die  geistlichen  Fürsten  eine  kurze  Be- 
trachtung. In  alter  Kraft  blühen  die  drei  ehrwürdigen  Kurstifter  Mainz, 
Trier  und  Köln,  und  neuverjüngt  haben  sich  aus  dem  Dreißigjährigen 
Kriege  die  Bistümer  Bamberg  und  Würzburg  am  Main,  Eichstätt,  Pas- 
sau, Salzburg,  Freising  und  Augsburg  im  Süden  und  endlich  im  Nordwesten 
Münster  und  die  westfälischen  Hochstifte  erhoben.  Überall  hatten  willens- 
starke Männer  den  Krummstab  ergriffen  und  mit  dem  alten  Glauben  zugleich 
eine  verbesserte  Staatswirtschaft  hergestellt.  Aus  der  Reihe  dieser  bedeuten- 
den Kirchenfürsten  des  späteren  17.  und  des  beginnenden  18.  Jahrhunderts 
seien  hier  hervorgehoben :  der  Erzbischof  Thun  in  Salzburg,  Carl  Caspar 
von  der  Leyen  in  Trier,  Kurfürst  Lothar  Franz  von  Schönborn  in  Mainz 
und  Bamberg,  der  Gründer  der  untergegangenen  vielgerühmten  Favorite  in 
Mainz,  der  Schlösser  von  Bamberg  und  Pommersfelden;  der  Fürstbischof 
Damian  Hugo  von  Schönborn  in  Speier,  der  Schöpfer  Bruchsals;  der  Reichs- 
vizekanzler Josephs  I.  und  Karls  VI.,  der  staatskluge  Friedrich  Karl  von 
Schönborn,  Fürstbischof  von  Bamberg  und  Würzburg,  der  eigentliche  Er- 
bauer der  Residenz  in  Würzburg;  in  Münster  Bernhard  von  Galen  und  Fried- 
rich Wilhelm  von  Plettenberg,  der  Schöpfer  des  Schlosses  Nordkirchen,  und 
in  Paderborn  Ferdinand  von  Fürstenberg.  Die  Domkapitel,  die  das  Land  ver- 
walteten und  den  Fürsten  wählten,  wurden  aus  dem  eingesessenen  Adel  ge- 
bildet. Mit  Vorliebe  wählten  sie  wieder  den  Bischof  aus  dem  Landesadel. 
Auch  die  Söhne  der  souveränen  Häuser  gelangten  mehrfach  auf  die  Bischof- 
sitze. So  hatte  das  Haus  Bayern  wiederholt  den  Kölner  Erzstuhl  inne,  und 
ein    Sohn   des    Max  Emanuel,  Clemens  August,  vereinigte   mit    dem  Kölner 

13 


Erzstift  die  westfälischen  Bistümer  nebst  der  Deutschmeisterwürde,  deren 
Sitz  in  Mergentheim  war.  Die  Besetzung  dieser  hohen  geistlichen  Fürsten- 
tümer spielte  eine  bedeutende  Rolle  in  der  Politik  der  um  die  Vorherrschaft 
in  Deutschland  ringenden  Mächte  Habsburg,  Bayern  und  Preußen.  Schließ- 
lich sind  noch  die  großen  Reichsabteien  zu  nennen,  an  denen  wiederum  Süd- 
deutschland, vor  allem  Schwaben  und  Franken,  reich  war.  Da  in  ihnen  nicht 
nur  die  Stiftsherren,  sondern  selbst  die  Äbte  aus  dem  landständigen  Bürger- 
und Bauernstand  hervorgingen,  so  waren  sie  ein  besonders  günstiges  Feld 
für  das  Wachstum  eines  volkstümlichen  Kulturlebens. 

Unter  den  protestantischen  Staaten  steht  an  der  Spitze  Brandenburg- 
Preußen.  Der  Große  Kurfürst  hatte  den  Staat  durch  die  Einverleibung  der 
Bistümer  Magdeburg,  Halberstadt  und  Minden  vergrößert  und  völlig  neu 
aufgebaut.  Sein  Sohn  Friedrich  I.  fügte  den  Glanz  der  Königskrone  hinzu. 
Das  stehende  Heer,  vom  Großen  Kurfürsten  seit  1660  nach  schwedischem 
Muster  gegründet,  wurde  durch  Friedrich  Wilhelm  I.  zu  einer  bis  dahin 
unerreichten  Schlagfertigkeit  gebracht.  Einheitliche  Uniformierung,  Gleich- 
schritt und  Salvenfeuer  wurden  hier  unter  Mitwirkung  des  Fürsten  Leopold 
von  Anhalt  ausgebildet.  Der  karge  und  vielfach  sumpfige  Boden  wurde  unter 
der  Regierung  der  drei  Herrscher  durch  Entwässerungswerke  und  sorgfäl- 
tigen Landbau  verbessert.  Hunderttausende  fleißiger  Kolonisten,  darunter 
viele  um  ihres  Glaubens  aus  Frankreich  vertriebene  Protestanten,  fanden 
Aufnahme  und  brachten  landwirtschaftliche,  gärtnerische  und  handwerkliche 
Fertigkeiten  in  ihre  neue  Heimat.  Auch  die  vertriebenen  böhmischen  und 
mährischen  Brüder  fanden  Aufnahme.  Den  von  dem  Erzbischof  Firmian  aus- 
gewiesenen Salzburger  Protestanten  wies  Friedrich  Wilhelm  I.  Distrikte  in 
Ostpreußen  an  und  erbaute  ihnen  die  Stadt  Gumbinnen.  Auch  Cleve  und 
Mark,  die  preußischen  Enklaven  am  Niederrhein,  wurden  der  Segnungen  der 
musterhaften  Verwaltung  der  preußischen  Könige  teilhaftig.  In  einer  viel 
glücklicheren  Lage  als  das  dünn  bevölkerte  brandenburgisch-preußische  Land 
befand  sich  von  Hause  aus  das  südlich  angrenzende,  durch  den  Handel  und 
Verkehr  volkreicher  Städte,  durch  Bergbau  und  Industrie  seit  langem  ausge- 
zeichnete Kurfürstentum  Sachsen,  dessen  Kurfürsten  durch  geschickte  Po- 
litik die  Furie  des  Dreißigjährigen  Krieges  den  Grenzen  ferngehalten  hatten. 
Am  sächsischen  Hofe  entwickelte  sich  mit  am  frühesten  die  glänzende  Kultur 
des  Barock.  Ihren  Höhepunkt  erreichte  sie  mit  August  dem  Starken,  der 
seit  1698  auch  König  von  Polen  war  (Abb.  6).  Allerdings  war  der  Kurfürst 
zwecks  Erlangung  dieser  Würde  zum  Katholizismus  übergetreten.  Das  Haus 
Hannover,  das  die  neunte  Kurwürde  innehatte,  gelangte  17 14  auf  den  eng- 
lischen Königsthron.   Damit  kamen  die  hoffnungsvollen  Ansätze  einer  boden- 

14 


Abb.  6.    August  der  Starke  von  Sachsen,  von  Silvestre.    Dresden,  Gemäldegalerie 


15 


ständigen  höfischen  Kultur  nicht  zur  Entfaltung.  Politisch  war  Hannover  mit 
England  durch  Personalunion  verbunden.  Das  Haus  Hannover  hat  zwei  der  be- 
deutendsten Frauen  auf  deutschen  Fürstenthronen  hervorgebracht,  Sophie  Char- 
lotte, die  Gründerin  Charlottenburgs,  die  Großmutter,  und  Sophie  Dorothea, 
die  Mutter  Friedrichs  des  Großen.  Bedeutungsvoll  für  die  künstlerische  Kul- 
tur des  Barock  waren  ferner  die  Herzöge  von  Braunschweig,  Landgraf  Karl 
von  Hessen,  der  Gründer  der  Neustadt  Cassel  und  der  Kaskade  von  Wil- 
helmshöhe, die  Fürsten  von  Anhalt  und  Waldeck,  der  Markgraf  von  Baden- 
Durlach,  Begründer  der  Residenz  Karlsruhe,  ferner  Herzog  Eberhard 
Ludwig  von  Württemberg,  der  Schöpfer  Ludwigsburgs,  der  Landgraf 
von  Hessen-Darmstadt,  die  Markgrafen  von  Ansbach  und  von  Bayreuth  und 
von  den  thüringischen  Fürsten  u.  a.  die  Herzöge  von  Gotha  und  Weimar. 

Mit  der  Steigerung  der  absoluten  Fürstenmacht  war  allerdings  der  Rück- 
gang der  Städte  verbunden.  In  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  sind 
die  städtischen  Rechte  vielerorts  gebrochen  worden,  z.  B.  durch  den  Großen 
Kurfürsten  in  Ostpreußen,  durch  den  Herzog  von  Wolfenbüttel  in  Braun- 
schweig, durch  Bischof  Bernhard  von  Galen  in  Münster.  Würzburg  und 
Mainz  gingen  ihrer  reichsstädtischen  Rechte  verlustig.  Viele  Städte  verarm- 
ten durch  die  Verschiebungen  der  Handelswege.  Köln  und  Lübeck  waren 
nur  ein  Schatten  der  Größe  zur  Zeit  der  Hansa.  Von  den  süddeutschen 
Reichsstädten  bewahrten  Nürnberg  und  Augsburg  einen  Schimmer  ihres  frü- 
heren Glanzes.  Dagegen  erlangten  neben  den  Residenzen  die  Handelsstädte 
Frankfurt,  Leipzig  und  Hamburg  eine  wachsende  Bedeutung. 

Die  Fürsten  verstanden  es,  durch  Besitznahme  vieler  öffentlicher  und  pri- 
vater Rechte,  wie  des  Salzhandels,  der  Forsten  und  der  Jagd,  der  Zölle  und 
der  Manufaktur-Monopole,  ihre  Einnahmen  beträchtlich  zu  erhöhen.  Da- 
durch wurde  die  beispiellose  Bautätigkeit  der  Fürsten  ermöglicht,  die  das 
hervorstechendste  Merkmal  der  Barockepoche  ist.  In  dem  Bauwesen  sahen 
sie  zugleich  die  wichtigste  Förderung  des  Geldumlaufs  im  Lande.  Die  ganze 
Handels-  und  Gewerbepolitik  beruhte  wesentlich  auf  dem  zuerst  von  Colbert 
in  Frankreich  durchgeführten  Merkantilsystem,  d.  h.  möglichste  Zollabsper- 
rung der  Grenzen  und  Deckung  des  Bedarfs  durch  die  inländische  Industrie. 

Es  wurde  schon  darauf  hingewiesen,  welche  bevorzugte  Stellung  damals 
der  Adel  einnahm.  Mit  der  Fürstenmacht  hatte  sich  die  Lage  des  Adels,  die 
seit  dem  Ende  des  Mittelalters  gesunken  war,  wieder  gehoben.  Die  Fürsten 
verknüpften  ihre  Interessen  mit  denen  des  Adels.  Ihm  standen  allein  die  Mi- 
nister- und  höheren  Beamtenstellen,  sowie  die  Offizierslaufbahn  offen.  Der 
Gütererwerb  war  nahezu  auf  den  Adel  beschränkt.  So  erklärt  sich  die  große 
Zahl  der  Adelspaläste  in  Wien,  in  Prag,  in  München,  in  Dresden,  in  Münster, 

16 


Abb.  7.   Karl  Albert  von  Bayern,  Schule  des  Desmarees.   Berlin,  ehem.  K gl.  Schloß 

Schmitz,    i8.  Jahrh.     2  17 


in  Berlin  und  in  anderen  Residenzen.  So  auch  die  Erscheinung,  daß  es  nur 
immer  wenige  Namen  sind,  die  neben  dem  Fürsten  als  Kunstmäzene  stetig 
wiederkehren;  und  zwar  sind  es  meistens  die  Namen  der  Staatsminister  und 
Günstlinge.  In  Wien  z.  B.  die  Liechtenstein,  die  Starhemberg,  die  Schön- 
born, die  Trautson,  in  Dresden  Graf  Flemming,  Feldmarschall  Wackerbarth, 
Graf  Brühl,  in  Berlin  Minister  Kreuz,  Danckelmann,  Kamecke.  Am  ungünstig- 
sten war  in  diesem  Jahrhundert  die  Lage  der  Bauern.  Sie  blieben  in  den  mei- 
sten Territorien  leibeigen,  zum  Boden  gehöriges  Inventar.  Neben  den  Fron- 
diensten waren  für  sie  besonders  die  fürstlichen  Jagdgesetze  drückend,  wo- 
durch sie  oft  um  den  Ertrag  ihrer  Arbeit  gebracht  wurden.  Nichts  ist  merk- 
würdiger als  das  Fortbestehen  der  feudalen  Zustände  in  diesem  Jahrhundert 
der  Aufklärung. 

Somit  ist  die  monarchische  und  aristokratische  Tendenz  des  Barockzeit- 
alters gekennzeichnet.  Nur  sie,  nur  der  Wille  einzelner  konnte  Deutschland 
aus  den  verworrenen  Zuständen  des  17.  Jahrhunderts  herausführen.  Nur  der 
Absolutismus  und  die  Aristokratie  vermochten  die  Grundlagen  zu  schaffen, 
auf  denen  das  Zeitalter  des  Barock  erwuchs.  Und  das  gleiche  gilt  auch  von 
der  Kunst.  Im  Gegensatz  allerdings  zu  Frankreich  hat  die  in  viele  Wege  ge- 
spaltene Entwicklung  Deutschlands  nicht  entfernt  den  großartigen  Zug  an- 
genommen, den  die  Erscheinung  Ludwigs  XIV.  und  seiner  Zeitgenossen  zur 
Schau  trägt.  Aber  dafür  ist  Deutschland  auch  vor  der  einseitigen  Überspan- 
nung der  absolutistischen  und  aristokratischen  Vorherrschaft,  vor  dem  tiefen 
Elend  der  unteren  Schichten  und  schließlich  vor  den  Greueln  der  Revolution 
verschont  geblieben. 

Aus  dem  weiteren  Gang  der  Dinge  in  Deutschland  sei  noch  kurz  erinnert 
an  den  Krieg  Preußens,  Dänemarks,  Sachsens  und  Rußlands  gegen  Karl  XII. 
von  Schweden,  der  August  den  Starken  im  Besitze  Polens  bestätigte  und 
Preußen  um  Hinterpommern  mit  Stettin  vergrößerte.  Kaiser  Karl  VI.  konnte 
als  den  wichtigsten  Erfolg  langwieriger  Verhandlungen  die  Pragmatische 
Sanktion  verzeichnen,  durch  die  die  Thronfolge  seiner  Tochter  Maria  The- 
resia gesichert  wurde.  Er  vermählte  sie  dem  Prinzen  Franz  von  Lothringen, 
der  dann  Großherzog  von  Toskana  wurde.  Zwei  seiner  Schwestern  vermählte  er 
den  Kurprinzen  von  Sachsen  und  Bayern.  Der  Polnische  Erbfolgekrieg  zwi- 
schen dem  Kaiser  und  Frankreich,  1734 — 1735,  endete  mit  der  Anerkennung 
Augusts  III.  von  Sachsen  als  Königs  von  Polen,  dagegen  mit  dem  Verlust  des 
Herzogtums  Lothringen  —  dessen  Hauptstadt  Nancy  der  äußerst  kunstsin- 
nige Stanislaus  Leszcinsky  von  Polen  als  Residenz  erhielt.  Denkwürdig  ist 
dieser  Feldzug,  da  hier  der  größte  Staatsmann  und  Feldherr  der  Barock- 
epoche, der  greise  Prinz  Eugen,  Seite  an  Seite  ritt  mit  dem  größten  Staats- 

18 


und  Kriegsgenie  des  Rokokozeitalters,  dem  dreiundzwanzigjährigen  Kron- 
prinzen Friedrich.  In  diesen  Jahren,  wo  Friedrich  sein  Rheinsberg,  und 
seine  Schwester  Wilhelmine,  die  Markgräfin  von  Bayreuth,  die  Eremitage  be- 
gannen, wandelt  sich  der  Barock  bereits  zum  Rokoko.  Mit  dem  Jahre  1740, 
dem  Todesjahre  Kaiser  Karls  VI.  und  Friedrich  Wilhelms  I.,  mit  der  Thron- 
besteigung der  Maria  Theresia  und  Friedrichs  II.,  beginnt  die  Blütezeit  des 
deutschen  Rokoko.  - 


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Abb.  8.    August  der  Starke,  Kupfer,  getrieben  von  Wiedemann.    Dresden 


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3.    DIE    GEISTESBILDUNG    IM    DEUTSCHEN   BAROCK 

Wie  die  Grundlagen  der  deutschen  Barockkunst,  so  beruhen  die  der  höfi- 
schen und  aristokratischen  Bildung  dieser  Zeit  auf  der  Kultur  der  höfi- 
schen Kreise  Italiens  und  Frankreichs.  Um  1700  wurde  das  Französische  die  offi- 
zielle Umgangssprache  der  deutschen  Höfe.  In  Wien  und  München  herrschte 
daneben  das  Italienische.  Die  lateinische  Sprache  diente  zu  Staatsschriften 
diplomatischen  und  genealogischen  Charakters,  zu  Inschriften  der  Festtro- 
phäen, der  fürstlichen  Grabmäler,  die  von  eigenen  Hofhistoriographen  abge- 
faßt wurden.  Das  Verhältnis  der  Fürsten  zur  antiken  Literatur,  Geschichte 
und  Mythologie  ging  nur  so  weit,  als  sie  darin  ein  Mittel  zu  ihrer  eigenen  und 
zur  Verherrlichung  ihres  Hauses  sahen.  Sie  alle  lassen  sich  als  antike  Heroen 
darstellen:  Leopold  I.  (Abb.  i)  und  sein  Nachfolger,  der  Große  Kurfürst 
und  Friedrich  L,  August  der  Starke  (Abb.  8)  und  Max  Emanuel.  So 
erscheinen  sie  nicht  nur  in  den  Götterfestzügen,  sondern  auf  Gemälden, 
auf  Denkmälern  und  in  Statuetten.  Der  rauschende  Stil  dieser  römischen 
Barockhelden  auf  den  trabenden  oder  dem  en  Courbette  aufbäumenden  rams- 
nasigen  Pferde  offenbart  das  Ideal,  das  sich  der  Barock  von  ,,der  Römer  Zei- 
ten" und  ,,der  Antiquen  ihrem  Gout"  zurechtgemacht  hat.  Aus  dem  gleichen 
Pathos  sind  die  allegorischen  Darstellungen  der  antiken  Götterwelt  geboren, 
die  jetzt  die  Decken  der  Schlösser  verherrlichen  —  die  von  den  Malern  der 
Berliner  Akademie  gemalten  Decken  der  Paradekammern  König  Friedrichs  I. 
im  Berliner  Schloß  sind  das  beste  Beispiel  — ,  aus  demselben  Pathos  die  Göt- 
ter und  Helden  der  italienischen  Oper,  die  in  Wien  von  Metastasio  gedichtet 
wurden.  Und  die  bald  tragischen,  bald  lyrischen  Gestalten  der  griechischen 
und  römischen  Geschichte,  der  französischen  Tragödien  und  Romane  sowie 
in  den  heißbegehrten  flandrischen  und  französischen  gewirkten  Bildteppichen 
gesellen  sich  hinzu.  Man  suchte  nur  sich  selbst  in  der  Antike.  Weitaus  am 
höchsten  standen  in  der  allgemeinen  Schätzung  die  schweren  und  dramatisch 
bewegten  spätrömischen  Gruppen,  der  Laokoon,  der  Farnesische  Herkules, 
der  Apoll  von  Belvedere,  die  Mediceische  Venus,  der  Gladiator,  der  Zentaur 
und  der  Faun,  die  in  den  päpstlichen  Gärten  immer  wieder  bewundert  und 
studiert  werden.  Sie  finden  sich  bereits  in  malerischer  Umstilisierung  in  den 
Kupferstichen  von  Joachim  Sandrarts  teutscher  Akademie,  einem  Werk,  das 

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für  die  Vermittlung  des  römischen  Barock  und  der  römischen  Altertümer 
grundlegend  wurde.  Wir  finden  Gipsabgüsse  dieser  römischen  Werke  z.  B. 
auch  in  der  Berliner  Akademie  zur  Zeit  Schlüters.  Erst  damals  begannen  in 
Deutschland  eigentliche  Antikensammlungen  sich  von  den  Kunst-  und  Wun- 
derkammern des  17.  Jahrhunderts  loszulösen.  In  Berlin  entstand  die  Samm- 
lung Friedrichs  I.,  in  Wien  die  des  Prinzen  Eugen,  in  Dresden  die  Augusts 
des  Starken,  wozu  1723  der  Grundstein  durch  den  Ankauf  der  brandenburgi- 
schen Sammlung  gelegt  wurde.  Allein  das  wissenschaftliche  Interesse  trat 
vor  dem  dekorativen  Interesse  in  den  Hintergrund,  was  allein  schon  durch 
die  barocken  Ergänzungen  der  Torsi  dargetan  wird.  Nicht  das  antike  Rom, 
sondern  das  Rom  des  Barock,  wie  es  die  Stiche  des  Falda  und  später  des  Pira- 
nesi  darstellen,  beschäftigt  die  Phantasie  der  Gesellschaft  und  der  Künstler. 
Hier,  in  dem  Rom  des  17.  Jahrhunderts,  in  dem  Rom  Urbans  VIII.,  Inno- 
zenz' X.  und  Alexanders  VII.  Chigi,  in  dem  Rom  des  Bernini  und  Borromini 
liegen  die  Quellen  für  so  viele  deutsche  Gedanken  dieser  Zeit.  Die  Reise  nach 
Rom  gehört  zur  Ausbildung  der  Fürsten,  Edelleute  und  Künstler,  die  etwas 
auf  sich  halten.  Von  Rom  und  anderen  Mittelpunkten  des  italienischen  Ba- 
rock übernehmen  unsere  Höfe  die  italienische  Oper,  die  italienische  Musik 
und  italienische  Karnevals-  und  Festgebräuche,  die  während  der  ersten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  eine  tiefgehende  Einwirkung  auf  die  Kultur  der  deut- 
schen Gesellschaft  ausgeübt  haben.  Noch  Friedrich  der  Große  sendet  seinen 
Baumeister  Knobelsdorff  und  seinen  Kapellmeister  Graun  nach  Rom  und  Ve- 
nedig, um  für  die  neubegründete  Berliner  Oper  Sänger,  Tänzer  und  Musiker 
anzuwerben. 

Neben  der  italienischen  Kunst-  und  Geistesströmung  gewinnt  seit  rund 
1700  die  französische  höfische  Kultur  zusehends  an  Einfluß.  Von  Paris  und 
Versailles  geht  namentlich  die  elegantere  Lebensform  aus.  An  den  Hof  des 
Sonnenkönigs  reisen  die  jungen  Prinzen  und  ausgesuchte  Künstler,  um  den 
neuesten  Geschmack  in  allen  Dingen  der  feineren  Lebensführung,  der  Eti- 
kette, der  Mode  wie  des  Bau-  und  Gartenwesens  zu  studieren.  Ludwig  XIV. 
wurde  vorbildlich  für  das  in  strenger  Steigerung  geregelte  Hofzeremoniell. 
Wie  der  König  speiste,  wie  er  empfing,  wie  er  aufstand  und  zu  Bette  ging, 
wurde  nachgeahmt.  Am  stärksten  ist  die  Berührung  mit  seinem  Hofe  bei 
Max  Emanuel  von  Bayern  und  seinem  Bruder  Joseph  Clemens,  dem  Kölner 
Kurfürsten  und  Erbauer  der  Schlösser  Bonn  und  Poppelsdorf,  die  beide  in 
Paris  in  der  Verbarmung  gelebt  hatten.  Man  versteht  es,  daß  die  großen  Pa- 
riser Schloßbaumeister  de  Cotte  und  Boffrand  die  Berater  des  Geschmacks 
dieser  und  einer  Reihe  anderer  deutscher  Fürsten  wurden.  Der  Wiener  Hof 
unter  Karl  VI.   stand   stärker    unter   der    Einwirkung    der    spanisch-italieni- 


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sehen  Etikette,  wie  denn  auch  die  Wiener  Baukunst  von  der  französischen 
weniger  berührt  worden  ist.  Besonders  empfänglich  zeigten  sich  dem  franzö- 
sischen Geschmack  gegenüber  die  Damen.  Wir  finden  die  Neigung  bereits  bei 
der  GemahHn  Friedrichs  I.,  Sophie  Charlotte.  Auch  Sophie  Dorothea  hat  ent- 
gegen ihrem  bäuerischen  Gemahl,  Friedrich  Wilhelm  I.,  der  französischen 
Bildung  gehuldigt.  Sie  hat  die  Neigung  dafür  auch  ihren  Kindern  Friedrich 
und  Wilhelmine  eingepflanzt.  Die  Überlegenheit  der  französischen  Geistes- 
kultur über  die  deutsche  war  in  der  Tat  bedeutend.  Eben  hatten  Dichtung 
und  Philosophie  in  Frankreich  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Die  Sprache  hatte 
eine  unübertreffliche  Klarheit  gewonnen.  Was  konnten  wir  den  Geistesheroen 
des  Siecle  de  Louis  Quatorze,  was  den  Racine,  Corneille,  Moliere,  la  Fontaine, 
Fenelon,  Bossuet,  in  deutscher  Sprache  an  die  Seite  stellen?  Gegen  das  große 
französische  Theater  erschienen  die  Schauspiele  des  Gryphius  und  anderer 
Deutscher  des  17.  Jahrhunderts  wie  Hanswurstiaden.  Die  deutsche  Dichtung 
hatte  sogar  gegenüber  der  Zeit  des  Opitz,  des  Angelus  Silesius  und  des  Grim- 
melshausen  an  Kraft  und  Ausdruck  verloren.  Den  Höfen  diente  sie  neben 
dem  Lateinischen  zur  Verzierung  und  Verherrlichung  der  großen  Feste.  Aus- 
führliche Beschreibungen  in  bombastischer  Sprache,  von  Kupfern  begleitet, 
wurden  von  den  bestallten  Hofpoeten  herausgegeben.  Am  brandenburgisch- 
preußischen  Hofe  wirkten  in  diesem  Sinne  Canitz  und  Besser;  der  letztere 
ging  nach  Friedrichs  I.  Tode  an  den  Hof  Augusts  des  Starken,  wo  ihm  Jo- 
hann Ulrich  von  König  folgte.  Die  Schöpfung  von  Königs  Muse  ist  das  Ge- 
dicht ,, August  im  Lager",  worin  das  von  August  dem  Starken  seinen  Gästen 
Friedrich  Wilhelm  I.  und  dem  Kronprinzen  Friedrich  1730  bei  Radewitz  ge- 
gebene Lustlager  besungen  wird.  Pietsch  feierte  den  Sieg  Karls  VI.  über  die 
Türken  bei  Belgrad,  und  Günther  den  Kriegsruhm  des  Prinzen  Eugen  in  lan- 
gen Oden.  Bedeutsamer  ist  die  Wirksamkeit  der  Hofhistoriographen.  In 
ihren  Arbeiten  zur  Geschichte  der  Dynastien  ist  eine  Fülle  historischer,  ge- 
nealogischer und  pragmatischer  Forschung  aufgespeichert,  die  heute  noch 
der  Geschichtswissenschaft  reichen  Stoff  liefert.  Drei  der  trefflichsten  Köpfe 
des  deutschen  Barock  sind  hier  zu  nennen :  Puffendorf,  der  Geschichtsschrei- 
ber des  Großen  Kurfürsten,  Thomasius  und  Leibniz  (Abb.  10),  der  die  Ge- 
schichte des  Hauses  Braunschweig-Lüneburg  zu  bearbeiten  hatte.  Auch  sie 
mußten  sich  fast  ausschließlich  des  Lateinischen  bedienen.  Leibniz  schrieb 
daneben  auch  Französisch.  Die  Bestrebungen  der  beiden  letzteren  Männer, 
dem  Deutschen  Eingang  in  die  Gelehrtenwelt  zu  verschaffen,  blieben  zu- 
nächst noch  ,,unvorgreiffliche  Gedanken".  Für  den  Hof  war  die  Wissenschaft 
dienstbarer  Geist.  Die  Freundschaft  Leibnizens  mit  Sophie  Charlotte,  die  er 
mehrmals  in  dem  Schlosse  Charlottenburg  besuchte,  und  der  die  Theodice  ge- 

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Abb.  10.    Leibniz,  von  Andreas  Scheits 
Braunschweig,  Gemäldegalerie 

widmet  ist,  ist  eine  der  wenigen  Ausnahmen.  Der  Gelehrte  wünscht  sich  wie- 
derholt von  Hannover  nach  Paris  oder  London,  da  er  niemanden  findet,  mit 
dem  er  sich  besprechen  kann.  ,,Es  ist  hier  zu  Lande  nicht  hofmännisch,"  sagt 
er,  ,,sich  von  gelehrten  Dingen  zu  unterhalten."  ,,Als  er  begraben  wurde," 
berichtet  sein  Schüler  Eckardt,  ,,war  das  einzige  zu  verwundern,  daß,  da  der 
ganze  Hof  ihm  zu  Grabe  zu  folgen  invitiert  war,  außer  mir  kein  Mensch  er- 
schienen, so  daß  ich  dem  großen  Mann  die  letzte  Ehre  einzig  und  allein  er- 
wiesen." Im  Mittelpunkt  der  Interessen  der  höfischen  Gesellschaft  standen 
andere  Dinge;  neben  der  Diplomatie  und  dem  Staatswesen  das  Militär,  die 
Jagd,  die  festliche  Geselligkeit  und  damit  zusammenhängend  die  Baukunst 
und  die  Gartenkunst. 

Ganz  besonders  sticht  in  dem  höfischen  Leben  die  mit  höchster  Kunst  aus- 
gebildete Etikette  hervor.  Es  wird  mit  äußerster  Peinlichkeit  bei  den 
Staatszeremonien  jeder  Schritt,  jede  Geste  beachtet.    Der  Zutritt  zu  den  Au- 


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Abb.  1 1 .  L.  de  Silvestre,  Marie Josepha  von  Österreich.  Dresden,  Gemäldegalerie 


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dienzgemächern  des  Fürsten  führte  durch  eine  Flucht  von  Vorzimmern,  die 
eine  stufenweise  Steigerung  der  Würde  und  des  Prunks  einhielten.  Bei  Be- 
suchen fremder  Fürstlichkeiten  wird  jedesmal  genau  verzeichnet,  wie  weit 
der  Gastherr  den  Fremden  entgegengeht,  ob  er  sie,  was  wohl  nur  bei  kgl.  Ho- 
heiten geschah,  vor  dem  Schloßaufgang  im  Ehrenhofe,  ob  er  die  'Ankommen- 
den an  der  Treppe  oder  erst  in  seinen  Gemächern  empfing.  Bei  der  Zusam- 
menkunft Karls  VI.  mit  Friedrich  Wilhelm  I.  bei  Karlsbad  wird  die  Einrich- 
tung getroffen,  daß  die  beiden  hohen  Herren  zugleich  von  beiden  Seiten  in 
den  Saal  treten,  damit  kein  Rangunterschied  zum  Ausdruck  kommt.  Die 
Markgräfin  Wilhelmine  von  Bayreuth  erzählt  in  ihren  ,,Memoires",  dem 
zweifellos  geistvollsten  deutschen  Werk  dieser  Gattung,  welche  Schwierig- 
keiten beim  Besuch  des  markgräflichen  Paares  am  Hofe  des  Fürstbischofs 
Karl  Friedrich  von  Schönborn  in  Pommersfelden  die  Etikettefragen  bereiten. 
Es  wird  mit  dem  Zeremonienmeister  lange  vorher  hin-  und  hergestritten  über 
die  Anrede,  die  dem  Fürstbischof  zukommt,  ob  „Hoheit",  ,,Euer  Gnaden" 
oder  nur  ,,Euer  Lieben."  Nachdem  dieses  glücklich  vorüber,  kommt  es  den- 
noch zu  den  üblichen  Rangstreitigkeiten  zwischen  den  reichsgräflichen 
Schwestern  des  Fürstbischofs  und  den  Damen  des  markgräflichen  Gefolges. 
Es  herrscht  eine  allgemeine  Sucht  nach  Titelerhöhungen,  nach  Orden  und 
nach  glänzendem  Prunk.  Dem  Hof-,  Militär-  und  Beamtenadel  strebten  die 
edlen  und  patrizischen  Geschlechter  der  großen  Reichsstädte  nach.  Auch  die 
emporgekommenen  reichen  Familien  des  Kaufmanns-  und  Gewerbestandes 
gaben  ihrer  Lebensführung  den  vornehmen  Anstrich  der  höfischen  Ge- 
sellschaft. Ohne  Kenntnis  der  gesellschaftlichen  Verhältnisse  ist  die  barocke 
Schloßarchitektur  nicht  zu  verstehen.  Ganz  merkwürdig  mutet  uns  die  Be- 
obachtung an,  daß  die  kunstvolle  Etikette  von  den  Zeitgenossen  selbst  so 
häufig  als  ein  Zwang  empfunden  wird,  dem  sie  sich  dennoch  wie  einer  höhe- 
ren Macht  beugen.  Fast  stets  kommt  es  bei  den  großen  Empfängen  und  Krö- 
nungsfesten zu  Ohnmachtsanfällen  der  gefeierten  Fürsten.  Die  Last  der 
Perücken  und  der  goldgestickten  Staatsgewänder  trug  das  Ihrige  dazu  bei. 
So  flüchtet  sich  denn  der  prunkliebende  Max  Emanuel  in  seine  Klause  imi 
Nymphenburger  Park,  und  Kaiser  Karl  VI.,  der  auf  strengste  spanische  Eti- 
kette hielt,  fühlte  sich  am  glücklichsten  auf  der  Jagd  mit  wenigen  Freunden. 
Ein  Mann,  wie  Friedrich  Wilhelm  L,  war  geradezu  ein  ausgesprochener 
Feind  allen  Prunkes,  der  Galanterie  und  der  französischen  Bildung.  Er  trug 
stets  die  blaue  Uniform  des  Potsdamer  Garderegiments  und  saß  am  liebsten 
mit  Jagdgenossen  in  seinen  Jagdschlössern  Stern  bei  Drewitz  und  Königswu- 
sterhausen. Es  leben  eben  trotz  der  fremden  Bildungstünche  die  eingebore- 
nen Kräfte  auch  in  dem  Barockzeitalter  fort.    Ein  Beweis  ist  auch  die  Lise- 

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lotte  von  der  Pfalz,  die  den  Bruder  Ludwig  XIV.  heiratete,  aber  inmitten  der 
französischen  Hofgesellschaft  ihr  urwüchsiges  Naturell  bewahrt.  Das  gilt  in 
viel  höherem  Maße  von  den  breiten  Schichten  des  Volkes,  des  kleinen  Bür- 
gertums und  des  Bauernstandes').  Unbekümmert  um  die  Courtoisie  und  Mode 
der  höheren  Stände  ging  die  breite  Masse  des  Volkes  ihre  alltägliche  Bahn 
fort.  Eine  überragende  Stellung  in  der  Geistesbildung  dieser  Kreise  kommt, 
wie  wir  später  zeigen  werden,  damals  noch  der  Kirche  zu.  Welch  ein  starker 
Strom  ungebrochener  nationaler  Kraft  wirkte  noch  in  den  Volksbüchern,  in 
den  Wander-  und  Kriegsliedern,  wie  im  ,, Prinz  Eugenius  der  edle  Ritter",  in 
Sinn-  und  Kernsprüchen,  in  Sitten  und  Hausrat  des  Volkes  weiter!  Es  ist 
allerdings  nicht  zu  leugnen,  daß  durch  die  Vorherrschaft  der  fremden  Bil- 
dung in  den  höheren  Schichten  eine  in  vollem  Sinne  volkstümliche  Kunst  und 
Kultur,  wie  im  Zeitalter  Dürers,  außerhalb  der  Kirche  erschwert  wurde.  Es 
liegt  in  diesen  Zuständen  teilweise  auch  die  Quelle  für  die  tiefe  Kluft  zwi- 
schen den  Gebildeten  und  dem  Volke.  So  sagt  Herder  zur  Kennzeichnung 
dieser  Epoche:  „Mit  wem  man  Deutsch  sprach,  der  war  ein  Knecht,  ein  Die- 
ner. Dadurch  also  hat  die  deutsche  Sprache  nicht  nur  den  wichtigsten  Teil 
ihres  Publikums  verloren,  sondern  die  Stände  selbst  haben  sich  dergestalt  in 
ihrer  Denkart  entzweit,  daß  ihnen  gleichsam  ein  zutrauliches  gemeinschaft- 
liches Organ  ihrer  innigsten  Gefühle  fehlt.  Ohne  eine  gemeinsame  Landes- 
und Muttersprache,  in  der  alle  Stämme  als  Sprossen  eines  Baumes  erzogen 
werden,  gibt  es  kein  wahres  Verständnis  der  Gemüter,  keine  gemeinsame  pa- 
triotische Bildung,  keine  innige  Mit-  und  Zusammenempfindung,  kein  vater- 
ländisches Publikum  mehr." 

Und  doch  hat  sich  auch  damals  das  unverwüstliche  und  so  starken  Gefah- 
ren der  Überfremdung  ausgesetzte  eingeborene  Gefühl  unseres  Volkes  be- 
hauptet. Am  stärksten  gestaltet  es  sich  in  der  Baukunst.  In  ihr  vereini- 
gen sich  Vornehme  und  Volk  zu  gemeinsamer  Arbeit.  Ein  einheitlicher  Puls- 
schlag ist  den  besten  Schöpfungen  gemeinsam.  Viele  der  großen  Baumeister 
und  Bildner  steigen  aus  der  Tiefe  des  Volkes,  aus  dem  Maurer-,  dem  Zimme- 
rer-, Stukkatoren-  und  Tischlerhandwerk  empor.  Damals  kamen  auch  stetig 
und  langsam  aus  dem  kleinen  Handwerkerstande  Fabrikantenfamilien  auf, 
wie  unter  den  Garnbleichern,  Färbern  und  Waffenschmieden  im  Bergischen 
und  unter  den  Webermeistern  Sachsens,  die  den  Grund  zur  Blüte  der  Indu- 
strie in  der  Spätzeit  des  Jahrhunderts  legten.  Endlich  ist  noch  der  großen 
Chemiker  der  Barockepoche  zu  gedenken,  unter  denen  Tschirnhausen  und 
Böttger,  die  Erfinder  des  Porzellans,  und  Kunkel,  der  Verbesserer  der  Glas- 
fabrikation, hervorragen.  Es  ist  doppelt  bewunderswert,  daß  gerade  aus  dem 
phantastischen  Brauen  und  Brodeln  dieser  Adepten-  und  Goldmacherküchen 

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so  viele  sachliche  Ergebnisse  hervorgegangen  sind.  Am  hellsten  aber  er- 
leuchtet den  Eingang  des  Jahrhunderts  der  Genius  des  Leibniz.  Er  ist  der 
tiefste  und  reichste  Geist  des  deutschen  Barock,  fast  bedrängt  von  seiner  all- 
umfassenden Gelehrsamkeit  und  dem  rastlosen  Forscherdrang.  Die  mathe- 
matischen und  logischen  Ideenreihen  des  Des  Cartes  und  die  Erfahrungen 
der  englischen  Philosophen  und  Naturwissenschaftler  vereinigen  sich  in  sei- 
nem System.  Die  beseelte  Monade  und  die  prästabilierte  Harmonie  seines 
Weltbildes  bezeichnen  eine  ähnliche  Bereicherung  und  Erweiterung  der  Ge- 
danken des  Barock,  wie  sie  auch  die  Baukunst  auf  deutschem  Boden  voll- 
zieht. Als  die  dritte  im  Bunde  gesellt  sich  zu  ihnen  die  deutsche  Musik  des 
Barock,  die  in  Händel  und  Bach  gipfelt. 


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^UJie  (^lut  lull    ^luti LLxdcn^. 


4.   DIE    GROSSEN    FESTE 

Keinen  sinnfälligeren  Ausdruck  für  den  Seelenzustand  des  Barock  gibt  es 
als  die  Art,  wie  er  seine  Feste  feierte.  Am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  er- 
reichte die  Festeskultur  des  höfischen  Europa  einen  vorher  und  nachher  nie 
wiedergesehenen  Glanz.  Damals  kamen  die  in  der  Renaissance  entsprossenen 
Keime  zur  üppigsten  Entfaltung.  Der  Festbetrieb  des  deutschen  Barock 
steht  wie  selbstverständlich  in  engster  Fühlung  mit  dem  der  italienischen 
Höfe;  die  Götterfestzüge,  die  Ballette,  die  Turniere,  Ringelstechen  und  Kar- 
nevalsfeste, die  Karussels  und  Tierhetzen,  die  Komödien  und  Opern,  die  na- 
mentlich am  Hofe  Leopolds  I.,  Josephs  I.  und  Karls  VI.  in  Wien,  Max  Ema- 
nuels  in  München,  der  Johann  George  und  Augusts  des  Starken  in  Dresden 
aufgeführt   werden,    sind   Nachbildungen    italienischer   Feierlichkeiten.    Ita- 


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liener  wie  Burnacini,  die  Galli  Bibiena  und  andere  Festdekorateure  haben 
dabei  eine  wichtige  Rolle  gespielt.  Das  italienische  Fest-  und  Maskeraden- 
wesen drang  aber  nicht  nur  in  das  geistige  und  künstlerische  Leben  der  deut- 
schen Höfe  —  es  befruchtete  auch  die  deutschen  Gemüter,  so  daß  deren  Vor- 
stellungs-  und  Gedankenwelt  im  Beginn  des  i8.  Jahrhunderts  daraus  starke 
Anregungen  schöpfte.  Große  deutsche  Baumeister  wie  Fischer  von  Erlach, 
Hildebrand,  Neumann,  Schlaun  usw.  treten  als  Festarrangeure  auf.  Die  von 
ihnen  und  ihren  Zeitgenossen  ausgestatteten  und  geleiteten  Staatszeremo- 
nien, Kirchen-,  Freuden-  und  Trauerfeiern  eröffnen  uns  erst  das  volle  Ver- 
ständnis für  den  Sinn  ihrer  architektonischen  Schöpfungen.  Rufen  wir  uns 
die  längst  verklungenen  rauschenden  Feste  ins  Gedächtnis,  erfüllen  wir  die 
Prozessionswege  und  das  Innere  der  Kirchen,  erfüllen  wir  die  Straßen,  die 
Schloßplätze  und  Höfe,  die  Gärten  und  Teiche,  die  Säle  und  Galerien  der 
Schlösser,  ihre  Opernhäuser  und  Kapellen  mit  den  farbenbunten  Scharen,  die 
sie  an  solchen  Tagen  belebten :  dann  erst  gewinnt  das  Bild  des  Barock  seine 
Rundung.  Der  Barock  als  Ausdruck  eines  hochgesteigerten  Lebensgefühls 
wird  dann  erst  im  ganzen  Umfang  verständlich.  Die  zahlreichen  kostspieligen 
Kupferwerke  und  bis  ins  Einzelne  gehenden  Beschreibungen,  in  denen  die 
Epoche  die  wichtigsten  Ereignisse  der  Art  festgehalten  hat,  beweisen  über- 
dies, daß  sie  darin  mehr  als  bloß  vorübergehende  Vergnügungen  gesehen  hat. 
Sie  hat  ihre  Feste  mit  demselben  Ernst  wie  die  monumentalen  Bau-  und 
Kunstangelegenheiten  behandelt.  Uns  sind  die  Zeugnisse  hierüber  nicht  we- 
niger als  die  anderen  Kunstschöpfungen  unentbehrliche  Quellen  des  Denkens 
und  WoUens  unserer  Vorväter  aus  dem  1 8.  Jahrhundert-). 

Der  moderne  Mensch,  der  nichts  so  sehr  verlernt  hat,  als  das  wahre  Feste- 
feiern, muß  sich  vergegenwärtigen,  daß  die  großen  Feierlichkeiten  des  Barock 
nur  auf  dem  Grunde  des  damals  noch  vorhandenen  künstlerischen  Gemein- 
samkeitsgefühls von  Hoch  und  Niedrig  erwachsen  konnten.  In  ihnen  findet 
das  freudig  erregte  Volksgemüt  seinen  höchsten  Ausdruck.  Bei  den  Kirchen- 
und  großen  Heiligenfesten  und  Wallfahrten  selbstverständlich.  Aber  auch  die 
Einzüge,  Sieges-  und  Krönungsfeiern  der  Fürsten,  ihre  Vermählungs-  und 
Totenfeste  wurden  von  dem  ganzen  Volke  als  Zuschauern,  ja  als  Mitwirken- 
den erlebt.  Es  wäre  ganz  töricht  zu  glauben,  daß  Kurfürst  Friedrich  III.  von 
Preußen,  als  er  aus  eigener  Machtvollkommenheit  sich  und  seiner  Gemahlin 
die  Königskrone  aufs  Haupt  setzte,  dies  bloß  aus  persönlicher  Eitelkeit  und 
Prunksucht  tat :  Nein,  das  ganze  Preußenvolk  fühlte  sich  in  dieser  Handlung 
mittätig  erhoben.  Die  reichen  freiwilligen  Krönungssteuern  aus  dem  ganzen 
Lande  beweisen  das  zur  Genüge.  Gewiß  muß  man  manche  Übertreibung  in 
den  Schilderungen  der  bestallten  Hofpoeten  auf  ihr  Maß  beschränken.    Auch 

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ist  nicht  zu  vergessen,  daß  eben  der  Barock  ein  mit  allen  Mitteln  arbeitender 
Meister  in  der  Inszenierung  war.  Dennoch  ist  ein  Hof-  und  Krönungsfest 
von  dem  aufrichtigen  Freudeempfinden  der  breiten  Massen  getragen  gewe- 
sen. Man  muß  dem  Hofmarschall  von  Besser  Glauben  schenken,  wenn  er 
den  Volksjubel  bei  der  Königsproklamation  in  Königsberg  beschreibt.  Unter 
dem  Donner  der  Geschütze  und  demTrompetenschall  von  allen  Türmen  ,, ent- 
stand auf  dem  Markte  ein  so  lautes  und  allgemeines  Freudengetümmel,  daß 
es  von  Gasse  zu  Gasse,  ja  von  einer  Stadt  zur  anderen  erschallte  und  die  An- 
kommenden vom  Lande  zu  ihrer  Verwunderung  mit  darunter  verwickelt 
wurden,  bevor  sie  noch  wissen  konnten,  was  ein  so  unverhofftes  und  in  den 
preußischen  Grenzen  nie  erlebtes  Frohlocken  bedeuten  sollte."  Bei  der  Krö- 
nungsfeier in  der  Schloßkirche  bewirkten  die  in  dem  Feuer  der  Brillanten 
strahlende  Krone  und  die  goldbestickten  scharlachroten  Ornate  des  könig- 
lichen Paares  bei  allen  Anwesenden  gesteigerte  Begriffe  von  ihrer  Herrlich- 
keit. Besonders  schimmerte  die  Krone  aus  den  dicken  Buckeln  des  natürlich 
gekrollten  kohlschwarzen  Haares  der  Sophie  Charlotte  desto  heller  hervor, 
so  daß  alle  Anwesenden  von  dem  Anblick  wie  betroffen  waren.  Um  den  Jubel 
des  Volkes  zu  steigern,  wurde  diese  Königskrönung,  wie  stets  auch  die  Kai- 
serkrönung, damit  beschlossen,  daß  Münzen  unter  die  Menge  geworfen  und 
ihr  ein  gebratener  Ochse  und  Wein  als  Symbol  des  Überflusses  und  der 
Wohltätigkeit  preisgegeben  wurden.  Die  herzliche  Teilnahme  des  Volkes  an 
den  Feierlichkeiten  seines  Kaiserhauses  beleuchtet  die  Erzählung,  die  Goethe 
als  Knabe  von  älteren  Frankfurtern  erfuhr.  Als  Franz  I.  nach  der  Krönung 
im  Dom  in  dem  seltsamen  Ornat  an  einem  Balkonfenster  neben  dem  Römer 
seiner  jungen  Gemahlin  Maria  Theresia  gegenübertrat  und  sich  ihr  sozusagen 
als  ein  Gespenst  Karls  des  Großen  dargestellt,  habe  er  wie  zum  Scherz  beide 
Hände  erhoben  und  ihr  den  Reichsapfel,  das  Zepter  und  die  wundersamen 
Handschuh  hingewiesen.  Darüber  sei  die  junge  Kaiserin  in  ein  unendliches 
Lachen  ausgebrochen,  welches  dem  ganzen  Volke  zur  größten  Freude  und 
Erbauung  gedient,  indem  es  darin  das  gute  und  natürliche  Ehgattenver- 
hältnis  des  allerhöchsten  Paares  der  Christenheit  mit  Augen  zu  sehen  ge- 
würdigt worden.  Als  die  Kaiserin  nun  ihrem  Gemahl  ein  lautes  Vivat  zurief, 
wollte  das  Freudengeschrei  des  Volkes  gar  kein  Ende  nehmen. 

Die  Kaiserkrönung  zeichnete  sich  natürlich  als  die  ehrwürdigste  Feier  des 
Heiligen  Römischen  Reiches  Deutscher  Nation  durch  den  Prunk,  den  die 
Kurfürsten  und  Stände  des  Reiches  entwickelten,  vor  allen  übrigen  Festen 
aus.  Die  tagelangen  Einzüge,  Empfänge  und  Begrüßungen,  die  Wahlhand- 
lung, die  Krönung  und  Salbung  im  Dom,  die  anschließenden  Festtafeln,  Illu- 
minationen und  Volksbelustigungen  vollzogen  sich  in  einer  genau  geregelten 

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Schmitz,   iS.Jahrh,     3 


33 


Abb.  13.     Ein  Damenfest  unter  August  dem  Starken 

Ordnung.  Der  Aufbau  dieser  Zeremonien,  wo  jeder  Schritt  beinahe  von  dem 
Obrist-Hofmarschall  geregelt  war,  ihre  Steigerung  zum  Höhepunkt  der  Fei- 
er, die  Verknüpfung  sinnvoller  historischer  Bedeutung  mit  kostbarem  Wap- 
pen-, Herolds-  und  Livreenprunk:  dies  allein  erhob  bereits  die  Feier  zum 
Kunstwerk.  Es  sei  auf  die  Darstellung  der  römischen  Königskrönung  in  der 
Reichsstadt  Augsburg  1690  verwiesen.  Hier  ziehen  nacheinander  unter  Ka- 
nonen- und  Trompetenschall  alle  die  Fürsten  oder  ihre  Gesandten  ein,  die 
diese  erste  Epoche  des  deutschen  Barock  kennzeichnen,  mit  einem  unabseh- 
baren Gefolge  von  Karossen,  mit  Domherren,  Kavalieren,  Ministern,  davor 
und  dahinter  Trabanten,  Pagen  und  Garden,  alle  in  bunten  Samt-  und  Sei- 
dengewändern :  Die  Kurfürsten,  voraus  der  Erzkanzler  Anselm  Franz  von 
Mainz,  Johann  Hugo  von  Trier,  Joseph  Clemens  von  Köln,  Philipp  Wilhelm 
von  der  Pfalz,  Max  Emanuel  von  Bayern,  Johann  Georg  III.  von  Sachsen, 
Friedrich  III.  von  Brandenburg  usw. 

Alle  Künste,  die  bildenden,  die  redenden  und  die  Musik,  standen  im  Dienst 
der  Sache.  Die  Architektur  aber  leitete  das  Ganze.  Mächtige  Ehrenpforten 
als  Nachbildungen  römischer  Triumphbogen,  Ehrensäulen  und  Denkmäler 
bildeten  den  Mittelpunkt  des  von  einheitlichen  Gedanken  beherrschten  Fest- 
schmuckes. Beim  Einzug  Friedrichs  I.  nach  seiner  Krönung  in  die  Residenz 
Berlin  waren  sechs  großeEhrenpf orten  errichtet,  die  auf  das  Schloß  zuführten. 
Der  Chronist  berichtet  ausdrücklich:  ,,Sie  standen  in  einer  Reihe,  wurden 
in  Perspektive  gesehen  und  erschienen  dem  Durchziehenden  nicht  an- 
ders als  entweder  die  in  einem  Palast  hintereinander  gelegenen,  reich  aufge- 


34 


Abb.  14.     Einzug  Josephs  I.  in  Nürnberg,  1704  (Ausschnitt) 

schmückten  Gemächer,  oder  als  die  bei  den  Karussels  gewöhnlichen  Schran- 
ken mit  Neugierigen  auf  beiden  Seiten."  Den  Endpunkt  dieser  Dekorationen 
bildete  das  eben  vollendete  Portal  Schlüters  mit  den  vier  majestätischen  Säu- 
len am  Schloßplatz  (Abb.  16).  Durch  dieses  betrat  der  Festzug  den  gewal- 
tigen Säulenhof  Schlüters,  dessen  Mitteltrakt  das  zur  Flucht  der  glänzenden 
Paradekammern  hinaufführende  Treppenhaus  umschließt.  So  erst  enthüllt 
sich  uns  der  triumphale  Gedanke  in  dem  Schloßbau  Schlüters.  Fischer  von 
Erlach,  der  große  österreichische  Zeitgenosse  Schlüters,  entwarf  die  Tri- 
umphbogen zum  Einzug  seines  Herrn  Josephs  I.  als  römischen  Königs  in 
Wien  i6go,  deren  einer  eine  Quadriga  mit  vier  sprengenden  Rossen  zierte. 
Die  Festbauten  Fischers  werden  bezeichnenderweise  von  seinem  Freunde 
Wagner  von  Wagenfels  als  Triumphe  des  deutschen  Meisters  über  die 
Welschen  gefeiert.  ,, Dieses  war  ein  schöner  Triumpf-  und  Ehren -Tag,  in 
welchem  nicht  allein  Ihre  Königliche  Majestät,  als  wie  ein,  zur  Frolockung 
des  sämmtlichen  Volcks  vom  Himmel  herabgeschickter  Engel  in  das  weltbe- 
herrschende Wien  mit  einer  unvergleichlichen  und  von  der  Teutschen  Weiss- 
heit wohlangeordneten  Pracht  Siegprangend  eingeritten,  sondern  an  wel- 
chem auch  die  Teutsche  Kunst  und  Geschicklichkeit  wider  die  Hochachtung 
der  Ausländer  in  den  Gemüthern  aller  Zuschauer  einen  sehr  herrlichen  Sieg 
erhalten  hat."  Die  architektonische  Ordnung,  die  den  Festen  des  Barock  zu- 
grunde liegt,  wird  auch  in  den  Balletten,  Turnieren  und  Karussels  eingehal- 
ten. Das  zum  Karneval  1722  im  Zwinger  in  Dresden  abgehaltene  „Caroussel 
Comique"  ist  eine  von  Kavalieren  und  Damen  in  Masken  der  italienischen 


3* 


35 


Abb.  15.     Vom  Seitenflügel  des  Zwingers  in  Dresden 
von  Pöppelmann,  um  1720 


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Abb.  i6.    Südportal  des  Berliner  Schlosses,  von  Andreas  Schlüter,  1701 


37 


Abb.  17.    Gesamtansicht  des  Zwingers  in  Dresden,  Gemälde  von  Canaletto 

Charakterkomödie  aufgeführte  Quadrille.  Scaramuzi,  Crispini,  Harlequini, 
Pantaloni,  Dottori,  Bringhelli,  Policinelli  und  Capitani  ziehen  in  rhythmischer 
Ordnung  von  Charivarimusiken  geleitet  in  die  Arena.  Es  folgen  allegorische 
Kämpfe  und  Turniere  —  acht  welsche  Ritter  bekämpfen  die  Elemente,  alles 
möglichst  ,,egal  und  in  gleicher  Distance",  und  mit  derselben  zeremoniösen 
Regelmäßigkeit  vollzieht  sich  die  anschließende  Festtafel  in  der  Bildergalerie. 
Wie  sehr  dieser  ordnende  Grundzug  des  Barock  selbst  das  militärische  Exer- 
zieren, Lager-  und  Uniformenwesen  beseelte,  ja  daß  er  von  dem  künstle- 
rischen Empfinden  mit  vollen  Zügen  genossen  wurde,  beweist  das  von  August 
dem  Starken  zu  Ehren  Friedrich  Wilhelms  I.  und  des  Kronprinzen  Friedrich 
im  Juni  1730  bei  Mühlberg  an  der  Elbe  abgehaltene,  von  den  Zeitgenossen 
verherrlichte  Lustlager  der  polnisch-sächsischen  Armee.  Für  diese  martiali- 
schen Lustbarkeiten  wurde  eine  Ebene  von  drei  deutschen  Meilen  planiert,  in 
deren  Mitte  sich  der  königliche  Pavillon  erhob.  Der  Sinn  für  strenge  Ord- 
nung geht  so  weit,  daß  die  abgeschlagenen  Bäume  ,,in  Klaftern  sehr  ordent- 
lich in  zwo  Linien  gesetzt  am  Horizont  stunden,  und  daß  die  geschickte  Auf- 
stellung nicht  genugsam  zu  bewundern  war".  König  August  hatte  für  sich 
selbst  ein  Palais  aus  Holz  mit  kostbar  tapezierten  Zimmern,  mit  Küche,  Kel- 
lerei, Konditorei,  Galanteriebutiken  und  Kaffeehäusern  errichten  lassen,  wo 
Janitscharen  und  Mohren  aufwarteten  —  alles  auf  grün  gestimmt  — ,  wäh- 
rend das  preußische  Hauptquartier  in  prächtigen  Zelten  logierte.    Die  Armee 


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Abb.  i8.    Der  Pavillon  des  Zwingers  in  Dresden,  von  Pöppelmann,  um  1720 


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kampierte  in  Ordre  de  Bataille  in  zwei  langen  Linien,  an  deren  Ende  je  eine 
steinerne  Pyramide  aufragte.  Jedes  Regiment  in  seinen  prächtigen  Unifor- 
men und  Farben  um  seine  Fahnen  und  Standarten  geordnet.  Der  ,,Accura- 
tesse  und  Proprete"  dieses  Zeltlagers  zollt  der  Berichterstatter  Bewunderung. 
Den  Höhepunkt  der  Übungen  bildet  der  Parademarsch  und  das  Exerzieren, 
das  Quareesbilden,  die  Handgriffe  nach  dem  Trommelschlag,  das  Feuer  in 
Gliedern  und  dergleichen  Vorführungen,  worin  die  sächsische  Armee  der  preu- 
ßischen nacheiferte.  Zum  Beschluß  wurde  ein  vierzehn  Ellen  langer  Kuchen 
gebacken,  wozu  ein  besonderer  Ofen  gebaut  war.  Unter  Leitung  eines  Ober- 
landbaumeisters wurde  der  Kuchen  von  einem  Zimmermann  zerlegt;  also 
auch  in  diesem  echt  barocken  Scherz  wird  doch  die  architektonische  Seite 
nicht  vergessen! 

Die  Plastik  und  Malerei  entfalteten  im  Bunde  mit  der  Architektur  ihre 
ganze  Kraft,  um  den  Festen  Gehalt  und  Form  zu  geben.  Figurenreiche  alle- 
gorische Gruppen  und  Gemälde  schmücken  die  Ehrenpforten  und  Denkmäler. 
Der  hochgesteigerte  Ruhmsinn  findet  hier  das  Feld  seiner  Betätigung.  So 
sind  die  Triumphpforten  und  Ehrenpyramiden,  durch  die  August  der  Starke 
nach  seiner  polnischen  Königskrönung  in  Danzig  einzieht,  mit  Darstellungen 
,,der  von  seiner  kgl.  Majestät  vollführten  Heldentaten"  geschmückt;  ,,der 
König  erscheint  ganz  geharnischt  im  Purpurmantel  gemalt  als  unüberwind- 
licher Monarch  in  freundlicher  doch  königlicher  und  heroischer  Gestalt", 
über  ihm  Fama  und  Virtus,  gegen  die  zwei  giftige  Nattern  anzischen.  Ähn- 
lich werden  Max  Emanuel  und  Therese  Kunigunde  bei  der  Rückkehr  aus  der 
Verbannung  nach  München  im  Juli  17 15  durch  Ehrendenkmäler  gefeiert.  Sie 
erscheinen  auf  einer  Ehrenpforte  nach  dem  Leben  gemalt  ,,in  vollkommener 
Freudsvergnügung  sitzend"  von  Tugenden  und  Göttern  umgeben.  Auf  dem 
Festwege  werden  sie  begrüßt  durch  einen  Lustberg  mit  Wasserfällen  und 
grünenden  Bäumen,  dazwischen  die  Bilder  ihrer  Lustschlösser,  ferner  durch 
ein  Bassin  in  Form  einer  wassersprühenden  Galeere,  sowie  durch  Statuen 
und  Gruppen  antiker  Gottheiten,  die  in  sinnbildliche  Beziehungen  zum  Ruhm 
des  Hauses  Bayern  gesetzt  sind. 

Selbst  in  den  Trauerfestlichkeiten  wird  der  Gedanke  des  Heldenruhmes 
betont,  ja  hier  wirkt  er  im  Gegensatz  zur  Schaustellung  von  Todestrauer  und 
Schrecken  und  der  Vergänglichkeit  doppelt  stark.  In  dem  „Castrum  doloris", 
der  feierlichen  Aufbahrung  des  fürstlichen  Leichnams  in  der  völlig  schwarz 
ausgeschlagenen  Kirche,  tritt  die  rauschende  Inszenierung  der  Barockgefühle 
in  einer  Weise  zutage,  die  uns  Nachfahren  besonders  schwer  verständlich 
ist.  Was  ist  hier  wirklicher  Schmerz,  was  ein  selbstgefälliges  Wühlen  im 
Schmerze?    Ähnlich  wie  angesichts  vieler  religiöser  Kunsterscheinungen  be- 

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Abb.  19.     Pagodenburg  im  Park  von  Nymphenburg,  um   1720 

wegt  uns  die  Frage :  wo  geht  der  Ausdruck  wirklichen  Gefühls  in  theatralische 
Schaustellung  über?  Der  Historiker  steht  an  einem  Punkt,  wo  er  der  Ver- 
gangenheit nicht  mehr  ins  Herz  sehen  kann.  Gibt  es  einen  größeren  Gegen- 
satz als  eine  solche  Totenfeier,  wie  sie  Fischer  von  Erlach  seinem  Herrn,  Kai- 
ser Joseph  I.,  in  der  Augustiner- Hofkirche,  Eosander  seiner  Herrin,  Sophie 
Charlotte,  im  Berliner  Dom  und  Effner  dem  Kurfürsten  Max  Emanuel  in  der 
Theatinerkirche  anrichtete,  mit  einem  modernen  Leichenbegängnis?  Kaiser 
Josephs  Katafalk  steht  zwischen  den  vier  Mittelpfeilern  der  Kirche,  die,  in 
Trajanssäulen  verwandelt,  die  glorreichen  Taten  des  Kaisers  wie  in  Metall 
gegossen  darstellen.  Die  Totenbahre  mit  schweren  goldgestickten  Trauer- 
decken, deren  vier  Ecken  römische  Klageweiber  halten,  ist  umgeben  von  Fi- 
guren in  der  traurigsten  Stellung,  Matronen,  die  das  römische  Reich  und  die 
Provinzen  Österreichs  darstellen.  In  der  Höhe  schwebende  Engel  und  dahin- 
ter eine  Apotheose  auf  Wolken,  über  welche  der  Kaiser  als  Imperator  auf 
einer  von  zwei  Adlern  gezogenen  Biga  emporfährt.  Darüber  ein  Baldachin 
mit  der  Kaiserkrone  und  Genien  mit  Schrifttafeln:  die  herabfallenden  Dra- 
perien des  Baldachins  sind  in  den  Seitenschiffen  an  Wolkenballen  aufge- 
knüpft. Über  dem  Eingang  zu  dem  kaiserlichen  Begräbnis  brach  aus  einem 
Vorhange  „das  Gerücht"  —  der  Ruhm  —  hervor,  auf  dessen  Trompetenfahne 
der  in  den  alten  Triumphen  gebräuchliche  Zuruf:  Jo  Triumpfe! 


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Abb.  20.  Galakutsche  von  der  Kaiserkrönung  in  Frankfurt,  1764.  Berlin,  Schloßmuseum 

Der  Barock  suchte,  wo  es  möglich  war,  die  Festdekorationen  auch  in  Stein 
und  Stuck  über  die  Vergänglichkeit  des  Tages  hinaus  zu  verewigen.  Nament- 
lich dort,  wo  er  die  Bürgschaft  dauernden  Ruhmes  wünschte.  Besonders  am 
Berliner  Schloß  macht  sich  das  Ruhmesstreben  noch  heute  geltend;  so  an 
dem  von  posaunenblasenden  geflügelten  Genien  belebten  Triumphbogen 
Eosanders  nach  der  Schloßfreiheit  zu,  ferner  in  der  von  Eosander  geschaffe- 
nen Bildergalerie,  wo  das  königliche  Paar  an  den  Decken  erscheint,  von  Mu- 
sen umgeben,  während  die  Laster  von  Genien  in  wildem  Kampfe  über  die 
Gesimse  heruntergeschleudert  werden;  der  höchste  Festjubel  entfaltet  sich  in 
dem  Schlüterschen  Rittersaal,  wo  aus  den  vier  Ecken  plastische  Scharen,  die 
Gesimse  durchbrechend,  zur  Decke  emporströmen  und  sich,  gemalt,  mit 
Wolken  zum  Zenith  aufschwingen,  den  Ruhm  des  Erbauers  dieses  Schlosses, 
des  Zeughauses  und  des  Charlottenburger  Schlosses  unter  Posaunenge- 
schmetter der  Ewigkeit  verkündend.  Das  Prunkbüfett,  das  nach  Eosanders 
Zeichnung  von  Augsburger  Goldschmieden  ausgeführt  wurde,  diente  zum 
Schmuck  des  Krönungsfestes  im  Jahre  1703  und  ist  ausgesprochenermaßen 
eine  verewigte  Festdekoration.  Die  äußerste  Verschwendung  mit  Prunksilber 
trieb  August  der  Starke  auf  seinen  Festen;  so  ließ  er  17 19  bei  der  Vermäh- 
lungsfeier des  Kurprinzen  mit  der  Kaisertochter  ein  Riesenbüfett  mit  silber- 
nen Pokalen,  Schwenkkesseln,  Becken  und  Leuchtern  errichten.  Diese  Ver- 
mählungsfeierlichkeiten gehen  über  alles  hinaus,  was  uns  sonst  überliefert  ist. 
Noch   halten   einige   der  mit  Federn  besteckten  Pferdegeschirre   im  Histori- 


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Abb.  21.     Schlittenpferd  Augusts   des   Starken,  1719.     Dresden,  Histor.  Museum 

sehen  Museum  die  Erinnerung  an  die  abgehaltenen  Schlittenfahrten  fest 
(Abb.  21).  Das  Dresdener  Grüne  Gewölbe  birgt  einen  Teil  des  von  Ding- 
linger  und  anderen  geschaffenen  Prunksilbers  des  Königs.  Die  großartigste 
steingewordene  Festarchitektur  ist  der  Zwinger  in  Dresden  (Abb.  18).  Es  ist 
nichts  weiter  als  ein  großer  viereckiger  Festplatz  mit  Galerien  für  die  Zu- 
schauer, umgeben  mit  Pavillons  und  Sälen,  den  August  der  Starke  durch  Pöp- 
pelmann  seit  dem  Jahre  1709  im  Anschluß  an  die  wochenlangen  Schaustellun- 
gen und  Lustbarkeiten  aufführen  ließ,  die  er  damals  seinem  Verbündeten 
Friedrich  IV.  von  Dänemark  gegeben  hatte.  Desgleichen  sind  die  reichge- 
schmückten Gnadensäulen,  die   man   in  Österreich   zum  Dank   für   überstan- 


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dene  Türkengefahren  und  Pestseuchen  errichtete,  in  Stein  umgesetzte  Fest- 
gerüste; die  berühmteste,  die  Pestsäule  auf  dem  Graben  in  Wien  mit  dem 
zwischen  Engeln  knieenden  Kaiser  Leopold  I.,  von  Burnacini  unter  Mitwir- 
kung des  jungen  Fischer  von  Erlach  und  Rauchmüllers  geschaffen,  war  ur- 
sprünglich in  Holz  aufgeführt  worden.  Vollends  sind  die  pompösen  fürst- 
lichen Grabmäler  nur  zu  verstehen  als  dauernd  gewordene  Trauergerüste, 
an  blei-,  bronze-  und  zinngegossenen  Särgen  entfaltet  sich  stellenweise 
ein  unglaublicher  Prunk.  Wahrhaft  tiefempfundene  plastische  Schöp- 
fungen sind  die  Särge  Friedrichs  I.  und  der  Sophie  Charlotte  von  Schlüter 
in  der  Berliner  Domgruft  (Abb.  22).  Der  ganze  Apparatus  Funebris,  der  den 
Katafalk  des  Castrum  Doloris  umgab,  findet  sich  häufig  auf  dem  Sarkophag 
und  dem  hohen  Aufbau  wieder.  Die  klagenden  Tugenden,  die  posaunenden 
Engel,  die  Totengerippe,  die  Inschrifttafeln,  die  Pyramiden,  die  Draperien, 
Fahnen,  Standarten,  Waffen,  Kanonen  und  Pauken.  So  steht  Prinz  Ludwig 
von  Baden,  der  Türkensieger,  inmitten  seiner  Kriegstrophäen  auf  dem  Rie- 
sen-Epitaph im  Chor  der  Kirche  in  Baden-Baden.  Adler  und  Engel  stürzen 
sich  auf  die  Türkenkrieger  herunter.  Man  glaubt  kriegerische  Fanfaren  und 
Paukenwirbel  zu  hören.  Gerade  die  Siege  über  die  Türken  haben  in  den  Fest- 
triumphen und  Grabmälern  ihre  Verherrlichung  gefunden.  Prinz  Eugen  wird 
von  Permoser  in  einer  rauschenden  marmornen  Apotheose  im  Belvedere  ge- 
feiert —  der  Held  sucht  dem  Ruhmesgenius  die  Posaune  zuzuhalten!  — ,  ähn- 
lich August  der  Starke  im  Dresdener  Großen  Garten. 

In  diesen  Triumphen  kommt  die  Freude  des  Barock  am  Lauttönenden  zu 
Wort.  Er  liebt  die  schmetternden  Posaunen,  die  Janitscharenmusik,  Schal- 
meien, Trommeln,  Pauken  und  Messingbecken,  und  das  Dröhnen  der  Kano- 
nen. So  auch  starke  Lichteffekte,  den  strahlenden  Blitz  und  dunkle  Wolken. 
Immer  und  immer  weisen  die  Festchronisten  darauf  hin.  So  heißt  es  von  der 
Vermählungsfeier  Friedrichs  I.  im  Dom,  die  Eosander  ausschmückte,  die  Illu- 
mination mit  Wachslichtern  hätte  den  Eindruck  erweckt,  als  sei  die  ganze 
Kirche  von  der  Sonne  beleuchtet  gewesen.  Auf  dem  Triumphbogen  beim  Ein- 
zug Augusts  des  Starken  in  Danzig  sieht  man  einen  Donnerpfeil  aus  feuriger 
Wolke:  einen  sich  aufschwingenden  Adler;  die  Sonne  über  einer  Landschaft 
strahlen:  dann  wieder  die  Sonne  aufgehen  und  nachtvertreibend.  Den  Ab- 
schluß jedes  großen  Barockfestes  bildet  daher  eine  Riesenillumination,  ein 
Luft-  und  Wasserfeuerwerk  von  Kanonenschlägen  begleitet.  ,, Berlin  schim- 
merte nicht,  sondern  brannte  gleichsam  in  allen  Gassen  von  Lichtern,  Lam- 
pen, Fackeln  und  Freudenfeuern",  berichtet  der  Chronist  von  der  Illumina- 
tion des  Krönungsfestes  und  fühlt  sich  an  den  Brand  Roms  unter  Nero  er- 
innert.   Unter  einem  Regen  von  Streitfeuern,  Wasser-  und  Landschwärmern 

44 


Abb.  22.    Metallsarkophag  Friedrichs  I.  Schlüter,  um  lycS.    Berlin,  Domgruft 


45 


und  Schlangen  wird  auf  dem  Wallgraben  die  Rückkehr  der  Flotte  Jasons  als 
allegorische  Verherrlichung  der  Majestäten  mit  Beistimmung  aller  Seegötter 
aufgeführt.  Unterdessen  wird  aus  hundert  Geschützen  und  Mörsern  unter 
Leitung  des  Generalfeldzeugmeisters  Prinz  Philipp  von  Schwedt  zwei  Stun- 
den lang  kanoniert.  „Die  ganze  Gegend  geriet  in  Zittern  und  Beben,  gleich 
als  wenn  Himmel  und  Hölle  unter  einander  fallen."  Zum  Liboriusfest  in  Pa- 
derborn entwarf  der  Artillerieoffizier  Schlaun  ein  Wasserfeuerwerk,  dessen 
Zeichnung  noch  erhalten  ist.  Den  Vogel  schießt  wiederum  das  Lustlager  Au- 
gusts des  Starken  an  der  Elbe  ab.  Es  wird  beschlossen  durch  die  Illumina- 
tion eines  prächtigen  Schlosses  mit  einem  heidnischen  Göttertempel,  als  Alle- 
gorie in  kunstvollster  Perspektive  von  Italienern  gemalt.  Unter  dem  Donner 
von  sechzig  Kanonen,  unter  dem  Pauken-  und  Trompetenschall  der  versam- 
melten Armeemusiken  leuchtet  eine  Inschrift  auf  ,,Sic  fulta  manebit",  wäh- 
rend Streitfeuer,  Lauffeuer,  Lustkugeln  und  Raketen  durcheinander  zischen. 
Nun  zieht  die  königliche  Lustflotte  vorüber,  mit  tausend  Lämpchen  beleuch- 
tet, unter  den  Klängen  der  darauf  stationierten  königlichen  Hofkapelle.  Vor- 
an ein  riesiger  Walfäsch,  ,, Feuerfax"  genannt,  von  vier  feuerspeienden  Del- 
phinen begleitet.  An  der  Spitze  der  Fregatten,  Brigadinen,  Schaluppen  und 
Gondeln  der  Buzentaurus,  das  Schiff  der  Kronprinzessin  mit  vergoldeter 
Schnitzarbeit  bedeckt.  Von  ihm  erklang  im  Vorüberziehen  eine  ,,Egloga  dal 
Campo  di  Radewitz",  von  einer  italienischen  Frauenstimme  gesungen  und  von 
Virtuosen  akkompagniert.  Auch  hier  beschließt  das  Zusammenspiel  sämt- 
licher Trompeten,  Waldhörner,  Pauken  und  übrigen  Instrumente  unter  dem 
unaufhörlichen  Krachen  der  Kanonen  die  Feier. 

Architektur,  Natur,  rauschende  Wasser,  Beleuchtung  und  Musik  kommen 
zu  zarteren  poetischen  Stimmungen  zusammen  auf  einem  nächtlichen 
Gartenfest  der  Sophie  Charlotte  im  Schloßpark  von  Oranienburg.  Ein  Som- 
mersaal, durch  den  eben  aus  Frankreich  zurückgekehrten  Eosander  von 
Laub-  und  Blumenwerk  errichtet,  dem  Triumph  der  Liebe  geweiht,  öffnet 
sich  plötzlich  und  die  Festgesellschaft  erblickt  eine  Springbrunnengrotte  in 
magischer  Beleuchtung.  Peleus  und  Thetis  und  ein  Chor  von  Flußgöttern, 
auf  den  Felsstufen  lagernd,'  besingen  die  Götter,  Menschen  und  Tiere  be- 
zwingende Macht  Amors,  von  Oboen,  Theorben,  Flöten  oder  dem  Orchester 
begleitet,  ,,so  bei  der  stillen  Nacht  und  unter  dem  Geräusch  der  Kaskade 
die  Luft  nicht  anders  als  mit  einem  angenehmen  Widerschall  erfüllen  konnte." 


46 


5.   DIE  STELLUNG   DER  BAUKUNST  IM  i8.  JAHRHUNDERT 

Ein  Hauptkennzeichen  des  deutschen  Barock  ist  die  überragende  Stellung 
der  Architektur  innerhalb  der  bildenden  Künste.  Darin  offenbart  sich,  daß 
das  Barockzeitalter  für  uns  den  Beginn  einer  neuen  Epoche  darstellt,  ähnlich 
wie  es  für  das  Mittelalter  die  Zeit  des  romanischen  Stils  gewesen  ist;  die  Ar- 
chitektur wird  wiederum  eine  Mutter  der  Künste.  Ja,  sie  ordnet  jetzt  in  noch 
höherem  Grade  den  ganzen  Kreis  des  Wirkens,  der  die  Bewohnung,  die 
Fruchtbar-  und  Nutzbarmachung,  die  Verbesserung  und  Verschönerung  der 
Erde  umfaßt.  Die  Grundgedanken  der  Baukunst  durchdringen  auch  die  übri- 
gen Künste.  Das  Zier-  und  Stückwerk  der  deutschen  Spätrenaissance  wird 
nicht  mehr  geduldet.  Durchgreifend»  Pläne  werden  die  gebieterische  Forde- 
rung der  Zeit.  Die  deutschen  Städte  ehielten  bis  über  den  Dreißigjährigen 
Krieg  die  gedrängte  winklige  Bauart  bei.  Eingezwängt  in  die  hohen  Mau- 
ern und  Türme,  um  ihre  Kirchen  gedrängt,  erscheinen  sie  noch  auf  Merlans 
schönen  Kupferstichen.  Nur  enge  Tore  gewähren  Ein-  und  Auslaß.  Nur  ge- 
wundene Hohlwege  und  schmale  Zugbrücken  bilden  den  Zugang.  Mit  dem 
Barock  entstehen  regelmäßige  Vorstädte  mit  geraden  Straßen,  mit  rechtecki- 
gen Plätzen  und  breitgelagerten  Häusern,  namentlich  dort,  wo  die  Hugenot- 
ten zuziehen,  so  in  Berlin,  in  Schwedt,  in  Kassel,  in  Ansbach  und  Erlangen. 
Residenzstädte  nach  genauer  Planung  entstehen  zugleich  mit  den  Schlössern, 
wie  in  Mannheim,  in  Karlsruhe,  in  Ludwigsburg,  in  Ludwigslust  und  Saarbrük- 
ken.    DerWillederFürstenbestimmtnichtnurdasNetzderStraßen,  sondern  ge- 


47 


Abb.  23.     Residenz  in  Würzburg,  von  Balthasar  Neumann,  um  1730,  Mittelteil 


48 


bietet  auch  strenge  die  gleichmäßige  Höhe  und  Farbe  der  Häuser.  Die  neuen 
Formen  der  Befestigungskunst,  die  strahlenförmigen  flachen  Bastionen,  die  ge- 
raden Glacis  und  Gräben,  die  regelmäßigen  Tore  und  überhaupt  die  Militärbau- 
ten, die  Wachtgebäude,  Kasernen,  Soldatenwohnungen  und  Arsenale  haben  die 
Regelmäßigkeit  im  Städtebau  befördert.  Die  großen  französischen  und  hol- 
ländischen Lehrmeister  im  Festungsbau,  Vauban,  der  die  Festung  Neubreis- 
ach angelegt  hat,  und  Coehoorn  wirkten  umgestaltend  auch  auf  den  Städte- 
bau. Neben  den  Kupferwerken,  unter  denen  Belidors  Ingenieurkunst  den  er- 
sten Rang  einnimmt,  verbreiteten  holländische,  französische  und  italienische 
Ingenieure  die  neuen  Gedanken  in  Deutschland.  Die  Planung  und  Befesti- 
gung Berlins  von  Memhard,  die  Befestigung  von  Wesel  durch  de  Bodt,  die 
Festungswerke  von  Rastatt,  Philippsburg,  Küstrin,  Magdeburg  und  Stettin 
sind  wichtige  Denkmäler  der  Art.  Das  Ingenieur-  und  Artilleriekorps  stellte 
denn  auch  zahlreiche  Meister  für  den  Hochbau. 

Einen  beträchtlichen  Aufschwung  nahm  in  dem  Barockzeitalter  auch  der 
Wasser-,  der  Kanal-  und  Hafen-,  der  Schleusen-  und  Mühlenbau.  Hier  stand 
wieder  Brandenburg-Preußen  an  der  Spitze,  wo  sich  durch  die  Holländer  eine 
tüchtige  Schule  in  diesen  Fächern  bildete.  Seit  den  Tagen  des  Großen  Kur- 
fürsten und  seiner  Gemahlin  Luise  Henriette  von  Oranien,  der  Gründerin 
Oranienburgs,  ist  von  den  Hohenzollern  Bewundernswertes  darin  geschaffen 
worden.  Hand  in  Hand  mit  diesen  Arbeiten  ging  die  Trockenlegung  der 
Brüche,  die  Befestigung  der  Flugsandstrecken  und  die  Anlage  von  Koloni- 
stendörfern. Auch  diese  Aufgaben  wurden  von  den  Fürsten  in  die  Hände  der 
ersten  Architekten  des  Landes  gelegt,  und  nur  so  erklärt  sich  das  Gepräge: 
der  Ordnung  und  der  Regelmäßigkeit,  der  Solidität  der  Arbeit,  das  den  Dorf- 
gründungen anhaftet.  Aus  der  Zeit  Friedrich  Wilhelms  I.  ist  die  Entwässe- 
rung des  Fehrbelliner  Luchs  und  großer  Strecken  in  Ostpreußen,  aus  der  des 
großen  Königs  die  des  Netze-  und  Wartebruchs,  des  Maduesees  in  Pommern 
hervorzuheben.  Daneben  entwickelte  sich  in  dieser  Epoche  zukunftsfroh  der 
Salinenbau  —  für  den  z.  B.  der  Hamburger  Sonnin  gearbeitet  hat  —  der  Bau 
von  Bade-  und  Brunnenhäusern,  von  Windmühlen,  Hebekrähnen,  Eisenhüt- 
ten und  endlich  der  Bergbau.  Balthasar  Neumann  war  ein  Meister  in  dem 
technischen  Bauwesen.  Außer  den  preußischen  Herrschern  haben  sich  die 
meisten  anderen  deutschen  Landesherrn,  besonders  Kaiser  Karl  VI.,  die 
Braunschweiger,  die  Herzöge  von  Württemberg  und  Hessen-Kassel,  die  Kur- 
fürsten von  Sachsen  und  die  Fürstbischöfe  von  Würzburg  und  Speier  usw. 
unbestreitbare  Verdienste  um  die  Entwicklung  des  Fabrikwesens  erworben. 
Unter  den  Zeichnungen  der  meisten  großen  Baumeister  des  deutschen  Barock 
und  der  Folgezeit  finden  sich  Entwürfe  zu  technischen  Gebäuden  und  Anla- 

Schmitz,  iS.Jahrh.     4  49" 


gen.  Es  wäre  eine  schöne  und  zeitgemäße  Aufgabe,  dieses  Material  bekannt- 
zumachen. Gerade  darin  enthüllt  sich  die  gesunde  und  selbstverständliche 
künstlerische  Arbeitsweise  des  1 8.  Jahrhunderts,  und  es  erschließen  sich  will- 
kommene Ausblicke  auch  in  die  abseits  der  reichen  Prunkarchitektur  liegen- 
den Leistungen  der  Zeit.  Auffallend  vernachlässigt  wurde  dagegen  der  Bau 
der  Landstraßen.  Der  Zustand  derselben  war  fast  mittelalterlich.  Alle  Reise- 
beschreibungen der  Zeit  wimmeln  von  Berichten  über  Stürze  der  Postwagen 
und  Kutschen.  Gründe  der  Landesverteidigung  und  der  Handelserschwerung 
durch  das  Merkantil-  und  Zollsystem  haben  diesen  Zustand  begünstigt.  Denn 
wie  meisterhaft  die  Zeit  den  Straßenbau  verstand,  beweisen  die  herrlichen 
breiten  und  schnurgeraden  Alleen,  die  von  den  Landschlössern  ins  Land 
strahlen.  Beispiele  sind  die  Alleen  aus  Max  Emanuels  Zeit  um  Schleißheim, 
die  Friedrich  Wilhelms  I.  um  Potsdam,  die  zwischen  Bonn  und  Poppeisdorf. 
Und  die  vom  Schlosse  Schwedt  ausgehenden,  darunter  die  berühmte  mit  vier 
Baumreihen  besetzte  Mittelallee  nach  Mon-Plaisir.  Hierher  rechnen  auch  die 
sternartig  angelegten  meilenlangen  Schneisen,  mit  denen  die  für  die  Parforce- 
jagd bestimmten  Wälder  durchzogen  wurden  (z.  B.  der  Wald  bei  Moritz- 
burg). Beiläufig  ging  mit  der  hohen  Jagdkultur  des  1 8.  Jahrhunderts  eine 
musterhafte  Forstpflege  zusammen.  Noch  heute  genießt  Deutschland  vor 
allen  anderen  Ländern  die  Segnungen  der  Waldpflege  und  des  Jagdschutzes 
seiner  Fürsten.  In  Wald  und  Flur  betätigte  sich  auch  eine  zur  höchsten 
Kunst  gediehene  Landesvermessung. 

Zum  Verständnis  dieser  umfassenden  Wirksamkeit  der  Baumeister  muß 
man  sich  vergegenwärtigen,  daß  die  Architektur  des  Barock  auf  den  streng- 
sten mathematischen  Grundlagen  beruhte.  Die  Ausbildung  der  Architekten 
ging  zusammen  mit  der  der  Ingenieure.  Nicht  nur  in  den  Grundrissen  und 
Aufrissen,  sondern  selbst  in  den  schmückenden  Säulenordnungen  und  Glie- 
dern wurde  die  strengste  Gesetzmäßigkeit  gefordert.  Daher  gehörte  die  Entj- 
Wicklung  der  fünf  Säulenordnungen  nach  Moduln  unter  Zugrundelegung  de^ 
Vignola  zu  dem  ABC  der  Architekten  des  1 8.  Jahrhunderts.  Aber  nicht  nur 
das  rein  Architektonische,  die  Festigkeit  und  Statik  der  Gebäude :  alle  Glie-- 
der  sind  der  mathematischen  Herrschaft  Untertan.  So  erklärt  die  deutsche 
Vorrede  zur  Übersetzung  des  Belidor :  Keineswegs  seien  die  Zieraten  bloß 
ungefähre  Einfälle,  sondern  auch  sie  erhielten  erst  von  den  mathematischen 
Regeln  ihre  wesentliche  Schönheit.  Selbst  für  einen  scheinbar  so  unbeküm- 
mert schaffenden  Meister  wie  Balthasar  Neumann,  den  Erbauer  des  Würz- 
burger Schlosses,  ist  die  mathematische  Grundlage  seiner  Pläne  nachgewie- 
sen worden  (Rotunde  von  Fünfkirchen).  In  dieser  mathematischen  Regelung 
der  Grundrisse  und  der  Verhältnisse  beruht  der  unleugbare  Vorrang  der  fran- 

50 


Abb.  24.     Treppenhaus  im  Schloß  von  Pommersfelden,  um  1720 


51 


zösischen  Architekten  des  Barock.  Eine  geradezu  geniale,  anschaulich  ge- 
wordene mathematische  Veranlagung  tritt  uns  in  den  Gebäuden  und  Gärten 
der  französischen  Baumeister  Ludwigs  XIV.  und  seiner  Nachfolger  entge- 
gen. Genau  so  stark  wie  Racine,  Corneille  und  Moliere  auf  die  poetischen 
Gemüter  Deutschlands,  wie  Descartes  auf  die  philosophischen  Geister:  so  muß- 
ten die  Kupferwerke  der  französischen  Architekten  auf  alle  baukünstlerisch 
empfindenden  Leute  in  Deutschland  wirken.  Die  vorzüglich  zum  Ausdruck 
architektonischer  Dinge  befähigte  französische  Sprache  verlieh  den  Lehren 
des  neuen  Geschmacks  doppelten  Nachdruck.  Daher  wurden  de  Cotte  und  seine 
Genossen  die  Lehrmeister  der  jungen  deutschen  Fürsten  und  ihrer  Baumeister. 

Die  Architektur  wurde  wie  am  französischen  Hofe  so  auch  an  den  deut- 
schen Fürstenhöfen  ein  Teil  der  Erziehung  der  Prinzen.  Als  Balthasar  Neu- 
mann nach  Paris  reiste,  berichtet  er  seinem  Herrn,  dem  Würzburger  Fürst- 
bischof, wie  der  Bischof  von  Speier  und  der  Bischof  von  Straßburg,  Rohan, 
in  dem  vorgelegten  Würzburger  Schloßplan  mit  dem  Zirkel  die  Höhen  und 
Weiten  der  Zimmer  abmessen.  Die  Bautätigkeit  des  Fürsten  galt  gewisser- 
maßen als  Gradmesser  seiner  politischen  Macht.  Sie  gehört  zum  Thema  der 
Gesandtenberichte,  der  fürstlichen  Briefe  und  der  Konversation.  Keiner  un- 
ter den  deutschen  Fürsten  hat  die  Baukunst  mit  feinerem  Geiste  und  liebe- 
voller umfaßt  als  Friedrich  der  Große.  Selbst  aus  dem  ersten  Schlesischen 
Feldzug  bittet  er  Knobelsdorff  dringlich  um  genaue  Beschreibungen  und 
Zeichnungen  seiner  Neubauten  am  Charlottenburger  Schlosse  und  zwar  um 
jedes  Kapitell  mit  allen  Einzelheiten. 

Angesichts  der  hier  gekennzeichneten  umfassenden  Stellung  der  Baukunst 
in  der  Kultur  des  i8.  Jahrhunderts  wird  die  hohe  Bedeutung  verständlich,  die 
den  großen  fürstlichen  Baumeistern  zukam.  Sie  leiteten  nicht  nur  das  Bau- 
und  Gartenwesen  in  seinem  ganzen  Umfang,  sondern,  wie  schon  dargetan 
die  großen  Freuden-  und  Trauerfeste,  die  Feuerwerke  und  selbst  die  Opern. 
Durch  Verleihung  höherer  Militärchargen  ^vurden  sie  den  adeligen  Ständen 
gleichgesetzt.  Umgekehrt  ist  die  Betätigung  von  Adeligen,  wie  des  Ritter 
von  Grünstein  in  Mainz,  des  Knobelsdorff  und  Gontard  in  der  Architektur 
ein  Beleg  für  die  hohe  Achtung,  deren  sich  diese  erfreute.  Neben  diesen  Män- 
nern sind  die  Generale  von  Welsch  in  Mainz,  Neumann  in  Würzburg  und 
Schlaun  in  Münster  sowie  der  Münchner  Oberbaudirektor  Effner  und  der 
nassau-saarbrückensche  Oberbaudirektor  Stengel  aus  der  Reihe  der  vielseiti- 
gen Bauintendanten  hervorzuheben. 

Zu  diesen  Verhältnissen  kommen  noch  einige  Umstände  hinzu,  die  man 
sich  gegenwärtig  halten  muß,  wenn  man  die  Grundzüge  der  deutschen  Ba- 
rockarchitektur voll  und  ganz  erkennen  will. 

52 


Abb.  25.     Rathausturm  zu  Bamberg,  Mitte  18.  Jahrhunderts 


53 


Abb.  26.     Amalienburg  in  Nymphenburg,  von  Cuvillies,  um  1725 

6.  DIE  BAUMEISTER,  DIE  BAUHERREN 
UND  DER  BAUBETRIEB.  STADTBAUKUNST 

Die  verschiedensten  Strömungen  kamen  zusammen,  um  im  letzten  Drittel 
des  17.  Jahrhunderts  den  großen  und  allgemeinen  Aufschwung  der  Bau- 
kunst in  Deutschland  zu  bewirken.  In  den  österreichischen  und  bayerischen 
Landen  hatten  sich  seit  Ferdinands  III.  und  des  Kurfürsten  Maximilian  Zeiten 
in  immer  wachsender  Menge  italienische  Baumeister,  Steinarbeiter,  Maurer, 
Stukkaturen  und  Quadratoren  niedergelassen.  Sie  stammten  meist  aus  den 
oberitalienischen  Landschaften  am  anderen  Fuß  der  Alpen,  vom  Comersee 
und  aus  der  Lombardei.  Namentlich  der  Kirchen-  und  Klosterbau  wurde  ihre 
Domäne.  Doch  gewannen  sie  auch  im  Schloßbau  eine  beherrschende  Stellung. 
Noch  um  die  Wende  zum  18.  Jahrhundert  wirkten  eine  ganze  Reihe  italieni- 
scher Baumeister,  die  freilich  meist  schon  seit  einer  oder  zwei  Generationen 
angesessenen  Familien  entsprossen,  in  den  süddeutschen  Residenzen:  in  Wien 
Burnacini  und  Martinelli,  der  Schöpfer  der  beiden  Liechtensteinschen  Paläste, 
in  Würzburg  Petrini,  der  Erbauer  der  Stiftshaugkirche,  des  Juliushospitals 
und  des  Schlosses  Seehof,  in  Baden-Baden  Rossi,  um  nur  einige  wenige  vor- 
wegzunehmen. Fruchtbare  Stukkatoren  waren  die  Carlone  in  Österreich  und 
Bayern,  und  Simonetti,  der  in  Berlin  und  Magdeburg  wirkte.  Die  ganze  erste 
Hälfte  des  Jahrhunderts  blieb  namentlich  der  Theaterbau  und  die  Bühnende- 
koration in  den  Händen  der  Italiener,  vorzüglich  der  Familie  Galli  aus  Bi- 
biena  bei  Bologna,  deren  umfassende  Tätigkeit  als  Festdekoratoren  berührt 
worden  ist.  In  ihren  Schloßfassaden  verraten  die  meisten  dieser  um  1 700  tätigen 
Oberitaliener  die  Schulung  an  den  strengen  Formen  der  Nachfolger  Palladios. 


54 


Zur  gleichen  Zeit  hatten  in  Norddeutschland  die  niederländischen  Baumei- 
ster aus  der  Schule  des  Kampen  und  des  Pieter  Post  Fuß  gefaßt.  Nehring, 
Smids,  Rütger  von  Langesfeld  und  Ryckwarts  sind  einige  der  wichtigsten 
Namen.  Wie  durch  die  italienischen  Bauhandwerker  der  Steinschnitt,  die 
Stuck-  und  Mörteltechnik,  so  wurde  durch  die  holländischen  der  Ziegelbau 
neubegründet.  Mit  der  Wende  zum  i8.  Jahrhundert  dringen  daneben  in  grö- 
ßerer Zahl  Franzosen  ein.  Die  ältere  strengere  Schule  vertreten  die  dem  Hu- 
genottenkreise angehörenden  Baumeister  La  Chieze  in  Berlin  und  Dieussart, 
der  einiges  in  Mecklenburg  und  das  alte  Schloß  in  Bayreuth  baute,  Du  Ry  in 
Kassel,  Cayart,  der  Erbauer  der  Langen  Brücke  und  der  Französischen  Kirche 
in  Berlin,  ebendort  de  Bodt,  der  Schöpfer  des  Berliner  Zeughauses  und  der 
Festungstore  in  Wesel,  der  nachher  in  Dresden  wirkte  und  Augusts  III.  Leh- 
rer in  der  Architektur  wurde.  Ferner  in  Berlin  La  Gajette  und  in  Dresden 
Longuelune.  Am  Rhein  wirken  d'Hauberat,  der  für  das  Schloß  in  Mannheim 
Entwürfe  lieferte  und  in  Frankfurt  das  schöne  Palais  Thurn  und  Taxis  er- 
baute; in  Darmstadt  de  la  Fosse,  der  Erbauer  des  nur  teilweise  ausgeführten 
landgräflichen  Schlosses.  Späterhin  folgen  St.  Pierre  in  Bayreuth,  der  Schöp- 
fer des  dortigen  Schlosses  und  der  Fassade  des  Opernhauses,  in  Bonn  Le- 
veilly,  Baumeister  des  Michaeltores  und  des  Rathauses;  in  Berlin  Legeay,  der 
die  Hedwigskirche  entwarf;  in  Stuttgart  de  la  Guepiere.  Der  Hauptmeister 
des  Münchner  Rokokos  ist  der  aus  den  belgischen  Niederlanden  stammende, 
in  Paris  gebildete  Cuvillies.  In  der  späteren  Hälfte  des  Jahrhunderts  hat  die 
Einwanderung  französischer  Baumeister  keineswegs  nachgelassen.  Man 
denke  auch  an  die  heimisch  gewordenen  Hugenottenfamilien  der  Du  Ry  in 
Kassel  und  der  Gilly  in  Berlin. 

Also  auch  auf  dem  Gebiete  der  Baukunst  zunächst  eine  starke  Überfrem- 
dung Deutschlands  in  diesem  Jahrhundert!  Nun  wird  allerdings  die  Bau- 
kunst, die  von  außen  hereinkommt,  von  den  Kräften  des  Bodens,  auf  dem  sie 
ihre  Werke  errichtet,  schon  an  sich  beeinflußt.  Die  fremden  Meister  werden 
durch  den  Baugrund,  durch  das  Material  und  das  Klima  und  die  Gewohnhei- 
ten der  neuen  Heimat  sich  anzupassen  gezwungen.  In  den  deutschen  Bau- 
und  Handwerksmeistern,  die  zur  Ausführung  mit  herangezogen  wurden,  war 
auch  keineswegs  das  alte  Können  durch  den  Dreißigjährigen  Krieg  hindurch 
völlig  erstorben.  Mancherlei  Bauten,  die  bald  darnach  entstanden,  zeugen 
von  dem  fortwirkenden  Handwerk  und  einem  gesunden,  wenn  auch  derben 
künstlerischen  Sinn.  So  sei  an  die  Baumeisterfamilie  Richter  in  Weimar  er- 
innert, die  im  Schloß-,  Landhaus-  und  steinernen  Brückenbau  Beachtenswer- 
tes schuf;  namentlich  an  den  protestantischen  Kirchenbau,  den  in  Frankfurt 
der    Stadtbaumeister    Heßler,    in   Hamburg    Corvinus   und   in  Braunschweig 

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Korb  vertreten.  Ihr  Schaffen  ist  teilweise  eine  Fortsetzung  der  vor  dem 
Kriege  durch  die  Wolfenbütteler  und  Bückeburger  Kirchen  eingeschlagenen 
selbständigen  Bahn  des  evangelischen  Kirchenbaues.  Das  Nachleben  goti- 
scher Gewölbe-  und  Fensterformen  bezeugt  insbesondere  die  Entwicklung 
dieses  Zweiges  aus  dem  Schöße  des  städtischen  Bauhandwerks.  Ähnlich  ha- 
ben einige  von  den  Jesuiten  mit  Hilfe  der  heimischen  Handwerker  erbauten 
nordwestdeutschen  Kirchen  Nachklänge  gotischer  Formengebung.  In  Ober- 
bayern hatte  sich  längst  neben  den  Italienern  eine  Schule  angesessener  Bau- 
meister, Maurer  und  Stukkatoren  ausgebildet,  die  mit  den  Renaissance-  und 
Barockformen  wohl  umzugehen  verstand.  Ihr  Hauptsitz  war  die  Gegend  von 
Wessobrunn.  Eine  ganze  Reihe  oberbayerischer  Landkirchen  zeigt,  daß  auch 
die  Raumgedanken  der  Renaissance,  die  die  Münchener  Michaelskirche  zuerst 
ausgesprochen  hatte,  den  Baumeistern  des  Landes  in  Fleisch  und  Blut  über- 
gegangen waren.  An  keiner  anderen  Stätte  ist  die  Verschmelzung  der  ita- 
lienischen modernen  Bauweise  mit  den  heimischen  Kräften,  so  wie  die  unun- 
terbrochene Fortführung  aus  der  Renaissance  in  den  Barock  hinein  deutlicher 
ausgesprochen  als  in  Salzburg.  Die  erzbischöfliche  Residenz  und  der  Dom 
sind  dafür  bedeutsame  Zeugen.  Das  ganze  Gepräge  dieser  Stadt  mit  ihren 
weißgetünchten,  gerade  abschließenden  Häusern  mutet  überhaupt  schon  halb- 
italienisch an.  Die  deutsche  Kunstfertigkeit  scheint  sich  namentlich  noch  auf 
dem  Gebiete  des  Zimmerhandwerks  ihren  alten  Ruf  in  kunstvollen  Holz- 
verbindungen bewahrt  zu  haben.  Aus  dem  Zimmererhandwerk  wachsen 
Korb  in  Braunschweig,  Bahr  in  Dresden  und  andere  Meister  hervor.  Über- 
haupt ist  es  beachtenswert,  wie  viele  der  nun  auftretenden  deutschen  Bau- 
meister dem  Bauhandwerker-  und  Stukkatorengewerbe  entstammen.  Daß  in 
der  Möbelkunst  und  in  den  übrigen  Zweigen  der  Raumausstattung  die  deut- 
sche Kunst  in  noch  höherem  Maße  aus  eigenem  den  Weg  ins  1 8.  Jahrhun- 
dert fand,  sei  hier  schon  kurz  angedeutet. 

Die  deutschen  zünftigen  Handwerker  konnten  nicht  ruhig  zusehen,  wie  die 
von  den  Fürsten  und  der  Kirche  geförderten  fremden  Künstler  ihnen  das 
Brot  wegnahmen.  Überall  erheben  sich  Beschwerden  dagegen.  Bewegtesten 
Ausdruck  hat  ihnen  Fischer  von  Erlachs  Freund,  Johann  Wagner,  1691  gege- 
ben in  dem  ,,Ehrenruff  Teutschlands,  der  Teutschen  und  ihres  Reichs".  War 
doch  gerade  in  der  Kaiserstadt  die  Stellung  der  deutschen  Bauleute  fast 
schon  ein  Jahrhundert  daher  von  den  Italienern  beeinträchtigt  worden.  Aber 
mit  Klagen  war  nichts  getan,  denn  die  Ausländer  hatten  die  siegreiche  Macht 
der  neuen  Barockideen  auf  ihrer  Seite.  Mit  Stolz  und  Zuversicht  zu  dem  un- 
verwüstlichen Genius  unseres  Volkes  müssen  wir  nun  blicken  auf  die  Reihe 
großer  Männer,  die  sich  an  der  Wende  vom  17.  zum  18.  Jahrhundert  erhoben 

58 


und  die  fremden  Formen  und  Gedanken  mit  dem  Pulsschlag  des  eigenen 
Blutes  erfüllten.  Es  sind  zunächst  Johann  Dientzenhofer,  Bernhard  Fischer 
von  Erlach,  Lukas  von  Hildebrand,  Andreas  Schlüter  und  Pöppelmann.  Diese 
haben  durch  erneute  Studien  in  Italien  den  Geist  der  barocken  Architektur 
erst  eigentlich  vollständig  in  Deutschland  heimisch  gemacht.  Sie  und  eine 
Anzahl  trefflicher  Meister  haben  den  deutschen  Barock  aus  den  Fesseln  der 
älteren  italienischen,  holländischen  und  französischen  Richtung  befreit  und 
mit  warmem  Leben  erfüllt.  Auf  ihren  Schultern  steht  die  zweite  Generation 
großer  Baukünstler,  zu  denen  Cuvillies,  Neumann,  Schlaun,  Thomann  und 
Knobelsdorff  gehören.  In  dieser  Generation  erreicht  der  deutsche  Raumsinn 
den  Höhepunkt.  Auf  der  anderen  Seite  ist  die  Einwirkung  der  französischen 
Baukunst  in  der  Grundriß-  und  Aufrißlösung  und  im  Ornament  durchgedrun- 
gen. Neben  dem  unmittelbaren  Eingreifen  der  Franzosen,  das  uns  im  hellsten 
Lichte  die  Bautätigkeit  des  Kölner  Kurfürsten  Joseph  Clemens  vor  Augen 
bringt,  hat  das  Studium  dieser  zweiten  Architektengeneration  in  Paris  die 
Aufnahme  der  französischen  Formen  beschleunigt.  Effner,  Cuvillies,  Neu- 
mann, Knobelsdorff  und  viele  andere  haben  Paris  besucht.  Endlich  gewannen 
die  musterhaften  Kupferwerke  der  Pariser  Schule,  die  Schriften  Blondels, 
des  Courdemoy,  des  Briseux  und  des  Boffrand  den  größten  Einfluß  in  den 
deutschen  Baubüros.  Auch  in  Deutschland  erschienen  theoretische  Werke 
und  Kupferpublikationen.  Goldmann,  ein  Schlesier,  später  Professor  in  Lei- 
den, und  sein  Schüler  Sturm,  Professor  in  Frankfurt  an  der  Oder,  behandel- 
ten die  mathematischen,  statischen  und  praktischen  Fragen.  Paul  Decker,  der 
in  Berlin  unter  Schlüter  gearbeitet,  verbreitete  durch  seinen  ,, fürstlichen  Bau- 
meister" den  prunkenden  Barockgeschmack  der  Schlüterschen  Richtung. 
Ähnlich  wirkte  Schübler  durch  seine  Kupferwerke,  während  Kleiner  in 
Mainz  die  Bauten  und  Gartenschöpfungen  der  Schönborn  in  Wien,  in  Fran- 
ken und  in  Mainz  bekannt  machte.  Seine  in  Augsburg  gestochenen  Kupfer 
brachten  namentlich  die  von  Hildebrand  und  seinen  Schülern  geschaffenen 
Bauten  und  Innenräume  der  Schönbornschen  Schlösser  in  weitere  Kreise.  Im 
großen  und  ganzen  betätigt  sich  in  all  diesen  Büchern  mehr  das  Gefallen  an 
malerischen  Wirkungen  und  an  schmückendem  Zierat.  Niemals  wird  man  sie 
mit  den  bis  heute  ihre  Weltgeltung  behauptenden  Lehrbüchern  der  Pariser 
Baumeister  in  einem  Atem  nennen  dürfen.  Auf  dem  Gebiete  des  Ornamentes 
fehlen  uns  die  genialen  Zeichner,  wie  sie  Frankreich  in  Marot,  Berain,  Meis- 
sonier  usw.  besaß.  Die  Kupferwerke  dieser  Meister  wurden  von  den  Augs- 
burger Kupferstechern  für  den  Gebrauch  des  heimischen  Handwerks  aus- 
genutzt. 

Wirft  man  einen  Blick  auf  die  Entstehung  der  großen  Bauwerke,  der  Kir- 

59 


chen  und  Schlösser,  so  trifft  man  hier  auf  Vorgänge,  die  unserer  Vorstellung 
vom  künstlerischen  Schaffen  befremdend  erscheinen.  Der  Wille  des  Bauherrn 
bestimmt  den  ersten  Plan  und  beherrscht  bis  zuletzt  die  Ausführung.  Bauten, 
die  der  Fürst  auf  seinen  Reisen  gesehen,  wünscht  er  nachgeahmt.  Nun  wird 
eine  Sammlung  von  Kupferwerken  zusammengebracht,  und  auf  Grund  dieser 
Vorlagen  muß  der  Architekt,  dem  Wunsche  des  Bauherrn  gemäß,  seine  Pläne 
entwerfen.  Nicht  selten  werden  auch  von  anderen  Architekten  Entwürfe  ein- 
gefordert. Es  kommt  sogar  vor,  daß  die  Gedanken  aus  den  fremden  Entwür- 
fen einfach  mitverarbeitet  werden,  ohne  die  Erfinder  weiter  zu  Rate  zu  zie- 
hen. Dann  werden  ferner  die  fertigen  Pläne  anderen  Architekten  vorgelegt, 
die  darin  Korrekturen  vornehmen.  Ein  hervorragendes  Beispiel  dafür  ist  die 
Geschichte  des  Würzburger  Schlosses.  Neumann  mußte  nach  Paris,  um  seine 
Schloßpläne  von  de  Cotte  und  Boffrand  prüfen  zu  lassen.  Die  beiden  Franzo- 
sen strichen  den  rechten  Flügel  des  Treppenhauses  und  nahmen  andere  Ver- 
änderungen vor.  Später  hat  der  Fürstbischof  Friedrich  Carl  von  Schönborn 
noch  den  Hausarchitekten  der  Familie,  Lucas  von  Hildebrand,  in  Wien  zu 
Rate  gezogen.  Bei  dem  Schloß  in  Pommersfelden,  dem  unmittelbaren  Vor- 
läufer des  Würzburger  Schlosses,  scheinen  nacheinander  drei  verschiedene 
Baumeister  hinzugezogen  zu  sein :  Johann  Dientzenhofer,  dem  die  Flügel, 
Maximilian  von  Welsch,  dem  das  Corps  de  Logis,  und  Lucas  von  Hildebrand, 
dem  wahrscheinlich  eine  starke  Beteiligung  an  der  inneren  Austattung  zuzu- 
schreiben ist.  Welche  Schwierigkeiten  aus  diesem  Zusammenwirken  ver- 
schiedener Baumeister  an  ein  und  demselben  Bau  entstehen  mußten,  läßt  sich 
denken.  Für  die  Baugeschichte  erwächst  daraus  eine  Kette  kaum  oder  gar 
nicht  zu  lösender  Fragen.  Nun  kommt  noch  ein  Punkt  hinzu :  die  Arbeitstei- 
lung. Der  große  Baumeister  war  natürlich  viel  zu  sehr  beschäftigt,  um  seine 
Entwürfe  alle  selbst  auszuzeichnen,  geschweige  denn  auszuführen.  Soll  doch 
ein  Mann  wie  Knobelsdorff,  der  allerdings  von  Hause  aus  nur  Liebhaber  war, 
überhaupt  keine  geometrischen  Risse  gezeichnet  haben,  sondern  nur  male- 
rische Perspektiven!  In  Krüger  hatte  er  sich  einen  Schüler  herangebildet,  der 
seine  Ideen  erst  in  die  mathematische  Sprache  der  Architektur  umsetzte.  Nun 
erst  die  Ausführung.  Auch  sie  lag  sehr  oft  in  der  Hand  eines  anderen,  mehr 
praktisch  geschulten  Baumeisters.  Endlich  wurden  die  Verzierungen,  der 
Schmuck  der  Gesimse,  der  Giebel  und  Kapitelle  von  Bildhauern  meist  ganz 
selbständig  nur  nach  den  allgemeinen  Maß-  und  Linienandeutungen  des  Bau- 
künstlers ausgeführt.  Diese  Bildhauer  sind  schöpferische  Künstler,  im  Besitze 
eigener  Einfälle  und  Formen.  Sie  greifen  zuweilen  geradezu  bestimmend  in 
das  Ganze  der  Komposition  ein,  wie  etwa  Tietz  in  Bamberg,  Würzburg  und 
Trier,  und  Feill  in  Trier,  am  Erbdrostenhof  und  am  Schloß  in  Münster.    Na- 

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mentlich  in  der  Innenaustattung  wurde  dem  Können  und  der  Phantasie  der 
Bildhauer  vielfach  freie  Hand  gelassen.  So  wurden  die  süddeutschen  Stukka- 
turen zu  den  Bauten  am  Main,  im  Kölnischen  und  im  Westfälischen  herange-~ 
zogen.    Die  Gemächer  Friedrichs  des  Großen  in  den  Knobelsdorffschen  Bau- 
ten verdanken  ihre  Ausstattung  den  Bildhauern  Nahl  und  Hoppenhaupt. 

Aus  all  dem  Gesagten  leuchtet  ein,  wie  schwierig  oft  die  Feststellung  der 
persönlichen  Leistung  des  einzelnen  fallen  muß.  Es  herrscht  in  den  großen 
Bauunternehmungen  ein  Zusammenwirken  vieler  Kräfte,  wie  in  der  goti- 
schen Epoche.  Aber  eben  dieses  Zusammenwirken  kennzeichnet  das  gesunde 
Denken  des  1 8.  Jahrhunderts  auf  dem  Gebiete  der  Baukunst.  Alle  Künstler 
und  Handwerker  ordnen  sich  dem  Willen  des  Bauherrn  und  des  Baumeisters 
unter.  Es  ist  ein  einziges  Orchester,  in  dem  alle  Instrumente,  jedes  seine  Par- 
titur verfolgend,  beseligt  dahinschreiten.  Aber  das  Zusammenspiel  liegt  in 
der  Hand  der  großen  Baumeister.  Es  wäre  verfehlt,  wollte  man  nun  zugun- 
sten der  Gemeinsamkeitsarbeit  die  Leistung  der  schöpferischen  Genies  völlig 
ausschalten.  Alle  Bauten  Knobelsdorffs,  so  verschiedene  Baumeister  und  Bild- 
hauer an  ihnen  mitgewirkt,  tragen  den  Stempel  seines  Geistes  und  den  des 
großen  Königs  bis  in  jede  Einzelheit  hinein.  Jeder  Raum  von  Balthasar  Neu- 
manns Meisterhand  umfängt  unser  Gemüt  in  gleicher  Weise.  Immer  weht 
um  die  aus  der  Wand  befreiten  schlanken  Säulen,  in  den  freischwebenden 
,, kunstverdruckten  Gewölbern,  so  außer  Circul  gehen"  der  gleiche  Atem,  und 
dieser  belebt  auch  die  über  die  Wände  und  Gesimse  aufsteigenden  Stuck- 
schnörkel. 

Hier  legt  sich  uns  das  baukünstlerische  Schaffen  des  Jahrhunderts  an  sei- 
ner Wurzel  bloß.  Das  Gefühl  für  Verhältnisse,  für  Maße  durchwaltet  die 
großen  Linien  wie  alles  einzelne.  Die  Größe  des  Bauwerkes  zu  den  Nachbar- 
gebäuden, zu  dem  Vorplatz,  zum  Garten  und  zur  Straße,  die  Abstimmung  des 
Denkmals  und  des  Brunnens  in  die  Räumlichkeit  des  Platzes  hinein  sowie  die 
Abmessung  und  die  Schmückung  der  Innenräume :  Alles  steht  in  glücklicher 
Maßbeziehung  zueinander. 

Das  sind  die  Früchte  der  strengen  mathematischen  Erziehung,  die  die  Ar- 
chitektur seit  der  Renaissance  in  Italien  und  in  höherem  Grade  noch  seit  dem 
17.  Jahrhundert  in  Frankreich  durchgemacht  hat. 

Diese  zur  Mathematik  gewordene  raumgestaltende  Kraft  des  Barock  hat 
zunächst  in  der  Stadtbaukunst  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  in  Deutsch- 
land ihren  Niederschlag  gefunden.  Die  ältesten,  von  Franzosen  oder  franzö- 
sisch geschulten  Baumeistern  abgesteckten  Stadtgrundrisse  halten  eine  mög- 
lichst schachbrettartige  Teilung  in  rechteckige  Bauquartiere  ein.  Die  Häuser 
werden  durchgängig  niedrig  und  langgestreckt  gebildet,  jedoch  werden  die 

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Ecken,  die  Plätze  und  die  Enden  der  Straßen  durch  mehrstöckige  Gebäude 
betont.  Die  Oberstadt  Kassel,  vom  ältesten  Du  Ry,  die  französische  Kolonie 
in  Schwedt,  die  von  Friedrich  Wilhelm  I.  ausgebauten  neuen  Viertel  Berlins 
und  Potsdams,  Gumbinnen,  ferner  Mannheim  und  Erlangen  sind  dafür  Bei- 
spieles). Mit  dem  fortschreitenden  Barock  wuchs  die  Kunst  der  Gruppierung 
um  große  Hauptachsen  und  weite  Plätze  von  bewegterer  Grundrißgestaltung. 
Man  erkennt  das  an  der  Anlage  Karlsruhes  um  den  runden,  von  Laubengän- 
gen eingerahmten  Schloßplatz,  an  dem  Domplatz  in  Fulda,  an  dem  Schloß- 
platz in  Würzburg,  an  den  drei  Platzgründungen,  wodurch  Friedrich  Wil- 
helm I.  seine  Erweiterung  Berlins  nach  Westen  bekrönte.  Sie  sind  das 
,, Quarre",  der  heutige  Pariser  Platz,  das  ,,Oktogon",  der  heutige  Leipziger 
Platz,  und  das  ,, Rondell",  der  heutige  Belle-Aliance-Platz.  Die  in  einem  Zuge 
fortgehende,  von  Palästen  flankierte  Wilhelmstraße  stellte  dazwischen  die 
Verbindung  her.  Meisterwerke  der  ausgereiften  Stadtbaukunst  sind  das  Ron- 
dell vor  dem  Schloß  in  Nymphenburg  mit  der  abzweigenden  Mittelprome- 
nade, die  den  Ausgangspunkt  einer  nicht  weiter  geführten  neuen  Stadt  bilden 
sollten.  Der  großzügige  Raumsinn  des  deutschen  Rokoko  offenbart  sich  z.  B. 
in  der  Anlage  des ,, Forum  Friedericianum"  mit  dem  Opernhaus  und  dem  Palais 
des  Prinzen  Heinrich,  der  jetzigen  Universität,  in  Berlin;  ferner  in  dem  run- 
den Königsplatz  und  dem  weiten,  ehemals  durch  das  Autor  begrenzten  recht- 
eckigen Friedrichsplatz  sowie  in  der  abgerissenen  halbkreisförmigen  Kolon- 
nade an  der  Rennbahn  in  Kassel  (Abb.  30),  sämtlich  nach  der  Mitte  des  Jahr- 
hunderts vom  jüngeren  Du  Ry  geschaffen.  Ihnen  reihen  sich  an  die  etwa 
gleichzeitig  entstandenen  Werke  Gontards  in  Berlin,  wie  seine  Brückenkolon- 
naden und  der  Ausbau  des  Gendarmenmarktes,  ferner  der  wundervolle,  von 
Alleen  eingefaßte  Schloßplatz  in  Münster  und  der  aus  einem  Rondell  und 
einem  weiten  Rechteck  gebildete  Platz  zwischen  dem  Schloß  und  der  Kirche 
in  Ludwigslust,  entstanden  unter  Zugrundelegung  Legeaischer  Pläne. 

Nach  dieser  allgemeinen  Einführung  in  das  baukünstlerische  Schaffen  des 
Jahrhunderts  gehen  wir  dazu  über,  den  Verlauf  der  Baugeschichte  von  den 
Anfängen  des  Barock  bis  zum  Höhepunkt  in  der  Mitte  des  Jahrhunderts  dar- 
zustellen. Füglich  geschieht  dies  am  besten,  indem  die  beiden  wichtigsten 
Gebäudegattungen  der  Zeit,  der  Kirchenbau  und  der  Schloßbau, 
nacheinander  betrachtet  werden.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  beide,  so  sehr 
die  Grundlagen  und  Einwirkungen  voneinander  abweichen,  in  den  Grund- 
zügen der  Entwicklung  gleichen  Schritt  halten. 


64 


Abb.  31-    Kanzel  in  Bogenhausen  von  Günther 
Mitte  i8.  Jahrhunderts 


DAS    GEISTIGE    WESEN     DES     KATHOLIZISMUS    IM 
DEUTSCHEN  BAROCK  UND  ROKOKO 


Zum  Verständnis  der  katholischen  Kirchenkunst  des  deutschen  Barock  ist 
es  unumgänglich,  sich  ein  Bild  von  dem  Wesen  des  katholischen  Lebens  in 
dieser  Epoche  zu  machen.  Nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  hatten  der  Ka- 
tholizismus und  ebenso  der  Protestantismus  eine  innere  Erneuerung  erfahren. 
Die  Neubelebung  des  religiösen  Empfindens  in  dem  Barockzeitalter  hat 
Ranke  folgendermaßen  gekennzeichnet:  „In  den  früheren  Zeiten  war  das 
Christentum  mehr  Sache  der  Überlieferung,  der  naiven  Annahme,  des  von 
Zweifeln  unberührten  Glaubens  gewesen.   Jetzt  war  es  eine  Sache  der  Über- 


Schmitz.   18.  Jahrh.     5 


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Abb.  32.     Altar  von  Auwera  in  der  Würzburger  Augustinerkirche 


66 


Zeugung,  der  bewußten  Hingebung  geworden.    Von  hoher  Bedeutung  ist  es, 
daß  man  zwischen  den  beiden  Bekenntnissen  zu  wählen  hatte,  daß  man  ver- 
werfen, abfallen,  übertreten  konnte.    Die  Person  ward  in  Anspruch  genom- 
men, ihre  freie  Selbstbestimmung  herausgefordert.     Hierdurch  geschah   es, 
daß  die  christlichen  Ideen    alles  Leben    und  Denken   nur  noch   vollständiger 
durchdrangen."  Der  Katholizismus  war  durch  die  Arbeiten  des  Trienter  Kon- 
zils und  der  Gegenreformation  mit  neuer  Stoßkraft  erfüllt  worden.    Die  Ein- 
heitlichkeit und  die  Ordnung  der  Liturgie  waren  wiederhergestellt  worden. 
Der  Begriff  der  Heiligung  durch  die  Kirche,  die  Verehrung  des  Leibes  und 
Blutes  Christi  hatten  sich  vertieft.    Eine  straffe  Organisation  trat  an  Stelle 
der  gelockerten  Kirchenzucht.  Der  eingreifenden  Tätigkeit  der  deutschen  Kir- 
chenfürsten wurde  bereits  gedacht.    Ihre  Arbeit  erfuhr  die  kräftigste  Unter- 
stützung durch  die  Orden.    Allen  voran  durch  die  Jesuiten.    Dem  Orden  des 
hl.  Ignatius  von  Loyola  war  in  erster  Linie  die  Befestigung  des  katholischen 
Glaubens  in  den  schon    schwankend   gewordenen    südlichen    und    westlichen 
Gauen  Deutschlands  zu  verdanken.   Meisterhaft  verstanden  es  die  Väter  Jesu, 
gerade  das  einfache,  in  den  Kriegszeiten  verwahrloste  Volk  durch  Predigt, 
Gottesdienst  und  leichtverständliche  Katechese  zurückzugewinnen.   Das  Kol- 
legium Germanicum  und  das  Kollegium  Romanicum  in  Rom  wurden  Pflanz- 
schulen für  deutsche  Prediger,  Seelsorger  und  Gelehrte.    Überall  entstanden 
nun  Kollegien  und  Gymnasien,  die  das  humanistische  Studium  zur  Grundlage 
hatten    und    den    berühmten    protestantischen    Lateinschulen    nachzustreben 
suchten.    Die  Jesuiten  faßten  auch  Fuß  an  den  katholischen  Universitäten,  in 
Ingolstadt,    in  Wien,  in  Köln   und  Würzburg   usw.    Sie   verlangten  von  den 
akademischen  Lehrern  die  Ablegung  der  Confessio  fidei.  Ihr  Einfluß  war  bis 
über  die  Mitte  des  1 8.  Jahrhunderts  in  ständigem  Steigen,  das  beweisen  auch 
die  prachtvollen  Jesuitenkirchen  in  Schlesien,  in  Mannheim,  in  Heidelberg,  in 
Büren  und  in  Würzburg.   Sie  vermochten  Leibniz  und  den  Prinzen  Eugen  an 
der  Gründung  einer  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  zu  verhindern. 
Ihre  Bekehrungen  in  der  Pfalz  erregten  noch  den  Unwillen  des  Kronprinzen 
Friedrich  im  Polnischen  Erbfolgekrieg.  Nach  der  Eroberung  Schlesiens  sucht 
er  sie  zu  gewinnen,  indem  er  u.  a.  einer  ihrer  berühmten  Wallfahrts- Madon- 
nen ein  neues  Seidenkleid  schenkt.    Mit  den  Jesuiten  wetteiferten  in  der  Seel- 
sorge, in  der  Erziehung  und  der  Armenpflege  eine  Reihe  weiterer  reorganisier- 
ter oder  neubegründeter  Orden,  die  Serviten  (Franziskaner),  die  Dominika- 
ner, die  Augustiner,  die  Observanten,  die  Kamaldulenser,  die  Karmeliter,  die 
barmherzigen  Brüder  vom  hl.  Johannes   de  Deo.    Ihnen   zur  Seite   gehen   die 
Frauenorden,  die  durch  einige  von  Frankreich  herkommende  Neugründungen 
Zuwachs  erhalten,  durch  die  Salesianerinnen,  die  nach  dem  hl.  Franz  von  Sa- 

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les  genannt  werden,  die  Kongregation  der  hl.  Therese,  die  Vinzentinerinnen, 
vom  hl.  Vinzenz  gegründet,  die  lotharingischen  Chorjungfern,  die  die  Erzie- 
hung adeliger  Mädchen  übernahmen.  Strenge  Unterwerfung  unter  die  Re- 
geln, hingebende  Frömmigkeit,  und  tätige  Arbeit  am  Wohl  der  Nächsten,  be- 
sonders der  Ärmsten,  sind  das  Kennzeichen  des  wiederhergestellten  Ordens- 
lebens. 

Mit  der  Neuformung  des  Gottesdienstes  wandelte  sich  die  Kirchenausstat- 
tung. Mit  dem  Drang  nach  tieferer  Erfassung  des  Glaubens  ging  die  Be- 
seelung des  künstlerischen  Ausdrucks  Hand  in  Hand.  Die  Verehrung  zum 
Herzen  Jesu  spricht  sich  in  der  feierlichen  Aufstellung  des  Allerheiligsten 
aus.  Die  strahlende  vergoldete  Riesenmonstranz,  die  die  Hostie  umschließt, 
steht  nun  auf  dem  Hochaltar  unter  einem  triumphbogenartigen  Säulenbalda- 
chin, der  von  heiligen  Heerscharen  bevölkert  ist.  Das  Auge  der  Andächtigen 
folgt  dem  beseligt  aufwärts  gerichteten  Blick  der  Heiligen  zu  den  Gewölben, 
wo  die  himmlischen  Heerscharen  im  lichten  Äther  schweben.  Es  ist  der  alte 
Glaube,  aber  erfüllt  mit  neuer  Hingebung,  mit  Siegeszuversicht.  Es  sind  die 
alten  Klänge  und  Geheimnisse,  aber  in  volleren  Akkorden  ertönend.  So  wie 
die  römische  Kirchenmusik  des  Barock  in  ihren  Oratorien  die  alten  Weisen 
des  Dies  irae.  Dies  lila,  des  Stabat  Mater  Dolorosa,  des  Salve  Regina  und  des 
Te  Deum  in  reicheren  Harmonien  erbrausen  läßt.  In  den  Schall  der  Orgel 
mischt  sich  der  Jubel  der  Geigen,  der  Posaunen  und  der  Pauken.  Nach  dem 
römischen  Muster  entstehen  die  trefflichen  Domkapellen  der  deutschen  Bi- 
schofssitze, die  eine  Hauptquelle  für  die  Entfaltung  der  Musik  in  den  katho- 
lischen Ländern  Süd-  und  Westdeutschlands  werden  4). 

Die  Heiligenverehrung  erfüllt  sich  mit  neuer  Inbrunst.  In  den  Kreis  der 
Bekenner  und  Märtyrer  der  Kirche  treten  Männer  und  Frauen  aus  der  jüng- 
sten Kampfperiode  des  Glaubens,  so  der  hl.  Ignatius  und  Franz  Xaver,  der 
Missionar  Ostindiens,  beide  erst  von  Gregor  XV.  heilig  gesprochen,  Karl 
Borromäus,  Franz  von  Paul,  Johannes  Nepomuk.  Das  tausendjährige  Jubi- 
läum vieler  Domstifter  und  Benediktinerabteien  veranlaßt  die  Auffrischung 
des  Gedächtnisses  an  die  ersten  Begründer  und  Bekehrer.  Ihr  Leben  wird  er- 
forscht, ihre  Taten  werden  dargestellt.  Die  süddeutschen  Deckengemälde 
schildern  mit  Vorliebe  Ereignisse  aus  der  Gründungs-  und  Wundergeschichte 
der  Kirchen,  die  sie  schmücken.  Über  dem  Grab  des  Frankenapostels  Kilian 
in  Würzburg  und  über  dem  Grabe  des  hl.  Bonifatius  in  Fulda  wachsen  präch- 
tige Kirchen  empor.  Die  Statuen  der  ältesten  Bischöfe  umstehen  das  Grab 
des  Bonifatius  hinter  dem  Chor  des  Fuldaer  Domes:  die  ersten  Bischöfe  von 
Würzburg  stehen  auf  der  Mainbrücke,  die  von  der  Stadt  hinüberführt  zum 
Fuß  des  Marienbergs,  der  die  älteste  Kirchengründung  St.  Kilians  trägt.  Da- 

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durch  wird  das  alte  Verhältnis  des  Volkes  zu  den  Heiligen  des  Landes  er- 
neuert; die  Liebe  zum  Stifte  und  zur  Heimat  bekräftigt.  Scharen  von  Heili- 
gen bevölkern  nicht  nur  das  Äußere  und  Innere  der  Kirchen.  Sie  werden  auf- 
gestellt auf  Plätzen  und  Märkten,  auf  Brücken  und  Toren,  an  den  Häuser- 
fronten, auf  Wegen  und  Stegen.  Kruzifixe,  Passions-  und  Schmerzensgrup- 
pen  und  Kapellen  werden  an  Kreuzwegen,  in  Wiesen  und  auf  Höhen  er- 
richtet. Sie  sind  noch  heute  die  Merkmale  der  katholischen  Landschaften. 
An  ausgezeichneten  Punkten  entstehen  Passionswege  mit  den  zwölf  Leidens- 
stationen. Einen  solchen  schuf  Bischof  Bernhard  von  Galen  in  der  Heide  vor 
Münster  an  der  Prozessionsstraße  nach  Telgte.  Bei  Fulda  ziehen  sich  vom 
Franziskanerberg  die  Stationskapellen  über  den  waldigen  Bergrücken  zum 
Kalvarienberg  hinauf.  Da  oben  steht  unter  alten  Bäumen  die  in  Stein  ge- 
hauene Kreuzigung  in  lebensgroßen  Figuren  auf  einer  Plattform,  deren  Balu- 
strade von  sechs  Engeln  mit  den  Marterwerkzeugen  bekrönt  ist :  Maria,  Jo- 
hannes und  zwei  Engel  blicken  schmerzvoll  zum  Gekreuzigten  empor.  Die 
hochgewundenen  verzerrten  Schacher  sind  auf  den  Seiten,  und  am  Fuß  des 
Kreuzes  das  Totengerippe  in  einer  Felsengrotte.  Den  Gläubigen  umweht  ein 
Schauer  an  dieser  dunkeln  Waldesstätte.  Der  Kreuzweg  zum  Würzburger 
Käppele  auf  der  anderen  Mainseite  steigt  in  Absätzen  den  steilen  Berg  hinan; 
jede  dieser  Plattformen  ist  von  drei  Kapellen  mit  den  lebensgroßen  Leidens- 
stationen von  Wagners  und  von  Auweras  Hand  unter  vier  alten  Platanen  be- 
setzt. Bis  obenhin  ist  die  Stiege  zwischen  Mauern  eingeschlossen,  so  daß  sich 
erst  von  der  Höhe  vor  dem  Käppele  der  überraschende  Blick  in  das  Maintal 
und  die  unten  gelagerte  Stadt  eröffnet. 

Zahlreiche  Wallfahrtskirchen  werden  prächtig  erneuert  —  wie  Andechs 
und  Ettal  —  und  neue  gebaut.  Die  Perle  darunter  ist  Vierzehnheiligen,  Bal- 
thasar Neumanns  Schöpfung.  Sie  ist  an  einer  Stelle  errichtet,  wo  vor  Jahr- 
hunderten einem  armen  Hirten  die  vierzehn  Nothelfer  erschienen  waren.  Mit 
bewegten  Umrissen  steigt  der  Bau  auf  einer  kahlen  Bergkuppe,  dem  Näher- 
kommenden aus  dem  Gebüsch  und  Gestrüpp  herauswachsend,  gegen  den 
Himmel.  Von  den  Höhen  des  Main-  und  Donautals,  von  den  Bergen  um  die 
oberbayerischen  Seen  grüßen  zahlreiche  andere  herab.  Der  Wunder-  und  Re- 
liquienglaube hat  sich  neu  belebt.  Aus  Rom  bringen  die  weltlichen  und  geist- 
lichen Fürsten  neu  entdeckte  Märtyrergebeine  als  Geschenke  des  Papstes  ins 
Land.  Sie  werden  in  reich  bestickte  und  betreßte  Seiden-  und  Goldgewän- 
der gehüllt,  in  kunstvollen  gläsernen  Gehäusen  in  die  Predellen  der  Altäre 
eingesetzt;  oder  auch  in  reich  getriebene  silberne  Reliquienschreine  gebettet. 
Daß  die  Pontifikal-  und  Meßgewänder  mit  schwerer  Seiden-,  Gold-  und  Per- 
lenstickerei geschmückt  werden,  ist  selbstverständlich?). 

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Abb  34.     Grabmal  des  Fürstbischofs  von  Ingelheim  (f  1695) 
im  Dom  zu  Mainz 


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Abb.  35.     Grabmal  des  Dompropstes  von  der  Leyen  (t  1714).  im  Dom  zu  Mainz 


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Höchst  merkwürdig  und  für  das  künstlerische  Leben  von  tiefgehender  Be- 
deutung ist  die  innige  Verschmelzung  der  religiösen  und  der  weltlichen  An- 
gelegenheiten, die  für  den  Barock  in  den  katholischen  Ländern  bezeichnend 
ist.  Sie  ist  der  Grundstein  für  die  wahrhaft  volkstümliche  Kunst  der  Kirche 
in  diesen  Gebieten.  Und  hier  scheinen  sich  die  Gegensätze  zwischen  den 
fürstlichen  und  adeligen  Ständen  und  dem  dritten  und  vierten  Stand  zu  ver- 
söhnen. Die  aristokratische  Grundtendenz  des  deutschen  1 8.  Jahrhunderts 
offenbart  sich  darin  in  ihrer  glücklichsten  Gestalt.  Mitten  unter  dem  andäch- 
tigen Volk  thronen  die  in  Stein  verewigten  geistlichen  Fürsten  auf  ihren 
Grabmälern  in  den  Domkirchen  (Abb.  34  u.  35).  Wie  lebend  knien  sie  dort  im 
vollen  Schmuck  des  Pontifikalornates  vor  dem  Kruzifix  beim  festlichen  Hoch- 
amt, oder  sie  sind  hingelagert  auf  ein  reich  befranstes  Pfühl,  den  perücken- 
umrahmten Kopf  milde  und  hoheitsvoll  dem  Beschauer  zuwendend.  Die  Spit- 
zen des  Chorhemdes,  des  Kragens,  die  Stickereien  der  Kasula  und  der  Hand- 
schuhe sind  voller  Sorgfalt  in  dem  Marmor  verewigt.  So  majestätisch  und 
nicht  anders  wollte  das  Volk  seine  Landesherren  sehen.  Es  erblickte  in  ihnen 
den  Vater  aller,  den  Beistand  der  Armen  und  Unterdrückten.  Ein  Altarbild, 
das  Sandrart  für  S.  Walburg  in  Eichstätt  malte,  stellte  mit  des  Künstlers 
eigenen  Worten  dar:  ,,den  Fürstbischof  auf  einer  Galerie  im  bischöflichen 
Ornat  und  Pontifikal  von  allen  dero  und  des  Hochstifts  Kapitelherren  um- 
geben ganz  andächtig  gen  Himmel  fahrend  als  gleichsam  flehentlich  ansu- 
chend um  Hilfe  für  eine  große  Menge  armer,  blinder,  lahmer,  kranker  und 
bresthafter  Leute."  Die  Vereinigung  des  geistlichen  und  weltlichen  Regi- 
mentes in  den  Reichsstiftern  hat  die  Durchdringung  geistlicher  und  weltlicher 
Dinge  am  stärksten  ausgeprägt.  Die  großen  Klosterbauten  sind  zugleich 
riesige  Residenzen,  Güterverwaltungen  und  Wirtschaftsanlagen.  In  den  Ak- 
tenschränken  der  geistlichen  Herren  an  Rhein,  Mosel  und  Main  liegen  neben 
den  geistlichen  die  Domänen-,  Forst-,  Militär-,  Jagd-,  Weinbau-,  Kellerei- 
und  anderen  Sachen.  ,, Unter  dem  Krummstab  ist's  gut  leben"  hieß  es  in  diesen 
gesegneten  Gauen.  Die  Lichtseiten  dürfen  allerdings  nicht  über  die  Schatten- 
seiten der  geistlichen  Herrschaften  hinwegtäuschen;  gerade  sie  haben  der 
staatlichen  Ohnmacht  Deutschlands  und  zuzeiten  selbst  den  entwürdigenden 
militärischen  und  politischen  Eingriffen  der  Fremden  Vorschub  geleistet.  Als 
die  preußischen  Husaren  über  den  Thüringer  Wald  in  die  Mainbistümer 
drangen,  vermochten  ihnen  die  zusammengewürfelten  und  schlecht  ausgebil- 
deten Kreistruppen  der  Bistümer  keinen  nennenswerten  Widerstand  zu  lei- 
sten, und  bei  Roßbach  zerstoben  ihre  Kontingente  mit  den  Franzosen  vor  der 
Seydlitzschen  Kavallerie. 

In  vieler  Hinsicht  hat  das  katholische  Glaubensleben  im  Zeitalter  des  Ba- 

73 


rock  eine  Verjüngung  und  Vertiefung  erfahren.  Der  gewaltige  Aufschwung 
der  kirchlichen  Kunst  ist  dafür  der  sinnliche  Ausdruck.  Es  entzieht  sich  un- 
serem Urteil,  wie  sich  in  dem  Barock  das  Verhältnis  zum  Göttlichen  in  seinen 
Tiefen  gewandelt  hat.  Aber  das  ist  mit  Händen  zu  greifen:  es  ist  ein  grund- 
verschiedener Seelenzustand  gegenüber  dem,  der  in  der  mittelalterlichen 
Kirche  wirksam  war.  Dieses  unbedingte  Zusammenwachsen  der  geistigen 
und  sinnlichen  Kräfte,  des  Religiösen  und  des  Weltlichen,  das  die  Epoche  des 
romanischen  und  frühgotischen  Stils  bezeichnet,  war  im  Barockzeitalter  un- 
möglich. So  fehlt  denn  auch  der  kirchlichen  Kunst  des  Barock  und  Rokoko 
die  zwingende  Vereinigung  des  religiösen  Geistes  mit  der  strengen  hierati- 
schen Form.  Niemals  kommen  uns  vor  dem  mittelalterlichen  Kirchenkunst- 
werk Zweifel  an  der  selbstentäußernden  tiefgläubigen  Empfindung  des  Be- 
stellers und  des  Künstlers.  Die  kirchliche  Kunst  des  Barock  bewegt  sich 
häufig  an  der  Grenze,  wo  die  Frage  entsteht :  ist  das  nun  echte  Rührung  oder 
Empfindelei?  Mischt  sich  in  die  seelische  Hingebung  nicht  allzusehr  das  sinn- 
liche Gefallen  an  der  schönen  Form?  Täuscht  uns  der  Künstler  durch  den 
schimmernden  Schein  über  die  fehlende  Gemütskraft  hinweg?  So  ganz  eigen- 
tümliche Schwärmereien,  wie  die  Magdalenenkapelle  im  Bonner  Schloßpark 
mit  ihrer  Gesellschaft  von  Blumengärtnern,  eine  Institution  des  Kurfürsten 
Joseph  Clemens,  wie  die  ruinenartige,  halb  gotische  Magdalenenklause  des 
greisen  Max  Emanuel,  seines  Bruders,  im  Nymphenburger  Schloßpark  und 
die  der  Markgräfin  Susanna  im  Park  der  Favorite  erregen  allerdings  den  Ver- 
dacht einer  Spielerei  mit  Glaubensgefühlen.  Die  Markgräfin  kasteite  und  gei- 
ßelte sich  hier  in  dem  gelben  Dämmerlicht  in  Gesellschaft  von  heiligen  Wachs- 
figuren mit  natürlichen  Haaren  und  Gewändern.  Mit  der  heiligen  Familie  aus 
bekleideten  Puppen  setzt  sie  sich  zu  Tische.  In  einem  Franziskanergewand 
läßt  sich  die  ,, große  Sünderin"  in  der  von  ihr  erbauten,  mit  Stuckmarmor  und 
Stickerei  reichgeschmückten  Schloßkapelle  in  Rastatt  beisetzen.  Allein  was 
schon  anläßlich  der  barocken  Mummenschänze  gesagt  wurde,  gilt  auch  in  die- 
sem Falle.  Es  gibt  einen  Punkt,  wo  der  Geschichtsschreiber  die  innersten 
Triebe  einer  Zeit  vergeblich  zu  durchschauen  sucht.  Was  also  in  der  kirch- 
lichen Bewegung  des  katholischen  Barock  Hingebung,  wahre  Inbrunst,  was 
Verzückung,  was  Selbstberauschung  und  mit  dem  Sinnlichen  liebäugelnde 
Verzärtelung  des  Gefühls  darstellt,  bleibe  auf  sich  beruhen.  Tatsache  ist  der 
gewaltige  Aufschwung  des  religiösen  Sinnes  und  zusammen  mit  ihm  der 
kirchlichen  Kunst,  in  erster  Linie  der  Baukunst. 


74 


Abb.  36.    Karlskirche  in  Wien,  von  Bernh.  Fischer  von  Erlach,  1716 — 1725 

8.   DER  KATHOLISCHE  KIRCHENBAU   DES   BAROCK 

Die  Geschichte  der  deutschen  Kirchenbaukunst  zerfällt  in  zwei  große  Haupt- 
abschnitte. Der  erste,  der  des  mittelalterlichen  Stils,  beginnt  mit  der 
romanischen  Kunst  seit  der  karolingischen  Epoche.  Er  läuft  in  den  spätgoti- 
schen Stil  aus,  der  durch  das  i5.  und  teilweise  selbst  bis  tief  ins  17.  Jahrhun- 
dert hinein  nachlebt.  Der  zweite  Hauptabschnitt  erstreckt  seine  Anfänge  bis 
in  die  Spätrenaissance,  bis  ins  ausgehende  16.  Jahrhundert  hinein.  Schritt 
vor  Schritt,  und  durch  die  schweren  Kriegszeiten  in  seinem  Laufe  mannig- 
fach gehemmt,  erobert  er,  den  letzten  gotischen  Stil  verdrängend,  ja  stellen- 
weise sich  mit  ihm  vermengend,  im  17.  Jahrhundert  den  katholischen  Kir- 
chenbau   Deutschlands.     Seine    große    Zeit   beginnt    im    letzten    Drittel    des 


75 


17-  Jahrhunderts,  als  zugleich  mit  dem  Aufschwung  des  religiösen  Lebens  die 
kirchlichen  Kreise  eine  allgemeine  Baulust  ergriff.  Dieser  zweite  Ab- 
schnitt der  deutschen  Kirchenbaukunst  ist  der  Gegenstand 
unserer  Betrachtung.  Mit  ihm  beginnt  ganz  unleugbar  eine  neue  Epoche,  die 
sich  in  ihrem  ganzen  Wesen  von  der  mittelalterlichen  unterscheidet.  Allein, 
während  der  romanische  Stil  im  lo.  und  ii.  Jahrhundert  eine  eigentümliche 
Verkörperung  des  monumentalen  Empfindens  unseres  Volkes  ist,  seinem  gan- 
zen Gehalt  und  Ausdruck  nach  eine  unmittelbare  jugendfrische  Erfassung 
architektonischer  Grundgedanken :  knüpft  die  neuzeitliche  deutsche  Kirchen- 
baukunst an  eine  fremde  eben  ausreifende  Entwicklung  an.  Ihr  Ausgangs- 
punkt ist  die  weiträumige  Kirchenbaukunst  der  Spätrenaissance  und  des  Ba- 
rock in  Italien. 

Indessen,  wenn  nun  auch  die  Formen  der  Grundrisse  und  des  Aufbaues  ab- 
geleitete sind,  so  bedeutet  dennoch  auch  dieser  neue  Stil  für  die  deutsche 
Kunst  wieder  einen  Anfang.  Es  ist  nämlich  eine  völlig  von  der  mittelalter- 
lichen Entwicklung  abweichende  Gestaltungsform,  die  mit  dem  italienischen 
Kirchenbau  Eingang  findet.  An  die  Stelle  des  gebundenen  Organismus  der 
gotischen  Kirchenform,  des  einheitlichen  Gleichgewichtssystems,  setzt  sich 
der  klare,  von  geschlossenen  Wänden  begrenzte  Raum.  Die  Gliederung  der 
Wände  durch  die  der  Antike  nachgebildeten  Träger  und  Gesimse  gibt  den 
Wänden  eine  Selbständigkeit  gegenüber  dem  Raum  und  der  Decke,  die  dem 
gotischen  Kirchenbau  gänzlich  fremd  war.  Auch  die  Fassaden  erhalten  eine 
Vorlage  aus  Säulenordnungen  und  wagerechten  Gesimsen. 

Die  Aufnahme  des  italienischen  Kirchenbaustils  war  in  Österreich  und  in 
Bayern  bereits  vor  und  während  des  Dreißigjährigen  Krieges  erfolgt,  als  im 
Westen  und  Norden  Deutschlands  sich  noch  die  Gotik  behauptete.  Das  erste 
Zeugnis,  die  von  Herzog  Wilhelm  V.  von  Bayern  am  Ende  des  i6.  Jahrhun- 
derts errichtete  Jesuitenkirche  St.  Michael  in  München,  ein  einziger  großar- 
tiger tonnenüberwölbter  Raum,  fand  vielfache  Nachahmung  in  den  Landkir- 
chen zwischen  Inn  und  .Salzach.  Ihr  schließen  sich  auch  die  von  Hans  Krum- 
per erbauten  Kirchen  in  Weilheim  usw.  an.  Mitten  im  Dreißigjährigen 
Kriege  entstehen  die  vom  Pfalzgrafen  Wolfgang  Wilhelm  von  Pfalz-Neu- 
burg errichteten  hallenartigen  Jesuitenkirchen  in  Neuburg  an  der  Donau  und 
in  Düsseldorf'^).  Zeigt  sich  in  all  den  genannten  Bauten  eine  Abwandlung  der 
italienischen  Grundformen  zugunsten  heimischer  Gewohnheiten,  so  ist  der 
gleichfalls  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  Dreißigjährigen  Krieges  begonnene 
Dom  in  Salzburg  das  erste  Denkmal  eines  im  reifen  italienischen  Geschmack 
durchgeführten  Gebäudes.  Ein  weites  tonnenüberwölbtes  Langhaus  mit  Ka- 
pellennischen wird  von  einem    gleichbreiten  Querschiff    durchschnitten    und 

76 


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Abb.  37.  Dom  in  Salzburg,  begonnen  von  Solari  16 14,  vollendet  nach  Mittel  7.  Jhh. 


77 


mündet  in  einem  gerundeten  Chor.  Über  der  Durchschneidung  von  Langhaus 
und  Querhaus,  über  der  Vierung,  erhebt  sich  eine  hohe  Kuppel.  Erst  nach 
dem  Dreißigjährigen  Kriege  wird  der  Bau  beendet.  Jetzt  treten  —  teilweise 
durch  italienische  Architekten  und  Maurer  ausgeführt  —  an  vielen  Orten 
Süddeutschlands  Werke  des  neuen  Stils  ans  Licht.  In  Wien  bezeichnen  die 
von  Tenkala  entworfene  Dominikanerkirche  und  die  von  einem  Mitgliede  der 
Carlone  unter  Benutzung  einer  gotischen  Anlage  erbaute  Kirche  der  Neun 
Engelchöre  am  Hof  Marksteine  der  ersten  Stufe  des  Barock.  Aus  den  fünf- 
ziger und  sechziger  Jahren  stammen  die  Kirche  des  Benediktinerklosters 
Lambach  zwischen  Linz  und  Salzburg,  die  von  Michael  Behr  aus  Vorarlberg 
entworfene  und  von  Serro  ausgeführte  Stiftskirche  in  Kempten  in  Südschwa- 
ben mit  dreischiffigem  Langhaus  in  Verbindung  mit  einem  achteckigen  Zen- 
tralbau; ferner  die  drei  Karmeliterkirchen  in  München  (schräg  gegenüber 
der  Dreifaltigkeitskirche),  in  Regensburg  und  in  Würzburg,  die  letztere,  auch 
Reuererkirche,  1662 — i66g  von  Petrini.  Auch  die  späteren  Werke  Petrinis, 
die  hochgelegene  Stephanskirche  in  Bamberg,  1677 — 1680,  und  sein  Haupt- 
werk, die  große  Kirche  des  Stiftes  Haug  in  Würzburg  mit  achteckiger  Kup- 
pel, schließen  sich  dieser  ersten  Gruppe  barocker  Kirchen  an,  denen  endlich 
aus  Westfalen  die  noch  schlichteren  Bauten  der  Franziskanerkirche  in  Pa- 
derborn und  der  Ägidiikirche  in  Münster  zurechnen.  Die  Mehrzahl  dieser 
Kirchen  sind  einschiffig  mit  Kapellennischen,  seltener  dreischiffig.  Die  Ge- 
wölbe sind  teils  noch  kreuzförmig  zwischen  breiten  Gurten  oder  tonnenartig. 
Das  gemeinsame  künstlerische  Merkmal  ist  die  äußerste  Strenge  der  Gliede- 
rung. Sowohl  die  meist  gedoppelten  Pilaster  an  den  Wänden  im  Innern  und 
an  den  Fassaden  im  Äußeren,  als  auch  die  Gesimse  zeigen  harte  schmucklose 
Profile.  In  der  Bildung  dieser  Glieder  wirkt  die  strenge  klassische  Richtung 
der  Renaissance  fort.  An  den  Fassaden  macht  sich  ebenfalls  die  für  die  Re- 
naissance bezeichnende  Vorblendung  der  Pilasterordnung  und  Gesimse  gel- 
tend (Dom  in  Salzburg  [Abb.  37],  Karmeliter  in  Regensburg,  Neun  Engel- 
chöre in  Wien,  St.  Stephan  in  Bamberg,  Observanten  in  Münster).  Die 
Kapitelle  sind  durchgehends  schwer  und  glatt  und  die  Gebälke  ausladend. 
Der  Grundzug  dieser  frühbarocken  Kirchen  ist  der  einer  nüchternen  Klarheit 
und  fast  gewaltsamen  Strenge.  Sie  teilen  diese  Eigenschaften,  wie  hier  vor- 
wegzunehmen ist,  mit  den  gleichzeitigen  Schloßbauten.  In  dieser  unbedingten 
architektonischen  Haltung,  unter  Vermeidung  überflüssigen  Zierats,  stellen 
sich  die  Schöpfungen  des  Frühbarock  von  rund  1650 — 1690  scharf  den  bis 
über  den  Dreißigjährigen  Krieg  hinaus  nachwirkenden  spielerischen  Spät- 
renaissanceformen gegenüber.  Neben  den  zweigeschossigen,  mit  Dreiecks- 
giebel und   Seitenvoluten  bekrönten  Fassaden  nach  dem   Vorbild  des  Gesü 

78 


Abb.  38.     Theatinerkirche  in  München,  von  Barelli,   1663 — 1674 


79 


sind  mehr  deutsch  empfundene  schmale  Fassaden  gebräuchlich,  mit  zwei  Pi- 
lastern  dreigeteilt,  oder  von  zwei  Viereckstürmen  flankiert;  letztere  in  Kemp- 
ten, am  Stift  Haug,  an  der  Wallfahrtskirche  auf  dem  Schönenberg  bei  Ell- 
wangen. Aber  nicht  nur  die  langrechteckige  Kirchenform  der  italienischen 
Renaissance,  auch  der  Zentralbau  hat,  w^enngleich  nur  vereinzelt,  Eingang 
gefunden  (Wallfahrtskirche  in  Telgte  vom  älteren  Pictorius,  Dreifaltigkeits- 
kirche in  Kappel  von  Leonhard  Dientzenhofer,  Mariahilfkirche  in  Freystatt 
von  Viscardi).  Überaus  lehrreich  ist  ein  Vergleich  dieser  ersten  Stufe  des 
deutschen  katholischen  Kirchenbarock  mit  der  gleichzeitigen  protestantischen 
Kirchenbaukunst  im  Norden  Deutschlands.    Doch  davon  später. 

Neben  der  Gruppe  schlichterer  und  provinziellerer  Kirchenbauten  entste- 
hen jetzt  zwei  großartige  und  reicher  ausgestattete  Kirchenbauten  in  der 
Hauptstadt  München  und  in  der  Bischofsresidenz  Passau,  die  beide  von  Ita- 
lienern ausgeführt,  in  der  Tat  die  italienischen  Barockgedanken  in  lebendi- 
gerer Gestalt  auf  deutschem  Boden  verkörpern.  Sie  stellen  also  eine  Fortset- 
zung des  mit  dem  Dom  zu  Salzburg  begonnenen  Weges  dar.  Die  in  München 
in  den  Jahren  von  1663 — 1674  von  Agostino  Barelli  aus  Bologna  für  den 
Kurfürsten  Ferdinand  Maria  und  seine  Gemahlin  Henriette  Adelaide  von 
Savoyen  nach  dem  Muster  derTheatiner-Mutterkirche  in  Rom  erbaute  Thea- 
tinerkirche  St.  Cajetan  zeigt  eine  dem  Dom  in  Salzburg  verwandte  Grundan- 
lage (Abb.  38).  Nur  geht  die  Wirkung  des  hohen  Raumes  und  der  Kuppel 
über  den  noch  renaissancemäßigen  Salzburger  Dom  weit  hinaus.  Die  mäch- 
tigen doppelten  korinthischen  Halbsäulen,  zwischen  den  tiefen,  mit  Durch- 
gängen versehenen  Kapellen,  die  wuchtigen  Gesimse  und  die  reiche  Gliede- 
rung und  Stuckverzierung  der  Tonnengewölbe  machen  den  Eindruck  größe- 
rer Fülle  und  Bewegung.  Diesen  vermittelt  noch  weit  stärker  der  Dom  in 
Passau  (Abb.  39).  Er  ist  nach  1662  von  Lurago  im  Anschluß  an  eine  mittel- 
alterliche Basilika  im  Barockstil  ausgebaut  worden  und  hat  seine  jetzige  Ge- 
stalt nach  einem  Brande  von  1680  durch  I.  B.  Carlone  erhalten.  Die  Drei- 
schiffigkeit  ist  aus  dem  romanischen  Bau  übernommen  worden;  die  Neben- 
Schiffjoche  wurden  mit  Flachkuppeln  überdeckt.  Sie  wirken  im  Gesamtbilde 
kaum  noch  mit.  Beherrschend  und  von  gewaltiger  Wirkung  ist  der  hohe  und 
Vi/eite,  von  mächtigen  korinthischen  Pilastern  flankierte  und  mit  streng  ge- 
gliederten Kuppelgewölben  überdeckte  Raum  des  Mittelschiffs.  In  feier- 
lichem Schritt  leitet  er  zu  dem  kuppelüberwölbten  Querschiff,  hinter  dem 
sich  die  weite  Rundung  des  Chores  majestätisch  öffnet.  Nicht  nur  der  Raum, 
auch  die  Ausschmückung  wird  von  einem  so  großen  einheitlichen  Zuge  be- 
seelt, wie  er  uns  in  den  bisher  genannten  Kirchen  nicht  entfernt  begegnet  ist. 
Zum  erstenmal  tritt  hier  ein  Kennzeichen  des  reifen  Barock  in  Erscheinung,. 

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Abb.  39.    Dom  in  Passau,  von  I.  F.  Carlone  nach  1680  dekoriert 

Schmitz,    iS.Jahrh.     6  8l 


das  uns  in  den  Kirchen  und  in  den  Prachtsälen  der  reifen  Barockarchitektur 
immer  wieder  begegnet :  die  überreiche  Ornamentik  entwickelt  sich  erst  in 
dem  oberen  Teil  des  Gebäudes,  an  den  Kapitellen,  den  Arkadenzwickeln,  an 
den  Gesimsen  und  in  gedrängter  Fülle  an  den  Quergurten  und  Füllungen  der 
;, Tonnengewölbe.  Die  überschüssige  Kraft  sammelt  sich  nach  oben  hin:  ein 
wichtiges  treibendes  Moment  in  dem  Barock.  Ein  verwandtes  Beispiel  aus 
der  Schloßarchitektur  ist  der  gleichzeitige  große  Prachtsaal  im  Palais  des 
Dresdener  Neuen  Gartens.  Es  ist  zu  beachten,  daß  die  plastische  Stuckorna- 
mentik dieser  Barockräume  des  späteren  17.  Jahrhunderts  bei  aller  Üppigkeit 
sich  der  schweren  Pilaster-  und  Gesimsgliederung  ein-  und  unterordnet.  Als 
ein  schönes  Zeugnis  dafür  kann  die  um  1700  von  Christian  Tumb  erbaute 
Stiftskirche  Höfen  bei  Friedrichshafen  (jetzt  Privatbesitz  des  württembergi- 
schen Königshauses)  gelten.  Am  Ausgang  des  Jahrhunderts  hatten  die  ein- 
heimischen Stukkatoren,  namentlich  die  Schule  von  Wessobrunn  in  Ober- 
bayem,  das  schwere  krause  Akanthusornament  des  älteren  Louisquatorze  in 
ihren  Stil  umgebildet.  Sie  haben  zahlreiche  Kirchen  und  Klöster  Oberbayerns 
und  Südschwabens  stuckiert,  und  neben  den  Carlone  und  anderen  Italienern 
eine  ehrenvolle  Stellung  errungen. 

Mit  der  Wende  vom  17.  zum  18.  Jahrhundert  beginnen  die  strengen  und 
rauhen  Formen  des  älteren  Barock  sich  mit  größerer  Wärme  und  stärkerem 
Ausdruck  zu  erfüllen.  Es  tritt  eine  neue  Generation  von  Kirchenbaumeistern 
auf  den  Plan,  in  der  nun  offenbar  den  deutschen  Künstlern  die  führende  Stel- 
lung zugefallen  ist.  Als  die  hervorragendsten  Meister  sind  Johann  Dientzen- 
hofer  in  Bamberg  und  Bernhard  Fischer  von  Erlach  und  Lucas  von  Hilde- 
brand in  Wien  anzusehen.  Für  diese,  wie  für  die  Anfänge  des  reifen  Ba- 
rock auch  in  der  deutschen  Schloßarchitektur,  ist  zu  beachten,  daß  die  füh- 
renden Baumeister  nur  teilweise  an  die  in  Deutschland  heimisch  gewordene 
ältere  Barockschule  anknüpfen.  Von  entscheidendem  Gewicht  ist  das  unmit- 
telbare Studium  dieses  neuen  Geschlechtes  in  Italien,  sei  es  in  Rom  selbst 
oder  in  den  oberitalienischen  Mittelpunkten  der  barocken  Baukunst.  Mit  der 
selbständigen  Erfassung  der  barocken  Baugedanken  an  ihren  Quellen  ver- 
bindet sich  die  wachgewordene  umbildende  eigene  Formenempfindung.  Auf 
die  erste  klärende  und  vorbereitende  Epoche  des  Barock  in  Deutschland  folgt 
nun  die  zweite,  die  Zeit  der  Reife.  Man  vergleiche  einen  Bau  der  älteren 
Schule,  wie  die  Jesuitenkirche  St.  Martin  in  Bamberg  von  Leonhard  Dient- 
zenhofer,  mit  dem  Dom  in  Fulda,  einer  Schöpfung  des  Johann  Dientzenhofer! 
Kurz  nach  seiner  Rückkehr  aus  Rom  hat  der  Meister  im  Jahre  1704  den  Bau 
unter  dem  Fürstabt  Adalbert  von  Schleif  ras  begonnen:  im  Jahre  17 12  wurde 
der  Bau  vollendet  (Abb.  40).  An  die  Stelle  der  nüchternen  Derbheit  des  Mei- 

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Abb.  40.     Dom  in  Fulda,  von  Joh.  Dientzenhofer,   1704 — 1712 

6-  83 


sters  der  älteren  Schule,  wie  sie  der  breite  einschiffige,  von  Kapellennischen 
begleitete  Raum  St.  Martins  zeigt,  ist  in  Fulda  eine  sichere  Abstimmung  des 
Grundrisses  und  des  Aufbaues  getreten.  Das  kurze  tonnenüberwölbte  Mittel- 
schiff steht  in  abgewogenem  Verhältnis  zu  dem  breiten  kurzen  Querschiff,  zu 
dem  Kuppelraum  über  der  Vierung,  zu  dem  gerundeten  Chor  und  auch  zu 
den  kuppelüberwölbten  Nebenschiffen  und  vorderen  Kapellen.  Die  Fähigkeit 
harmonischer  Raumgestaltung  nach  den  Grundsätzen  der  Italiener,  die  Jo- 
hann Dientzenhofer  offenbart,  ist  doppelt  anzuerkennen,  da  die  Maße  des 
Baues,  an  römischen  Verhältnissen  bemessen,  beschränkt  sind.  Die  maßstäb- 
liche Übertragung  räumlicher  Gedanken  in  kleinere  Dimensionen,  ohne  den 
monumentalen  Grundcharakter  zu  beeinträchtigen,  setzt  gewiß  ein  reifes  bau- 
künstlerisches Können  voraus.  Auch  der  figürliche  und  ornamentale  Schmuck 
zeigt  im  Vergleich  mit  den  Dekorationen  etwa  der  Wessobrunner  Stukkato- 
ren  einen  Zug  monumentaler  plastischer  Auffassung.  Er  beschränkt  sich  auf 
große  freiplastische  Figuren,  die  in  Nischen  zwischen  den  Pfeilern  und  im 
Zylinder  der  Kuppel  aufgestellt  sind.  Die  doppelgeschossige  zweitürmige 
Fassade  (Abb.  41)  unterscheidet  sich  durch  die  Verkröpf ung  der  Gesimse, 
durch  die  vorgezogene  Mitte  und  die  organische  Durchdringung  der  Glieder 
scharf  von  den  vorgeblendeten  strengen  Pilasterstellungen  der  älteren  deut- 
schen Kirchenfronten  (vgl.  wieder  St.  Martin  in  Bamberg).  Erst  jetzt  sind 
die  deutschen  Meister  in  die  Kompositionsgedanken  des  italienischen  Barock 
völlig  eingedrungen;  erst  jetzt  begreifen  sie  deren  Wesen,  das  in  der  Ver- 
schmelzung aller  Einzelglieder  zu  einem  auf-  und  abschwellenden  Ganzen  be- 
ruht. Mehr  noch  als  die  Fuldaer  Domfassade  zeigen  das  der  Entwurf  Zuc- 
calis  zur  Münchner  Theatinerkirche  und  die  flach  einwärts  geschweifte  Fas- 
sade der  Neumünsterstiftskirche  in  Würzburg  von  Greising  (oder  Pezzani). 
Deren  Inneres  mit  dem  hohen  achteckigen  Westchor  ist  eine  Fortent- 
wicklung über  Petrinis  Stifthaugkirche.  Johann  Dientzenhofer  hat  sich 
in  seinem  späteren  Hauptwerk,  der  um  17 18  erbauten  Klosterkirche  in  Banz 
bei  Bamberg,  von  der  noch  gebundenen  und  basilikalen  Fuldaer  Grundform 
losgelöst.  Der  einschiffige,  kurze,  mit  fliachrunden  Kapellen  versehene  Raum 
erhält  durch  die  Schrägstellung  der  Pfeiler  und  durch  die  Verschneidung  der 
im  Grundriß  elliptischen  Gewölbe,  wie  durch  die  Schweifung  der  Emporen 
einen  einheitlichen  Zug.  Der  Drang  nach  Freiräumigkeit  ersetzte  die  durch 
Gurten  getrennten  Kreuzgewölbe  und  schmalen  Tonnen  allgemein  durch 
Kuppeln.  Die  im  übrigen  altertümliche  Martinskirche  in  Bamberg  ist 
dafür  eines  der  frühesten  Beispiele.  In  voller  Reife  erscheint  die  Kuppelwöl- 
bung in  der  großartigen  Klosterkirche  von  Weingarten  zwischen  Ulm  und 
Friedrichshafen,  die  um  1720  von  Frisoni  erbaut  wurde.     Auch  der    Zentral- 

84 


Abb.  41.     Dom  in  Fulda,  von  Job.  Dientzenhofer,   1704 — 1712 


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bau  hat  den  Aufschwung  mitgemacht,  wie  z.  B.  die  Dreifaltigkeitskirche 
in  München  von  Viscardi  dartut,  deren  korinthische  Säulenstellungen  noch 
den  Zusammenhang  mit  dem  älteren  Barock  verraten. 

Die  zentralen  Raumgedanken  haben  inzwischen  die  großartigste  Gestal- 
tung erfahren  in  den  Kirchenbauten  Bernhard  Fischer  von  Erlachs  in  Wien. 
Auch  er  hat,  wie  Dientzenhofer,  in  Rom  studiert.  Er  kommt  aus  dem  Kreise 
Carlo  Fontanas.  Seine  Bauten  knüpfen  in  gleichem  Grade  wie  die  des  Dient- 
zenhofer an  die  strenge,  nur  fortgeschrittenere  klassische  Richtung  des  römi- 
schen Barock  an,  während  die  Strömung  des  Borronini  mehr  in  Einzelheiten 
eingewirkt  hat.  Als  Raumschöpfer  aber  läßt  Fischer  den  Dientzenhofer  weit 
hinter  sich  zurück.  Fischer  von  Erlach  und  Schlüter  stehen  da,  fast  unver- 
mittelt emporkommend,  als  die  beiden  größten  deutschen  Genien  am  Eingang 
des  1 8.  Jahrhunderts.  Gleich  eines  der  frühesten  Hauptwerke  Fischers,  die 
mächtige  Kollegiatskirche  in  Salzburg,  überrascht  durch  den  machtvollen, 
fast  zentralen  Kirchenraum  auf  kreuzförmiger  Grundlage  mit  vier  freistehen- 
den Pfeilern.  Ebenbürtig  ist  die  im  Halbrund  herausgebuchtete  Fassade  mit 
dreitoriger  Vorhalle  und  ovalen  Fenstern  darüber,  von  zwei  schweren  kurzen 
Türmen  flankiert  (Abb.  42).  Man  muß  nur  die  strenge  Pilasterverblendung 
des  nahen  Domes  und  dessen  Inneres  vergleichen,  um  zu  erkennen,  welcher 
große  zusammenfassende  Zug  dem  reifen  deutschen  Barock  gegenüber  dem 
frühen  eigen  ist.  Fischer  krönt  sein  Lebenswerk  im  Kirchenbau  mit  der  noch 
gewaltigeren  Raumschöpfung  der  Karlskirche  in  Wien,  die  im  Auftrag  Kai- 
ser Karls  VI.  von  1716 — 1725  erbaut  wurde  (Abb.  36).  In  dem  Wettbewerb 
trug  er  den  Sieg  über  Ferdinando  Galli  Bibiena  davon.  Die  Karlskirche  stellt 
die  höchste  Fortbildung  des  Zentralbaugedankens  mit  ovalem  Mittelraum 
dar,  die  in  Rom  im  17.  Jahrhundert  entwickelt  worden  war.  An  den  ovalen 
Mittelraum  setzen  sich  vier  tonnengewölbte  kurze  Kreuzflügel  und  dazwi- 
schen niedrige  ovale  Kapellen,  die  sich  mit  einer  Arkade  und  Empore  nach 
dem  Mittelraum  öffnen.  Als  Schöpfung  des  reifen  Barock  gestaltet  die 
Karlskirche  den  ovalen  Mittelraum  im  Vergleich  zu  den  Nebenräumen  und 
Kapellen  zu  beherrschender  Höhe  und  Weite  aus.  Der  Gläubige  wird  in  den 
dunkleren  Kapellen  und  Nebenräumen  vorbereitet  auf  den  von  oben  belichteten 
hochsteigenden  Kuppelraum.  Der  Blick  wird  überrascht  und  emporgerissen 
zur  Kuppel,  wo  die  himmlischen  Heerscharen  schweben.  Die  Durchblicke 
steigern  diese  Wirkung.  Und  doch  ein  durch  und  durch  architektonisch  be- 
handeltes Gefüge  mit  strenger  Pilastergliederung  und  sparsamem  plasti- 
schem Schmuck.  Das  Äußere  zeigt  eine  sechssäulige  Tempelvorhalle  korin- 
thischer Ordnung  mit  zwei  freistehenden  Trajanssäulen  davor;  diese  antike 
Baugruppe  bildet  den  Vordergrund  zu  dem  von  zwei  stumpfen  Türmen  be- 

86 


Abb.  42.  Kollegiatskirche  in  Salzburg,  von  Bernh.  Fischer  von  Erlach,  um  1700 


87 


Abb.  43.     Jesuitenkirche  in  Grüßau,  vollendet  um  1740 


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gleiteten  Kuppelbau.  Die  Vermutung,  daß  Fischer  Eindrücke  aus  Rom  wie- 
dergibt —  d.  h.  den  Anblick  antiker  Gebäude  im  Zusammenwirken  mit  dem 
St.  Peter  und  anderen  Kuppelkirchen  —  hat  große  Wahrscheinlichkeit  für 
sich.  Jedenfalls  äußert  sich  hier  wie  in  Fischers  phantastischem  Kupfer- 
-werke  „Entwurf  einer  historischen  Architektur"  die  Neigung  des  deutschen 
Barock  für  die  alte  römische  Herrlichkeit.  Aber  zu  gleicher  Zeit  doch  auch 
die  souveräne  Umsetzung,  die  der  Barock  den  römischen  Formen  zuteil  wer- 
den ließ,  die  uns  schon  anläßlich  der  heroischen  Fürstenbildnisse  beschäftigt 
hat.  Zwei  weitere  bedeutsame  Zentralbauten  der  Wiener  Schule  dieser 
Epoche  sind  die  Peterskirche  dicht  beim  Graben  mit  späterer  Fassade  von 
Altomonte  und  die  ähnliche  Salesianerinnenkirche  links  vom  Belvedere. 

Der  Langhausbau  der  österreichischen  Barockschule  in  der  Zeit  Karls  VI. 
bleibt  hinter  dem  Zentralbau  in  der  Steigerung  der  Freiräumigkeit  nicht  zu- 
rück. Aus  der  kaum  übersehbaren  Fülle  stattlicher  Kloster-,  Wallfahrts-  und 
Pfarrkirchen,  die  nach  dem  Spanischen  Erbfolgekrieg  bis  ans  Ende  der  drei- 
J5iger  Jahre  in  Wien  und  Österreich  entstanden,  ragen  die  Werke  Jakob  Pran- 
dauers  hervor,  so  die  Klosterkirchen  von  Melk  und  Dürnstein.  Ähnlich  wie 
Dientzenhofers  Klosterkirche  in  Banz  haben  diese  einschiffigen,  breiten,  von 
Kapellen  begleiteten  Räume  durch  flache  Schweifung  der  Wände  und  Empo- 
ren ein  bewegteres  einheitlicheres  Raumbild  gewonnen.  Man  schreitet  zu 
immer  weiteren  Kuppelspannungen  fort.  Ein  Glanzstück  ist  die  weite  Mittel- 
kuppel in  Herzogenburg.  Nach  Tirol,  nach  Böhmen,  Mähren,  Schlesien  und 
Ungarn  breitet  sich  der  Wiener  Kirchenstil  aus.  Zu  seinen  Ablegern  gehören 
die  großen  Klosterkirchen  Leubus  und  Grüßau  und  die  Johanneskirche  in 
Liegnitz.  Die  weiten  Kuppelgewölbe  werden  mit  Fresken  geschmückt  — 
auch  für  die  Deckenmalerei  ist  Wien  in  dieser  Zeit  der  Mittelpunkt  des  deut- 
schen Südostens.  Säulenreiche  Altarbauten  füllen  die  Chöre  und  Kapellen. 
Stuckverzierungen,  Bemalung  und  Vergoldung  steigern  die  Wirkung  zu 
einem  einheitlichen  farbigen  Eindruck.  Allein  die  reinen  und  großen  Archi- 
tekturschöpfungen Fischer  von  Erlachs  und  Prandauers  bilden  überragende 
Gipfel  in  einer  großen  Menge  von  Werken,  die  in  der  prunkenden  Ausstat- 
tung ihre  Stärke  suchen.  Besonders  viele  böhmische  und  schlesische  Kirchen- 
bauten des  Barock  vertreten  diesen  schwerfälligen  und  derben  Durchschnitt. 
Im  einzelnen,  in  der  Gesimsbehandlung  des  Inneren  und  des  Äußeren,  strei- 
fen sie  zuweilen  ans  Barbarische,  namentlich  dort,  wo  das  slawische  Volks- 
tum mitwirkt.  Man  würde  den  wahrhaft  schöpferischen  und  gedankenklaren 
Leistungen  der  führenden  Meister  unrecht  tun,  wollte  man  sich  durch  die 
zeitgemäße  Barockbegeisterung  dazu  verleiten  lassen,  nun  all  diesen  in  so  un- 
glaublicher Fruchtbarkeit  entstandenen  Kirchenbauten  einen  monumentalen 

89 


Charakter  beizumessen.   Vieles  ist  eben  nur  Volkskunst,  freilich  gute  und  den 
malerischen  Sinn  erfreuende  Volkskunst. 

Wie  mächtig  jetzt  Deutschland  von  der  barocken  Raumempfiindung  ergrif- 
fen wird,  bezeugen  die  im  ersten  Drittel  des  Jahrhunderts  überall  erfolgenden 
Umwandlungen  des  Inneren  der  mittelalterlichen  Kirchen.  Namentlich  die 
ehrwürdigen  romanischen  Dome  und  Benediktinerkirchen  mußten  zum  tau- 
sendjährigen Jubiläum  der  Stifte  neue  Gewänder  anlegen.  Hier  tritt  nun  der 
Gegensatz  zwischen  der  Raumbildung  des  mittelalterlichen  Stils  und  dem  des 
Barock  in  willkommener  Weise  zutage.  Der  strenge  und  ernste  Rhythmus, 
die  Gebundenheit  der  Gewölbekonstruktion  und  die  enge  Pfeilerstellung  der 
romanischen  Basiliken  mußten  dem  Barock  unerträglich  sein.  In  den  älteren 
Neuausstattungen  um  1700,  die  uns  etwa  die  Dome  von  Passau,  von  Würz- 
burg und  Hildesheim  veranschaulichen,  bleibt  unter  der  Stuckverkleidung 
noch  die  Raumgliederung  des  romanischen  Stils  in  einzelne  Abschnitte  zu 
spüren.  Alsbald  setzt  man  aber  an  die  Stelle  der  flachen  Kassettendecke  und 
der  Kreuzgewölbe  ein  einziges  flaches  Spiegelgewölbe,  das  nur  ein  oder  zwei 
langovale  Bildfelder  erhält.  Die  langgezogenen  geschweiften  Stuckumrah- 
mungen ziehen  unbekümmert  um  die  Stützenstellung  der  Arkaden  dahin. 
Selbstverständlich  wird  jetzt  das  Gewölbe  stets  durch  vorgelegte  Pilaster  ge- 
tragen, wodurch  die  Vereinheitlichung  des  Raumes  gesteigert  wird.  Die  Er- 
weiterung der  Fenster  in  den  Oberwänden  des  Mittelschiffs,  häufig  bis  in  die 
Stichkappen  des  Gewölbes,  leitet  einen  einheitlichen  Lichtstrom  von  oben 
hinein.  Die  glänzendsten  Virtuosen  in  solcher  Neueinkleidung  waren  der 
Maler  Kosmas  Damian  Asam  und  sein  Bruder,  der  Stuckierer  Egid  Quirin 
Asam  in  München.  Sie  wachsen  aus  der  Dekoratorenschule  von  Wessobrunn 
hervor.  Ihre  Hauptschöpfungen  der  genannten  Art,  der  Dom  in  Freising  und 
St.  Emmeram  in  Regensburg,  sind  erstaunliche  Zeugnisse  raumbildender 
Kunst.  Das  Zusammenwirken  des  Malers  und  Stuckierers  kommt  in  erster 
Linie  auch  der  einheitlichen  und  zarten  Farbenwirkung  zugute.  Die  Heilig- 
geistkirche in  München  veranschaulicht  die  Umwandlung  einer  spätgotischen 
Hallenkirche  durch  die  Meister.  Die  Rundsäulen  werden  zu  schlanken  Pfei- 
lern mit  Pilastervorlagen  und  erhalten  aufgelockerte  korinthische  Kapitelle. 
Auf  ihnen  sitzen  hohe,  lebhaft  profilierte  Kämpferstücke  mit  weit  ausladen- 
den Gesimsen  als  Träger  der  schmal  ansetzenden,  dann  spiegelartig  verflach- 
ten, bemalten  und  stuckierten  Gewölbe.  Die  Gebundenheit  des  gotischen  Ge- 
wölbsystems, die  Zerschneidung  der  Gewölbe  durch  die  Stern-  und  Netzfigu- 
ren der  Spätgotik  wird  damit  aufgehoben.  Unter  den  Neuschöpfungen  der 
Gebrüder  Asam  bezeichnet  die  von  ihnen  selbst  errichtete  Johannes  Nepomuk- 
kirche  in  München  1733,  ein  langovaler  Raum,  und  die  runde  Kirche  zu  Wel- 

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Abb.  44.  Johanniskirche  in  München,  von  den  Gebrüdern  Asam,  um  1730.  Fassade 


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Abb.  45.     Johanniskirche  in  München,  von  den  Gebrüdern  Asam,  um   1730.     Chor 


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tenburg  die  letzte  Steigerung  des  malerischen  und  plastischen  Ausdrucks  im 
barocken'Kirchenraum  (Abb.  44  u.  45).  Durch  plastische  Figuren  und  Bauteile 
und  durch  halb  oder  ganz  verdeckte  Lichtquellen  gewinnt  die  Beleuchtung 
dieser  Räume  einen  märchenhaften  Zauber.  Die  Häufung  aller  Glieder,  die 
Schweifung  der  Gesimse  und  der  Wände  und  namentlich  die  Verdeckung  von 
Gewölbansätzen  und  Raumanschlüssen  wirken  mit  der  starken  Vergoldung 
und  Farbengebung  zusammen,  diesen  Räumen  einen  völlig  malerischen  Cha- 
rakter zu  geben.  Die  letzten  Werke  der  Asam  gehören  schon  fast  ganz  dem 
frühen  Rokoko  an. 

Die  Fassaden  und  Türme  der  Kirchen  im  ersten  Jahrhundertdrittel  haben 
den  hier  gezeichneten  Entwicklungsgang  vom  Strengen  zum  plastisch  Be- 
wegten begleitet,  wenn  auch  in  gemäßigter  Weise.  Die  Schweifung  der  Fas- 
saden und  das  stärkere  Vorspringen  der  Säulen,  Pilaster  und  Gesimse  gegen- 
über der  flachen  und  in  einer  Ebene  bleibenden  Front  des  früheren  Barock 
bezeichnen  die  Fassaden  von  Banz,  von  Weingarten,  von  Melk  und  zahl- 
reiche, in  den  dreißiger  Jahren  entstandene  Fassaden  in  Österreich  und  in 
Schlesien.  Eine  der  spätesten,  um  1740  vollendeten  Schöpfungen  ist 
die  zweitürmige  Fassade  der  Kirche  in  Grüßau  in  Schlesien,  über  deren 
schweren  Reichtum  sich  Friedrich  der  Große  während  des  Siebenjährigen 
Krieges  seinem  Vorleser  Katte  gegenüber  ausspricht  (Abb.  43).  Es  scheint, 
als  wenn  Lukas  von  Hildebrand,  Fischer  von  Erlachs  großer  Wiener  Zeitge- 
nosse, zur  Ausbildung  des  so  bezeichnenden  zweitürmigen  schmalen  Fassa- 
dentyps der  österreichischen  Barockkirchen  beigetragen  hat.  Hand  in  Hand 
mit  der  zunehmenden  Schwingung  der  Fronten  und  der  Verkröpfung  der 
Glieder  geht  die  stetig  wachsende  Schweifung,  Einschnürung  und  Schwel- 
lung der  beiden  Turmaufsätze.  Auch  hierfür  bieten  die  österreichischen  Kir- 
chen die  reichste  Fülle  von  Lösungen.  Eine  Schiffahrt  donauabwärts  von 
Linz  nach  Wien  führt  uns  ununterbrochen  an  gelb-  und  weißgetünchten  Klo- 
ster- und  Pfarrkirchen  vorüber,  deren  lustig  geschwungene  Turmhauben  ge- 
radezu ein  Abzeichen  des  alten  glücklichen  Österreichs  sind. 


93 


9.    DER     KATHOLISCHE    KIRCHENBAU    DES    ROKOKO 

In  der  einführenden  Übersicht  über  die  hauptsächlichsten  Stilepochen  der 
deutschen  Kunst  des  1 8.  Jahrhunderts  wurde  darauf  hingewiesen,  daß  eine 
Grenze  zwischen  dem  Barock  und  dem  nachfolgenden  Rokoko  schwer  zu  zie- 
hen ist.  Das  Rokoko  ist  vielmehr,  wie  angedeutet  wurde,  eine  Weiterentwick- 
lung der  in  dem  Barock  wirkenden  Kräfte.  Das  gilt  in  ganz  besonderem 
Maße  von  dem  Kirchenbau.  Die  Mehrzahl  der  Kirchenbaumeister  des  Roko- 
kozeitalters —  mit  anderen  Worten  des  Zeitraums  von  rund  1735  bis  um 
1765  —  gehört  mit  ihren  Frühwerken  noch  zum  Barock.  In  der  Bildung  und 
Gliederung  des  Raumes,  d.  h.  in  den  Grundrissen,  in  dem  Aufbau  und  der 
Wölbungsform  schließen  sie  sich  unmittelbar  an  die  Meister  der  ersten  Ge- 
neration des  18.  Jahrhunderts  an.  Es  ist  auch  schwer  festzulegen,  in  wel- 
chem Zeitpunkt  eine  entscheidende  Änderung  in  diesen  wichtigsten  Bezie- 


94 


Abb.  46.     Hochaltar  in  der  Kirche  in  Diessen  am  Ammersee,  um  1730 


95 


Abb.  47.    Kirche  von  Vierzehnheiligen,  von  Balthasar  Neumann 
Mitte  18.  Jahrhunderts 


96 


Abb.  48.    Vierzehnheiligen,  von  Balthasar  Neumann,  Mitte  18.  Jahrhunderts 


hungen  eintritt.  Wie  eingangs  gesagt,  ist  das  äußere  Merkmal  des  Rokoko- 
stils das  von  Frankreich  übernommene  Rokokoornament,  die  Rocaille,  der 
Schnörkel,  und  nach  deren  ungefährem  Auftreten  in  Deutschland  wird  der 
Beginn  des  neuen  Stils  datiert.  Es  leuchtet  aber  ohne  weiteres  ein,  daß  eine 
von  so  starken  raumbildenden  Faktoren  getragene  Entwicklung  wie  die  des 
deutschen  Kirchenbaues  dieser  Zeit,  nur  in  untergeordnetem  Grade  durch  ein 
neues  Ornament  bestimmt  werden  kann. 

Die  fruchtbarste  Schule  des  Barockzeitalters,  die  österreichische,  ist  auf 
dem  fortgeschrittenen  Standpunkt,  den  sie  in  der  Spätzeit  Karls  VI.  erreicht 
hatte,  im  wesentlichen  während  des  Rokoko  geblieben.    Die  große  Zahl  der 


Schmitz,   18.  Jahrh.     7 


97 


Abb.  49.    Kirche  in  Berg  am  Laim,  von  Joh.  Michael  Fischer,  Mitte  18.  Jahrhunderts 
98 


Wiener  Vorstadtkirchen,  die  unter  Maria  Theresia  erba,ut  wurden,  gehen  in 
dem  weiträumigen,  von  Kapellennischen  begleiteten  Innenraum  und  in  dem 
mit  zwei  Zwiebelhauben  bekrönten  Äußeren  über  die  in  dem  Barock  geschaf- 
fenen Grundzüge  nicht  eigentlich  hinaus.  Die  Meister  Altomonte  und  Johann 
Gerl  und  der  Tiroler  Kirchenbaumeister  Gumpp  stellen  den  Ausklang  der 
großen  Zeit  Fischer  von  Erlachs,  Hildebrands  und  Prandauers  dar. 

Anders  ist  es  in  Bayern,  im  katholischen  Schwaben  und  am  Main.  In  die- 
sen Gauen  beginnt  erst  jetzt,  mit  den  dreißiger  Jahren,  die  Glanzepoche  des 
Kirchenbaues.  Hier  ist  unzweifelhaft  das  endgültige  Ergebnis  eine  Umgestal- 
tung des  Barock,  eine  Durchdringung  der  Barockgedanken  mit  neuem  seeli- 
schen und  formalen  Ausdruck.  Drei  große  Meister  haben  dem  süddeutschen 
Kirchenbau  der  neuen  Generation  Gestalt  gegeben:  der  Franke  Balthasar 
Neumann  in  Würzburg,  ein  dem  Schlüter  und  Fischer  von  Erlach  an  Genie 
gleichkommender  Künstler,  sowie  die  Bayern  Dominikus  Zimmermann  von 
Landshut  und  Johann  Michael  Fischer  in  München. 

Balthasar  Neumann  knüpft  an  die  von  Johann  Dientzenhofer  in  Franken 
ausgebildete  Kirchenbauweise  an.  Seine  früheren  Schöpfungen,  die  1727  für 
die  Grafen  Schönborn  erbaute  Kirche  zu  Wiesentheid,  die  von  ihm  nur  voll- 
endete dreischiffige  Klosterkirche  in  Schönthal  und  namentlich  die  nur  im 
Modell  erhaltene  dreischiffige  basilikale  Abteikirche  von  Münsterschwarzach 
bewahren  noch  die  regelmäßigen  Grundriß-,  Pfeiler-  und  Kuppelformen  des 
Barock.  Der  in  diesen  Bauten  entwickelte  Raumsinn  gelangt  zur  Keife  in 
dem  Jahrzehnt  von  1740 — 1750.  Die  Würzburger  Schloßkapelle  und  die  Kir- 
chen von  Vierzehnheiligen  (Abb.  47)  und  von  Neresheim/)  (Abb.  51)  verdan- 
ken diesem  Jahrzehnt  ihre  Entstehung.  Die  Grundrisse  der  rechteckigen  Bau- 
ten setzen  sich  aus  lauter  Ovalen  zusammen.  An  ein  weites  Mitteloval  schlie- 
ßen sich  bald  quer,  bald  längs  gelagerte  kleinere  Ovale  an.  Aber  dem  Auge 
erscheint  durch  die  Verschneidung  der  auf  freistehenden,  äußerst  schlanken 
Säulen  und  Säulenpaaren  ruhenden  Gurten  und  Gewölbekappen  der  Raum 
als  eine  Einheit.  Eine  Einheit  allerdings  reich  an  stetig  wechselnden  Durch- 
blicken und  Überschneidungen.  Eine  Vereinigung  von  ruhiger  Klarheit  und 
drängender  Bewegung,  wie  sie  nur  auf  den  höchsten  Gipfeln  der  Kunst  ge- 
lingt.   Solche  Gipfel  sind  aber  Vierzehnheiligen  und  Neresheirn. 

Während  Balthasar  Neumann  aus  der  technischen  und  der  Festungsbau- 
kunst heraus  zu  einem  so  großartigen  Baukonstrukteur  heranwuchs,  ging 
Dominikus  Zimmermann  aus  der  südbayerischen  ländlichen  Bau-  und  Stuk- 
katurschule hervor.  Auch  seine  Frühwerke,  z.  B.  die  Kirche  Maria  Mödingen 
bei  Dillingen  (1716 — 1768),  gehören  durch  die  regelmäßigen  Rechtecksab- 
schnitte der  Grundrißteilung  durchaus  zum  Barock.  In  der  um  1730  erbauten 

T  '  99 


Abb.  50.     Kirche  zu  Zwiefalten,  von  Job.  Michael  Fischer,  Mitte  18.  Jahrhunderts 
100 


Wallfahrtskirche  von  Steinhausen,  auf  einsamer  Höhe  vom  Kloster  Schussen- 
ried  errichtet,  und  noch  freier  in  der  Wallfahrtskirche  Wies  beim  Kloster 
Steingaden,  dem  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  geschaffenen  Hauptwerk, 
hat  er  sich  vollständig  von  dieser  Überlieferung  freigemacht.  Diese  Kirchen 
sind  oval  gebildet,  mit  einem  kuppelüberspannten  Mittelraum  auf  frei- 
stehenden Pfeilern  und  den  als  Umgang  für  die  Wallfahrtsprozessionen 
gebildeten  Seitenschiffen.  In  Steinhausen  sind  selbst  die  in  der  Längsachse 
des  Hauptovals  ansetzenden  Räume  der  Vorhalle  und  des  Chores  abgerundet. 
Nicht  nur  das  Innere  mitsamt  den  Pfeilern  und  Gesimsen,  auch  das  Äußere 
des  Baukörpers  nimmt  an  der  Schwingung  teil.  Sogar  die  Fenster  werden  in 
geschweiften  Linien  ausgeschnitten. 

Der  dritte  im  Bunde  und  der  fruchtbarste,  der  Münchner  Stadtbaumeister 
Johann  Michael  Fischer,  knüpft  in  seinem  frühesten  Bau  der  St.  Annakirche 
am  Lechel  in  München  (unfern  des  Nationalmuseums)  noch  an  die  von  Vis- 
cardi  in  der  Dreifaltigkeitskirche  gegebene  zentrale  Raumform  mit  Kapellen- 
nischen an.  Aber  hier  schon  offenbart  sich  in  dem  Eindruck  des  ovalen,  flach- 
überwölbten Raumes  mit  drei  breiten  Nischen  und  halbrund  herausgebuchte- 
tem Chor  ein  Losringen  von  den  regelmäßigen  Linien  des  älteren  Barock. 
Fischer,  dem  über  dreißig  Kirchen  zugeschrieben  werden,  erreicht  den  Gipfel- 
punkt seines  Schaffens  etwa  gleichzeitig  mit  den  beiden  eben  genannten  Mei- 
stern um  1740.  In  der  Mehrzahl  seiner  Kirchen  wird  der  Raum  im  Grundriß 
aus  drei  oder  mehr  fast  kreisförmigen  Ovalen  gebildet,  deren  mittelstes,  an 
Breite  und  Höhe  die  andern  weit  überragend,  den  Eindruck  beherrscht.  Der 
Blick  des  Eintretenden  wird  in  der  Vorhalle  schon  zur  weiten  und  hohen  Mit- 
telkuppel hinangezogen,  aber  dort  nicht  festgehalten,  sondern  an  den  flach- 
runden Nischen  und  abgeschrägten  Wandpfeilern  nach  hinten  geleitet.  Die 
vortretenden  Wände  und  Säulen  verdecken  den  Ansatz  des  dahinter  gelager- 
ten Chores,  die  flachgebogenen  Quergurten  überschneiden  die  hinteren  Kup- 
peln. So  auch  hier  wie  in  Neumanns  Kirchen  Ruhe  und  Bewegung  in  Einem. 
Doch  in  Fischers  Schöpfungen  überwiegt  viel  stärker  noch  die  malerische 
Wirkung;  man  steht  am  Eingang  wie  gebannt  von  einer  Erscheinung.  Im 
Anschaun  des  Raumbildes  ist  man  aller  Wirklichkeit,  aller  Erdenschwere 
entrückt.  Die  wichtigsten  Denkmale  der  reicheren  Grundrißlösung  sind  St. 
Michael  in  Berg  am  Laim,  (Abb.  49),  nur  eine  Stunde  Weg  von  München, 
erbaut  1737  — 1751,  eine  Stiftung  des  Clemens  August  von  Köln,  und  lehrreich 
im  Vergleich  mit  der  frühen  St.  Annakirche  in  der  Stadt  selbst,  großartiger  noch 
die  Kirchen  in  Rott  am  Inn  (175g— 1763),  in  Ottobeuren  und  Altomünster  (1763 
bis  1762).  Der  Eindruck  des  einheitlichen  zusammenfließenden  Raumes  ist 
nicht  sehr  viel  anders  dort,  wo  Fischer  die  Langrechteckform  beibehalten 

lOI 


muß,  wie  etwa  in  den  Klosterkirchen  von  Diessen  am  Ammersee  und  in  Zwie- 
falten  (1737 — 1766;   Abb.  50). 

Um  diese  Gipfelpunkte  der  Kirchenkunst  des  Rokoko  lagern  sich  eine 
Reihe  weiterer  Werke  her,  die  eine  verwandte  Empfindung  aussprechen.  Aus 
der  dem  südlichen  Schwaben  benachbarten  katholischen  Schweiz  ragen  her- 
vor die  Klosterkirche  von  Maria  Einsiedeln  und  die  von  Peter  Thumb  aus 
Konstanz  1756 — 1769  erbaute  Kirche  des  altehrwürdigen  Stiftes  St.  Gallen. 
Das  breite  Mittelschiff  erweitert  sich  in  der  Mitte  zu  einem  ovalen  hohen 
Kuppelraum,  um  den  die  Nebenschiffe  herumgeleitet  sind.  Also  ist  auch  hier 
ein  ähnlicher  Weg  beschritten  wie  in  Bayern  und  Franken,  der  seinen  Aus- 
gang nimmt  von  der  Klosterkirche  in  Weingarten.  Im  südlichen  Schwaben 
stellt  die  Klosterkirche  von  Wiblingen  bei  Ulm  in  der  Verschmelzung  des 
Langhauses  mit  einem  ovalen  Mittelraum  den  Ausklang  der  schwäbischen 
Rokokokunst  im  Anfang  der  siebziger  Jahre  dar.  Wie  die  neuen  Raumgedan- 
ken selbst  das  altheimische  Hallensystem  in  ihrem  Sinne  umgestalten,  das 
veranschaulicht  unübertrefflich  statt  vieler  anderer  Beispiele  die  von  Valen- 
tin Thomann  von  1748 — 1760  erbaute  Peterskirche  in  Mainz.  Die  Gewölbe 
scheinen  auf  den  überschlanken  gegliederten  Pfeilern  zu  schweben  wie  Zelt- 
tücher, die  vom  Winde  hochgetrieben  sind.  Natürlich  drängte  diese  Epoche 
noch  viel  mehr  als  der  Barock  darauf,  den  mittelalterlichen  Kirchen  ihren 
eigenen  Charakter  aufzuprägen.  Ist  in  der  Barocküberkleidung  immer  noch 
das  Grundgerüst  der  mittelalterlichen  Anlage  zu  fühlen,  so  vernichtet  dieses 
der  Rokokomeister  von  Grund  aus.  Aus  der  zwölfeckigen  Klosterkirche  in 
Ettal  wird  ein  Kuppelraum,  dem  durch  die  aus  der  Mauer  herausgeschweifte, 
auf  Säulen  ruhende  Orgelempore  die  in  sich  ruhende  Grundlinie  des  Kreises 
genommen  wird  (vgl.  Abb.  33).  Aus  der  auf  waldiger  Höhe  über  dem  Ammersee 
gelegenen  Wallfahrtskirche  zu  Andechs,  ehemals  einem  langgestreckten  drei- 
schiffigen  Bau  der  Gotik,  wird  durch  Wegbruch  der  Pfeiler  und  durch 
Schweifung  der  Wände  ein  einziger,  aus  drei  hintereinander  gelagerten,  sich 
durchschneidenden  Ovalen  gebildeter  Raum.  Am  erstaunlichsten  enthüllt 
sich  die  Raumkunst  des  Rokoko  in  der  Dominikanerkirche  in  Würzburg 
(jetzt  Augustinerkirche).  Sie  ist  von  Neumann  1744  auf  der  Grundlage  eines 
gotischen  Baues  unter  Beibehaltung  des  Chores  neu  erbaut  worden.  Über- 
raschend ist  der  räumliche  Eindruck,  den  der  schmale  und  langgestreckte 
Raum  des  Mittelschiffs  durch  die  im  Vordergrunde  schräg  aufgestellten  Al- 
tarbauten, wie  durch  die  dem  Blicke  fast  entfliehende  Malerei  und  Stuckde- 
koration der  Decke  erweckt.  Auch  der  reine  Zentralbau,  sei  es  rund  oder 
kreuzförmig,  erhält  einen  der  Zeit  gemäßen  Ausdruck,  wie  das  Käppele  von 
Neumann  in  Würzburg  und  die  nach  seinen  Entwürfen  ausgestattete  Cle- 

102 


Abb.  51.     Kirche  zu  Neresheim,  von  Balthasar  Neumann,  Mitte  18.  Jahrhunderts 

Ausstattung  Louisseize 


103 


menskirche  in  Münster  bekunden,  während  in  der  gleichzeitigen,  nach  Le- 
geais' Entwürfen  erbauten  katholischen  Hedwigskirche  in  Berlin  ein  stren- 
gerer Zug  waltet. 

In  der  Raumkunst  der  süddeutschen  Kirchenbaumeister  des  Rokoko  haben 
wir  einen  der  Höhepunkte  des  Jahrhunderts.  Ja,  in  gewissem  Sinne  verkör- 
pert sich  der  eigentümliche  Grundzug  der  deutschen  Kunst  des  Jahrhunderts 
in  diesen  Schöpfungen  am  reinsten.  Und  das  gilt  vom  Ganzen  wie  vom  Ein- 
zelnen. Den  aufgelockerten,  von  der  Luft  durchspielten  Kapitellen  der  schlan- 
ken Säulen  und  Pilaster  scheinen  Gebälke  und  Decken  eine  federleichte 
Last  geworden.  Die  Gebälke  selbst,  die  hohen  Architrave  und  die  weit  aus- 
ladenden Gesimse  werfen  sich  zugleich  mit  der  Schwingung  der  Wände  vor- 
wärts und  aufwärts.  Sie  werden  verkröpft  und  gebrochen  und  von  herauf- 
rankenden Schnörkeln  überspielt.  Am  stärksten  in  Dominikus  Zimmermanns 
Bauten,  dessen  Bruder,  der  Stukkator  Johann  Zimmermann,  daran  mitwirkte, 
mehr  zusammengehalten  bei  Fischer  und  am  sparsamsten  bei  Neumann,  der 
von  Hause  aus  Konstrukteur  erst  mit  den  vierziger  Jahren  die  üppige  Stuck- 
dekoration von  Oberbayern  übernahm.  Die  oberbayerischen  und  südschwä- 
bischen Kirchen  haben  zugleich  mit  den  architektonischen  Formen  die  des 
Ornamentes  aufs  äußerste  gelockert.  Sie  boten  das  Feld,  auf  dem  die  Stukka- 
turen von  Wessobrunn  jetzt  zur  höchsten  Blüte  gediehen.  Auf  die  Gebrüder 
Asam  folgten  eine  ganze  Reihe  höchst  fruchtbarer  Meister,  die  das  Rocaille- 
ornament  dem  Kirchenbau  in  kongenialer  Weise  dienstbar  machten.  Neben 
Johann  Zimmermann,  dem  Dekorateur  der  Kirche  in  Berg  am  Laim,  ragt  her- 
vor Johann  Michael  Feichtmayer,  der  mit  Georg  Ubelher  und  Franz  Schefller 
die  Klosterkirche  in  Amorbach  ausstattete,  sowie  die  Bauten  Fischers  in 
Diessen,  Rott  am  Inn  und  Ottobeuren  dekorierte.  Mit  der  völligen  Auflö- 
sung der  plastischen  Dekoration  in  den  Rokokoschnörkeln  geht  die  Erleich- 
terung der  Decken  durch  vertiefte  Gemälde  Hand  in  Hand.  Die  Maler  und 
Stukkatoren  greifen  ineinander.  Die  plastischen  Schnörkel,  Engel  und  Hei- 
ligenfiguren fluten  über  den  Bildrand  hinüber,  wie  sie  auch  über  die  Gesimse, 
mit  Wolkenballen  vereinigt,  herauf-  und  herabfließen.  Die  Wände  sind  weiß- 
getüncht, und  Pilaster,  Füllungen  und  Gesimse  sind  durch  helle  Farben,  vor- 
herrschend Blau,  Grün  und  Gelb,  gehoben.  Die  lichte  Farbenstimmung  wird 
durch  die  Führung  des  Lichtes  gesteigert.  Die  oberen  Fenster  sind  meist  hin- 
ter Stichkappen,  Gewölbgurten  und  Gesimsausladungen  verdeckt.  Das  Licht, 
oft  wie  aus  unsichtbaren  Fernen  herkommend,  erfüllt  die  weiten  Räume  mit 
seinem  lebendigen  Odem.  Je  nach  dem  Stande  der  Sonne  sammelt  sich  hier 
milder  Glanz,  dort  weicher  Schatten.  Die  Goldschnörkel  und  Strahlenglorien 
der  Altarbauten  schimmern  in  den  Lichtwellen,  und  wie  in  Feuerfluten  stre- 

104 


ben  Engel  und  Heilige  empor.  Auch  jetzt  drängt,  wie  im  Barock,  aller  pla- 
stische Schmuck  nach  oben.  Aber  am  Rande  der  Decke,  am  untern  Ansatz 
der  Kuppel,  wogt  er  zurück  und  ballt  sich  zusammen.  Da  weitet  das  Gemälde 
den  Blick.  Sehnend  folgt  das  Auge  der  Gläubigen  den  aufwärtsziehenden 
Wolken  und  seligen  Chören  ins  lichte  Himmelsgewölbe  hinein.  Will  man  den 
Genius  der  deutschen  Kunst  des  i8.  Jahrhunderts  verstehen,  so  muß  man  we- 
nigstens einige  Kirchen  der  Art  in  Wirklichkeit  sehen.  Wenn  irgendwo  die 
Photographie  zur  Wiedergabe  von  Raumeindrücken  unfähig  ist,  so  in  diesem 
Falle. 

Der  freien  Entfaltung  des  Rokoko  in  dieser  Gruppe  süddeutscher  Kirchen 
steht  das  Festhalten  an  strengeren  Formen  gegenüber.  Die  Kirchenbauten 
des  Couven  in  Aachen,  wie  die  große  Kuppelkirche  in  Burtscheid,  und  die 
des  Schlaun  im  Münsterschen  haben  allerdings  in  der  Raumgestaltung  die 
Vereinheitlichung  mitgemacht,  dagegen  bleiben  die  plastischen  Formen  in 
der  Bewegung  gemäßigter.  Das  findet  teilweise  seine  Erklärung  darin,  daß 
beide  den  heimischen  Backsteinbau  mit  Sandsteingliedern  weiter  entwik- 
keln,  der  bereits  um  1700  im  Kirchenbau  der  Aachener  Gegend  durch  Meffer- 
datis,  und  im  Münsterschen  durch  Pictorius  und  Lambert  von  Korfey  ausge- 
bildet wurde.  Eigentümlich  ist  die  Stellung  der  Jesuitenkirchen  abseits  des 
Hauptstromes  der  Entwicklung,  an  dem  bezeichnenderweise  der  altheimische 
Benediktinerorden  den  stärksten  Anteil  hat.  Während  die  von  dem  Kurfür- 
sten Philipp  von  der  Pfalz  1712  begonnene  Jesuitenkirche  in  Heidelberg  eine 
Hallenkirche  mit  schweren  Pfeilern  darstellt,  nimmt  die  von  demselben  Für- 
sten 1733  nach  Plänen  Alessandro  Galli  Bibienas  begonnene  große! Mannhei- 
mer Jesuitenkirche  St.  Ignatz  und  Franz  Xaver  die  tonnenüberwölbte  ein- 
schiffige Raumform  mit  Seitenkapellen  auf,  die  das  Hauptschema  des 
17.  Jahrhunderts  gewesen  war.  Auch  die  spätesten,  erst  in  den  sechziger  Jah- 
ren entstehenden  Jesuitenkirchen  in  Büren  (mit  Kuppel  in  der  Mitte,  von 
Roth  aus  Mergentheim)  und  von  Würzburg  (St.  Michael)  und  Mainz  (St.  Ig- 
natz von  I.  P.  Jäger)  nehmen  in  gewissem  Sinne  die  strengen  Formen  der 
Spätrenaissance,  des  Gesü  und  seiner  Tochterkirchen  wieder  auf.  Freilich  ist 
die  Raumbildung  zeitgemäß  erweitert.  Aber  hier  erscheint  —  und  besonders 
in  der  Einzelbehandlung  bereits  eine  bewußte  Abwendung  von  dem  Rokoko 
—  eine  Rückehr  zu  klassischen  Gliedern.  Damit  weisen  diese  Schöpfungen 
des  deutschen  Kirchenbaues  in  die  beginnende  Epoche  des  Frühklassizismus. 
Es  ist  höchst  merkwürdig,  daß  gerade  die  Jesuiten  für  ihre  Kirchen  zuerst 
das  Gewand  des  Aufklärungszeitalters  wählten.  Die  stattlichen  Neubauten 
waren  kaum  beendet,  als  die  Gesellschaft  Jesu,  diese  Hauptträgerin  des  er- 
neuerten Katholizismus,  der  Auflösung  durch  ein  päpstliches  Breve  verfiel. 

105 


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Abb.  52.     Hofkirche  in  Dresden,  von  Chiaveri,  Mitte  18.  Jhh. 


106 


Der  Außenbau  der  Rokokokirchen  folgt  der  Bewegung  des  Inneren,  jedoch 
mit  Einschränkung.  Die  Mitschwingung  der  Außenwände  des  ganzen  Baukör- 
pers erfolgt  nur  stellenweise.  So  bei  den  oberbayerischen  weißverputzten 
Landkirchen  Zimmermanns  und  seiner  Richtung.  Im  allgemeinen  teilt  sich 
die  Bewegung  nur  der  Fassade  und  den  Türmen  mit.  Die  Fassade  von  Vier- 
zehnheiligen veranschaulicht  im  Vergleich  mit  der  der  gegenüberliegenden  Klo- 
sterkirche von  Banz  die  Steigerung  des  plastischen  Ausdrucks  zugleich  mit  dem 
Schwung  der  Formen  (Abb.  47).  Im  ganzen  ist  die  plastische  Kraft  nach  oben 
und  nach  der  Mitte  zusammengedrängt.  Die  mit  beschwörend  erhobenen 
Armen  in  scharfen  Umrissen  auf  dem  gebrochenen  und  verkröpften  Dach- 
gesims stehenden  Heiligenfiguren  und  die  tiefeingeschnürten  Zwiebelhauben 
der  Türme  stellen  den  Ausklang  der  die  Masse  ergreifenden  Bewegung 
gegen  den  Himmel  dar.  Die  freieste  Auflösung  erreicht  in  diesem  Zeitpunkt 
eine  italienische  Kirchenschöpfung  auf  deutschem  Boden,  die  katholische  Hof- 
kirche in  Dresden  (Abb.  52).  Siewurde  von  dem  aus  Warschau  berufenen  Römer 
Gaetano  Chiaveri  für  August  III.  von  Polen  und  Sachsen  erbaut.  Es  ist  die 
letzte  Schöpfung  der  malerischen  Richtung  des  römischen  Barock.  Das  lang- 
ovale, reichgegliederte  und  statuengeschmückte  Gebäude  und  der  zierlich 
durchbrochene  Turm  wirken  mit  der  Kuppel  der  Frauenkirche  zusammen, 
um  das  Dresdener  Stadtbild  zu  dem  schönsten  des  deutschen  18.  Jahrhun- 
derts zu  machen.  Wir  haben  also  die  beachtenswerte  Tatsache,  daß  Deutsch- 
land die  letzte  Entfaltung  der  malerischen  Strömung  auch  des  italienischen 
Barock  ermöglicht  hat.  Diese  durch  Borromini  begründete  Richtung  hat 
entscheidend  mitgewirkt,  die  deutschen  Kirchenbaumeister  des  Rokoko  aus 
dem  strengen  Stil  des  älteren  Barock  herauszuführen.  Es  sind  vorzüglich  die 
ovalen  Grundrißlösungen  des  Borromini  und  seiner  Schule,  die  den  deutschen 
Baumeistern  die  Anregung  dazu  gaben,  sich  von  den  Rechtecksformen  freizu- 
machen. Unstreitig  haben  sie  aber  diese  Gedanken  in  großartigster  Weise 
und  zu  völlig  neuen  Schöpfungen  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  verarbeitet. 

Ein  großer  Teil  der  deutschen  Kirchen  des  Barock  und  Rokoko  sind 
Klosterkirchen.  Ihr  Äußeres  ist  daher  oft  erst  als  Mittelpunkt  und  Bekrö- 
nung  der  weitläufigen  Abtei-  und  Kollegienbauten  voll  zu  würdigen.  Wie 
diese  Kirchen  und  Gebäudegruppen  sich  der  Umgebung  einfügen,  ob  sie  ein- 
gebaut in  die  Straßen  unserer  alten  Städte,  ob  sie  hingelagert  in  weiten 
Flußtälern  oder  auf  waldigen  Bergrücken  aufwachsen:  darin  offenbart  sich 
der  starke  innere  Zusammenhang  der  künstlerischen  Kultur  des  Katholizis- 
mus mit  dem  deutschen  Boden  und  dem  deutschen  Volkstum  im  18.  Jahr- 
hundert. 


107 


10.   DER    PROTESTANTISMUS    DES    i8.  JAHRHUNDERTS 

IN    DEUTSCHLAND 


Das  1 8.  Jahrhundert  ist  auch  eine  Blütezeit  des  protestantischen  Kirchen- 
baues in  Deutschland  gewesen.  An  Glanz  und  Fruchtbarkeit,  an  Fülle  be- 
deutender Schöpfungen  kann  dieser  sich  zwar  mit  dem  katholischen  des 
Barock  und  Rokoko  nicht  vergleichen.  Aber  er  hat  eine  innere  und  eigen- 
tümliche Bedeutung,  die  in  einer  Schilderung  des  deutschen  i8.  Jahrhunderts 
eine  besondere  Besprechung  fordert. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  zuerst  in  Kürze  seine  historischen  und  geisti- 
gen Grundlagen. 

Das  Bild  der  deutschen  Geistesbildung  des  Barock  und  Rokoko  wird  be- 
zeichnet durch  die  Scheidung  in  die  katholischen  und  protestantischen  Ge- 
biete. So  schweres  Unheil  die  Religionsspaltung  in  dem  Dreißigjährigen 
Kriege  über  unser  Vaterland  gebracht  hat:  so  unermeßlich  ist  das  Leben 
unseres  Volkes  später  dadurch  bereichert  worden.  Und  wie  sich  in  der  zwei- 
ten Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  der  wieder  befestigte  Katholizismus  ver- 
jüngt und  gekräftigt  erhob  und  die  Kultur  der  ihm  treugebliebenen  Land- 
schaften belebte,  so  gewann  jetzt  auch  der  Protestantismus  neue  Kräfte,  die 
das  geistige  Wesen  des  evangelischen  Deutschlands  durchdrangen  und  be- 
fruchteten. Entscheidend  tritt  auch  hier  eine  positive  glaubensfreudige  und 
tatfrohe  Richtung  in  den  Vordergrund.  Mit  der  Vertiefung  des  religiösen 
Lebens  verbindet  sich  die  Ausprägung  fester  Formen.  Die  Predigt  gewinnt 
einen  hohen  Schwung.  In  Leipzig,  in  Halle,  in  Berlin,  in  Hamburg  und 
Königsberg  entstehen  geradezu  Schulen  trefflicher  Kanzelredner.  Aufs 
großartigste  entfaltet  sich  die  geistige  Macht  des  evangelischen  Glaubens  in 
dem  Orgelspiel.  Namentlich  in  den  Hansestädten,  in  Lübeck  (Buxtehude),  in 
Hamburg  (Reincken)  und  in  den  thüringisch-sächsischen  Gebieten,  in  den 
Stammlanden  des  Protestantismus,  kommen  hervorragende  Organisten  auf. 
Im  ersten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts  erhebt  sich  mit  Johann  Sebastian 
Bach,  der  einer  alten  Organistenfamilie  in  Eisenach  entsproß,  die  protestan- 
tische Kirchenmusik  auf  den  Höhepunkt.  Unbedingt  mußte  doch  die  sich 
darin  offenbarende  rhythmische  Seelenkraft  auch  in  dem  Kirchenbau  gestal- 
tend wirken.    Die  äußeren  und  die  inneren  Bedingnisse  liegen  allerdings  an- 

108 


ders  und  zunächst  weniger  günstig  als  auf  katholischer  Seite.  Der  Prote- 
stantismus trug  gerade  im  Gegensatz  zum  Katholizismus  in  sich  einen  Kern 
des  nach  innen  gerichteten  Denkens,  der  dem  sinnlichen  Ausdruck  und  dem 
schönen  Schein  entgegen  war.  Verständigkeit  und  Sachlichkeit  suchen  sich 
neben  dem  Gefühl  in  einem  Grade  zu  behaupten,  der  dem  Katholizismus 
fremd  ist.  Diesen  Gegensatz,  der  für  die  verschiedenartige  künstlerische  Ge- 
staltung der  beiden  Konfessionen  so  bedeutsam  ist,  hat  wiederum  Ranke 
trefflich  gekennzeichnet.  „In  dem  Katholizismus  war  nicht  jene  Energie  der 
ausschließenden  Dogmatik,  die  den  Protestantismus  beherrschte;  es  gab 
wichtige  Streitfragen,  welche  man  (in  dem  Katholizismus)  unausgemacht 
ließ :  Enthusiasmus,  Mystik  und  die  tiefere,  nicht  bis  zur  Klarheit  des  Gedan- 
kens durchzubildende  Sinnesweise,  die  sich  aus  religiösen  Tendenzen  von 
Zeit  zu  Zeit  immer  wieder  erheben  muß,  ward  von  dem  Katholizismus  in  sich 
aufgenommen,  geregelt,  in  den  Formen  klösterlicher  Asketik  dienstbar  ge- 
macht, von  dem  Protestantismus  dagegen  zurückgewiesen,  verdammt  und 
ausgestoßen.  Eben  darum  brach  denn  auch  unter  den  Protestanten  eine 
solche  Gesinnung,  sich  selbst  überlassen,  in  mancherlei  Sekten  hervor  und 
suchte  sich  einseitig  aber  frei  eigene  Bahnen."  Indessen  muß  uns  gerade  das 
dennoch  von  dem  Protestantismus  auf  dem  Felde  des  Kirchenbaues  Geschaf- 
fene doppelt  interessieren.  Indem  er  das  Gotteshaus  aus  seinen  sachlichen 
Bedürfnissen  ganz  neu  bilden  mußte:  so  wurde  er  von  vornherein  mehr  auf 
die  selbständige  Gestaltungskraft  gewiesen.  Es  war  ihm  die  klare  Aufgabe 
gestellt,  einen  Raum  zu  schaffen,  wo  der  Prediger  von  der  ganzen  Gemeinde 
gehört  und  gesehen  wurde  und  wo  er  mit  ihr  das  Abendmahl  nahm,  einen 
Raum,  der  dem  Gemeindegesang  und  Orgelspiel  eine  gute  Akustik  bot.  Auf 
den  reichausgestatteten  Chor  und  die  Kapellen  mit  den  Altären  konnte  der 
Protestantismus  verzichten.  Der  lutherische  Gottesdienst  gestattete  aller- 
dings eine  reichere  Ausschmückung  der  Kanzel,  der  Orgel  und  des  Altares; 
eine  beliebte  Lösung  war  die  Vereinigung  aller  drei  zu  einer  Gruppe.  Auch 
ließ  er  die  Errichtung  von  Grabmälern  usw.  zu,  wie  uns  die  Hansastädte 
zeigen,  deren  protestantisch  gewordene  gotische  Hallenkirchen  sich  mit  Epi- 
taphien, Familienkapellen  und  Gestühlen  füllen.  Stellenweise  gewinnt  im 
Anfang  des  Jahrhunderts  selbst  der  pathetische  Prunk  der  Zeit  Eingang  in 
die  lutherischen  Gotteshäuser.  Grundsätzlich  ablehnend  gegen  jede  an  den 
Katholizismus  erinnernde  Ausstattung  bleiben  dagegen  die  Reformierten 
und  die  Kalvinisten.  Das  Gepräge  nüchterner  Verständigkeit  ist  ihrem  Kir- 
chenbau wie  ihrer  ganzen  Denkweise  gemein.  Für  sie,  denen  das  Abendmahl 
nur  eine  symbolische  Handlung,  eine  Erinnerung  an  das  Opfer  Christi,  ohne 
dessen  Gegenwart,  bedeutet,  ist  die  Kirche  ausgesprochenermaßen  Versamm- 

109 


lungsort  der  Gemeinde.  Die  Presbyterial-  und  Synodal-Verfassung  der  re- 
formierten Kirche  gab  dieser  das  schärfste  demokratische  Gepräge.  Zweifel- 
los liegen  darin  Züge,  die  aus  dem  Gesamtbilde  der  Kultur  des  i8.  Jahrhun- 
derts in  Deutschland,  wie  es  bis  hierher  gezeichnet  worden  ist,  herausfallen. 
Das  reformierte  Bekenntnis  wurde  bezeichnenderweise  durch  die  gewerb- 
fleißigen  Hugenotten  und  Niederländer  vertreten,  und  findet  besonderen  An- 
klang in  den  industriereichen  Gegenden  des  Bergischen  Landes,  der  Pfalz 
usw.  Sinnesverwandt  sind  die  ebenfalls  so  arbeitsamen  und  geschickten  böh- 
mischen und  mährischen  Brüder,  die  Sozinianer  und  Herrnhuter,  denen  be- 
sonders die  Hohenzollern  ihren  Schutz  gewährten,  sowie  die  Mennoniten,  die 
sich  in  Altena  ansiedelten. 

Für  die  Vertiefung  des  religiösen  Empfindens  im  Protestantismus  des 
Barock  ist  die  bezeichnendste  Erscheinung  der  Pietismus.  Der  Begründer 
dieser  auf  Beseelung  des  Glaubenslebens  und  auf  Durchdringung  mit  den 
Gedanken  sozialer  Arbeit  gerichteten  Strömung  war  Spener,  der  in  Frank- 
furt, in  Halle  und  Berlin  predigte.  Sein  Schüler  August  Hermann  Franke 
begründete  um  1700  das  Hallesche  Waisenhaus,  die  große  Erziehungs-, 
Bibel-  und  Missionsanstalt,  die  von  weitreichendem  Segen  für  das  religiöse 
Leben  des  Bürgertums  in  Preußen  wurde.  Allerdings  suchte  die  orthodoxe 
Theologie  die  hier  und  anderwärts  so  zahlreich  ans  Licht  dringenden  Son- 
derbestrebungen zu  unterdrücken.  Ihre  Gegnerschaft  erfuhr  auch  Leib- 
nizens  Plan  einer  Vereinigung  der  evangelischen  Kirchen  mit  der  katho- 
lischen. Sie  vermochte  den  strenggläubigen  Friedrich  Wilhelm  I.  zur  Ab- 
setzung des  Philosophen  Wolf  von  seiner  Professur  in  Halle  zu  bewegen. 

Der  Schwerpunkt  des  geistigen  und  künstlerischen  Lebens  im  Protestan- 
tismus liegt  in  Mittel-  und  in  Norddeutschland.  Die  von  dem  Süden  Deutsch- 
lands abweichenden  Charakterzüge  wirken  natürlich  bei  der  Ausprägung 
der  protestantischen  Kirchenkunst  entscheidend  mit.  Der  engen  Verbindung 
der  süddeutschen  Kirchenkunst  mit  Rom  und  Italien  steht  im  Norden  die- 
jenige mit  dem  reformierten  Frankreich  und  Holland  gegenüber.  Der  prote- 
stantische deutsche  Norden  tritt  damit  in  Fühlung  mit  dem  großen  Kultur- 
kreis der  Küsten  der  Ostsee  und  der  Nordsee.  Die  vorwiegend  bürgerliche 
Grundrichtung  des  Protestantismus  verknüpft  insbesondere  die  Handels- 
und Industriekreise  der  Städte  Norddeutschlands  mit  den  Niederlanden  und 
mit  England.  Ja,  es  spinnen  sich  bereits  auch  durch  die  Auswanderungen 
Beziehungen  mit  dem  angelsächsischen  Nordamerika  an.  Die  äußeren  und 
inneren  Umstände  bewirkten  in  dem  protestantischen  Deutschland  auch,  ab- 
gesehen von  der  Religion,  eine  in  vielen  Beziehungen  von  den  katholischen 
Landschaften  abweichende   Geistesentwicklung.    Die   Möglichkeit   der   Ent- 

IIO 


Abb.  53.    Dreifaltigkeitskirche  in  Berlin,  Ende  der  dreißiger  Jahre  des   18.  Jahrh. 


III 


faltung  des  nationalen  Denkens  war  an  sich  eine  größere,  da  der  Gottesdienst 
in  der  Landessprache  gehalten  wurde.  In  der  Lutherischen  Bibelübersetzung 
und  dem  evangelischen  Gesangbuch  besaß  das  evangelische  Bürgerhaus  zu- 
gleich einen  unerschöpflichen  Born  der  deutschen  Sprache.  War  doch  mit  der 
Bibelübersetzung  die  neuhochdeutsche  Sprache  erst  erwachsen.  Zieht  man 
in  Betracht,  daß  die  Bibel  und  das  Gesangbuch  fast  durch  das  ganze  1 8.  Jahr- 
hundert hindurch  die  einzigen  Bücher  des  werktätigen  deutschen  Bürger- 
und Bauernhauses  waren,  so  leuchtet  die  bedeutende  Rolle  ein,  die  diesen 
Büchern  für  das  spätere  Emporkommen  des  deutschen  Schrifttums  zu- 
kommt. Allerdings  ist  es  bezeichnend  für  den  geringen  Gehalt  künstlerischer 
Bildgestaltung  in  dem  Protestantismus  des  i8.  Jahrhunderts,  daß  die  Bibel- 
illustration auf  die  tiefste  Stufe  sank.  Sie  zehrte  an  dem  Schatz  des  1 5.  Jahr- 
hunderts, soweit  Holzschnitt  und  Kupferstich  in  Frage  kommen.  Die  reli- 
giöse Ölmalerei  kommt  über  eine  leere  Nachahmung  der  Niederländer  aus 
den  Zeiten  Rembrandts  kaum  hinaus. 

Während  der  Katholizismus  im  i8.  Jahrhundert  die  Gefühlsseiten  unseres 
Volkes,  insbesondere  in  der  Musik  und  der  Raumkunst,  aufs  herrlichste  be- 
fruchtet hat,  wirkte  der  Protestantismus  auf  die  Entfesselung  des  geistigen 
Lebens  positiv  ein.  Seine  Verdienste  sind  darin  vielleicht  noch  größer  in 
mittelbarer  Hinsicht,  negativ,  indem  er  in  höherem  Grade  das  persönliche 
Denken,  Empfinden  und  Forschen  begünstigte.  Daher  der  Aufschwung  des 
philosophischen  Geistes  von  Leibniz  bis  Kant  und  der  des  dichterischen  Gei- 
stes in  der  zweiten  Hälfte  des  i8.  Jahrhunderts,  der  in  der  Hauptsache  auf 
das  protestantische  Nord-  und  Mitteldeutschland  beschränkt  blieb.  Selbst  die 
großen  süddeutschen  Dichter,  Wieland,  Goethe  und  Schiller,  gingen  aus 
protestantischen  Familien  hervor.  Es  ist  da  auch  die  protestantische  Nord- 
schweiz mit  Haller  und  Bodmer  zu  nennen,  während  ja  die  katholischen 
Stände  mit  dem  katholischen  Schwaben  zusammen  eine  hohe  Blüte  der 
barocken  Kirchenbaukunst  erlebten.  Das  Herzogtum  Württemberg  und  die 
protestantischen  Markgrafschaften  Baden-Durlach,  Ansbach-Bayreuth,  die 
Landgrafschaft  Hessen-Darmstadt  sowie  die  Reichsstädte,  voran  Ulm,  Nürn- 
berg und  Frankfurt,  sind  nicht  zu  vergessende  Enklaven  des  evangelischen 
Lebens  inmitten  des  katholischen  Südens  und  haben  auch  für  den  protestan- 
tischen Kirchenbau  eine  gewisse  Bedeutung. 


II.   DER    PROTESTANTISCHE   KIRCHENBAU 

Die  Anfänge  des  protestantischen  Kirchenbaues  Deutschlands  liegen  be- 
reits in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts.  Die  evangelische  Predigt- 
und  Gemeindekirche  findet  ihre  erste  eigene  Lösung  in  der  gleichen  Epoche, 
die  dem  katholischen  Kirchenbau  der  Gegenreformation  neues  Leben  gab.  Es 
ist  überaus  bezeichnend,  daß  die  deutschen  protestantischen  Kirchen  dieser 
ersten  Stufe  Gedanken  aufnehmen,  die  im  deutschen  Kirchenbau  der  Spät- 
gotik ausgebildet  waren.  So  sind  die  großen  Kirchen  von  Wolfenbüttel  und 
Bückeburg  und  die  erste  St.  Michaelskirche  in  Hamburg  (164g — 1651)  als 
Hallenkirchen  mit  Kreuzgewölben  auf  Rundpfeilern  gebildet.  Die  von  dem 
v/ürttembergischen  Baumeister  Schickhart  errichtete  einschiffige,  im  rech- 
ten Winkel  gebaute  Kirche  in  Freudenstadt  ist  sogar  mit  gotischen  Netzge- 
wölben überdeckt.  Der  einschiffige  rechteckige  Raum  wurde  in  der  Zeit  nach 
dem  Dreißigjährigen  Kriege  die  gebräuchlichste  Form  der  protestantischen 
Kirche.  So  kunstlos  er  ist,  so  bot  er  den  Bedürfnissen  der  Predigt,  des  Ge- 
meindegesanges und  des  Orgelspiels  Befriedigung,  wobei  die  Stellung  der 
Kanzel  in  der  Mitte  der  Längsachse  und  die  Herumgruppierung  der  Kirchen- 
bänke eine  beliebte  Lösung  war.  Diese  Fassung  schlägt  auch  der  Ulmer 
Stadtbaumeister  Furttenbach  in  einer  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  er- 
schienenen Schrift  als  die  beste,  namentlich  für  unbemittelte  und  ländliche  Ge- 
meinden, vor.  Die  Altstädterkirche  in  Erlangen  und  die  Kreuzkirche  in 
Augsburg,  vorzüglich  die  Katharinenkirche  in  Frankfurt  am  Main  von  dem 
Stadtbaumeister  Melchior  Hessler,  sind  einige  Beispiele  der  Jahrzehnte 
nach  dem  Kriege.  Der  klare  und  wohlräumige  Raum  der  Frankfurter  Katha- 
rinenkirche mit  flachen  Kreuzgewölben  und  gotischen  Fenstergliederungen 
ist  ein  Zeugnis  der  selbständig  formenden  Kraft  des  deutschen  Protestan- 
tismus, die  auf  andere  Weise  gleichzeitig  in  den  Kirchenliedern  des  Paul 
Gerhardt  und  der  geistlichen  Dichter  zutage  tritt.  Vergegenwärtige  man  sich 
nur,  daß  mit  der  Reihe  der  eben  aufgezählten  protestantischen  Kirchen 
gleichlaufen  im  katholischen  Deutschland  die  Michaelskirche  in  München, 
der  Dom  in  Salzburg,  die  Theatinerkirche  in  München  und  der  Dom  in 
Passau:  Wie  tritt  uns  in  diesen  nebeneinander  hergehenden  Erscheinungen 

Schmitz,   18.  Jahrh.     8  II3 


der  tiefgehende  Unterschied  zwischen  den  beiden  religiösen  Hauptrichtun- 
gen Deutschlands  vor  Augen!  Wie  bedeutsam  insbesondere  die  bodenstän- 
digen praktischen  Grundlagen  im  protestantischen  und  die  italienischen  im 
katholischen  Kirchenbau! 

Allein  die  Fortentwicklung  des  protestantischen  Kirchenbaues  im  Sinne 
des  Barock  erfolgte  nun  keineswegs  aus  eigener  Kraft,  sondern  durch  mäch- 
tige, von  dem  westlichen  Protestantismus,  von  dem  reformierten  Frank- 
reich und  Holland  ausgehende  Anregungen.  In  Frankreich  hatte  de  Brosse 
und  in  den  Niederlanden  hatten  Hendrik  de  Kaiser  und  vollends  Hendrik 
Dankerts  in  Amsterdam  während  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
dem  evangelischen  Kirchenbau  eine  höhere  Kunstform  aufgeprägt.  Sie  haben 
der  um  Kanzel  und  Altar  gruppierten  Gemeindeversammlung  in  dem  Zen- 
tralbau die  geeignetste  Behausung  gegeben.  Die  hauptsächlichsten  der 
um  einen  Mittelpunkt  geordneten  Grundrisse  sind  das  Sechs-  und  Achteck, 
der  reine  Kreis  und,  namentlich  bei  stattlicheren  Kirchen,  das  griechische 
Kreuz,  beziehungsweise  ein  zentraler  Mittelraum  mit  ganz  kurzen  gleich- 
langen Armen.  Diese  Arme  boten  teilweise  den  Platz  für  Altar  und  Orgel, 
teilweise  für  die  Treppen  zu  den  Emporen.  Die  meist  in  Holz  ausgeführten 
galerieartigen  Emporen,  die  schon  in  den  älteren  protestantischen  Kirchen 
zu  Hause  waren,  hatten  in  dem  hohen  Zentralbau  die  beste  Möglichkeit,  sich 
in  Geschossen  übereinander  zu  entwickeln.  Die  Hauptträger  der  neuen  Kir- 
chenlösungen sind  natürlicherweise  die  nach  Deutschland  auswandernden 
Protestanten  aus  Frankreich  und  den  Niederlanden.  Schon  im  Jahre  1622 
wird  die  achteckige  reformierte  Kirche  in  Hanau  von  vertriebenen  Nieder- 
ländern erbaut.  Im  Jahre  1654  wird  ihr  eine  weit  größere,  im  Zwölf  eck  ge- 
brochene Kirche  von  den  reformierten  Wallonen  hinzugefügt.  Beide  Kirchen 
sind  mit  riesigen  steilen  Schieferdächern  bedeckt.  Als  kreuzförmige  Kirchen 
gehen  zeitlich  voran  die  1643  begonnene  reformierte  neue  Kirche  in  Emden 
und  die  1662  erbaute  in  Kissenbrück  in  Braunschweig.  Im  Achteck  sind  die 
französische  Kirche  in  Kassel  vom  ältesten  Dury,  die  kleine  Kirche  beim 
Schlosse  Oranienbaum  in  Dessau  und  die  in  Malberg  bei  Karlsruhe  aus  dem 
letzten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts.  Geradezu  eine  Nachblüte  erlebt  die  hol- 
ländische Kirchenbauschule  in  Brandenburg-Preußen  um  1700.  Die  reichere 
Kreuzform,  teilweise  mit  dreieckig  oder  fünfeckig  gebrochenen  Abschlüssen, 
v/ird  hier  fortgebildet.  In  Zerbst  in  Anhalt,  südlich  von  Berlin  erbaut  Cornelisz 
Ryckwaerts  die  Dreifaltigkeitskirche  im  Jahre  1683.  Die  wahrscheinlich 
von  Nehring  seit  1690  erbaute  reformierte  Burgkirche  in  Königsberg  in 
Preußen,  mit  doppelten,  fünfeckig  gebrochenen  Querarmen,  ist  eine  Nach- 
bildung der  neuen  Kirche  im  Haag.    Formverwandt  ist  die  von  Nehring  be- 

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Abb.  54.     Aufriß  der  evangelischen  Kirche  in  Buch,  von  Wiesend,  um   1730 


115 


gonnene,  von  Grünberg  weitergeführte  Parochialkirche  an  der  Klosterstraße 
in  Berlin  —  noch  ohne  den  Turm  —  ein  griechisches  Kreuz  mit  dreiseitigen 
Abschlüssen.  Vereinfachungen  stellen  zwei  von  Grünberg  erbaute  Kirchen 
dar:  die  kreuzförmige  Johanneskirche  in  Dessau  und  die  neue,  um  1700  er- 
baute Kirche  auf  dem  Gendarmenmarkt  in  Berlin  in  Fünfecksform.  Kreuz- 
kirchen sind  ferner  die  von  dem  Markgrafen  Georg  Wilhelm  erbaute  Ordens- 
kirche in  der  Vorstadt  St.  Georgen  bei  Bayreuth  (1705 — 1718),  die  1708 
begonnene  Nikolai  kirche  in  Schwerin  von  dem  Ingenieur  Runz  und  die 
schlesischen  Gnadenkirchen  in  Hirschberg  und  Landeshut  mit  ringsum  lau- 
fenden Holzemporen.  Sie  sind  infolge  der  von  Karl  XII.  mit  Kaiser  Joseph  I. 
im  Jahre  1706  getroffenen  Konvention  von  Altranstädt  errichtet  worden 
und  schließen  sich  der  St.  Katharinenkirche  in  Stockholm  an.  Der  schwe- 
dische Kirchenbau  steht  wiederum  in  Fühlung  mit  dem  holländischen;  des- 
gleichen der  dänische.  Von  Kopenhagen  verbreiten  sich  die  Zentral- 
kirchen, so  auch  die  Kreuzanlagen  durch  das  zugehörige  Schleswig-Holstein 
nach  Altona  und  Hamburg. 

Der  protestantische  Kirchenbau  im  letzten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts 
geht  in  künstlerischer  Hinsicht  selbstverständlich  unmittelbar  zusammen  mit 
dem  gleichzeitigen  Schloßbau  Norddeutschlands,  da  es  doch  überwiegend  die 
gleichen  holländischen  und  französischen  Baumeister  und  Kupferwerke  sind, 
auf  denen  beide  beruhen.  Aber  es  verbinden  ihn  wenigstens  geistesverwandte 
Züge  auch  mit  dem  katholischen  Kirchenbau  Süddeutschlands  in  der  gleichen 
Epoche.  Das  ist  die  durchgehende  architektonische  Strenge  im  Grundriß  und 
im  Aufbau,  die,  wie  man  sich  erinnert,  bereits  als  Merkmal  der  katho- 
lischen Kirchen  des  deutschen  Frühbarock  zu  beobachten  ist.  Die  prote- 
stantischen Kirchen  gehen  diesbezüglich  freilich  sehr  viel  weiter.  Nicht  nur 
die  Grundrisse,  auch  der  Aufbau  hält  sich  in  klaren  mathematischen  For- 
men. Langgezogene  Fenster  und  flache  Mauerstreifen  bilden  meist  die  ein- 
zige Belebung  der  Außenwände.  Dem  entspricht  die  einfache  Behandlung 
des  Inneren  mit  flacher  Decke  oder  hölzernem  Gewölbe;  Altar,  Kanzel 
und  Emporen  von  größter  Schlichtheit  und  alles  geweißt.  Es  steckt  in  dieser 
Kunst  ein  Zug  der  Sachlichkeit,  der  sie  den  Baumeistern  unserer  Zeit  zum 
eifrigsten  Studium  empfiehlt.  Zumal  die  einfachen  Putzbauten  der  Dorf- 
siedlungen Friedrichs  III.  und  Friedrich  Wilhelms  I.  in  der  Mark  Branden- 
burg und  die  Backsteinbauten  der  Städte  und  Dörfer  Schleswig-Holsteins. 
Die  Kirchenbaukunst  der  norddeutsch-hoUändisch-hugenottischen  Schule  ist 
nicht  weniger  von  klaren  sinnlichen  Raumvorstellungen  erfüllt,  als  die  der 
italienisch-süddeutschen,  nur  sind  sie  anderer  Art.  Eine  mehr  theoretische 
Bedeutung   haben  die   um   1710   erschienenen    Kirchenentwürfe   des   Mathe- 

116 


matikarchitekten  Leonhard  Sturm,  eines  Schülers  des  Mathematikers  Gold- 
mann an  der  Universität  Leiden.  Doch  haben  die  Entwürfe  des  in  Frank- 
furt an  der  Oder,  in  Berlin,  in  Mecklenburg  und  in  Braunschweig  tätigen 
Sturm  auf  die  weitere  Entwicklung  des  protestantischen  Kirchenbaues  ge- 
ringen Einfluß  gehabt.  Dieser  beginnt  eben  jetzt  —  also  wenig  später  als  der 
katholische  Kirchenbau  —  die  gewonnenen  strengen  Grundformen  mit  grö- 
ßerer Wärme  zu  durchdringen,  und  da  ist  es  gerade  die  Kreuzkirche,  gegen 
die  sich  Sturms  errechnete  Vorschläge  wenden,  die  der  Gegenstand  reicherer 
Durchbildung  wird. 

Drei  Hauptsitze  des  evangelischen  Lebens  werden  jetzt  Mittelpunkte  des 
protestantischen  Kirchenbaues  in  der  Reifezeit  des  Barock :  Berlin  unter  dem 
tiefgläubigen  Friedrich  Wilhelm  I.,  Dresden  und  Hamburg-Altona  mit 
Schleswig-Holstein.  Ein  vierter  Mittelpunkt  ist  das  Bergische  Land  mit 
Barmen  und  Elberfeld  als  den  wichtigsten  Städten.  In  Berlin  bezeichnen 
den  Übergang  von  den  älteren  Formen  die  Garnisonkirche  und  die  Jerusa- 
lemerkirche  von  Gerlach,  in  Potsdam  die  Heiliggeistkirche  von  la  Gayette. 
Den  Höhepunkt  stellen  dar  die  in  den  dreißiger  Jahren  entstandenen  Bauten 
der  Garnisonkirche  in  Potsdam  von  Gerlach  (Abb.  57),  der  im  Jahre  1809 
durch  Brand  zerstörten  großen  Petrikirche  von  Gerlach  und  Grael  (1730), 
sowie  der  beiden  kreisrunden,  mit  kurzen  Kreuzarmen  versehenen  Kirchen 
an  der  Mauerstraße:  die  Dreifaltigkeitskirche  (Abb.  53)  und  die  Böhmische 
Kirche  (Abb.  55).  Die  Potsdamer  Garnisonkirche  in  Kreuzform  und  ebenso  die 
Berliner  Dreifaltigkeitskirche  in  Kreisform,  beide  mit  Emporen  auf  Pfei- 
lern, offenbaren  die  Steigerung  des  Raumsinnes  und  der  plastischen  Gliede- 
rung, die  in  den  dreißiger  Jahren  den  protestantischen  Kirchenbau  von  der 
flachen  und  geometrischen  Gestaltungsweise  des  Frühbarock  weggeführt 
hat.  Das  bedeutendste  Denkmal  dafür  muß  die  ebenfalls  kreuzförmige,  im 
Innern  mit  kreisartig  geführten  Emporen  ausgestattete  Petrikirche  gewesen 
sein.  Das  Äußere  der  Berliner  Kirchen  erhält  durch  die  hohen,  im  obersten 
Geschoß  reichdurchbrochenen  Türme  eine  lebhaftere  Betonung.  Die  hoch- 
ragenden Türme  waren  eine  Liebhaberei  Friedrich  Wilhelms  I.,  die  ihm  in 
Holland  erweckt  worden  ist.  Der  Ausgangspunkt  der  eigentlich  Berliner  Fas- 
sung ist  der  wundervolle  Münzturmentwurf  Andreas  Schlüters.  An  der  Spitze 
steht  der  noch  strenge,  von  Gerlach  1713 — 17 14  erbaute  Turm  der  Parochial- 
kirche;  es  folgen  der  schlanke  Sophienkirchturm  in  Berlin  und  der  der  Heilig- 
geistkirche in  Potsdam,  beide  von  Grael,  und  der  1730  erbaute,  eingestürzte 
großartige  Turm  der  Petrikirche,  als  Glanzstück  endlich  der  schön  nach 
oben  verjüngte  und  durchbrochene  Turm  der  Potsdamer  Garnisonkirche. 
In  seinem  Gewölbe  stehen  die  schmucklosen   Särge   Friedrich  Wilhelms  I. 

117 


Abb.  55.     Böhmische  Kirche  in  Berlin,  um  1735 

und  Friedrichs  des  Großen  —  die  Kirche  selbst  ist  mit  den  ruhmreichen 
Fahnen  des  Gardekorps  und  des  brandenburgischen  Armeekorps  ausgestat- 
tet. Aus  dem  obersten  Turmgeschoß  klingen  die  alten  Choräle  des  Glocken- 
spiels trostreich  über  die  alte  Preußenstadt  und  die  Havellandschaft  hin. 
Aus  der  Mark  selbst  verdient  die  nach  Plänen  Wiesends  von  Dietrichs  erbaute, 
innen  und  außen  stattliche  kreuzförmige  Kirche  in  Buch  aus  dem  Anfang  der 
dreißiger  Jahre  Beachtung  (Abb.  54)'').  Mit  Friedrichs  des  Großen  Regierung 
kam  der  monumentale  protestantische  Kirchenbau  zum  Stillstand.  An  der 
Entfaltung  zum  Rokokostil  hat  er  nicht  teilgenommen.    Wie  sehr  der  große 


118 


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Abb.  56.     Frauenkirche  in  Dresden,  von  Bahr,  um  1730 

König  der  inneren  Fühlungnahme  mit  dem  religiösen  Wesen  der  Kirchen- 
kunst ermangelte,  beweist  der  Umstand,  daß  er  Knobelsdorff  beauftragte, 
der  alten  schlichten  protestantischen  Nikolaikirche  auf  dem  Markt  in  Pots- 
dam eine  Kopie  der  Fassade  von  Sa.  Maria  Maggiore  in  Rom  vorzublenden. 
Eine  Komposition  im  reichsten  römischen  Spätbarock  von  Fuga,  gewisser- 
maßen eine  Theaterkulisse ! 

In  Dresden    und  Sachsen    entfaltete    sich    der  Kirchenbau    gleichfalls  im 
zweiten  Jahrzehnt  des  Jahrhunderts  zu  größerem  Reichtum.    Es  ist  die  Bür- 


119 


gerschaft,  die  von  der  Baulust  Augusts  des  Starken  jetzt  zur  Errichtung  statt- 
hcher  Kirchen  angespornt  wird  —  der  katholisch  gewordene  König  förderte 
diese  dessen  unbeschadet  nach  besten  Kräften.  Die  Loslösung  aus  dem  stren- 
geren Schema  des  Frühbarock  unternahmen  bereits  die  zentralen  kreuzför- 
migen Kirchen  von  Bahr  in  Schmiedeberg  (17 13  begonnen)  und  in  Forch- 
heim in  Sachsen  und  Hohnstein  bei  Pirna  aus  den  zwanziger  Jahren.  Die 
von  Pöppelmann  und  Bahr  erbaute  Dreifaltigkeitskirche  in  Dresden-Neu- 
stadt, ein  Rechteck  im  Grundriß,  bezeugt  durch  die  schöngeschwungenen 
ovalen  mehrgeschossigen  Emporen  auf  durchgehenden  Pfeilern  den  gleichen 
Fortschritt  wie  in  Berlin  —  übrigens  wurde  Pöppelmann  bei  den  Entwürfen 
der  Berliner  Petrikirche  zu  Rate  gezogen.  Das  großartigste  Denkmal  nicht 
nur  des  Dresdener,  sondern  des  deutschen  protestantischen  Barock  über- 
haupt, ist  die  im  Jahre  1726  begonnene  Frauenkirche,  das  Meisterwerk 
Bährs,  deren  Bau  sich  bis  in  den  Ausgang  der  Barockepoche  hingezogen  hat 
(Abb.  56).  Die  Gedanken  des  protestantischen  Zentralbaues,  die  sich  seit 
dem  17.  Jahrhundert  entwickelt  hatten,  werden  hier  mit  höchster  Gestal- 
tungskraft zur  letzten  Vollendung  gebracht.  Das  Innere  ist  kreisförmig  mit 
fünf  galerieartigen  Emporen  zwischen  mächtigen  durchgehenden  korinthi- 
schen Pfeilern,  die  zugleich  die  hohe  Kuppel  tragen  helfen.  Das  Äußere  hat 
vier  schräggestellte  Treppentürme  und  dazwischen  pilastergeschmückte  Vor- 
lagen mit  den  Eingängen  und  einem  herausgebuchteten  Chor.  Das  etwas 
schachtartige  Innere  ist  durch  die  Überschneidung  der  langen  Fenster  nicht 
günstig  beleuchtet.  Vor  dem  ovalen  Chor  baut  sich  auf  geschweiftem  Grund- 
riß eine  Kanzeltribüne  mit  dem  Altar  und  hohem  Säulenaufbau  und  der 
Orgelempore  dahinter  auf.  Diese  von  oben  beleuchtete,  prächtig  ausgestat- 
tete Gruppe  inmitten  der  zu  verglasten  Betstübchen  eingerichteten  Logen 
und  der  Galerien  darüber  erinnert  fast  an  gleichzeitige  katholische  Barock- 
kirchen. Bährs  Kuppelraum  bleibt  aber  an  Raumwirkung  weit  zurück  hinter 
solchen  Schöpfungen  wie  der  Karlskirche  oder  der  Peterskirche  in  Wien. 
Dennoch  wird  man  auch  dem  Inneren  der  Frauenkirche  die  Bewunderung 
nicht  versagen,  wenn  man  sich  klar  macht,  eine  wieviel  schwierigere  Auf- 
gabe die  künstlerische  Lösung  der  protestantischen  Predigt-  und  Gemeinde- 
kirche bot.  Unbestritten  ist  die  Schönheit  des  Äußeren.  In  dieser  Hinsicht 
ist  die  Frauenkirche  eine  der  großartigsten  architektonischen  Schöpfungen 
Deutschlands.  Der  Körper  des  Gebäudes  hält  an  den  langen  Rundbogenfen- 
stern, und  strengen  Pilastergliederungen  der  protestantischen  Überlieferung 
fest.  Um  so  freier  und  herrlicher  erhebt  sich  die,  auf  hohem  eingeschweiftem 
Unterbau  ruhende  steile  Kuppel  mit  unvergleichlich  steigendem  Umriß  em- 
por.     Bekrönt    mit    einer    schlanken  Laterne    und    umgeben  von  den  vier 

120 


kandelaberartig  geschwungenen  Aufsätzen  der  vier  Ecktürme,  bietet  sie  ein 
Bild  von  Kraft  und  Zierlichkeit,  von  Ernst  und  Frohsinn.  Wie  der  ganze 
Bau,  so  ist  auch  die  Kuppel  aus  großen  Eibsteinquadern  aufgemauert,  die 
fast  schwarz  geworden  sind.  Aber  in  dem  Sonnenlicht  leuchtet  die  Stein- 
masse immer  noch  genug,  um  das  kühne  plastische  Leben  zur  Geltung  zu 
bringen.  Die  Verbindung  von  Strenge  und  erhabener  Heiterkeit  dieser  groß- 
artigsten Schöpfung  des  protestantischen  Kirchenbaues  offenbart  einen  der 
Bachschen  Kirchenmusik  im  Innersten  verwandten  Geist.  Die  unermüdet 
durch  dauernde  Widerwärtigkeiten  und  feindselige  Anfechtung  zum  Höch- 
sten durchdringende  Persönlichkeit  des  Ratszimmermeisters  Bahr  kann  uns 
zugleich  als  ein  Typus  der  von  einem  unbesiegbaren  Gottvertrauen  erfüllten 
evangelischen  Männer  gelten,  die  für  das  deutsche  1 8.  Jahrhundert  so  be- 
zeichnend sind.  Aus  dem  Jugendleben  Jung  Stillings  und  Klödens  und  an- 
deren Lebensbeschreibungen  wird  uns  diese  Grundstimmung  im  protestan- 
tischen Bürgertum  Norddeutschlands  verständlich.  In  das  Rokokozeitalter 
führt  den  Dresdener  Kirchenbau  des  Meisters  Schüler  Schmidt  hinüber.  Die 
T-förmige  Stadtkirche  in  Großenhain  (1748),  die  rechteckige  Annenkirche 
(seit  1766)  und  die  fast  quadratische,  mit  flachrundem  Chor  schließende, 
1764  begonnene  Kreuzkirche  in  Dresden  bezeugen  in  der  weiträumigeren 
Anordnung  der  im  Oval  gebogenen  mehrgeschossigen  Emporen  zwischen 
hohen  Pfeilerarkaden  den  fortgeschrittenen  Raumsinn  dieser  Epoche. 

Um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  erheben  sich  auch  einige  Meister  aus  dem 
Kreise  der  Kirchenbaukunst  der  Niederelbe  und  Schleswig-Holsteins  zu 
jener  Vervollkommnung  des  einheitlichen  zentralen  Kirchenraumes,  die  zu 
gleicher  Zeit,  wenn  auch  in  ganz  anderer  Weise,  von  den  großen  süddeut- 
schen katholischen  Zeitgenossen  erstiegen  worden  war.  Es  ist  doppelt  be- 
merkenswert, daß  auch  diese  Schule,  die  auf  den  schlichten  Backsteinformen 
beruhte,  jetzt  in  ihren  Raumbildungen  den  Flug  aus  der  Strenge  des  älteren 
Barock  zur  Freiräumigkeit  unternommen  hat.  Drei  große  Kirchen,  alle  auf 
kreuzförmigem  Grundriß,  sind  dafür  die  Hauptzeugnisse :  die  Hauptkirche 
inAltona,  nach  dem  Vorbild  der  Kopenhagener  Garnisonkirche  von  Cai  Dose 
in  Schleswig  erbaut,  die  Hamburger  Georgskirche  in  der  Vorstadt  St.  Georg 
von  dem  Stadtzimmermeister  Johann  Leonhard  Prey  und,  der  Gipfelpunkt 
der  norddeutschen  protestantischen  Kirchenraumkunst :  die  große  Ham- 
burger Michaelskirche,  die  von  1750 — 1762  durch  Sonnin  erbaut  wurde. 
Die  bekanntlich  im  Jahre  1906  durch  einen  Brand  schwerbeschädigte 
Kirche  ist  ein  Kreuz  mit  ganz  kurzen  Armen  und  vier  freistehenden 
mächtigen  Pfeilern  in  der  Vierung.  Der  weite  Mittelraum  ist  mit  einem 
flachen   Muldengewölbe  überdeckt.    Die  an  sich  schon  äußerst  freie  Raum- 


Wirkung  wird  aufs  glücklichste  durch  eine  einzige  Empore  gehoben,  die  von 
kieeblattförmigem  Grundriß,  durch  ihre  geschweifte  Brüstung  den  großen  Zug 
des  Raumes  wie  durch  ein  breites  Band  betont.  Die  Kirche  vermochte  die 
bisher  größtmögliche  Zuschauermenge  zu  fassen,  3000  bei  lockerer  und  6000 
bei  gedrängter  Besetzung.  Das  Äußere  teilt  mit  den  Backsteinkirchen  der 
niederelbisch-schleswig-holsteinschen  Gebiete  die  Beschränkung  auf  strenge 
Pilaster,  die  nur  in  ihrer  reicheren  Verkröpfung  ihre  Entstehungszeit  im 
Rokokozeitalter  verraten.  Der  erst  1777 — 1786  von  Sonnin  errichtete  Turm 
mit  off  ener  Säulenlaube  im  obersten  Geschoß  wendet  sich  bereits  dem  Klassi- 
zismus zu.  Die  Lebensumstände  des  genialen  Hamburger  Baumeisters  wer- 
fen ein  Streiflicht  auf  die  in  dem  norddeutschen  Protestantismus  wirkenden 
geistigen  Kräfte.  Als  Sohn  eines  Predigers  in  der  Priegnitz  geboren  (1709) 
studierte  Sonnin  zuerst  in  Halle  Theologie.  Er  bildete  sich  in  der  Mathe- 
matik an  den  Schriften  Wolfs  und  Eulers  und  befaßte  sich  auch  mit  der 
Philosophie,  insbesondere  mit  der  prästabilierten  Harmonie,  die  damals  in 
Halle  noch  Leibniz'  Schüler,  Wolf,  lehrte.  In  Hamburg  erlernte  er  dann  den 
Mechanikerberuf  und  wurde  erst  als  reifer  Mann  durch  einen  dortigen  Bürger 
zur  Beschäftigung  mit  der  Architektur  veranlaßt.  Gleich  sein  erster  Bau  war 
die  Michaelskirche,  in  deren  Bauleitung  er  dem  Stadtzimmermeister  Prey 
beigeordnet  wurde.  Sonnins  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Baumechanik, 
der  Statik,  der  Mathematik,  in  allen  praktischen  Zweigen  der  Baukunst 
m-üssen  hier  übergangen  werden.  Ein  Vergleich  seiner  Hauptschöpfung  mit 
dem  größten  protestantischen  Kirchenbau  seines  Landsmannes  Schinkel  auf 
dem  Markt  in  Potsdam,  der  Nikolaikirche  von  1830,  ist  lehrreich  zur  Er- 
kenntnis der  Unterschiede  zwischen  dem  protestantischen  Kirchenbau  des 
18.  und  dem  des  19.  Jahrhunderts.  Sonnins  Raum  ist  trotz  aller  klaren  Ver- 
ständigkeit von  der  Wärme  des  lebendigen  Raumsinnes  erfüllt,  dahingegen 
Schinkels  viereckiger  zentraler  Kuppelbau,  als  ein  Werk  mehr  des  abstra- 
hierenden Verstandes  unter  der  vorherrschenden  geistigen  Energie  unver- 
gleichlich ärmer  an  wohlräumiger  Wirkung  ist.  Gerade  in  dem  protestan- 
tischen Kirchenbau  tritt  jener  eingangs  charakterisierte  Grundzug  in  der 
Baukunst  des  18.  Jahrhunderts,  die  anschaulich  empfundene  Mathematik,  zu- 
tage. Die  letzte  monumentale  Schöpfung  der  Barock-  und  Rokokoepoche  ist 
die  ebenfalls  kreuzförmige  Ludwigskirche  in  Saarbrücken,  die  als  Krönung 
eines  neuen  Stadtviertels  von  Stengel  unter  dem  Fürsten  Ludwig  von  Nassau- 
Saarbrücken  errichtet  wurde.  Ihre  prächtige  innere  und  äußere  Dekoration 
stellt  den  Ausklang  des  Rokokostils  dar. 

Die  Hauptströmung  des  protestantischen  Kirchenbaues  von  der  Mitte  des 
17.  bis  über  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  hinaus  verläuft  also  in  der  glei- 

122 


Abb.  57.     Altar  der  Garnisonkirche  in  Potsdam,  um  1730 


123 


chen  Richtung  wie  die  des  katholischen,  trotz  der  so  starken  Abweichungen 
im  einzelnen  und  in  dem  inneren  Wesen.  Wir  müssen  uns  versagen,  auf  die 
■^'eiteren  bemerkenswerten  Schöpfungen  einzugehen,  unter  denen  die  der 
süddeutschen  Enklaven  wohl  besondere  Erwähnung  verdienten  (z.  B.  die 
durch  ihren  ovalen  Predigtraum  ausgezeichnete  Ägidienkirche  in  Nürnberg 
von  Troost,  1711 — 1718).  Auch  die  große  Reihe  der  an  der  einfachen  recht- 
eckigen Form  des  Betsaales  festhaltenden  schlichteren  Stadt-  und  Dorfkir- 
chen muß  sich  hier  mit  diesem  kurzen  Hinweis  begnügen.  Sie  sind  vor 
allem  von  den  Reformierten  und  Hugenotten,  auch  von  den  Herrnhutern  be- 
vorzugt worden  (vgl.  die  1756  erbaute  Kirche  der  Brudergemeinde  in  Herrn- 
hut). Gerade  das  Innere  der  einfachen  protestantischen  Kirchen  mit  den 
weißgetünchten  Wänden,  den  schlichten  Holzemporen  und  den  hellen  Fen- 
stern atmet  einen  Geist  der  Sachlichkeit,  der  sie  dem  modernen  Empfinden 
wohltuend  macht.  Es  ist  erstaunlich,  mit  welcher  Sinnlosigkeit  der  Prote- 
stantismus diesen  bis  über  das  18.  Jahrhundert  hinaus  gepflegten  Schatz, 
gesunder  künstlerischer  Denkweise  durch  falsche  Romantik  und  frömmelnde 
Unsicherheit  im  19.  Jahrhundert  zerstört  hat.  Auch  das  Äußere  gerade 
der  schlichten  protestantischen  Kirchen  zeugt  von  der  bodenständigen, 
bei  aller  Schmucklosigkeit  nicht  gefühlsarmen  Denkweise  der  prote- 
stantischen Kirchenbaumeister  des  18.  Jahrhunderts.  Das  tritt  vor  allem 
dort,  wo  die  protestantischen  Kirchen  noch  in  der  alten,  gleichzeitig  ent- 
standenen Umgebung  stehen,  zutage.  So  an  den  schlichten  gelbverputzten 
Kirchenbauten  der  kleinen  Städte  und  Kolonistendörfer  der  Mark  Branden- 
burg, wie  nicht  minder  in  den  kleinen  Backsteinkirchen  der  Eibmarschen 
und  in  Schleswig-Holstein.  So  auch  in  den  Kirchen  der  alten  Industriestädte 
des  Bergischen  Landes.  Hier  sind  ihre  grauen  Putzwände,  ihre  schwarzge- 
schieferten  Dächer  und  die  gleichfalls  schwarzgeschieferten  bauchigen 
Zwiebelhauben  der  dicken  Viereckstürme  mit  den  Schieferhäusern  lebendig 
verwachsen.  Eine  solche  Gemeinde  fleißiger  Garnbleicher,  Weber  oder 
Schleifer  in  den  Tälern  der  Wupper  und  Lenne  oder  auf  den  Höhen 
von  Berg  und  Mark,  eine  solche  Stadt  mit  dem  schlichten,  aus  Schornsteinen 
und  Essen  herausragenden  Gotteshaus  ist  im  Bilde  des  deutschen  Volks- 
tums des  18.  Jahrhunderts  so  wenig  zu  vergessen  wie  die  ausgedehnten 
Klosteranlagen  in  den  Donau-  und  Mainlandschaften. 


124 


Abb.  58.     Waisenhaus  in  Oranienburg,  um  1670 

12.  DIE   WELTLICHE  ARCHITEKTUR    DES    BAROCK 
DIE   SCHLÖSSER,  ABTEIEN,   BÜRGERHÄUSER  USW. 

Die  künstlerische  Entwicklung  der  weltlichen  Architektur  des  Barock  und 
Rokoko  geht  selbstverständlich  aufs  engste  zusammen  mit  der  der  kirch- 
lichen Baukunst,  die  in  den  vorhergehenden  Abschnitten  umrissen  worden 
ist.  Indessen  machen  die  so  völlig  anders  gearteten  praktischen  Bedingnisse 
und  stilistischen  Einwirkungen  eine  getrennte  Darstellung  namentlich  des 
historischen  Verlaufs  der  Schloßbaukunst  notwendig.  Auf  diesem  Gebiet  tritt 
alsbald  auch  im  Süden  Deutschlands  die  Vormachtstellung  der  italienischen 
Kunst  zugunsten  der  französischen  zurück. 

Das  Vorbild  des  Sonnenkönigs  und  seiner  Schöpfung  Versailles  facht  die 
deutschen  Fürsten,  vom  Kaiser  angefangen  bis  zum  kleinsten  Reichsgrafen, 
zur  Nacheiferung  an.  Am  Ausgang  des  17.  Jahrhunderts  scheinen  sie  von 
einem  wahren  Baufieber  ergriffen  zu  werden.  Die  Pläne  riesiger  Residenzen 
und  Lustgärten  tauchen  in  ihrem  Geiste  auf.  Joseph  I.  beginnt  mit  Fischer 
von  Erlach  die  Riesenentwürfe  für  das  Lustschloß  Schönbrunn  auszuarbei- 


125 


ten  (Abb.  29).  Friedrich  I.  von  Preußen  schreitet  mit  Schlüter  und  August 
der  Starke  von  Sachsen  und  Polen  mit  Pöppelmann  zur  Ausführung  weit- 
läuftiger  Residenzen,  die  der  Königsv:?ürde  Ausdruck  geben  sollen.  Die  aus- 
schweifende Phantasie  des  Jan  Wilhelm  von  der  Pfalz  ergeht  sich  in  der 
Vorstellung  eines  ungeheueren  Residenzschlosses  in  Düsseldorf  am  Rhein, 
das  über  die  Entwurfszeichnungen  Albertis  nicht  hinausgekommen  ist.  Zu 
welcher  Leidenschaft  die  fürstliche  Baulust  gesteigert  war,  darüber  belehren 
uns  die  Briefe  der  Kurfürsten  Max  Emanuel  und  seines  Bruders  Joseph 
Clemens,  die  sie  aus  ihrer  französischen  Verbannung  schrieben.  Während 
ihre  Lande  vom  Feinde  besetzt  und  in  höchster  Not  sind,  lassen  die  beiden 
fürstlichen  Brüder  nicht  einen  Augenblick  von  ihren  weitausgreifenden  Bau- 
plänen ab.  Viele  der  ausgeführten  Schlösser  gehen  bedeutend  über  die  Mittel 
der  Bauherrn  hinaus,  wie  die  des  Max  Emanuel  in  Nymphenburg  und  Schleiß- 
heim, das  Karl  Philipps  in  Mannheim,  das  Markgräflich  Baden-Badensche 
in  Rastatt,  die  herzoglich  württembergischen  in  Ludwigsburg  und  Stuttgart, 
die  markgräflichen  von  Ansbach.  Bayreuth  und  Schwedt.  Die  kleineren 
Dynasten  und  der  Landesadel  blieben  nicht  zurück.  Auch  die  Äbte  der  gro- 
ßen Klöster  befriedigten  ihren  Ehrgeiz  als  große  Bauherrn.  Eine  zunehmende 
Schuldenwirtschaft  vieler  fürstlichen  und  klösterlichen  Finanzverwaltungen 
war  die  Folge  der  ungehemmten  Bautätigkeit  und  die  Ursache  zu  endlosen 
wirtschaftlichen  Verwicklungen. 

Es  ist  hier  noch  einmal  auf  die  grundlegende  Bedeutung  hinzuweisen,  die 
dem  gesellschaftlichen  Leben  und  der  Etikette  für  die  Ausbildung  der  Schloß- 
architektur zukommt.  Das  Residenzschloß  und  die  darauf  zugeschnittene 
Umgebung  mit  den  Anfahrtsalleen,  den  Vorplätzen,  den  Wachtgebäuden, 
den  umgitterten  Ehrenhöfen,  mit  den  Rampen  und  Treppen  auf  der  Vorder- 
seite und  den  Terrassen  auf  der  Rückseite,  hat  der  Entfaltung  des  fürst- 
lichen Glanzes  und  der  höfischen  Gesellschaft  zu  dienen.  Diesem  Zweck  sind 
auch  die  vornehmsten  Räume  des  Innern  gewidmet.  Das  Vestibül  und  das 
große  Treppenhaus  leiten  hinauf  zu  dem  durch  mehrere  Geschosse  reichen- 
den Hauptsaal.  Die  links  und  rechts  anschließenden,  in  einer  Reihe,  ,,in  En- 
filade"  gelegenen  Prunkgemächer  —  unter  denen  eine  Galerie  nicht  fehlen 
durfte  — ,  waren  gleichfalls  den  festlichen  Gesellschaften  bestimmt.  Selbst 
die  Wohnräume  des  Fürsten,  die  Gesellschafts-,  Rauch-,  Spiel-  und  Arbeits- 
zimmer des  Fürsten  und  der  Fürstin,  sogar  ihre  Schlafzimmer  standen  unter 
dem  Zwang  der  Etikette  und  wurden  wie  die  Paradezimmer  möglichst  reich 
verziert.  Nun  blieb  aber  noch  eine  endlose  Flucht  von  Räumen,  im  Erd- 
geschoß, in  dem  Obergeschoß  und  in  den  Flügeln,  für  Wohnungen  der  Kava- 
liere und  Hofdamen  und  der  Gäste,  für  die  fürstliche  Verwaltung,  für  Re- 

126 


Abb.  59.     Bischofshof  in  Münster,  L.  von  Corfey,   1732 

gierungsbehörden,  für  Küche  und  Dienerschaft  übrig.  Die  Kopfbauten  der 
Flügel  erhielten  in  den  großen  Schlössern  eine  Kapelle  und  ein  Opernhaus. 
Trotz  alledem  ist  uns  Heutigen  die  Benützung  der  Riesenschlösser  oft  kaum 
verständlich.  Ihre  Baugeschichte  lehrt  uns,  daß  sie  in  großen  Teilen  jahr- 
zehntelang ohne  Möbel,  ja  ohne  irgendwelche  Ausstattung  blieben.  Man 
■wollte  um  jeden  Preis  die  größten  Ausmaße  des  Gebäudes.  Die  Schöpfungen 
der  Art  sind  mithin  mehr  Denkmäler  der  monumentalen  Baukunst,  als  eigent- 
liche Wohngebäude.  Zu  ihnen  gesellen  sich  die  Residenzgebäude  der  Äbte 
und  Domherren,  die  Stadt-  und  Landschlösser  des  Adels,  die  Jagdschlösser 
und  zahlreiche  kleinere  Gattungen  von  Gesellschaftsgebäuden  in  den  Parks, 
wie  die  Favoriten  und  Orangerien. 

Auch  im  Schloßbau  hatten  sich  die  Grundsätze  der  Renaissance,  die  vor 
allem  auf  Regelmäßigkeit  hinausliefen,  schon  vor  dem  Dreißigjährigen 
Kriege  in  Deutschland  durchgesetzt.  Die  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts entstehenden  Schloßbauten  setzen  also  teilweise  genau  wie  die 
gleichzeitigen  Kirchenbauten  die  bereits  eingeschlagenen  Bahnen  fort.  Ins- 
besondere ist  die  um  einen  viereckigen  Hof  gruppierte  vierflügelige  Anlage 
mit  wuchtigen  Viereckstürmen,  die   das  Schloß  Friedenstein  in  Gotha  und 


127 


zahlreiche  niederrheinische  und  westfäUsche  Landschlösser  der  Jahrzehnte 
nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  aufweisen,  bereits  in  dem  Fürstbischöf- 
lichen Schloß  in  Aschaffenburg  und  anderen  Bauten  des  frühen  17.  Jahr- 
hunderts aufgenommen  worden.  Doch  tritt  eine  Umgestaltung  des  Schloß- 
baues zu  einer  höheren  Kunstform  im  Sinne  des  Barock  unverkennbar  erst 
unter  der  Einwirkung  der  italienischen  und  der  holländischen  Architekten 
ein.  Seit  den  sechziger  Jahren  des  17.  Jahrhunderts  hat  die  holländische 
Baukunst,  die  Schule  Kampens,  Posts  und  Vinkenboons,  den  Schloßbau  Nie- 
derdeutschlands entscheidend  gefördert,  sei  es  durch  die  eingewanderten 
Niederländer  selbst,  sei  es  durch  ihre  Kupferwerke.  Der  niederrheinische 
Adel,  die  Fürstbischöfe  und  Adeligen  im  Stift  Münster,  der  Große  Kurfürst 
und  sein  Statthalter  Johann  Moritz  von  Oranien  in  Cleve  und  Brandenburg, 
der  Fürst  von  Anhalt  und  seine  oranische  Gemahlin,  die  Hansastädte  und  der 
Adel  Schleswig-Holsteins:  sie  alle  haben  die  Formen  des  holländischen  Schloß- 
baues übernommen  (Abb.  58).  Selbst  bis  nach  Mitteldeutschland  finden  sie  Ver- 
breitung, wofür  das  von  dem  Prinzen  Friedrich  von  Homburg  dortselbst  er- 
baute Residenzschloß  zeugt.  Die  äußerste  Klarheit  im  Aufbau  unter  spar- 
samer Anwendung  strenger  Pilaster,  die  Verbindung  der  Lehren  Palladios 
mit  den  knappen  heimischen  Backsteinformen  und  dem  steil  abgewalmten 
hohen  Ziegeldach  kennzeichnet  diese  für  unsere  Zeit  so  bedeutungsvolle 
Architekturschule.  Vornehmlich  findet  sie  in  den  protestantischen  Ländern 
Eingang  und  zwar  auch  nach  England,  Dänemark  und  Schweden  als  ein 
Gegenstück  des  holländischen  Kirchenbaues.  Doch  hat  sie  auch  im  Stifte 
Münster  durch  die  dänische  Architektenfamilie  Pictorius  Fuß  gefaßt  (Abb.  59). 
Der  gleichzeitige  Schloßbau  Süddeutschlands  erhält  durch  die  italieni- 
schen Schloß-  und  Festungsbaumeister  den  Anstoß  zu  höherer  Kunstgestal- 
tung. Mit  den  Schloßbauten  der  holländischen  Schule  haben  die  der  italieni- 
schen Schule  im  Süden  Deutschlands  die  klare  und  schlichte  Gliederung  ge- 
rriein.  Die  Fassaden,  im  Süden  meist  weiß  verputzt,  sind  flach  gehalten,  und 
ihre  Gliederung  beschränkt  sich  auf  wenige  vortretende  Pilaster  oder  gefugte 
Mauerstreifen.  Beliebt  ist  auch  die  Teilung  der  Flächen  durch  in  den  Putz 
geschnittene  rechteckige  Felder.  Folgende  sind  einige  der  wichtigsten  Denk- 
mäler :  der  für  Leopold  I.  erbaute  Trakt  der  Wiener  Hofburg,  der  hohe  vier- 
eckige Mittelbau  des  Schlosses  Nymphenburg,  als  Villa  für  die  Kurfürstin 
Adelaide  von  Savoyen  von  Barella,  die  Villa  Lustheim  in  Schleißheim  fün 
Max  Emanuel  von  Enrico  Zuccali,  die  ebenfalls  von  Zuccali  1697  begonnenen 
Teile  der  Residenz  des  Clemens  Joseph  in  Bonn;  die  in  demselben  Jahre  be- 
gonnene Residenz  in  Rastatt  für  Ludwig  Wilhelm  von  Baden,  die  von  dem 
aus  Wien  berufenen  Egidio  Rossi  entworfen  wurde,  sowie  nach  den  Plänen 

128 


des  gleichen  Meisters  die  Markgräfliche  Residenz  in  Durlach,  von  der  nur 
ein  Flügel  ausgeführt  ist.  Die  Residenz  in  Rastatt,  deren  Korps  de  Logis 
1705  vollendet  war,  wurde  durch  den  böhmischen  Baumeister  Ludwig 
Rohrer  fortgesetzt.  Dieser  Rohrer  war  durch  die  Markgräfin  Susanna,  die 
einem  böhmischen  fürstlichen  Hause  entstammte,  ins  Badische  berufen  wor- 
den. Für  die  Markgräfin  baute  er  das  Lustschlößchen  Favorite  und  das  ein- 
fache Schloß  in  Scheibenhardt,  für  den  ihr  befreundeten  Speyerer  Fürst- 
bischof Damian  Hugo  von  Schönborn  die  Eremitage  von  Waghäusel  und  ist 
beteiligt  an  dessen  Residenzschloß  in  Bruchsal.  Noch  ein  zweiter  Strom  der 
böhmischen  Schloßbaukunst  führt  um  1700  nach  dem  Süden  Deutschlands 
und  zwar  vertritt  ihn  die  Familie  Dientzenhofer.  Der  ältere  der  beiden  Brü- 
der, Georg  Dientzenhofer,  ist  an  dem  nach  den  Plänen  des  Prager  Architek- 
ten Abraham  Leuthner  ausgeführten  Bau  des  Klosters  Waldsassen  beteiligt 
gewesen.  Der  zweite,  Joh.  Leonhard  Dientzenhofer,  erbaute  als  Bamberger  Hof- 
baumeister unterLothar  Franz  von  Schönborn  das  umfangreiche  Benediktiner- 
Kloster  auf  dem  Michelsberg,  zum  großen  Teile  das  Kloster  Ebrach  und  vor 
allem,  um  1695  beginnend,  die  große,  im  rechten  Winkel  den  ehrwürdigen 
Domplatz  begrenzende  Residenz  in  Bamberg.  Die  durch  Gesimse  und  Pila- 
sterstellungen  gegliederten  Fassaden  der  Residenz  beweisen  mit  voller  Deut- 
lichkeit, wie  stark  diese  ältere  deutsche  Schule  geradezu  noch  an  den  Renais- 
sanceformen Palladios  und  seiner  Nachfolger  festhält.  Sie  berührt  sich  darin 
mit  den  Meistern  des  älteren  holländisch-französischen  Klassizismus,  der  ja 
gleichzeitig  im  Norden  Deutschlands  Fuß  gefaßt  hatte.  Bemerkenswerter- 
weise hat  der  von  Hause  aus  handwerksmäßige  Leonhard  Dientzenhofer  in 
eben  diesen  Jahren  das  Kupferwerk  des  Palladio-  und  Scamozzinachahmers 
Dieussart  neu  herausgegeben,  eines  Meisters,  der  über  Mecklenburg  nach 
Bayreuth  kam,  wo  er  die  alte  Residenz  erbaute.  Jedenfalls  ist  es  ungemein 
wichtig  festzustellen,  daß  im  letzten  Drittel  des  17.  Jahrhunders  diesseits  und 
jenseits  des  Maines  eine  nach  Strenge  und  Klarheit  strebende,  grundsätzlich 
architektonisch  gerichtete  Schloß-  und  Klosterbaukunst  entstanden  war.  Die 
großen  Schloß-  und  Klostergebäude  des  jüngsten  und  bedeutendsten  der  drei 
Dientzenhofer,  des  auch  als  Kirchenbaumeisters  so  trefflichen  Johann  Dient- 
zenhofer, das  Kloster  Banz  und  die  Fürstbischöfliche  Residenz  in  Fulda,  die 
Seitentrakte  des  Schönbornschen  Schlosses  Pommersfelden,  zeigen  diese 
klare  Form  in  der  höchsten  Reife.  "Einzelne  Teile,  so  die  Mittel-  und  Seiten- 
partien, werden  durch  flache,  das  erste  und  Obergeschoß  zusammenfassende 
Pilaster  betont,  während  in  den  glatten  übrigen  Flächen  die  Fenster  über- 
einander durch  profilierte  Tafeln  lebhafter  verknüpft  sind,  eine  Gewohnheit, 
die  auch  die  Bamberger  Privathäuser  im  Stile  Dientzenhofers  kennzeichnet. 

Schmitz,  18.  Jahrh.     g  I29 


Die  monumentale  Form,  die  den  fränkischen  Klosterbauten  durch  die  Dient- 
2enhofer  gegeben  wurde,  ist  bis  tief  ins  i8.  Jahrhundert  beibehalten  worden. 
Diese  schlichten  und  massigen,  mit  kräftigen  Dächern  zusammengefaßten 
vielfenstrigen  Gebäulichkeiten  in  Quaderbau  bilden  ein  Gegenstück  zu  den 
Kasernen,  Magazin-  und  sonstigen  Nutzbauten  etwa  der  Berliner  Bauschule 
unter  Friedrich  Wilhelm  I.  Nicht  genug  kann  der  Architekt  der  Gegenwart 
die  Disposition  dieser  Gebäudegruppen  innerhalb  der  alten  Städte,  auf  Höhen 
vind  in  Tälern  studieren.  Niemals  wäre  die  falsche  Barocknachahmung  un- 
serer Vätergeneration  möglich  gewesen,  wenn  man  beachtet  hätte,  daß  neben 
den  Prunkbauten  dieses  Jahrhunderts  die  schmucklosen  Nutzbauten  einen 
mindestens  gleich  großen  Platz  einnehmen. 

Am  Ausgang  des  17.  Jahrhunderts  treten  im  Schloßbau,  wie  das  auch  im 
Kirchenbau  beobachtet  wurde,  einige  große  jüngere  Meister  hervor,  die  den 
strengen  und  flachen  Stil  des  älteren  Barock  mit  kräftigerem  Ausdruck 
durchdringen.  Auch  hier  ist  die  unmittelbare  Fühlungnahme  mit  dem  Barock 
in  seiner  italienischen  Heimat  charakteristisch.  Die  Meister,  die  somit  die 
deutsche  Schloßarchitektur  aus  den  strengen  Fesseln  des  17.  Jahrhunderts 
gelöst  haben,  sind  in  erster  Linie  Andreas  Schlüter  am  preußischen  Hofe, 
Johann  Bernhard  Fischer  von  Erlach,  der  Baumeister  Kaiser  Josephs  I.  und 
Karls  VI.,  Lukas  von  Hildebrand,  der  Baumeister  des  Prinzen  Eugen  und  der 
Grafen  Schönborn,  sowie  Pöppelmann,  der  Baumeister  Augusts  des  Starken. 

Schlüter,  von  Hause  aus  Bildhauer,  gebürtig  aus  Hamburg,  war  bereits 
im  polnischen  Danzig  und  namentlich  in  Warschau  durch  die  Künstler 
Johann  Sobieskis  mit  der  Kunst  der  italienischen  Stukkaturen  und  Architek- 
ten in  Berührung  getreten.  Auch  in  Berlin,  wohin  er  dem  Rufe  Friedrichs  III. 
folgte,  fand  er  bereits  eine  italienische  Künstlerkolonie  vor.  Der  Kurfürst 
hatte  bald  nach  seiner  Thronbesteigung  um  1690  den  großen  inneren  Hof 
des  alten  Berliner  Schlosses  durch  Italiener  mit  einem  großartigen  Säulen- 
bau bekleiden  lassen.  Als  mit  der  wachsenden  Aussicht  auf  die  Königswürde 
in  dem  Fürsten  der  Gedanke  eines  neuen  gewaltigen  Residenzschlosses  her- 
anreifte, fand  er  in  Schlüter  den  geeigneten  Mann  zur  Verwirklichung. 
Die  beiden  Fassaden  des  von  Schlüter  seit  1699  im  Anschluß  an  den  Renaissance- 
bau errichteten  Palastes  sind  in  ihren  Rücklagen  Nachbildungen  des  fünfzig 
Jahre  älteren  Palazzo  Madama  in  Rom.  Ganz  im  Gegensatz  zu  all  den  ge- 
nannten voraufgehenden  und  gleichzeitigen  flachen  und  strengen  Fassaden 
der  italienisch-deutschen  Meister  greift  Schlüter  als  erster  auf  den  mächtigen 
römischen  Barock,  wenn  auch  einer  etwas  älteren  Epoche  zurück.  Allein  er 
verstärkt  den  plastischen  Ausdruck  zunächst  in  dem  obersten  Mezzaninge- 
schoß, wo  Adler  mit  ausgebreiteten  Schwingen  und  Fruchtkränze  zwischen 

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den  Fenstern  gegen  das  reiche  Kranzgesimse  drängen.  Die  stark  schatten- 
den Fensterverdachungen  sind  dem  römischen  Vorbild  ähnlich.  Dagegen  ent- 
steht ein  völlig  abweichendes  Gepräge  durch  die  in  der  Mitte  der  Fassade 
eingesetzten  dreiachsigen  Vorsprünge.  Der  nach  dem  Lustgarten  zu  hat  in 
der  Mitte  einen  von  zwei  Atlanten  getragenen  Balkon  (Abb.  6i),  der  nach  dem 
Schloßplatz  hat  vier  gewaltige  freistehende  korinthische  Säulen  über  dem  kräftig 
gefugten  Erdgeschoß  (Abb.  i6).  Diese  Betonung  der  Mittelachse,  die  dem 
römischen  Palastbau  fremd  war,  spricht  für  die  Bekanntschaft  Schlüters  mit 
dem  französischen  Barock,  wie  denn  auch  manche  Einzelheiten  auf  Kenntnis 
der  kurz  vorher  vollendeten  Bauten  des  Louvre  deuten.  Die  souveräne  Ge- 
staltungskraft Schlüters  enthüllt  sich  am  großartigsten  in  dem  Hofe.  Vor  die 
kräftigen  Vorsprünge  der  drei  Flügel,  hinter  denen  die  Treppenhäuser 
liegen,  hat  Schlüter  die  mächtigen  korinthischen  Säulen  gesetzt,  die  von 
Italienern  für  den  eben  genannten  Arkadenhof  gearbeitet  waren  (Abb.  60).  Die 
vierte  Seite  des  rechteckigen  Hofes  nach  Westen  wollte  Schlüter  durch 
eine  Kolonnade  abschließen.  Das  Haupttreppenhaus  liegt  hinter  dem 
mit  sechs  Säulen  besetzten  östlichen  Vorsprung.  Es  führt  in  zwei 
Armen,  die  im  rechten  Winkel  um  zwei  Pfeiler  geordnet  sind,  zu  dem 
Schweizersaal  empor  —  wo  die  Trabanten  gewöhnlich  den  König  mit  klin- 
gendem Spiel  empfingen  —  und  von  dem  aus  nach  beiden  Seiten,  die  En- 
filade  der  Zimmer  rechteckig  umbiegend,  links  zum  Rittersaal  am  Lust- 
garten und  rechts  zum  Elisabethsaal  am  Schloßplatz  führt.  Durch  das  große 
Portal  am  Schloßplatz  hielt  der  neugekrönte  König  im  Jahre  1701  seinen 
Einzug.  Vor  Schlüters  Schöpfung  muß  man  sich  immer  und  immer  ver- 
gegenwärtigen, daß  sie  nur  die  Hälfte  des  heutigen  Schlosses  umfaßte, 
daß  seine  Fassade  nur  einen  Mittelvorsprung  und  jeder seits  davon  nur  sechs 
beziehungsweise  sieben  Fensterachsen  umfaßte.  Sie  stellte  also  einen  ver- 
hältnismäßig kurzen  und  hohen  Bau  dar,  ganz  im  Sinne  der  römischen 
Paläste.  Leider  ist  durch  die  seit  dem  Jahre  1707  durch  Eosander  von 
Goethe  vorgenommene  Verdoppelung  des  Gebäudes  nach  Westen  die  Schlü- 
tersche  Komposition  ihrer  gedrängten  Kraft  erheblich  beraubt  worden.  Eosan- 
der, ein  Schwede  und  also  ein  Landsmann  Tessins,  der  gleichzeitig  das  riesige 
Stockholmer  Schloß  in  ähnlichen  römischen  Barockformen  erbaute,  schloß 
den  so  entstehenden  äußeren  Hof  im  Westen  durch  einen  Querbau  ab.  In  der 
Mitte  dieses  Westbaues  errichtete  er  ein  mächtiges  Portal  nach  dem  Vor- 
bild eines  römischen  Triumphbogens,  auf  das  erst  im  19.  Jahrhundert  von 
Stüler  die  achtseitige  Kuppel  aufgesetzt  wurde.  Die  leere  Pracht  dieses  von 
posaunenblasenden  Genien  belebten  Triumphbogens  unterscheidet  sich  von 
dem  echten  Pathos  des  Schlüterschen  Hofes.    Eosander  war  der  bevorzugte 

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Abb.  6i.     Lustgartenfassade  des  Berliner  Schlosses,  von  A.  Schlüter,  1700 


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Festdekorateur  des  Königspaares.  Die  lange  Galerie,  die  er  seit  dem  Jahre 
1707  als  Fortsetzung  der  Schlüterschen  Paradekammern  einrichtete,  ist  das 
Glanzstück  der  jetzt  in  den  deutschen  Schlössern  nach  dem  Muster  von  Ver- 
sailles und  dem  Louvre  Mode  werdenden  Galerien,  die  den  festlichen  Emp- 
fängen dienten.  Die  Komposition  der  überreichen  Stuckfiguren  und  Gemälde 
ander  Decke  bleibt  aber  auch  hier  weit  zurück  hinter  der  zusammenfassenden 
plastischen  Gestaltungskraft,  mit  der  Schlüter  im  Elisabethsaal  und  vor- 
nehmlich im  Rittersaal  die  Figurenmassen  dem  Räume  einzuordnen  versteht. 
Nach  Schlüters  Projekt  sollte  das  Schloß  ein  Gegenstück  erhalten  in  dem 
gleich  gebildeten  Marstallgebäude  —  die  Lange  Brücke  mit  dem  Kurfürsten- 
denkmal hätte  auf  die  Mittelachse  hingeführt.  Den  hinteren  Abschluß  des  so 
entstehenden  tiefen  Schloßhofes  sollte  der  zentrale  Kuppelbau  des  Domes, 
ähnlich  dem  St.  Peter  in  Rom,  bilden.  Die  Zeitgenossen  priesen  Schlüters 
Schloßbau  als  das  bedeutendste  Architekturwerk  in  Deutschland.  Sie  muß- 
ten darin  die  Offenbarung  eines  über  alle  bisherigen  Versuche  hinausgehen- 
den monumentalen  Könnens  erblicken.  Allein  die  ältere  strenge  Schule, 
die,  wie  wir  sahen,  im  letzten  Drittel  des  Jahrhunderts  in  Deutschland  Fuß 
gefaßt  hatte,  tadelte  den  Bau  als  den  Regeln  der  Architektur  zuwider.  Die 
kühne  Behandlung  der  Säulenordnungen  und  Gesimse  konnte  natürlich  den 
Beifall  der  Akademiker  nicht  finden.  So  hat  der  um  die  Theorie  des  prote- 
stantischen Kirchenbaues  verdiente  Mathematikarchitekt  Sturm  den  Schlü- 
terbau stark  bemängelt.  Eosander,  Schlüters  Mitbewerber,  hat  ebenfalls, 
wenn  auch  indirekt,  daran  getadelt.  Es  war  gewiß  ein  tragisches  Verhäng- 
nis für  Schlüter,  daß  gerade  diese  beiden  Männer  nebst  dem  ebenfalls  schul- 
gerechten Grünberg  über  ihn  zu  Richtern  gesetzt  wurden,  als  der  eben  auf- 
geführte Münzturm  an  der  Nordwestecke  des  Schlosses  sich  zu  senken  be- 
gann. Der  Turm,  dessen  Entwurf  von  Schlüter  erhalten  ist,  mußte  schleunigst 
abgetragen  werden.  Die  Schuld  Schlüters  an  der  mangelhaften  Bauführung 
war  nicht  abzustreiten.  Der  wohlgesinnte  König  mußte  den  Künstler  seiner 
Stellung  als  Oberschloßbaudirektor  entkleiden.  Schlüter  war  eben  kein  ge- 
lernter Architekt  von  Hause  aus,  und  es  liegt  nahe  anzunehmen,  daß  er,  der 
so  genial  gestaltende  Künstler,  die  Forderungen  der  Statik  nicht  mit  dem 
gebührenden  Ernst  beachtet  hat.  In  Berlin  blieb  er  noch  sechs  Jahre  als 
Bildhauer  am  Schloß  mittätig.  Von  seinen  übrigen  Bauten  verdienen  die  ab- 
gerissene alte  Post  und  das  noch  erhaltene  Kamekesche  Landhaus  in  der 
Dorotheenstraße,  jetzt  Loge  Royal  York,  Erwähnung.  Im  Jahre  17 13,  wo 
mit  der  Thronbesteigung  Friedrich  Wilhelms  I.  das  Berliner  Kunstleben  ein- 
fachere Bahnen  einschlug,  wurde  Schlüter  von  Peter  dem  Großen  nach  Peters- 
burg gezogen,  wo  er  bald  darauf  in  ärmlichen  Verhältnissen  starb.  Damals  gin- 

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gen  Eosander  und  Longuelune  an  den  Hof  Augusts  des  Starken  nach  Dresden. 
—  Auch  Schlüters  österreichischer  Zeitgenosse,  der  ihm  an  Geniahtät  gleich- 
kommende Bernhard  Fischer  von  Erlach,  war  von  Hause  aus  Bildhauer. 
Auch  er  hatte,  was  schon  anläßlich  seiner  großartigen  Salzburger  und  Wiener 
Kirchenbauten  bemerkt  wurde,  in  Rom  studiert.  Von  dort  kam  er  um  1685 
nach  Wien,  gerade  im  rechten  Augenblick,  als  nach  der  siegreich  überwun- 
denen Türkenbelagerung  eine  beispiellose  Baulust  die  Kaiserstadt  umzuge- 
stalten begann.  Fischer  und  Hildebrand  kommen  mit  der  glorreichsten 
Epoche  Österreichs  empor.  Diese  wird  eingeleitet  durch  die  ruhmwürdige 
Schlacht  vor  den  Toren  Wiens,  die  ein  für  allemal  der  Türkennot  ein  Ende 
machte.  Hier  war  esauch,  wo  der  größte  Krieger  und  Staatsmann  Österreichs, 
Prinz  Eugen,  unter  den  Augen  Johann  Sobieskis  als  junger  Dragoneroffizier 
die  ersten  Lorbeeren  pflückte.  Fischer  arbeitete  1687  unter  Leitung  Burna- 
cinis  an  der  steinernen  Ausführung  der  Dreifaltigkeitssäule  am  Graben.  Mit 
den  beiden  Triumphbogen  für  den  Einzug  Josephs  I.  als  römischen  Königs 
1690  errang  er  den  ersten  großen  Erfolg  über  die  Italiener.  Er  unterrichtete 
Joseph  I.  in  der  Architektur  und  hat  den  für  das  Große  empfänglichen  und 
Großes  wollenden  Fürsten  mit  den  weitgreifenden  Gedanken  der  neuen  Bau- 
kunst erfüllt.  Um  das  Jahr  1695  schritten  die  beiden  zu  der  Riesenanlage  des 
Schlosses  Schönbrunn,  das  in  seinen  Grundzügen  um  1700  entstand,  aber 
erst  unter  Maria  Theresia  vollendet  wurde.  Der  langgestreckte  Bau  mit 
seinem  weiten  Ehrenhof  steht  unleugbar  unter  dem  Eindruck  von  Versailles. 
Bei  den  übrigen  Palästen,  die  Fischer  jetzt  für  den  österreichischen  Hochadel 
in  der  Stadt  und  am  Rande  derselben  auf  dem  Gebiete  der  planierten 
Festungswerke  und  Vorstädte  errichtete,  entfaltet  sich  der  ihm  so  ganz 
eigentümliche  Raum-  und  Formensinn.  Gleich  seinen  Kirchenbauten  tragen 
diese  Adelspaläste  ein  Gepräge  von  wuchtiger  Größe  und  Klarheit,  das  un- 
sere so  leidigen  Fragen  nach  der  Herkunft  des  Stils,  nach  den  Einflüssen  ver- 
stummen läßt.  Es  läßt  sich  nur  sagen,  daß  der  kräftige  plastische  Ausdruck, 
die  starken  Fensterverdachungen  und  reichen  Konsolengesimse,  die  Her- 
kunft aus  dem  italienischen  Spätbarock  zur  Schau  tragen.  Sie  ist  auch  in 
der  Gliederung  der  Fassaden  der  hohen,  an  den  engen  Straßen  gelegenen 
Stadtpaläste  zu  spüren,  z.  B.  an  dem  1696  für  den  Prinzen  Eugen  begonne- 
nen Winterpalais,  an  dem  um  1720  entstehenden  Palais  Trautson.  Die  vier- 
eckigen Treppenhäuser  mit  flachansteigenden,  rechteckig  umbiegenden 
Stiegen  stellen  eine  Fortentwicklung  aus  den  in  Oberitalien,  nament- 
lich in  den  Palästen  Genuas ,  üblichen  Treppenhäusern  dar.  Das 
zeigt  sich  noch  deutlicher  in  den  Treppenhäusern  Lukas  von  Hilde- 
brands,    so     in     dem     des     oberen    Belvedere.      Die    muskulösen   Giganten, 

136 


Abb.  63.     Belvedere  in  Wien,  von  L.  von  Hildebrand,  um   1720 


137 


Abb.  64.     Schloß  Mirabell  in  Salzburg,- Treppenhaus.     L.  von  Hildebrand,  um  1720 
138 


die  in  diesem  Bau  und  im  Winterpalais  des  Prinzen  Eugen  die  schwere 
Last  der  Gebälke  stützen,  deuten  im  Vergleich  mit  den  unter  dem 
Druck  seufzenden  Titanen  in  Schlüters  Berliner  Haupttreppenhaus  darauf, 
daß  die  drückende  Schwere,  die  dem  älteren  Barock  eigen  war,  sich  zu  er- 
leichtern beginnt.  Dort,  wo  Fischer  von  dem  Bauplatz  unbeschränkt  war,  in 
den  Adelspalais  vor  der  Stadt  (Abb.  62),  bevorzugt  er  die  niedrige,  lang- 
gestreckte, durch  einen  runden  herausgewölbten  Mittelbau  betonte  Schloß- 
anlage mit  flachen  Terrassen  und  Vorplätzen,  wofür  das  1697  dem  Fürsten 
Mannsfeld  erbaute  jetzige  Schwarzenberg-Palais  am  Rennweg  das  berühmte 
Hauptbeispiel  ist.  In  dieser  Anlage  verkörpern  sich  im  Grundriß  wiederum 
Gedanken  der  französischen  Lehre.  Allein  so  wenig  wie  anläßlich  der  Kir- 
chenbauten Fischers  ist  in  diesen  und  den  verwandten  Palastschöpfungen  die 
überwiegende  Schulung  am  italienischen  Barock  zu  verkennen.  Es  war 
übrigens  damals  die  italienische  Baukunst  selbst  bereits  mit  den  Gedanken 
der  französischen  Regelmäßigkeit  und  Symmetrie  durchsetzt.  Neben  der 
Hauptströmung  des  italienischen  Barock,  die  von  Boromini  zu  Guernieri  und 
endlich  zu  Chiaveris  Dresdener  Hofkirche  fortging,  hatte  sich  in  Rom  und 
namentlich  in  Oberitalien  eine  strengere  Richtung  wachsende  Geltung  ver- 
schafft. Aus  ihr  sind  z.  B.  auch  die  beiden  um  1700  von  dem  Italiener 
Domenico  Martinelli  für  den  Fürsten  Liechtenstein  erbauten  Wiener  Paläste, 
der  Stadtpalast  und  der  Gartenpalast  in  der  Roßau,  hervorgegangen.  Wie 
viel  lebendiger  ist  aber  doch  die  Bewegung  der  Flächen  im  ganzen  und  der 
plastischen  Glieder  im  einzelnen  an  Fischers  Palästen.  An  das  Ende  seines 
Lebens  fällt  der  Ausbau  der  Wiener  Hofburg,  die  Karl  VI.  aus  der  Anhäu- 
fungwinkliger Bauteile  vom  Mittelalter  und  der  Renaissance  in  eine  moderne, 
um  weite  regelmäßige  Höfe  geordnete  Anlage  umzugestalten  unternahm. 
Doch  ist  nur  der  um  1720  entstandene  Reichskanzleitrakt  der  Hofburg  ganz 
nach  Fischers  Plänen  durchgeführt.  Die  kräftige  Sprache  des  Meisters  reden 
noch  die  großen  Pilaster,  die  Doppelkonsolen  der  Gesimse  und  hermengetra- 
genen Balkone.  Das  späteste  Werk  des  Künstlers  ist  die  ein  Jahr  vor  seinem 
Tode  1722  begonnene  Hofbibliothek  neben  der  Hofburg,  nach  dem  Joseph- 
platze hufeisenförmig  geöffnet.  Sie  ist  von  Fischers  Sohn,  Joseph  Emanuel 
Fischer,  vollendet  worden.  Die  Fassade  mit  flachen  Pilastern  und  strengem 
Fugenschnitt  verrät  nur  in  dem  herausspringenden,  mit  Viergespann  bekrönten 
Mittelbau  die  plastisch  gestaltende  Hand  des  alten  Meisters,  ist  aber  im 
übrigen  schon  streng  akademisch.  In  dem  großen  Büchersaal  des  ersten 
Stockwerks,  der  sich  in  der  Mitte  zu  einem  von  korinthischen  Säulen  getra- 
genen ovalen  Kuppelraum  erweitert,  erhebt  sich  die  Raumkunst  des  alten 
Fischers  noch  einmal  zu  der  in  der  Karlskirche  erreichten  Vollendung.  Ihren 

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Abschluß  erhalten  die  Erweiterungsbauten  der  Hofburg  in  dem  von  dem  jün- 
geren Fischer  erbauten  Flügel  der  Winterreitschule,  der  erst  in  den  dreißiger 
Jahren  ausgeführt  wurde. 

Lukas  von  Hildebrand,  der  im  Stil  etwas  jüngere  Zeitgenosse  Fischers,  hat 
in  verwandter  Weise  die  bewegten  plastischen  Formen  des  späteren  italieni- 
schen Barock  mit  den  von  Frankreich  ausgegangenen  Grundrißgedanken  zu 
einer  höchst  selbständigen  Architektur  verschmolzen.  Er  ist  einer  deutschen 
Familie  in  Genua  entsprossen  und  hat  längere  Zeit  als  Ingenieur-Offizier  in 
der  Armee  des  Prinzen  Eugen  in  Italien  geweilt.  Er  geht  von  dem  Stil  der 
spätbarocken  Palastarchitektur  Oberitaliens  aus.  Seine  Fassaden  sind  rei- 
cher und  zierlicher  gegliedert  als  die  des  Fischer:  die  eleganten  Stadthäuser 
(Palais  Kinsky,  1709 — 17 13)  und  Gartenpalais  (Harrach  und  Schönborn)  und 
das  Hauptwerk,  der  Sommerpalast  des  Prinzen  Eugen,  das  Belvedere.  Das 
stattliche  obere  Belvedere,  das  er  dem  sieggekrönten  und  zu  großen  Reich- 
tümern gelangten  Feldherrn  in  den  Jahren  1721 — 1723  errichtete,  bedeutet 
sowohl  in  der  ganzen  Gliederung  mit  höherem  Mittelbau  und  vier  Eck- 
pavillons an  den  Seiten  wie  in  dem  reichen  plastischen  Schmuck  eine  Los- 
lösung aus  dem  schweren  älteren  Barock  (Abb.  63).  Der  in  der  Breite  des 
Gebäudes  die  sanft  absteigende  Fläche  bis  zum  unteren  Belvedere  einneh- 
mende Garten  bezeichnet  in  seiner  Anlage  mit  strengen  Hecken,  Fontänen 
und  Rampen  zugleich  die  Meisterschöpfung  der  Wiener  Gartenkunst  des 
Barock,  die  sich  seit  der  kaiserlichen  Favorite  in  so  zahlreichen  Schlössern 
am  Rande  der  Stadt  entwickelt  hatte. 

Mit  Schlüter,  Fischer  von  Erlach  und  Hildebrand  ist  Daniel  Pöppelmann  in 
Dresden  als  der  vierte  Hauptvertreter  des  plastisch  gestaltenden  reifen 
Barock  aus  dem  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  zu  nennen.  Die  großen  Pläne 
für  das  Residenzschloß  Augusts  des  Starken  am  Eibufer  in  Dresden  und  für 
das  Königliche  Schloß  und  die  Lustgärten  in  Warschau  sind  allerdings  nur 
Projekte  geblieben.  In  dem  Zwinger  aber  hat  Pöppelmann  dasjenige  Werk 
hinterlassen,  das  den  Grundzug  dieser  Barockströmung  am  vollkommen- 
sten offenbart  (vgl.  Abb.  18).  Allerdings  hier  in  diesem  steingewordenen  Fest- 
theater,  in  dieser  für  den  Glanz  des  Sonnenlichtes  und  für  den  Schmuck  des 
dunklen  Grüns  berechneten  Orangerie,  konnte  sich  der  plastisch  formende  Zug 
dieser  Richtung,  ledig  der  strengen  Fesseln,  ungehemmt  ergehen.  In 
Permoser,  dem  Fortsetzer  Berninis,  fand  Pöppelmann  den  gleichgestimmten 
Bildner  für  die  Ausführung  seiner  Ideen.  Dagegen  ist  das  zweite  erhaltene 
Werk  Pöppelmanns,  das  japanische  Palais,  gemäßigt  in  der  Haltung,  und 
erhielt  durch  Longuelune  eine  im  Sinne  des  französischen  klassischen  Barock 
durchgebildete  endgültige  Gestalt. 

140 


Abb.  65.     Schloß  Pommersfelden,  von  M,  von  Welsch  (?),  um  1720 


141 


Hier  ist  eine  unentbehrliche  Bemerkung  einzuschalten.  In  dem  Schaffen 
der  vier  eben  genannten  großen  Meister  macht  sich  bei  all  dem  Streben  nach 
plastischer  Belebung  dennoch  zunehmend  das  klärende  strenge  Bildungs- 
prinzip der  französischen  Schule  geltend.  Zur  gleichen  Zeit  mit  ihnen  hatte 
in  der  Gliederung  der  Grundrisse  und  Aufrisse  der  klassische  Regelgeist  der 
Pariser  Architekten  in  Deutschland  allenthalben  Boden  gewonnen.  Dieses 
Nebeneinander,  dieser  Widerstreit,  diese  Verschmelzung  und  Durchdrin- 
gung der  plastisch  und  malerisch  empfindenden  von  Italien  ausgehenden 
Barockrichtung,  die  in  den  österreichisch-böhmischen  Werken  am  stärksten 
ausgebildet  ist,  mit  der  von  Westen  kommenden,  grundsätzlich  architek- 
tonisch und  mathematisch  denkenden  klassischen  Barockströmung  sind  für 
die  deutsche  Baugeschichte,  vorzüglich  für  den  Schloßbau,  von  der  größten 
Bedeutung.  Wir  müssen  daher  dieser  Erscheinung  noch  einen  Augenblick 
der  Aufmerksamkeit  schenken. 

Auf  die  ersten  Vertreter  des  französischen  Bauwesens,  auf  jene  Huge- 
nottenbaumeister wie  Dury  und  la  Chiese,  folgten  um  1700  Schüler  des  älteren 
Blondel,  unter  denen  de  Bodt,  als  der  Erbauer  des  Berliner  Zeughauses,  be- 
sondere Beachtung  verdient.  Der  so  manche  Anklänge  an  die  Pariser  Bauten 
des  früheren  Louis  Quatorze  aufweisende  Bau  des  Zeughauses  entstand  be- 
merkenswerterweise gleichzeitig  mit  dem  nahen  Schloß  von  Schlüter.  Also 
hier  der  französische  Barockklassizismus  mit  seiner  strengen  Pilasterord- 
nung,  mit  dem  gefugten  Erdgeschoß  und  der  flachrunden  Portalnische,  die 
ähnlich  am  Louvre,  und  dort  der  Palazzo  nach  römischem  Muster!  Der  be- 
rühmte Kampf  der  Ideen  zwischen  Perrault,  dem  Architekten  des  Louvre, 
und  Bernini  scheint  von  Paris  an  die  Ufer  der  Spree  verpflanzt  zu  sein.  Allein 
in  dem  Falle  des  Zeughauses  machen  sie  ihren  Frieden  miteinander,  denn 
Schlüter  und  seine  Schule  haben  die  Fassade,  die  Dachbalustrade  und  den 
inneren  Hof  reich  mit  plastischen  Trophäen  belebt  und  damit  dem  Werke 
doch  eine  Wärme  gegeben,  die  dem  Blondelschen  Klassizismus  fremd  ist. 
Die  Einwirkung  von  Paris  und  Versailles  zeigt  sich  am  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts in  der  Verlängerung  so  mancher  ursprünglich  palazzoartiger  kurzer 
Villenbauten  durch  langgestreckte  niedrige  Flügel.  Eosander  baut  in  dieser 
Weise  das  Lustschloß  der  Sophie  Charlotte,  Charlottenburg,  aus,  Zuccali  und 
Effner,  die  beide  in  Paris  studiert  hatten,  Schleißheim  und  Nymphenburg 
für  Max  Emanuel.  Es  entstehen  eine  Anzahl  Schloßbauten  nach  französi- 
schen Plänen  und  selbst  von  Franzosen  ausgeführt,  die  sich  nicht  nur  in  den 
Grundrissen,  sondern  auch  im  Aufbau  in  den  Grenzen  des  strengsten  fran- 
zösischen klassischen  Barock  halten.  Man  bedenke,  daß,  während  Fischer 
und  Hildebrand    in  Wien,   Schlüter    in  Berlin  und  Pöppelmann  in  Dresden 

142 


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Abb.  66.     Schloß  Pommersfelden,  Mittelsaal,  um  172C-30 


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Abb.  67.     Schloß  Pommersfelden,  Treppenhaus,  um  1720 


144 


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wirken:  Longuelune,  der  Schüler  le  Pautres,  in  Dresden  und  Um- 
gebung baut,  daß  de  Cotte,  der  oberste  Baumeister  des  Königs  von 
Frankreich,  für  Joseph  Clemens  die  Pläne  zum  Fortbau  der  Bonner  Residenz 
(17 15)  und  zum  Poppelsdorfer  Schlosse  entwirft.  Man  denke  ferner  an  die 
Tätigkeit  Hauberats  am  Schloß  in  Mannheim  und  an  sein  Palais  Thurn  und 
Taxis  in  Frankfurt  (neben  der  Hauptpost),  und  an  das  17 10  von  Remy  de  la 
Fosse  erbaute  abgebrochene  Landhaus  in  Hannover  und  das  von  ihm  17 15 
begonnene  Darmstädter  Schloß.  Die  Mehrzahl  der  deutschen  Baumeister 
folgte  den  hier  verkündeten  Ideen  strengster  Symmetrie  und  Ordnung  in  den 
jetzt  allenthalben  entstehenden  fürstlichen  und  adeligen  Stadt-  und  Land- 
schlössern, sowie  in  den  umfangreichen  Kloster-  und  Kollegienbauten.  Die 
Kupferwerke  des  älteren  Blondel,  Davilers  und  Courdemoys  taten  das  ihrige 
zur  schnellen  Verbreitung  der  neuen  Formen.  Der  Sachverhalt  ist  also  der, 
daß  die  deutsche  weltliche  Architektur  des  früheren  18.  Jahrhunderts  auf  den 
Grundlagen  weiterbaut,  die  bereits  im  letzten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts 
gelegt  worden  sind;  nur  wird  die  gleichförmige  Sachlichkeit  der  älteren  Zeit 
durch  die  neuen  französischen  Lehren  im  Sinne  der  stärkeren  Konzentration 
des  Grundrisses  und  Aufbaues  um  eine  Mittelachse  belebt.  Hierher  gehören 
die  münsterschen  Adelshöfe,  Landschlösser  und  Klöster  des  Gottfried 
Laurenz  Pictorius  (Bevervörder  Hof  in  Münster,  Schloß  Nordkirchen  und 
Jesuitenkolleg  in  Büren)  und  die  des  Lambert  von  Corfey  (Abb.  5g),  in 
denen  die  Überlieferung  des  Backsteinbaues  der  älteren  holländischen  Schule 
fortgeführt  wird.  Weitere  Beispiele  sind  das  Fürstlich  Waldecksche  Resi- 
denzschloß in  Arolsen,  das  im  Jahre  17 10  von  Rothweil  begonnen  wurde, 
zahlreiche  Schlösser  am  Rhein,  in  Nassau  und  Thüringen  (Baulichkeiten  in 
Gotha  und  Altenburg).  Ja  auch  in  den  späteren  Werken  des  Johann  Dient- 
zenhofer  ist  die  Hufeisenform  des  Grundrisses  und  das  herausgehobene 
Corps  de  Logis  von  der  westlichen  Richtung  übernommen,  so  im  Fürstlich 
Löwensteinschen  Schlosse  Klein-Heubach  —  zu  dessen  Oberleiter  allerdings 
de  la  Fosse  aus  Darmstadt  ernannt  wurde  — ,  in  der  Residenz  in  Fulda  und 
im  Schlosse  Pommersfelden.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  nähert  sich  auch  die 
Formensprache  all  dieser  Bauten  vom  ersten  Jahrhundertdrittel  der  schmuck- 
losen klaren  französischen  Richtung,  für  die  im  einzelnen  der  flache  Korb- 
bogen der  Fenster  und  Türen  bezeichnend  ist.  Namentlich  dort,  wo  die  Bau- 
gelder beschränkt  waren,  legte  man  sich  äußerste  Zurückhaltung  auf.  Erst 
in  den  mit  reicheren  Mitteln  aufgeführten  Prunkbauten,  wo  der  freiwaltende 
Kunstgeist  sich  ergehen  konnte,  drängt  sich  der  deutsche  Geschmack  stärker 
in  den  Vordergrund.  Das  zeigen  die  Werke  des  Mainzer  Hofbaumeisters 
Maximilian  von  Welsch.    Seine  Hauptschöpfung,  die  seit  1706  für  den  Kur- 

Schmitz,  18.  Jahrh.     lo  ^45 


fürsten  Lothar  Franz  von  Schönborn  geschaffene  Favorite  in  Mainz,  ist 
allerdings  zerstört.  Der  kräftige  plastische  Zug  des  Welsch  spricht  sich  trotz 
der  übernommenen  französischen  Formen  in  den  stark  vorspringenden 
wuchtigen  Pilastern  aus,  die  er  an  den  fünf  Pavillonbauten  der  Mainzer 
Favorite,  an  der  Orangerie  in  Fulda  wie  an  dem  Zeughaus  und  dem 
Deutschordenshaus  in  Mainz  anwendet.  Daraufhin  vergleiche  man  nur  die 
gedrängte  Fülle  der  Fuldaer  Orangeriefassade  mit  der  kurz  vorher  entstan- 
denen, ganz  flachen  der  Orangerie  von  de  la  Fosse  in  Darmstadt  und  von 
Dury  in  Kassel.  Wahrscheinlich  ist  dem  Welsch  auch  die  Vollendung  des 
171 1  von  Johann  Dientzenhofer  begonnenen  Schlosses  Weißenstein  bei  Pom- 
mersfelden  zuzuschreiben  (Abb.  65).  Der  vorwärts  und  rückwärts  vorsprin- 
gende, an  den  Ecken  abgerundete,  dreifenstrige  Mittelbau  weist  die  wuch- 
tigen korinthischen  Pilaster  und  Halbsäulen  des  Welsch  auf.  Mit  seiner 
kräftigen  Plastik,  dem  stark  verkröpften  Giebel  und  dem  hohen,  mit  großen 
Erkern  besetzten  Mansarddach  springt  der  Baukörper  kräftig  aus  der  lang- 
gestreckten Front  heraus  und  bewirkt  die  dem  französischen  Stil  fremde  leb- 
hafte Gruppierung.  In  manchem  erinnert  er  auch  an  die  späteren  Werke  Hilde- 
brands, wie  das  Stift  Göttweig,  und  es  ist  sehr  möglich,  daß  der  Bauherr, 
Fürstbischof  Lothar  Franz  von  Schönborn,  den  Wiener  Baumeister  der 
Familie  mit  hinzugezogen  hat.  Dies  scheint  bei  der  inneren  Einrichtung  des 
Mittelbaues  zweifellos  zu  sein.  Die  ganze  vordere  Hälfte  wird  von  dem  breit 
rechteckigen  ovalgerundeten,  von  Galerien  auf  schlanken  Säulen  umzogenen 
Treppenhaus  eingenommen.  Die  hintere  Hälfte  ist  im  Erdgeschoß  einem 
Gartensaal  und  in  dem  oberen  dem  durch  zwei  Stockwerke  reichenden  Fest- 
saal eingeräumt  (Abb.  66).  In  denselben  Jahren,  um  1716,  erhält  ein  zweiter 
langgestreckter  Bau  der  Dientzenhofer,  das  Kloster  Ebrach,  einen  ähnlichen 
kräftigen,  durch  Säulen  belebten  Mittelbau  mit  ähnlichem  Treppenhaus  im 
Innern  und  zwar  durch  den  jungen  Balthasar  Neumann. 

Mit  Balthasar  Neumann  tritt  der  fränkische  Barock  ebenbürtig  neben  den 
der  bisher  genannten  Residenzen.  In  seinem  Hauptwerk,  dem  für  den  Fürst- 
bischof Johann  Philipp  von  Schönborn  17 19  begonnenen  Residenzschloß  in 
Würzburg,  verschmelzen  sich  die  barocken  bewegten  Formen  der  öster- 
reichisch-süddeutschen Richtung  mit  den  Gedanken  der  Pariser  Schule  zu 
einer  Schöpfung  von  höchstem  künstlerischem  Range.  Neumann  hatte  auf 
Anordnung  des  Bauherrn  die  Pläne  in  Paris  eingehend  mit  de  Cotte  und 
Boffrand  durcharbeiten  müssen.  Offenbar  ist  die  klärende  Einwirkung  dieser 
Franzosen  dem  Baue  zugute  gekommen.  Im  Gegensatz  etwa  zu  dem  gleich- 
zeitigen Wiener  Belvedere  von  dem  älteren  Hildebrand  ist  die  Komposition  des 
plastischen  Schmuckes  und  der  Gliederung  in  den  Würzburger  Fassaden  auf 

146 


Abb.  68.     Residenzschloß  in  Würzburg,  Mitteltrakt  der  Gartenseite, 
von  Balthasar  Neumann,  um  1720—30 


147 


starke  Akzente  gesammelt  (Abb.  68:  vgl.  auch  Abb.  23).  Die  Hauptgeschosse 
sind  durch  die  strenge  Fugenzeichnung  und  die  Pilaster,  im  Erdgeschoß  ferner 
durch  dorische  Säulenvorlagen  einer  strengen  Ordnung  unterworfen.  Nun  ist 
aber  doppelt  wunderbar  das  Heraufwogen  der  vorspringenden  Verzierungen 
über  den  Fenstern  des  Obergeschosses  und  in  der  statuen-  und  trophäen- 
geschmückten Attika,  sowie  ihre  Zusammendrängung  in  den  geschweiften 
Mittelgiebeln  zu  rauschenden  Akkorden.  Der  schwellende  Reichtum  der  Plastik, 
der  von  den  Dientzenhoferschen  und  selbst  den  stets  etwas  schweren  Fassaden 
des  Welsch  absticht,  deutet  auf  die  Fühlungnahme  Neumanns  mit  Hildebrand. 
Tatsächlich  beweisen  einige  Zeichnungen  und  Schriftstücke  die  Hinzuziehung 
auch  des  großen  Wiener  Barockmeisters  im  Jahre  1730.  Im  Innern  geht  Neu- 
mann kühn  über  alles  bisher  in  der  Schaffung  von  Weiträumigkeit  in  Wien 
Geleistete  hinaus.  Das  ungeheure  zweiarmige  Treppenhaus  des  ersten  Planes 
wurde  freilich  durch  de  Gottes  Eingriff  auf  den  linken  Arm  beschränkt. 
Dieser  großartige  Raum  sowie  die  beiden  Festsäle  in  der  Mittelachse  erhiel- 
ten ihre  Ausstattung  erst  in  der  Mitte  des  Jahrhunderts  und  sollen  deshalb 
mit  dem  Rokokostil  zusammen  gewürdigt  werden. 

Noch  einige  andere  Meister  haben  in  den  zwanziger  und  dreißiger  Jahren 
des  1 8.  Jahrhunderts  die  Verschmelzung  der  französischen  Grundsätze  in  An- 
ordnung und  Aufbau  mit  dem  deutschen  Geschmack  für  lebhafter  ge- 
schmückte Flächen  vorgenommen.  Unter  ihnen  bestehen  natürlich  Unter- 
schiede. So  hat  Joseph  Effner,  trotz  seines  langen  Aufenthaltes  in  Paris, 
seinen  Münchner  Adelspalästen  —  der  bedeutendste  ist  das  Preysingsche 
Palais  neben  der  Feldherrnhalle  (Abb.  69)  —  die  Flächen  mit  plastischen  Ver- 
zierungen übersponnen,  die  wohl  den  Landsmann  der  Asam,  aber  nicht  den 
französisch  geschulten  Architekten  erkennen  lassen.  Die  hohen  vierstöckigen 
Münchner  Adelspaläste,  die  an  den  engen  Gassen  der  mittelalterlichen  Stadt 
aufwachsen,  stehen  in  ihrer  ganzen  Anlage  mehr  den  Wiener  Stadtpalästen 
nahe.  Eine  breite  Lagerung  um  einen  weiten  abgeschlossenen  Ehrenhof,  die 
in  Münster,  in  Aachen  und  Krefeld  und  in  Berlin  die  Paläste  zeigen,  war  hier 
nicht  möglich.  In  Berlin  entstanden  unter  Friedrich  Wilhelm  I.  eine  Reihe 
Paläste  an  der  Wilhelmstraße  von  Wiesend,  Gerlach,  der  auch  das  Berliner 
Kammergericht  und  die  Stadtschule  in  Potsdam  erbaute,  und  von  Kemmeter, 
dem  Erbauer  des  rechten  Rheinsberger  Schloßflügels  für  den  jungen  Fried- 
rich, und  dem  Lehrer  Knobelsdorffs.  Das  Schloß  in  Schwedt  an  der  Oder 
von  Richter  nähert  sich  dem  Stile  dieser  Bauten.  Aus  Süddeutschland  ver- 
dienen als  wichtigste  Zeugnisse  dieses  spätesten  Barock  unter  französischer 
Einwirkung  genannt  zu  werden  die  von  Frisoni  erbauten  Flügel,  Kavalier- 
und  Verbindungsbauten  im  Ludwigsburger  Schlosse  und   ebendort  das  den 

148 


SüMiy 


Abb.  69.     Preysing-Palais  in  München,  von  Effner,  um   1730 


149 


riesigen  Rechteckshof  abschließende,  nach  Frisonis  Plänen  von  Paolo  Retti 
errichtete,  vordere  Corps  de  Logis,  und  endlich  der  Hauptbau  des  Schlosses 
in  Ansbachs).  Die  Merkmale  all  dieser  um  1730  entstandenen  Gebäude  sind 
die  zusammenfassenden  Pilaster  und  die  plastische  Belebung  der  Fensterver- 
dachungen,  der  Giebel  und  derAttiken,  womit  in  erster  Linie  die  dreiachsigen 
Mittelvorsprünge  betont  v^^erden.  Wir  sind  damit  in  die  Zeit  getreten,  wo 
der  Barock,  wenn  wir  nach  dem  Kirchenbau  urteilen,  in  den  Rokokostil  über- 
geht. Allein  diese  Wandlung  ist  an  dem  weltlichen  Außenbau  nur  in  sehr  be- 
schränktem Maße  wahrzunehmen.  Dagegen  schreitet  die  Innenausstattung, 
die  ebenfalls  die  stärksten  Einwirkungen  von  der  französischen  Regence  er- 
fahren hat.  im  Verlauf  der  dreißiger  Jahre  deutlich  zu  einem  anderen  Stile, 
eben  dem  Rokoko  über. 


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Abb.  70.     Fontäne  im  Park  des  Belvedere  in  Wien,  um  1720 


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13.  DIE  SCHLOSS-  UND  H  AUS  AR  CHITEKTUR  IM 
ROKOKOZEITALTER 

Die  Grundlagen,  auf  denen  sich  die  deutsche  weltHche  Architektur  des  Ba- 
rock im  ersten  Drittel  des  Jahrhunderts  aufbaute,  bleiben  in  dem  zweiten 
Drittel  des  Jahrhunderts,  in  dem  Zeitalter  des  Rokoko,  zunächst  im  wesent- 
lichen unverändert.  Die  Wandlungen  erstrecken  sich  mehr  auf  den  Grad  der 
Empfindung.  Im  äußeren  Gewände  der  Gebäude  drückt  sich  diese  Änderung 
vorwiegend  im  Einzelnen,  in  der  Ornamentik  aus.  Das  Innere  dagegen  setzt 
die  Steigerung  der  Raumbewegung  und  die  Lockerung  der  Glieder  fort,  die 
in  dem  späteren  Barock  in  Fluß  gekommen  war.  In  diesem  letzteren  Punkt 
hält  die  Schloßarchitektur  gleichen  Schritt  mit  der  kirchlichen.  Eilen  wir 
sogleich  den  Höhepunkten  der  Raumkunst  des  weltlichen  Rokoko  zu.  Es 
sind  das  die  von  Balthasar  Neumann  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  —  also 
zugleich  mit  Neresheim  und  Vierzehnheiligen  —  geschaffenen  Haupträume 
des  Schlosses  in  Würzburg  und  in  Bruchsal.  Das  Treppenhaus  des  Würz- 
burger Schlosses  ist  wohl  unstreitig  der  großartigste  Raumeindruck  in 
Deutschland.    Auf  der  breiten,  mit  sanfter  Neigung  steigenden  Treppe  fühlt 


151 


sich  der  Hinaufschreitende  mit  ungeahnter  Leichtigkeit  emporgeführt.  Es 
öffnet  sich  über  ihm  der  unendHche  blaue  Himmel,  im  weiten  Umkreis  von 
bunten  Völkerscharen  begrenzt  —  immer  neue  der  in  majestätischer  Ruhe 
hingelagerten  Gestalten  erschließen  sich  dem  Höherkommenden,  gemalt  von 
Tiepolos  Meisterhand.  Mit  dem  Stiegenhaus  wetteifert  der  große,  in  dem 
ausgerundeten  Mittelteil  nach  dem  Garten  gelegene  breitovale  Kaiser- 
saal (Abb.  71).  Schlanke  korinthische  Halbsäulen  tragen  die  zierlichen 
Gesimse,  über  denen  die  hohen,  von  tiefen  Stichkappen  durchschnittenen, 
von  den  Oberfenstern  erleuchteten  Gewölbe  aufsteigen.  Die  Wände  sind 
vorwiegend  weiß,  von  zarten,  grün-  und  rosafarbenen  und  vergoldeten  Glie- 
dern durchsetzt.  Die  nämliche  Lockerung  aller  Formen,  bis  zu  den  zerfran- 
sten Kapitellen  und  Rocailleschnörkeln  aus  Stuck  zugleich  mit  der  höchsten 
Erweiterung  des  Raumes,  wie  sie  die  genannten  Kirchen  schon  veranschau- 
licht haben.  Auch  hier  vervollständigt  das  Werk  des  größten  deutschen 
Raumkünstlers  der  größte  italienische  Deckenmaler  des  18.  Jahrhunderts.  Ein 
Zusammentreffen  auf  dem  Höhepunkt  des  18.  Jahrhunderts,  das  für  den  Ge- 
samtverlauf der  europäischen  Kunst  des  Barock  und  Rokoko  eine  tiefgehende 
Bedeutung  hat.  Eine  faltenreiche  Stuckdrapierung  wird  von  Engelkindern 
beiseite  geschlagen,  und  es  eröffnet  sich  der  Blick  auf  eine  sonnenüberglänzte 
Festversammlung  unter  lachendem  Himmel :  die  Belehnung  des  Bistums 
Würzburg  mit  dem  Herzogtum  Franken  durch  Kaiser  Barbarossa.  Eben- 
bürtig ist  dem  Würzburger  Kaisersaal  der  gleichzeitige  Festsaal  des  Bruch- 
saler Schlosses,  im  Mittelteile  nach  der  Gartenseite.  Das  dortige  Treppen- 
haus ist  nur  ein  Umbau  aus  einem  älteren  des,  wie  gesagt,  dreißig  Jahre  zu- 
rückliegenden Schloßbaues.  Was  hat  aber  Neumanns  Meisterhand  daraus 
gemacht!  Er  durchschnitt  den  rundovalen  Raum  durch  einen  säulengetragenen 
Unterbau,  der  im  Erdgeschoß  einen  Grottensaal  aufnimmt.  Die  Läufe  der 
Treppe  winden  sich  um  diesen  Einbau  im  Bogen  aufwärts.  Dem  Hinauf- 
steigenden enthüllen  sich  also  schrittweise  die  Blicke  in  das  obere  Vestibül 
und  auf  das  Gewölbe,  das  Johannes  Zick  mit  einem  Fresko  bemalt  hat.  Reiche 
Stuckschnörkel  von  Feichtmeyers  Hand  fluten  an  den  Wänden  ringsum 
gegen  die  Gesimse  und  darüber  empor  und  finden  ihre  Fortsetzung  in  den 
gemalten  Grotten-  und  Schnörkelarchitekturen  des  Zickschen  Freskos,  durch 
deren  Öffnungen  der  lichte  Himmel  hindurchscheint.  Auf  Stufenbauten  am 
Rande  des  Bildes  thronen  die  Fürstbischöfe  von  Speier,  Damian  Hugo  von 
Schönborn,  des  Schlosses  Erbauer,  und  gegenüber  Hütten,  der  Vollender, 
umgeben  von  ihren  Künstlern  und  Kavalieren.  Von  den  Treppenhäusern  in 
Würzburg  und  Bruchsal  schweifen  unsere  Gedanken  rückwärts  zu  dem  in 
den    vierziger    Jahren    von  Neumann    für  Clemens  August    ausgestatteten 

152 


Abb.  71.     Kaisersaal  im  Würzburger  Schlosse,  von  Balthasar  Neumann 
Mitte  18.  Jahrhunderts 

prunkvollen  Treppenhause  des  Schlosses  Brühl,  das  noch  starke  Züge  des 
schweren  Barock  aufweist,  und  weiter  zurück  zu  dem  von  Effner  erbauten  in 
Schleißheim,  ferner  zu  dem  im  Schlosse  Mirabell  bei  Salzburg  von  Hildebrand 
(Abb.  64)  und  dann  zu  dem  von  Pommersfelden  (um  17 18)  und  gelan- 
gen schließlich  zu  dem  am  Anfang  dieser  Reihe  stehenden  von  Schlüter  im 
Berliner  Schlosse  und  dem  des  Prinz-Eugen-Palais  des  Fischer  von  Erlach 
um  1700.  Welch  eine  stufenweise  Entwicklung  vom  Gebundenen  und  Engen 


153 


zum  Freien  und  Gelösten  in  diesen  fünfzig  Jahren.  Den  gleichen  aufsteigen- 
den Gang  nehmen  die  Raumformen  und  Gliederungen  der  großen  Säle,  um 
nur  den  Mittelsaal  des  Palais  im  Dresdener  großen  Garten,  den  Rittersaal  im 
Berliner  Schlosse,  den  großen  Saal  in  Schleißheim  von  Effner,  den  der  Oran- 
gerie in  Fulda,  den  des  Schlosses  Pommersfelden  und  endlich  den  des  oberen 
Belvedere  in  Wien  als  Vorstufen  zu  den  großen  Sälen  von  Würzburg  und 
Bruchsal  aufzuzählen. 

In  der  äußeren  Architektur  dieser  Epoche  bleibt  das  merkwürdige  oben 
gekennzeichnete  Nebeneinander  der  strengen  Richtung  und  einer  mehr  auf- 
gelockerten bestehen.  Verfolgen  wir  zunächst  die  letztere,  so  sind  einige  um 
die  Jahrhundertmitte  entstandene  Bauten  Neumanns  wegen  ihrer  reichen 
aufgelösten  Rokokoornamentik  voranzustellen,  der  Mittelteil  des  Schlosses 
von  Bruchsal,  das  Haus  zum  Falken  in  Würzburg  und  der  ihm  nahestehende 
Rathausturm  auf  der  Mainbrücke  in  Bamberg  (vgl.  Abb.  25).  Im  Übrigen  kenn- 
zeichnet die  späteren  Werke  Neumanns,  wie  etwa  den  Dikasteralbau  in 
Ehrenbreitstein,  die  Abwesenheit  reicherer  Plastik.  Dagegen  erlebt  die 
Rokokodekoration  am  Außenbau  einiger  jüngerer  rheinisch-westfälischer 
Meister  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  eine  reiche  Ausprägung.  Die  wich- 
tigsten sind  der  Osteiner  Hof  in  Mainz  und  das  schön  bewegte  Palais  Kessel- 
stadt von  dem  Mainzer  Generalmajor  Thomann  (Abb.  72),  die  Residenz  in 
Trier  von  dem  kurfürstlichen  Baudirektor  Seitz,  einem  Schüler  Neumanns 
(1756);  der  Erbdrostenhof  in  Münster  und  das  dortige  Fürstbischöfliche 
Residenzschloß,  erst  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege  begonnen,  bei- 
des die  Hauptschöpfungen  des  Münsterschen  Generalmajors  und  Oberbau- 
direktors Johann  Konrad  Schlaun.  Das  über  vierzig  Jahre  umfassende  Wir- 
ken dieses  hervorragenden  Baumeisters  veranschaulicht  uns  mit  seltener 
Deutlichkeit  die  Umwandlung  der  deutschen  Schloßarchitektur  von  dem 
Barock  der  zwanziger  Jahre  bis  zum  Höhepunkt  des  Rokoko  um  die  Jahr- 
hundertmitte. Seine  Frühwerke,  das  Äußere  des  Schlosses  Brühl,  der  Schmie- 
singhof  in  Münster  und  das  Jagdschloß  Clemenswerth  auf  dem  Hümling, 
erläutern  die  Durchdringung  des  strengen  heimischen  Backsteinbaues  mit 
den  französischen  Grundriß-  und  Aufrißformen,  aber  auf  der  anderen  Seite 
auch  die  wachsende  plastische  Belebung,  die  dann  in  den  beiden  großartigen 
Hauptschöpfungen  ausgereift  ist.  Nicht  unerheblichen  Einfluß  hat  auf  deren 
üppige  Steinmetzenarbeit  der  ausführende  Bildhauer  Feill  gehabt,  ein 
Meister,  der  aus  dem  Mainzischen  nach  Münster  kam.  Er  bringt  von  dort 
den  virtuosen  bildnerischen  Stil  mit,  der  im  main-  und  rheinfränkischen 
Rokoko  am  glänzendsten  durch  Tietz  aus  Bamberg,  den  Bildhauer  der 
Trierer  Residenz,  vertreten  wird.  Die  um  die  Jahrhundertmitte  entstehenden 

154 


155 


langgestreckten  Residenzschlösser  in  Stuttgart  und  Karlsruhe  gehören  schon 
wieder  mehr  der  strengen  französierenden  Schule  an.  Nur  einzelne  Teile, 
der  Mittelbau  des  Corps  de  Logis  in  Stuttgart  und  die  Eckpavillons  in  Karls- 
ruhe weisen  reichere  Plastik  auf  und  folgen  darin  mehr  dem  Stile  Neumanns, 
der  für  diese  wie  für  so  viele  andere  Residenzen  zunächst  hinzugezogen  war. 
Beim  Stuttgarter  Schloß  gesellte  sich  dem  Erbauer  Retti  später  der  Fran- 
zose de  la  Guepiere  zu. 

Wie  schwierig  es  ist,  bei  den  verschiedenen  sich  kreuzenden  Strömungen 
die  deutschen  Baumeister  des  Jahrhunderts  durch  unsere  einseitig  festgeleg- 
ten Stilbegriffe  zu  kennzeichnen,  beweisen  vor  allem  die  auf  dem  Höhepunkt 
des  Rokoko  entstehenden  Bauwerke  des  Baumeisters  Friedrichs  des  Großen, 
des  Clemens  Wenzeslaus  von  Knobelsdorff.  Auch  er  hat  Verbindungen  mit 
der  plastischen  Richtung  des  späten  deutschen  Barock,  die  sein  Lehrer,  der 
schon  genannte  Kemmeter,  vertrat.  Durch  den  Aufenthalt  in  Italien  im 
Jahre  1736  hat  sie  neue  Nahrung  erhalten.  Im  Jahre  1740  nach  der  Thron- 
besteigung sandte  der  König  seinen  Baumeister  nach  Paris.  Hier  hat  er  die 
Werke  Boffrands,  des  eben  berühmt  werdenden  Blondel  und  selbst  die  um 
eine  Generation  älteren  Schöpfungen  Mansards  in  Versailles  studiert.  Die 
Gliederungen  und  Säulenstellungen  der  älteren  Franzosen  überträgt  er  nach 
Berlin  und  Potsdam.  Er  glaubt  in  ihnen  die  Kunst  der  Römer  und  Griechen 
zu  finden.  Aus  seinen  Briefen,  die  er  seinem  Bauherrn  und  Freunde  von 
Italien  und  Frankreich  sendet,  klingen  immer  wieder  die  Lobeshymnen  auf 
,,die  Kunst  der  Griechen  und  Römer"  hervor.  Nun  müssen  wir  uns  aber  sehr 
hüten,  bei  Knobelsdorff  ein  unmittelbares  Zurückgreifen  auf  die  Antike  zu 
suchen.  Nein,  in  gleicherweise  wie  der  große  König  seine  antiken  Helden  und 
Schriftsteller  in  der  französischen  Umbildung  kennenlernte,  so  hat  auch 
Knobelsdorff  die  Kunst  der  Römer  und  Griechen  nur  in  der  modernen 
italienischen  und  französischen  Verkleidung  gesehen.  Darin  steht  er  auf 
einer  ähnlichen  Stufe,  wie  Bernini,  der  immer  wieder  das  Studium  der 
Antike  von  den  Künstlern  forderte,  und  doch  nur  so  zeitgemäß  wie  nur  einer 
empfand.  Und  so  ist  Knobelsdorff  ein  echter  Meister  des  deutschen  Rokoko. 
Seine  Werke  sind,  so  verschieden  ihr  ganzes  Gepräge  sein  mag,  mit  denen  der 
gleichzeitigen  süd-  und  westdeutschen  Rokokomeister  durch  innere  Wesens- 
züge verbunden.  Vergleicht  man  seine  korinthischen  Säulen  und  Gebälke  der 
Kolonnaden  am  Potsdamer  Stadtschloß  (Abb.  73)  und  in  Sanssouci  (Abb.  75) 
mit  denen  Balthasar  Neumanns  im  Würzburger  Kaisersaal  und  in  Vierzehn- 
heiligen, so  bemerkt  man  die  gleiche  Auflockerung  der  korinthischen  Kapi- 
telle, die  ins  Schlanke  umgesetzten  Verhältnisse,  die  zierlich  profilierten  Ge- 
simse.   Auch  in  der  Raumbildung  erreicht  Knobelsdorff  eine  ähnliche  Voll- 

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Abb.  76.     Schloß  Sanssouci,  Potsdam,  Mittelsaal  von  Knobelsdorff 
Mitte  18.  Jahrhunderts 


160 


endung,  wie  im  gleichen  Zeitpunkt  sein  großer  Würzburger  Zeitgenosse. 
Die  Hauptschöpfung,  das  Berliner  Opernhaus,  ist  freilich  in  dem  vielgerühm- 
ten Inneren  völlig  umgestaltet  worden.  Doch  zeugen  die  goldene  Galerie  in 
Charlottenburg,  das  Treppenhaus  des  Potsdamer  Stadtschlosses  und  der 
runde  Saal  in  Sanssouci  noch  von  dem  Können  Knobelsdorffs  auf  dem  Felde 
der  Raumkunst  (Abb.  76).  Die  Knobelsdorffsche  Kunst  unterscheidet  sich 
freilich  von  der  des  Balthasar  Neumann  durch  ein  gemäßigteres  Tempera- 
ment. Während  Neumanns  Schöpfungen  von  einem  mächtigen  sinnlichen 
Empfinden  belebt  sind,  spricht  aus  Knobelsdorffs  Formen  eine  stärkere 
Geistigkeit,  wobei  gewiß  der  Genius  des  großen  Königs  seine  Einwirkung 
geltend  machte.  Neumanns  Werke  stellen  den  Höhepunkt  der  süddeutschen 
Baukunst  des  18.  Jahrhunderts  und  Knobelsdorffs  die  der  norddeutschen, 
der  brandenburgisch-preußischen  dar.  Immer  von  neuem  müssen  wir  be- 
tonen, daß  nicht  die  fremden  Einwirkungen  bei  der  Beurteilung  der  deut- 
schen Baukunst  des  18.  Jahrhunderts  entscheidend  sein  dürfen,  nicht  der  so- 
genannte ,, klassizistische"  und  nicht  der  sogenannte  ,, barocke"  Einfluß:  son- 
dern der  lebendige  architektonische  Formensinn.  Und  wenn  irgendwo,  so 
gilt  dies  von  Knobelsdorffs  Werken  mit  doppeltem  Recht.  Die  Vorderseite 
von  Sanssouci  ist  in  der  Art  von  Pöppelmanns  Zwingerfassaden  mit  frei- 
plastischen bewegten  Waldgöttern  belebt,  und  die  Rückseite  ist  durch 
strenge  Doppelpilaster  ä  la  Mansard  gegliedert.  Aber  in  einem  wie  im  an- 
dern tritt  uns  bei  unvoreingenommener  Betrachtung  das  sprühende  Empfin- 
den des  deutschen  Rokokomeisters  entgegen.  Knobelsdorffs  Fassaden  stellen 
überhaupt  in  dem  vorgesetzten  Säulen-  und  Pilasterschmuck  die  Lockerung 
vor  Augen,  die  diese  Epoche  der  Gebundenheit  des  Barock  gegenüber  kenn- 
zeichnet. Das  deutlichste  Zeugnis  ist  die  reiche,  1745  entstandene  Haupt- 
front des  Potsdamer  Stadtschlosses  nach  dem  Lustgarten.  Man  versteht 
nun  doch,  was  Friedrichs  Schwester,  die  ihm  so  geistesverwandte  Wil- 
helmine von  Bayreuth,  damit  meint,  wenn  sie  sagt :  das  Schloß  von  Pom- 
mersfelden  wirke  wie  ein  großer  plumper  Steinhaufen.  Wilhelmine  hat  selbst 
in  der  Orangerie  und  dem  Sonnentempel  der  Eremitage  von  Bayreuth  durch 
den  Franzosen  Joseph  St.  Pierre  um  1750  die  gelockerten  Doppelsäulen 
ähnlich  wie  Friedrich  ausgiebig  anwenden  lassen. 

Friedrichs  Sanssouci  und  diese  Gebäude  seiner  Schwester  sind  zugleich  die 
wichtigsten  Beispiele  der  von  dem  Rokoko  bevorzugten  kleinen  Sommer- 
sitze, die  ein  Beweis  für  die  gesteigerte  Abwendung  von  dem  prunkvollen 
gesellschaftlichen  Leben  des  Barockzeitalters  darstellen.  Die  frühesten  Werke 
dieser  Gattung  sind  die  Amalienburg  im  Nymphenburger  Park  für  Karl 
Albert  und  das  Schlößchen  Falkenlust  und  andere  Bauten  im  Brühler  Park 

Schmitz,   iS.Jahrh.     li  l6l 


für  seinen  Bruder  Clemens  August,  beide  nach  Plänen  Cuvillies  in  den  drei- 
ßiger Jahren  errichtet.  In  Sanssouci  finden  in  reicherem  Maße  die  dort  schon 
angeschlagenen  Grundrißideen  der  jüngeren  französischen  Schule  Anwen- 
dung. An  die  Mittelachse,  die  vom  großen  runden  Saal  und  dem  rechtecki- 
gen Vestibül  gebildet  wird,  reihen  sich  beiderseits  die  kleinen  Zimmer.  Eine 
schmale  Galerie  auf  der  Rückseite  stellt  eine  durchlaufende  Verbindung  her. 
Das  sind  die  Forderungen  der  größeren  Bequemlichkeit,  der  ,,Comoditee", 
die  mit  den  älteren  Grundsätzen  der  „Ordonnance"  und  der  „Bienseance"  ver- 
knüpft werden  und  in  den  Grundrißlösungen  der  Landhäuser  des  jüngeren 
Francois  Blondel  zur  höchsten  Kunst  ausgebildet  wurden.  Sein  1737  erschie- 
nenes Kupferwerk  Distribution  des  Jardins  de  Plaisance  hat  zu  ihrer  Ver- 
breitung in  Deutschland  ungemein  beigetragen. 

Was  für  den  Anfang  des  Jahrhunderts  de  Cotte,  das  bedeutet  für  dessen 
Mitte,  für  das  Zeitalter  des  Rokoko,  der  jüngere  Franqois  Blondel.  Er  ist 
der  Lehrmeister  der  damals  aufkommenden  Architektengeneration  Deutsch- 
lands gewesen.  Seine  Kunst  der  Einteilung  des  Inneren  und  der  strengen 
Anordnung  des  Äußeren  ist  durch  seine  Kupferwerke  und  namentlich  durch 
seine  berühmte  Pariser  Bauschule  verbreitet  worden.  Am  Rhein  sind  die 
Bauten  des  Ritter  von  Grünstein,  der  1730  Welschs  Nachfolger  im  Mainzer 
Bauwesen  wurde,  in  Saarbrücken  und  den  Nassau-Usingschen  Gebieten  die 
Werke  Stengels  von  Blondels  Geiste  berührt.  Seine  unmittelbaren  Schüler 
sind  Simon  Louis  Dury  in  Kassel,  der  Sohn  des  Charles  Dury  und  der  Voll- 
ender des  Schlößchens  Wilhelmsthal  bei  Kassel  (Abb.  77),  Leveilly,  der 
Schöpfer  des  Bonner  Rathauses  und  des  dortigen  Michaeltores,  ferner  Roth, 
der  bereits  als  Erbauer  der  Jesuitenkirche  in  Büren  begegnet  ist,  der  Schöp- 
fer des  untergegangenen  Jagdschlosses  des  Clemens  August,  Herzogsfreude 
bei  Bonn,  dann  Karl  von  Gontard,  der  einige  Häuser  in  Bayreuth  erbaut© 
und  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege  der  Hauptbaumeister  Friedrichs  des 
Großen  wurde.  Auch  Couven,  der  Aachener  Stadtbaumeister,  folgt  in  seinen 
jetzt  entstehenden  Patrizierhäusern  in  Aachen,  mit  dem  für  Karl  Theodor 
entworfenen  Schlößchen  Jägerhof  in  Düsseldorf  den  Blondelschen  Lehren.  In 
selbständiger  Weise  vertritt  sie  endlich  der  Lothringer  Nicolas  de  Pigage, 
der  um  1755  das  Schloß  in  Mannheim  durch  den  linken  Bibliotheksflügel  so- 
wie die  von  Rabbaliati  begonnenen  Zirkelbauten  in  Schwetzingen  vollendete. 
Sein  Hauptwerk  ist  das  köstliche,  um  1760  begonnene  Lustschlößchen  Karl 
Theodors  in  Benrath  bei  Düsseldorf,  das  erst  nach  dem  Siebenjährigen 
Kriege  beendet  wurde.  Es  ist  ein  Musterbeispiel  der  geistvollen  Grund- 
rißaufteilung im  Sinne  Blondels.  Darin  gleicht  ihm  das  Jagdschloß  Soli- 
tüde    bei  Stuttgart,    ebenfalls    ein  Meisterwerk  in  der  Gruppierung  kleiner 

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Räume  um  den  runden  Mittelsaal,  die  sich  mit  höchster  Kunst  in  der  Anlage 
nierenförmig  gebildeter,  kleiner  Arbeitskabinette  in  den  runden  Ausbuchtun- 
gen der  Flügelendungen  betätigt.  Das  Schloß  ist  erst  nach  dem  Siebenjähri- 
gen Kriege  im  Jahre  1764  für  Herzog  Karl  Eugen  von  dem  Pariser  Archi- 
tekten de  la  Guepiere  begonnen  worden.  Während  die  Innendekoration  die 
Rokokoformen  beibehält,  ist  das  Äußere  durch  seine  Pilastergliederung  und 
die  runden  Büstennischen  schon  durch  den  in  Frankreich  aufgenommenen 
Louisseizestil  bestimmt. 

Die  Jahrzehnte  um  die  Jahrhundertmitte  brachten  auch  dem  deutschen 
Bürgerhause  einen  lebhaften  Aufschwung.  Auf  diesem  Gebiet  ist  die  Wir- 
kung der  Blondelschen  Lehren  noch  eingreifender  gewesen.  Man  sieht  das 
auch  aus  den  Kupferwerken,  die  damals  über  diesen  Gegenstand  in  Deutsch- 
land herausgekommen  sind,  um  nur  die  von  Penther  und  Suckow  zu  nennen. 
Die  Straßenzüge,  die  Stengel  zusammen  mit  dem  Schloß  in  Saarbrücken  er- 
baute, die  von  Dury  um  1760  und  1770  errichteten  Palais  und  Bürgerhäuser 
in  den  neuangelegten  Vierteln  der  Kasseler  Oberstadt  bezeichnen  besonders 
diese  Richtung.  Aus  der  großen  Zahl  verwandter  Schöpfungen  seien  die  in 
einem  Zuge  neuerbaute  Schloßstraße  in  Arolsen,  ferner  die  Friedrichstraße 
in  Bayreuth  hinzugefügt.  Die  Blüte  der  bergischen  Schieferhäuser  und  die 
der  Krefelder  verputzten  vornehmen  Höfe  fällt  in  diese  Zeit  (Abb.  78).  Vorzüg- 
lich zeigen  aber  die  unter  August  III.  ausgebauten  neuen  Viertel  in  Dresden 
Alt-  und  Neustadt  die  Einwirkung  des  Blondelschen  Geistes,  der  hier  ge- 
wissermaßen die  von  Longuelune  eingeleitete  Formenstrenge  fortsetzt.  Der 
Hauptmeister  ist  damals  der  Baudirektor  Knöffel.  In  Dresden  ist  der  Bau 
vier-  und  mehrstöckiger  Häuser,  wie  ihn  in  der  Barockzeit  bereits  die  großen 
Kaufmannshäuser  hier  und  in  Leipzig  entwickelt  hatten,  in  den  einfachen 
Formen  der  Blondelschen  Richtung  geübt  worden.  Auch  die  hohen  viel- 
stöckigen  Paläste  sind  für  das  Dresdener  Rokoko  bezeichnend  (Coselsches 
Palais,  Hoymsches  Palais).  Der  letzte,  aber  der  schärfste  Vertreter  der 
Blondelschen  Schule  in  Dresden  ist  Krubsazius,  der  nach  der  Mitte  des  Jahr- 
hunderts das  Schloß  Otterwisch  bei  Dresden  und  erst  in  den  siebziger  Jahren 
das  ganz  strenge  ,, Landhaus"  in  Dresden  errichtete.  Krubsazius  wandte  sich, 
dem  Vorbild  seines  Lehrers  Blondel  folgend,  im  Jahre  1745  in  einem  Auf- 
satz gegen  die  Verwendung  des  ,, Grillen-  und  Muschelwerks",  des  Rokoko- 
ornamentes an  den  Fassaden,  und  forderte  die  strengste  Innehaltung  der  Ord- 
nung nach  den  Regeln  der  Akademiker.  Gerade  in  Dresden  waren  eben  da- 
mals einige  köstliche  Häuser  mit  reichen  Rocailleverzierungen  und  Erkern 
entstanden,  deren  einige  noch  in  der  Nähe  der  Frauenkirche  erhalten  sind. 
In  diesen  Fassaden  lebt  der  malerische  Sinn  fort,  den  die  von  Bahr  erbauten 

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Abb.  78.     Haus  Wülfing  in  Elberfeld,  um   1770 

Barockfassaden  mit  ihren  schweren   Säulenvorlagen,   unbekümmert  um   die 
strenge  Richtung  Longuelunes,  bewiesen  hatten. 

Weltliche  und  kirchliche  Baukunst  Deutschlands  haben  trotz  der  so  ver- 
schiedenartigen äußeren  Umstände  den  gleichen  Verlauf  genommen.  Am 
deutlichsten  zeigen  das  die  monumentalen  Räume,  die  Festsäle  und  das 
Innere  der  Kirchen.  Auf  die  strenge  Gebundenheit  des  Frühbarock  im 
späten  17.  Jahrhundert  folgt  die  wuchtige  Größe  und  gedrängte  Kraft  im 
reifen  Barock  des  ersten  Drittels  des  18.  Jahrhunderts,  und  aus  ihr  entfaltet 
sich  die  gelockerte  Raumform  des  Spätbarock  oder  des  Rokoko,  deren 
Gipfelpunkt  um  1750  erreicht  wird.  Die  äußere  Architektur  geht  den  gleichen 
Weg  vom  Gebundenen  und  Herben  zum  Reichen  und  Schwellenden  und 
weiter  zum  Gelösten  und  Spielenden.  Aber  diese  Wandlungen  erfolgen,  wie 
wir  dargetan,  immer  unter  Einhaltung  der  strengen  architektonischen 
Grundlagen.  Die  tief  in  dem  Wesen  des  Jahrhunderts  begründete  Maßemp- 
findung hat  den  nach  plastischem  Ausdruck  strebenden  Geist  immer  wieder 
in  Schranken  gehalten.  In  Bezug  auf  die  Raumkunst  gibt  uns  die  Entfaltung 
der  Deckenmalerei  noch  weitere  Aufschlüsse  über  die  Kräfte  des  Jahrhunderts. 


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Abb.  79.   Ölskizze  zu  einem  Deckenfresko  von  Dan.  Gran,  um  1730 
Wien,  Staatsgalerie 


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14-  DIE   DECKENMALEREI 

Der  Kirchen-  und  Festraum  des  Barock  wird  vervollständigt  durch  die 
Deckenmalerei.  Als  ein  wichtiger  Zug  in  der  Raumbildung  des  Barock  er- 
schien uns  bereits  die  Konzentration  des  plastischen  und  malerischen  Zie- 
rats an  der  Decke.  Während  in  dem  älteren  Barock  die  Stuckarbeit  mit  der 
Malerei  sich  in  die  Schmückung  der  Decken  geteilt  hat,  gewinnt  im  weiteren 
Verlauf  die  Deckenmalerei  zusehends  das  Feld.  In  Deutschland  vollzieht 
sich  diese  Wandlung  mit  dem  Eintritt  in  das  1 8.  Jahrhundert,  d.h.  zugleich 
mit  der  Reife  des  deutschen  Barock.  Die  Entfaltung  der  Deckenmalerei 
bleibt  allerdings  in  der  Hauptsache  auf  die  österreichischen  und  die  süd- 
deutschen, also  auf  die  katholischen  Gebiete  beschränkt.  Der  Grund  dafür 
ist  die  enge  und  dauernde  künstlerische  Verbindung  dieser  Landschaften  mit 
Italien.  In  der  Heimat  des  Barock,  insbesondere  des  barocken  Kirchenbaues, 
ist  auch  die  Deckenmalerei  im  17.  Jahrhundert  erwachsen.  In  Parma,  in 
Bologna  liegen  ihre  frühesten  Anfänge,  aber  in  Rom  erreicht  sie  in  der  ersten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  ihre  höchste  Vollendung.  Annibale  Carracci, 
Guercino  und  Domenichino  sind  ihre  Bahnbrecher.  Um  die  Mitte  des  Jahr- 
hunderts wird  sie  durch  Pietro  da  Cortona  zur  Reife  gebracht. 

Cortonas  Stil  hat  im  späteren  17.  Jahrhundert  zugleich  mit  den  neuen 
Bauformen  in  Deutschland  Fuß  gefaßt.  Durch  den  Aufenthalt  Joachim 
Sandrarts  in  Rom  sowie  durch  die  Tätigkeit  der  Tiroler  Deckenmaler  Ge- 
brüder Schor  in  Rom  wird  die  Verbindung  Deutschlands  mit  der  römischen 
Malerei  am  Ausgang  des  Dreißigjährigen  Krieges  eingeleitet.  Einwandernde 
italienische  Freskomaler  führen  sie  in  Wien  und  an  den  süddeutschen  Höfen 
und  vereinzelt  in  Norddeutschland  ein.  Am  kurbrandenburgischen  Hofe 
wird  sie  durch  flämische  Niederländer,  durch  Rütger  von  Langesfeld  und 
Vaillerant,  vertreten,  wofür  die  Decken  in  der  Wohnung  des  Kurfürsten 
Friedrichs  III.  im  Berliner  Schloß  um  i6go  zeugen. 

Die  Deckenmalerei  im  deutschen  Frühbarock  beschränkt  sich  auf  kleine 
ovale  und  paßförmige  Felder  in  reicher  Stuckumrahmung.  Die  Bilder  wir- 
ken meist  wie  an  die  Decke  übertragene  Ölgemälde.  Die  Figuren  tragen  das 
Gepräge  des  schweren  römischen  Barockstils.  Die  Tracht  ist  antikisierend, 
ob  es  sich  um  die  Heiligen  an  den  Kirchengewölben  oder  um  die  Götter 
und  Helden  des  Altertums  handelt.  Die  Farben  sind  dunkel  und  plastisch 
modelliert  (altes  Schloß  in  Benrath,  Kalvarienkirche  in  Bozen  1685). 

167 


Mit  der  eintretenden  Blüte  des  deutschen  Barock  um  1700  ändert  sich 
einmal  das  Verhältnis  der  gemalten  Flächen  zu  den  plastischen  stuckierten 
Teilen :  die  Malerei  breitet  sich  in  größeren  Feldern  aus  und  die  Stuckierung 
zieht  sich  als  Umrahmung  nach  den  Rändern  der  Decke  hin  zurück.  Zwei- 
tens wandelt  sich  innerhalb  der  Gemälde  das  Verhältnis  der  Figuren  zum 
Räume.  Während  in  den  älteren  deutschen  Deckenfresken  große  und  wenige 
Figuren  die  Fläche  ausfüllen,  ballen  sich  jetzt  die  kleiner  gewordenen  Figuren 
zu  Gruppen  zusammen  und  lassen  luftige  Zwischenräume  frei.  Marksteine 
dieser  noch  immer  von  Cortona  ausgehenden  deutschen  Deckenmalerei  des 
beginnenden  18.  Jahrhunderts  sind  das  Deckenfresko  im  Berliner  Rittersaal, 
darstellend  die  Verherrlichung  der  Kunsttätigkeit  Friedrichs  I.,  im  Jahre 
1701  von  Wentzel  gemalt,  sowie  das  große  Deckenbild  im  Landhaussaale  in 
Wien  von  Beduzzi,  das  kurz  darnach  entstand.  Wentzel  war  eigenst  zur 
Ausbildung  in  der  Deckenmalerei  auf  Kosten  des  Königs  fünf  Jahre  in 
Italien  gewesen.  In  Wien  und  von  dort  aus  in  den  österreichischen  und  süd- 
deutschen Kirchen  und  Schlössern  haben  in  ähnlichem  Sinne  Carlo  Carlone, 
Antonio  Pellegrini,  Marc  Antonio  Chiarini  und  in  München  unter  Max  Ema- 
nuel  Amigoni  gewirkt.  Zu  ihnen  gesellen  sich  alsbald  eine  Reihe  deutscher 
Meister,  die  die  weitere  Entwicklung  entscheidend  bestimmen.  Diese  erhält 
jetzt  einen  bedeutsamen  Anstoß  nach  vorwärts  durch  den  in  Italien  gemach- 
ten Fortschritt  in  der  Perspektive.  Der  Jesuitenpater  Andrea  Pozzo,  der  zu- 
erst in  dem  großen  Deckengemälde  in  St.  Ignazio  zum  Erstaunen  der  Kunst- 
welt die  Verkürzungen  nach  einem  Augenpunkt  auf  die  Decke  übertragen 
hat,  somit  hier  eine  wirkliche  Raumerhöhung  vortäuschend,  wurde  der 
Bahnbrecher  auch  für  die  Deckenmalerei  diesseits  der  Alpen.  Seine  spätere 
Tätigkeit  in  Tirol  und  in  Wien,  wo  er  starb,  vornehmlich  aber  sein  großes 
in  mehreren  Auflagen  erschienenes  Kupferwerk  ,,Prospettiva  de'  Pittori" 
ist  den  Wiener,  den  Tiroler,  den  Münchner  und  Augsburger  Decken- 
malern der  Ansporn  zur  Durchbrechung  der  flächenhaften  plastischen  Über- 
lieferung des  früheren  Barock  geworden.  Johann  Michael  Rottmayer  in 
Wien  und  Cosmas  Damian  Asam  zeigen  am  besten  den  allmählichen  Über- 
gang zur  Weiträumigkeit  in  den  zwanziger  Jahren  des  18.  Jahrhunderts. 
Auch  Asam  hatte  die  Freskomalerei  in  Rom  erlernt. 

Wien  ist  der  Mittelpunkt  der  deutschen  Deckenmalerei  des  reifen  Barock- 
stils. Im  ersten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts  besitzt  es  darin  weitaus 
den  Vorrang  vor  den  beiden  neben  ihm  wichtigsten  Pflegestätten  München 
und  Augsburg.  Die  Wiener  Deckenmalerei  erblüht  im  Gefolge  der  groß- 
artigen Bautätigkeit  Fischer  von  Erlachs,  Lukas  von  Hildebrands  und  ihrer 
Schule.   Die  berühmten,  früher  aufgeführten  Kirchen-,  Kloster-,  Bibliotheks- 

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und  Schloßbauten  aus  der  Epoche  Karls  VI.  enthalten  eine  solche  Zahl  be- 
deutender Deckenmalereien,  wie  sie  kein  anderer  Kunstkreis  in  Deutsch- 
land aufweisen  kann.  Die  weitgespannten  Gewölbe  und  Kuppeln  der  Säle 
und  Kirchen  werden  mit  mythologischen  und  allegorischen  Bildern  bedeckt. 
Die  Figuren  haben  sich  von  der  Fläche  gelöst  und  scheinen  wirklich  im 
Räume  zu  schweben.  Sie  schließen  sich  zu  Gruppen  und  Zonen  zusammen, 
teilweise  in  völliger  Untersicht  verkürzt.  Vereinzelte  schattige  Figuren  und 
Wolkenmassen  am  unteren  Rande,  und  nach  oben  zu  in  lichteren  Sphären 
verschwimmende  zartgetönte  Gestalten  steigern  die  Absetzung  des  Bildes 
vom  architektonischen  Rahmen  und  die  Verräumlichung.  Die  Färbung  be- 
hält die  dunkeln  und  bunten  Töne,  die  braunroten  Inkarnate  und  die  blauen 
Gewänder  bei.  Erst  allmählich  im  Verlauf  der  dreißiger  Jahre  weicht  die) 
kräftige  Nebeneinanderstellung  starker  Farben  und  ihre  Modellierung  mit 
dunkeln  bräunlichen  Schatten  einer  Auflichtung.  Das  Kuppelgemälde  der 
Karlskirche  von  Johann  Michael  Rottmayer,  die  Deckenfresken  von  Giacomo 
del  Po  im  großen  Saal  des  Belvedere,  von  Solimena  im  Goldkabinett  eben- 
dort,  die  im  unteren  Belvedere  und  im  Palais  Kinsky  von  Chiarini,  im  Mittel- 
saal des  Palais  Schwarzenberg,  in  Kloster  Neuburg  und  im  Schlosse  Eckartsau 
von  Daniel  Gran  (Abb.  79),  die  von  Martin  Altomonte  in  der  Kirche  zu  Herzogen- 
burg (Abb.  80)  und  im  Kloster  St.  Florian  und  die  zahlreichen  Schöpfungen  Paul 
Trogers  sind  hervorzuheben.  In  den  Werken  Trogers,  so  in  dem  großen  Decken- 
gemälde der  Stiftsbibliothek  von  Melk  und  im  Treppenhaus  des  Stiftes  Gött- 
weig  (1739),  zeigt  sich  immer  noch  die  rötliche  bunte  und  kräftige  Farben- 
stimmung des  Barock.  Aber  in  den  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  entste- 
henden letzten  Schöpfungen  des  Meisters  erscheint  eine  Zusammenfassung 
der  Farben  zu  einem  lichteren  Gesamtton.  Die  Einwirkung  der  Venezianer, 
des  älteren  Guardi,  des  Piazzetta  und  des  Tiepolo  hat  die  Wandlung  zu  dem 
zarteren  und  verfließenden  Rokokogeschmack  in  der  österreichischen  und 
Tiroler  Malerei  befördert.  Die  Wiener  Deckenmalerei  des  Barock  bildet  also 
die  Begleitung  zu  der  Raumkunst  Fischers  und  Hildebrands.  Architektur 
und  Malerei  sind  hier  von  der  gleichen  raumschaffenden  Kraft  erfüllt.  Die 
Wiener  Freskomalerei  hat  auch  in  Böhmen  und  Schlesien,  besonders  in  den 
Jesuitenkirchen,  Schule  gemacht. 

Mit  dem  Übergang  vom  Barock  zum  Rokoko  tritt  die  Deckenmalerei  Bay- 
erns, Tirols  und  Schwabens  in  den  Vordergrund.  Der  wichtigste  Übergangs- 
meister ist  der  schon  genannte  äußerst  fruchtbare  Cosmas  Damian  Asam  in 
München.  Seine  Hauptwerke,  die  Kuppelgemälde  in  der  Abtei  von  Wein- 
garten, die  Deckenfresken  in  St.  Jakob  in  Innsbruck,  im  Freisinger  Dome  (1723) 
und  in  St.  Anna  in  München  (1729)  überwinden  stufenweise  den  flachen  Illustra- 

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tionsstil  unter  Zuhilfenahme  der  Pozzoschen  verkürzten  Säulenstellungen  und 
Kuppelräume.  Im  allgemeinen  halten  die  bayerischen  und  schwäbischen  Decken- 
maler, wie  Johann  Georg  Bergmüller  in  Augsburg  (vgl.  die  Zeichnung  auf 
S.  47)  und  Johannes  Zick,  länger  an  einer  volkstümlichen  Illustrationsweise  fest, 
als  dies  in  dem  Mittelpunkt  des  höfischen  Barock  in  Wien  möglich  war.  Im 
Gegensatz  zur  Wiener  Deckenmalerei  bleibt  die  bayerisch-sch\väbische  in 
engster  Verbindung  mit  der  Stuckdekoration.  Mit  ihr  zusammen  erlebt  sie 
ihre  große  Blüte  seit  den  dreißiger  Jahren,  als  die  Kirchenbauten  Johann 
Michael  Fischers,  Dominikus  Zimmermanns  und  ihrer  Zeitgenossen  nach 
Ausstattung  verlangten.  Cosmas  Damian  Asam  hat  zusammen  mit  seinem 
Bruder,  dem  Stuckierer  Egid  Quirin  Asam,  zahlreiche  Kirchen  ausge- 
schmückt, deren  oben  schon  gedacht  wurde.  Die  wachsende  Bewegung  der 
Stuckschnörkel  geht  hier  Hand  in  Hand  mit  einem  Hellerwerden  der  Töne 
an  den  Wänden  und  in  den  Deckengemälden.  Dem  vollen  Rokoko  gehört 
Asams  Deckengemälde  in  der  Kirche  zu  Weltenburg  an,  die  triumphierende 
Kirche  verherrlichend.  Die  neue  Empfindung  hat  zuerst  malerischen  Aus- 
druck gefunden  in  den  wenigen  am  Ende  der  dreißiger  Jahre  entstandenen 
Werken  des  in  Eichstätt  tätigen,  jung  verstorbenen  Tirolers  Johann  Evan- 
gelist Holzer.  Das  1739  gemalte  Kuppelfresko  der  Wallfahrtskirche  St.  An- 
ton in  Partenkirchen,  die  Verherrlichung  des  hl.  Antonius  von  Padua,  ver- 
einigt die  aufwärtsströmende  religiöse  Empfindung  mit  den  großen  fluten- 
den Licht-  und  Schattenmassen  in  einer  Weise,  die  wir  bei  Holzers  Lehrer, 
dem  Augsburger  Bergmüller,  vergeblich  suchen.  Auch  ein  weltliches  Dek- 
kenbild  von  Holzers  Hand,  die  Allegorie  des  Frühlings  in  der  Fürstbischöf- 
lichen Sommerresidenz  in  Eichstätt,  zeichnet  sich  durch  die  zartere  Far- 
benstimmung und  die  Erleichterung  der  Bewegung  vor  den  älteren  Barock- 
werken aus.  Hier  erscheint  Phöbus  Apoll  auf  dem  Sonnenwagen  und 
Flora,  von  Chariten  und  Grazien  umringt,  über  lichten  Wolken  schwebend. 
Ein  Gegenstand,  den  übrigens  zur  gleichen  Zeit  Antoine  Pesne  für  den  Kron- 
prinzen Friedrich  im  Festsaal  des  Schlosses  Rheinsberg  zu  malen  hatte.  Der 
früh  berühmt  gewordene  Holzer  war  ausersehen,  die  eben  vollendete  Abtei- 
kirche in  Münsterschwarzach,  eine  der  bedeutendsten  Schöpfungen  Balthasar 
Neumanns,  mit  Deckenbildern  zu  schmücken.  Indessen  kam  die  Arbeit  nicht 
zustande,  und  nur  eine  Skizze  zum  Kuppelfresko,  die  Glorie  der  Heiligen 
des  Benediktinerordens,  ist  uns  erhalten.  Auch  hier  offenbart  sich  in  der 
kühnen  Zusammenfassung  der  Licht-  und  Schattenmassen  der  lebhafte 
malerische  Sinn  des  Meisters.  Er  starb  bereits  im  Jahre  1740,  kaum  dreißig 
Jahre  alt,  als  ihm  eben  eine  Berufung  des  Kölner  Kurfürsten  Clemens  August 
die  Möglichkeit  der  freien  Entfaltung  seines  Genius  versprach.     In  diesem 

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Zeitpunkt  erreicht  die  bayerisch-schwäbische  Deckenmalerei  als  Vollenderin 
der  großen  Rokokokirchen  ihren  Gipfel.  Johann  Baptist  Zimmermann,  der 
Bruder  des  genannten  Architekten,  und  Matthaeus  Günther  (1705 — 1788) 
aus  der  Gegend  von  Wessobrunn,  die  Tiroler  Johann  Jakob  Zeiler,  dessen 
Vetter  Franz  Anton  Zeiler  und  Anton  Zoller,  sowie  der  aus  dem  südlichen 
Schwaben  gebürtige  Johann  Zick  sind  ihre  wichtigsten  Namen.  Aus  der 
großen  Zahl  ihrer  Schöpfungen  verdienen  Erwähnung :  Zimmermanns  Kuppel- 
fresko der  Kirche  in  Berg  am  Laim  1739  und  die  Decke  der  Wallfahrtskirche 
in  Andechs  1754,  Günthers  Kuppelfresken  der  Kirchen  in  Indersdorf,  Schon- 
gau, Amorbach,  Rott  am  Inn  und  auf  Tiroler  Gebiet  der  Kirchen  in  Gossensaß 
undWilten  ( Abb.  8 1 )  Johann  Jakob  Zeilers  Hauptkuppel  der  Stiftskirche  in  Ettal, 
Verherrlichung  des  hl.  Benedikt,  und  Deckenfresken  in  Kloster  und  Kirche 
von  Ottobeuren,  endlich  Zicks  Deckengemälde  im  großen  Saal  und  im  Trep- 
penhaus zu  Bruchsal  (Abb.  83).  Diese  um  die  Jahrhundertmitte  geschaffenen 
Deckenbilder  kennzeichnet  die  völlige  Beherrschung  in  der  Wiedergabe  licht- 
und  lufterfüllter  Räume.  Es  sind  die  von  Pozzo  eingeführten  Mittel 
der  verkürzten  Säulenarchitekturen  und  Hallen,  aber  durch  eingeschobene 
Mauerkulissen,  durch  schräggesehene  Treppenbauten  und  selbst  durch  Land- 
schaften bereichert.  Überschneidungen  und  Durchblicke  verstärken  die  Tie- 
fenwirkung —  hier  scheinen  die  aufs  höchste  gesteigerten  Bühnenprospekte 
und  Theatra  Sacra  des  Giuseppe  Galli  Bibiena,  von  denen  noch  die  Rede  sein 
wird,  starke  Anregungen  gegeben  zu  haben.  Das  Licht  bricht  durch  die 
Kuppelöffnungen  und  erleuchtet  die  weiten  Hallen  und  die  Landschaften, 
schwebende  Wolken  und  Figuren  werfen  Schlagschatten  über  die  Szene. 
Das  Verhältnis  der  Figurengruppen  zu  den  Räumlichkeiten  ist  jetzt  völlig 
gegenüber  dem  Frühbarock  geändert.  Der  weite  und  tiefe  Raum  ist  beherr- 
schend. Die  Menschen  treten  dagegen  zurück,  sie  tauchen  darin  unter.  Und 
so  ist  in  der  Tat  die  süddeutsche  Rokokomalerei  ein  Abbild  der  Kirchen- 
räume, die  sie  schmückt.  Das  Gleiche  gilt  natürlich  von  den  Deckengemäl- 
den der  Festsäle  und  Stiegenhäuser  in  den  Schlössern.  An  den  Deckenfresken 
des  großen  Saales  und  des  runden  Treppenhauses  in  Bruchsal,  die  der  alte 
Johann  Zick  im  Auftrage  des  Fürstbischofs  Franz  Christoph  von  Hütten 
1751  und  1752  ausführte,  die  Kulturtätigkeit  des  Bistums  Speier  verherr- 
lichend, ist  zu  spüren,  wie  sehr  der  mächtige  Raumsinn  Balthasar  Neumanns 
den  Geist  des  Deckenmalers  beflügelt  hat.  Hier  lernt  man  auch  das  glück- 
liche Zusammenwirken  des  Deckenmalers  mit  dem  Stukkator  —  Johann 
Michael  Feuchtmaier  aus  Wessobrunn  —  erkennen.  Überallhin  von  Bayern 
nach  Schwaben,  in  die  Bistümer  am  Main  und  Mittelrhein  und  selbst  bis  in 
die  Länder    des  Clemens  August    von   Bayern    am  Rhein  und  in  Westfalen 

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Abb.  83.    Deckenfresko  im  Treppenhaus  in  Bruchsal,  von  Joh.  Zick.  Mitte   18.  Jahrh. 


haben  die  Stukkaturen  von  Wessobrunn,  von  München  und  Augsburg  die 
Freskomaler  begleitet.  Die  großen  Rokokokirchen  Oberbayerns,  Tirols  und 
Schwabens  sind  die  Höhepunkte  dieser  Vereinigung  malerischer  und  pla- 
stischer Kunst.  Die  Ränder  der  Stuckverzierungen  sind  oft  wie  in  Zacken 
ausgebrochen,  sogar  durchlöchert.  Die  feste  Decke  scheint  sich  in  Schaum 
aufzulösen.  Rahmen  und  Gemälde  durchdringen  einander,  jede  Begrenzung 
scheint  verwischt. 

Als  es  sich  darum  handelt,  die  zwei  großartigsten  Festräume  des  süddeut- 
schen Rokoko  auszumalen,  Treppenhaus  und  Kaisersaal  im  Würzburger 
Schlosse,  da  ziehen  der  Fürstbischof  Philipp  von  Greifenklau  und  Balthasar 
Neumann  den  Venezianer  Giovanni  Battista  Tiepolo  heran,  und  nicht  den 
alten  Zick,  der  kurz  vorher  den  Gartensaal  des  Würzburger  Schlosses  mit 
einem  Fresko  geschmückt  hatte.  Der  Umstand,  daß  dieser  Aufgabe  kein 
Meister  der  fruchtbaren  süddeutschen  Deckenmalerei,  sondern  nur  Tiepolo 
für  würdig  gehalten  wurde,  zeigt  an,  daß  der  hochgebildete  Bauherr  und  der 
große  Baumeister  an  dieser  ausgezeichneten  Stelle  nur  die  höchste  Kunst 
zuließen  (Abb.  82).  Und  gewiß  trotz  der  gerechten  Würdigung,  die  unsere 


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Schmitz,    i8.  Jahrh.      12 


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Zeit  den  Fresken  der  deutschen  Rokokomeister  entgegenbringt:  sie  alle  treten 
zurück  im  Gedächtnis  des  Reisenden,  wenn  er  die  Erinnerung  an  Tiepolos 
Schöpfungen  vor  seinem  geistigen  Auge  wachruft.  Alles  andere  verblaßt 
gegenüber  dieser  lichten  Klarheit  der  Töne,  dieser  erhabenen  Ruhe  und  be- 
seligenden Weite.  Die  Würzburger  Deckenfresken  sind  der  Gipfelpunkt  der 
italienischen,  ja  der  europäischen  Deckenmalerei  des  i8.  Jahrhunderts.  Sie 
gehören  der  späten  Zeit  des  großen  Venezianers  an.  Nachher  malte  er  die  Fresken 
in  Madrid,  wo  er  im  Jahre  1770  starb.  Zugleich  mit  Chiaveris  Dresdener  Hof  kirche 
und  den  Opernhäusern  und  Dekorationen  der  Galli  Bibiena  zeigen  seine  Fres- 
ken die  glänzende  Entfaltung  des  italienischen  Rokoko  auf  unserem  deutschen 
Boden.  Ein  Beweis  dafür,  wie  empfänglich  unsere  Vorfahren  noch  um  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  für  das  italienische  Kunstwesen  waren.  Unge- 
schwächt war  damals  noch  auch  die  Herrschaft  der  italienischen  Oper  und 
Komödie  an  den  deutschen  Höfen.  Es  sind  das  die  Jahre,  wo  Goethes  Vater 
einen  Karneval  in  Venedig  verbringt,  und  wo  er  das  Frankfurter  Haus  mit 
malerischen  römischen  Ansichten  schmückt. 

Die  deutsche  Deckenmalerei  ist  über  die  Mitte  des  Jahrhunderts  hinaus 
auf  den  einmal  eingeschlagenen  Bahnen  bis  in  das  letzte  Viertel  des  Jahrhun- 
derts hinein  fortgeschritten.  Das  Vorbild  Tiepolos  und  die  innere  Entwick- 
lung haben  zu  einer  weiteren  Auflichtung  und  durftigeren  Farbengebung 
geführt.  Dieser  Richtung  folgen  die  Fresken  des  Januarius  Zick,  des  Sohnes 
des  Johannes  Zick,  die  Deckengemälde  im  Mittelsaal  des  Schlosses  zu  Engers 
bei  Koblenz,  1758 — 1760  für  den  Trierer  Kurfürsten  von  Walderdorf  gemalt, 
Verherrlichung  der  Jagd  und  des  Weines  (Abb.  84);  die  Kuppelgemälde  in 
der  Klosterkirche  zu  Wiblingen  bei  Ulm  aus  den  siebziger  Jahren  und  selbst 
noch  die  bereits  den  achtziger  Jahren  angehörenden  allegorischen  Decken- 
bilder im  Akademiesaal  des  Mainzer  und  im  Audienzsaal  des  Koblenzer 
Residenzschlosses.  Ihr  folgen  ferner  die  Deckengemälde  des  Münchners 
Christian  Winck  sowie  die  nach  dessen  Kartons  gewirkten  Münchner  Gobe- 
lins, deren  helle  Töne  den  Boucher-Gobelins  ähneln.  In  Wien,  wo  die  schönen 
Fresken  Guglielmis  in  Schönbrunn  die  Rokokomalerei  einleiten,  sind  Maul- 
pertsch  (Abb.  85)  und  Kremser-Schmidt  die  fruchtbarsten  Deckenmaler  des 
späteren  Rokoko.  Aus  Tirol  gehen  Martin  Knoller  und  Joseph  Schöpf  her- 
vor, die  beide  in  Rom  unter  Mengs  und  Winckelmanns  Einfluß  studiert 
haben.  Aber  es  ist  nichts  denkwürdiger  für  die  fortwirkende  malerische 
Kraft  des  süddeutschen  Rokoko,  als  daß  beide  Meister,  über  die  Alpen  zu- 
rückgekehrt und  zur  Ausstattung  süddeutscher  Rokokokirchen  herangezogen, 
dem  von  Günther  und  seinen  Zeitgenossen  entwickelten  Stil  folgen.  Die  um 
1770  durch  Knoller  erfolgte  Ausmalung  der  sieben  Kuppeln  in  der  von  Balthasar 

178 


Neumann  erbauten  Abteikirche  von  Neresheim  (vgl.  Abb.  5 1 )  greift  keineswegs 
störend  in  das  Raumganze  ein,  und  ebenso  sind  seine  Fresken  in  der  Ser- 
vitenkirche  in  Volders,  im  Münchner  Bürgersaal  und  in  Kloster  Ettal  immer 
noch  voll  malerischer  und  raumerweiternder  Wirkung.  Fast  bis  ans  Ende 
des  Jahrhunderts  haben  Zick,  Knoller  und  Schöpf  die  Überlieferungen  der 
süddeutschen  Freskenmalerei  fortgesetzt.  Ein  bezeichnender  Zug  nament- 
lich der  bayerisch-schwäbischen  Kirchenfresken  ist  die  Aufnahme  von  Ge- 
stalten aus  dem  heimatlichen  Leben  in  die  idealisierte  Welt  der  himmlischen 
Figuren.  Das  bunte  Volksleben  der  Zeit  erscheint  in  den  Gnaden-  und  Wun- 
derdarstellungen der  Gründungsgeschichten  und  Leben  der  Kirchenpatrone, 
die  so  oft  den  Gegenstand  der  Kuppelbilder  abgeben.  Die  kirchliche  Decken- 
malerei hat  damals  offenbar  in  dem  katholischen  Süden  Deutschlands  eine 
volkstümliche  Stellung  eingenommen,  von  der  wir  uns  keinen  Begriff  mehr 
machen  können '°). 


179 


Abb.  85.     Seidenstickerei,  deutsch,  um   1700.     Berlin,  Kunstgewerbemuseum 


15.  INNENAUSSTATTUNG  DER  SCHLÖSSER 
DAS  ORNAMENT  DES  BAROCK  UND  ROKOKO 


Zwischen  der  äußeren  Architektur  und  der  inneren  Ausstattung  der  Ge- 
bäude des  1 8.  Jahrhunderts  bestehen,  wie  wiederholt  angedeutet  worden  ist, 
erhebliche  Unterschiede.  Während  im  Außenbau  die  stilistische  Entwicklung 
innerhalb  der  architektonischen  Grenzen  sich  vollzieht,  gestaltet  sich  die  In- 
nenausstattung nach  freieren  Gesetzen.  Die  Lebens-,  Gesellschafts-  und 
Wohnsitten  der  Zeit  haben  natürlich  die  innere  Einrichtung  der  Fest-  und 
Wohnräume  bestimmend  beeinflußt.  Die  Glieder  der  eigentlichen  Architek- 
tur, die  Pilaster  und  Säulen,  die  Gesimse  und  Gebälke  der  Fassaden  werden 
nur  in  den  großen  Treppenhäusern,  den  Vestibülen  und  Sälen  verwendet. 
Aber  auch  hier  schon  gibt  das  feine  Stilgefühl  des  Jahrhunderts  den  Wänden 
und  Decken  durch  die  Stuckarbeit  und  Malerei  ein  leichteres  Gepräge,  als  sie 
es  dem  Äußeren  gestattet. 

In  diesen  Stuckdekorationen  spiegelt  sich  in  erster  Linie  die  Geschichte 
der  deutschen  Ornamentik,  der  an  dieser  Stelle  daher  einige  Worte  ge- 
gönnt seien.  Das  wichtigste  Ornament  der  Stuckdekoration  und  dfer  Holz- 
schnitzerei im  älteren  Barock  ist  eine  krause,  dichtgelegte  Akanthus- 
ranke  (vgl.  die  Stickerei  Abb.  86).  Sie  findet  sich  sowohl  in  den  Stuck- 
decken der  italienischen  Stukkatoren,  die  sich  bis  nach  Norddeutschland 
verbreiten  (z.  B.  in  den  Schlössern  von  Meiningen,  Sondershausen  und 
Berlin),  wie  in  denen  der  Wessobrunner  Stukkatoren  im  Süden  Deutsch- 
lands (die  Decke  in  Abb.  88).  Die  hauptsächlichste  Quelle  der  Orna- 
mentik des  früheren  Barock  liegt  in  den  Kupferstichvorlagen  des  Lebrun, 
des  Le  Pautre  und  anderer  Meister  des  älteren  Louis-Quatorze.  Daneben  ist 
aber  das  italienische  Ornament,  das  im  17.  Jahrhundert  schon  z.  B.  in  den  Re- 

180 


sidenzen  von  Salzburg  und  München  und  vor  allem  im  Kirchenbau  Fuß  ge- 
faßt hatte,  auch  um  1700  noch  in  Deutschland  von  Einfluß  gewesen.  Das 
stärkste  Zeugnis  dafür  sind  die  unter  Pietro  da  Cortonas  Einwirkung  stehen- 
den Stuckdecken  in  den  Schlüterzimmern  des  Berliner  Schlosses,  in  der  ehe- 
maligen alten  Post  und  der  Loge  Royal  York  in  Berlin.  Die  schweren  Kar- 
tuschen, die  Gebälke,  die  zugespitzten  Pilaster,  die  krausen  Konsolen  und  die 
plastischen  Atlanten,  wie  überhaupt  gewisse  bizarre  Architektur-,  Vas2n- 
und  Kandelaberformen,  die  sich  bei  Schlüter,  aber  auch  bei  Lukas  von  Hilde- 
brand und  bei  Effner  finden,  verraten  ihre  Herkunft  aus  dem  italienischen 
Barock.  Am  üppigsten  gedeihen  sie  in  den  Festdekorationen  und  in  den  Büh- 
nen- und  Theaterausstattungen.  Die  Opernhäuser  und  Kulissen  der  Galli  Bi- 
biena  haben  sie  bis  ins  Rokoko  geführt;  noch  Knobelsdorffs  Opernhaus  ist 
davon  berührt.  Auch  die  grotesken  Porzellanvasen  für  das  japanische  Palais 
und  das  barocke  Kirchengerät  in  Silber  und  Porzellan  hat  aus  dem  italieni- 
schen Barockornament  geschöpft.  Auf  diesem  Gebiet,  und  eben  am  deutlich- 
sten in  der  Stuckdekoration  zeigt  sich  wiederum  die  in  der  großen  Baukunst 
schon  beobachtete  Durchdringung  des  italienischen  und  französischen  Barock 
auf  deutschem  Boden.  Das  merkwürdigste  Beispiel  bietet  gerade  die  Gruppe 
der  von  Schlüter  ausgestatteten  Paradekammern  des  Berliner  Schlosses.  Ge- 
genüber den  Decken  im  Stile  Cortonas  gehen  die  Türumrahmungen,  die  Fen- 
sterleibungen und  Kaminverzierungen  auf  den  Ornamentkreis  des  Marot  zu- 
rück. Noch  größeren  Raum  hat  die  Marotornamentik  in  den  fast  gleichzei- 
tigen, weit  besser  erhaltenen  Zimmern  im  Erdgeschoß  des  Charlottenburger 
Schlosses  gewonnen,  die  von  Eosander  für  Sophie  Charlotte  eingerichtet 
wurden.  Desgleichen  ist  für  das  im  Jahre  1703  von  Eosander  entworfene 
Prunkbüfett  im  Rittersaal  des  Berliner  Schlosses  auf  Marot  hinzuweisen, 
und  zwar  nicht  nur  bezüglich  des  Gesamtentwurfs,  sondern  auch  der  silber- 
nen Geschirre.  Die  tiefgehendste  Wirkung  auf  die  deutsche  Barockornamen- 
tik, insbesondere  auf  die  Decken-  und  Wandverzierungen  der  Stukkatoren 
erlangte  seit  rund  17 10  der  französische  Ornamentzeichner  Jean  Berain.  Er 
ist  der  Erfinder  des  Bandelwerks,  jener  verschlungenen,  bald  rund,  bald 
eckig  gelegten,  mit  Rosetten  und  Akanthusblättern,  mit  Vasen  und  Hermen 
durchsetzten  Bänder,  die  das  gebräuchlichste  Ornament  der  Pariser  Kunst 
zwischen  1710  und  1730,  der  sogenannten  Regeneeepoche,  wurden.  Diese 
Verzierungsweise  findet  sich  in  Deutschland  fast  allenthalben  in  den  Schloß- 
und  Klosterbauten  des  späteren  Barock.  Als  die  markantesten  Denkmäler 
können  gelten  die  Werke  Lukas  von  Hildebrands,  das  obere  Belvedere  im 
ursprünglichen  Zustand  und  die  Schlösser  der  Schönborn  in  Niederöster- 
reich, deren  Inneres  die   Stiche  Kleiners  wiedergeben,  das   Stift  St.  Florian 

181 


bei  Linz  (Abb.  89),  ferner  das  Treppenhaus  in  Pommersf elden,  der  Kaisersaal  im 
Schloß  in  Fulda,  ebendort  der  große  Saal  der  Orangerie  von  Welsch,  vorzüg- 
lich aber  die  Stuckverzierungen  im  Treppenhaus  und  im  großen  Saal  in 
Schleißheim  und  im  Palais  Preysing  nach  Effners  Zeichnung  (Abb.  87),  die 
Galerie  und  mehrere  Säle  im  Ludwigsburger  Schlosse.  Das  durchbrochene 
Steingeländer  der  Hauptstiege  im  Schloß  Mirabell  von  Lukas  von  Hildebrand 
(1721 — 1727  eingebaut)  veranschaulicht  die  Umsetzung  des  Bandelwerkes  in 
die  volle  Plastik  (Abb.  64).  Ein  Würzburger  Kaselentwurf  im  echten  Bandel- 
werkstil  erscheint  in  Abb.  go. 

Im  Verlaufe  der  dreißiger  Jahre  kommt  von  Paris  her  das  Rocailleor- 
n  a  m  e  n  t,  dessen  Erfinder  Oppenord  und  namentlich  der  Goldschmied  Meis- 
sonier  sind.  Die  Ubermittler  sind  vornehmlich  die  jungen  Architekten,  die  bei 
Blondeld.J.  studiert  hatten.  Derwichtigste  istFrancoisCuvillies.  Seine  Haupt- 
schöpfungen, die  Reichen  Zimmer  in  der  Münchner  Residenz  und  das  Innere 
der  Amalienburg,  sind  die  frühesten  Zeugnisse  (Abb.  91,  92).  Durch  ihn 
wird  das  Rokoko  in  die  Schlösser  des  Clemens  August  am  Rhein  eingeführt.  Die 
Münchner  Arbeiten  bezeugen  eine  selbständige  Umbildung  der  französischen 
Anregungen.  Bezeichnend  ist  die  Durchsetzung  der  Schnörkel  mit  Pflanzen 
und  Tiermotiven  und  überhaupt  eine  Umformung  ins  Breite  und  Schwel- 
lende. Sowohl  das  Cuvilliessche  wie  das  am  Ende  der  dreißiger  Jahre  begin- 
nende KnobelsdorfTsche  Rokoko,  z.  B.  in  Rheinsberg  und  Charlottenburg, 
nehmen  eine  Reihe  von  Zügen  aus  dem  heimischen  Spätbaropk  auf.  Und  das 
ist  ein  durchgehendes  Merkmal  fast  für  das  gesamte  Kunsthandwerk 
Deutschlands  in  dieser  Übergangszeit,  handgreiflich  z.  B.  in  der  Stickerei 
(Abb.  90)  und  der  Eisenschmiedekunst.  Akanthusblätter  und  Bandelwerk 
verwachsen  mit  den  Aufrollungen  und  Muschelformen,  mit  Blumenranken, 
mit  Früchten,  mit  Felsbildungen  und  Vögeln  zu  einem  Ganzen,  das  von  leben- 
diger Bewegung  durchströmt  ist.  Namentlich  in  den  mit  Malereien  wech- 
selnden Verzierungen  der  Decken  entwickelt  sich  die  überreiche,  von  barok- 
ken  Elementen  erfüllte  Zierlust  des  deutschen  Rokoko.  Undenkbar  sind  in 
Frankreich  die  üppigen  Decken  der  Amalienburg,  von  Brühl  und  Würzburg 
usw.  Im  einzelnen  machen  sich  mannigfaltige  Unterschiede  im  Stil  der  In- 
nendekoration geltend.  Den  breiten,  ungehindert  über  die  Wandflächen  und 
die  Decken  fortgehenden  Wellenspielen  der  meist  von  Diettrich  geschnitzten 
Ornamente  in  Cuvillies  Raumschöpfungen  steht  die  maßvolle,  Rahmen  und 
Füllung  einhaltende  und  geistvoll  sprühende  Zeichnung  des  friderizianischen 
Rokoko  von  Nahls  und  Hoppenhaupts  Meisterhand  gegenüber  (Abb.  93). 
Beide  verstehen  es  meisterlich,  den  langen  Zug  der  Rahmlinien  durch 
plastisch     herausspringende    Umrollungen     zu     unterbrechen.      An    diesen 

182 


Abb.  87.    Stuckdekoration  im  ehem.  Preysing-Palais  in  München,  von  Effner,  um  1725 

183 


Stellen  werden  phantastische  und  natürliche  Motive  eingeflochten:  zer- 
löcherte Muscheln,  bald  sprudelnden  Wasserstürzen,  bald  bemoosten  Fels- 
stücken gleichend,  Weintrauben,  Kürbisse  und  andere  Früchte,  Gärtner-, 
Winzer-,  Schäfer-  und  Musikergerät,  Schilf  und  Rosenranken,  Reiher, 
Papageien,  Chinesen-  und  Satyrabzeichen.  Neben  diesen  schönsten  und 
phantasiereichsten  Schöpfungen  des  deutschen  Rokoko  um  1740  in  Mün- 
chen, Würzburg  und  Potsdam  geht  eine  Gruppe  von  Stuckdekorationen  im 
strengeren  abstrakteren  Stil  her;  so  in  Brühl  und  später  in  Mannheim.  Das 
Wiener  Rokoko  hat  auf  die  reiche  Verwendung  von  Naturmotiven  zugunsten 
eines  eleganten,  gedehnten,  aber  auch  oft  ermüdenden  Linienzuges  verzich- 
tet, was  die  umfangreichen  Ausstattungen  für  Maria  Theresia  in  der  Wiener 
Hofburg  und  in  Schönbrunn  dartun.  Die  deutschen  Stukkatoren  in  Süd- 
deutschland, deren  Hauptgeschäft  ja  die  Auszierung  der  Kirchen  war,  haben 
die  Rocaille  alsbald  ins  Gekräuselte  und  Gezackte  umgebildet.  Das  um  1750 
ausgereifte  süddeutsche  Muschelwerk  ist  durch  Meister  ^vie  Johann  Zimmer- 
mann und  Feichtmeyer  in  die  Säle  der  Schlösser  eingeführt  worden.  Der 
große  Saal  in  Nymphenburg  (Abb.  95)  von  dem  ersteren  und  das  Treppen- 
haus in  Bruchsal  von  dem  letzteren  sind  schöne  Beispiele.  In  der  Zerfran- 
sung der  Rocailleschnörkel  wetteifern  mit  den  Stukkatoren  die  Augsburger 
Kupferstecher  um  die  Jahrhundertmitte,  wie  Habermann  und  Nilson.  Als 
Vorlagen  in  den  Werkstätten  der  Eisenschmiede,  der  Silberschmiede,  der 
Tischler,  Schnitzer  und  Dekorationsmaler  haben  ihre  Kupferstiche  eine  aus- 
gedehnte Wirkung  erlangt.  Die  zerflatternden  Schnörkel  haben  das  Wort  von 
dem  ,, schlechten  Augsburger  Geschmack",  dem  ,, Grillen-  und  Muschelwerk" 
gezeugt,  das  die  sächsischen  Akademiker  und  Winckelmann  so  häufig  im 
Munde  führen. 

An  und  für  sich  darf  das  deutsche  Ornament  dieser  Zeit  nicht  beanspru- 
chen, mit  dem  französischen  auf  eine  Stufe  gestellt  zu  werden.  Erst  im  Zu- 
sammenhang mit  dem  Bau  oder  dem  plastischen  Kunstgegenstand  gewinnt 
es  einen  Wert  und  steigert  den  Ausdruck  der  im  großen  Ganzen  wirkenden 
organischen  Kräfte.  Als  Begleiterin  der  Architektur  und  der  Kunsthand- 
werke durchläuft  es  alle  Stufen  vom  Gebundenen  und  Schweren  des  Früh- 
barock, zum  Gedrängten  des  reifen  Barock  über  die  Lockerung  im  späten  Ba- 
rock bis  in  d?s  freiströmende  Rokoko  hinein.  Aus  diesem  Grunde  ist  es  hier 
in  Verbindung  mit  der  Innenausstattung  besprochen  worden. 

Die  Art  der  Wandbekleidungen  der  Wohngemächer  in  den  Schlös- 
sern erfährt  mit  dem  Barock  mannigfaltige  Bereicherung.  Die  gebräuch- 
lichste Gattung  scheint  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  die  farbig 
bedruckte  und  goldgepreßte  Ledertapete  gewesen  zu  sein.    Auch  Sessel  und 

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Abb.  89.     Stuckdekoration  im  Stift  St.  Florian 
um  1730 


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Abb.  90.  Kaselentwurf.  Würzburg,  um  1730 

Stühle  wurden  damit  bezogen.  Die  Mehrzahl  derartiger  höchst  selten  erhal- 
tener Tapeten  kamen  aus  den  Niederlanden,  namentlich  aus  Mecheln.  Die 
großgezeichneten  Muster  lehnen  sich  hauptsächlich  an  die  Vorlagen  Ma- 
rots  an.  In  den  vornehmeren  Gesellschafts-  und  Wohngemächern  waren  da- 
neben gewebte  Samte  von  dunkler,  meist  roter  Farbe  beliebt,  gemustert  oder 
ungemustert.  Genua  und  Lyon  waren  die  Mittelpunkte  der  Samtweberei. 
Der  reife  Barock  garnierte  die  Stoffe  aufs  üppigste  mit  Silberlitzen,  Borten 
und  Fransen.  In  reicheren  Fällen  wurde  die  Reliefstickerei,  die  Aufnäharbeit 
und  sogar  die  kostbare  Netz-  oder  Petitpointstickerei  —  die  besonders  in 
Paris  blühte  —  hinzugezogen.  Die  letztere  diente  auch  zu  Möbelbezügen. 
In  solcher  Weise  ausgeschlagene  Säle  und  Gemächer  bildeten  den  rechten 
Hintergrund  für  die  schweren  seidenen  und  samtenen,  blumenbestickten 
Herren-  und  Damengewänder,  für  die  mit  Litzen,  Tressen  und  Quasten  be- 
setzten bunten  Uniformen  der  Offiziere  und  Kammerdiener,  der  Trabanten 
und  Garden.  Die  ins  Einzelne  gehende  Beschreibung  der  Kleider  bei  den  fest- 
lichen Aufzügen    und  Gesellschaften,  die  den    gedruckten  Berichten    eigen- 


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Abb.  91.     München,  Residenz,  Reiche  Zimmer,  nach  Cuvillies,  um  1730 


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Abb.  92.     Amalienburg,  nach  Cuvillies,  um  1730 


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tümlich  ist,  beweist  den  stark  ausgeprägten  Geschmack  des  Barock  für  mög- 
lichst glänzende  Prunkentfaltung  in  der  Textilkunst.  Die  vornehmste  textile 
Wandbekleidung,  der  gewirkte  Bildteppich,  wurde  von  den  deutschen  Für- 
sten und  Vornehmen  eifrig  begehrt.  Pariser  Gobelins,  Beauvais-  und  Au- 
bussonteppiche,  in  erster  Linie  aber  Brüsseler  Teppiche  finden  sich  in  den 
meisten  deutschen  Schlössern  der  ersten  Hälfte  des  i8.  Jahrhunderts  in  die 
Wände  eingelassen  (Abb.  88).  In  Berlin,  in  München,  in  Würzburg,  in  Dres- 
den, in  Heidelberg,  in  Kassel  und  Erlangen  wurden  von  Franzosen  —  meist 
von  Hugenotten  —  unter  dem  Schutze  der  Fürsten  Teppichmanufakturen  ins 
Leben  gerufen,  von  denen  aber  nur  einige  einen  längeren  Bestand  hatten. 
Eine  der  berühmtesten  Groteskenfolgen  nach  Berains  Zeichnungen,  in  Beau- 
vais gewirkt,  wurde  in  Berlin  von  Barraband  17 14  nachgewirkt;  Berainban- 
delwerk  schmückt  auch  einen  von  de  Cazeaux  in  Erlangen  gewirkten  Tep- 
pich. Italienische  Komödienfiguren  in  Anlehnung  an  Lancrets  Komposi- 
tionen werden  von  de  la  Vigne  für  das  Schloß  in  Charlottenburg  und  von  Pi- 
rot  für  das  Schloß  in  Würzburg  gewirkt.  Welche  ungemeine  Bedeutung 
demnach  der  französischen  Bildteppichkunst  für  den  Stil  der  figürlichen  und 
ornamentalen  Kunst  in  Deutschland  zukommt,  läßt  sich  aus  solchen  Tat- 
sachen ermessen. 

Die  übrigen  Wandbekleidungen  können  nur  kurz  aufgezählt  werden.  Zur 
höchsten  Vollkommenheit  war  schon  im  früheren  17.  Jahrhundert  die  Deko- 
ration mit  farbigem  Stuckmarmor  in  Süddeutschland  gediehen,  wofür  als 
Hauptbeispiele  zeugen  die  Zimmer  aus  der  Zeit  Maximilians  I.  und  Ferdi- 
nand Marias  in  der  Münchner  Residenz  sowie  das  untere  Belvedere  des  Prin- 
zen Eugen,  das  von  seinen  Einbauten  glücklicherweise  bei  der  Ausgestaltung 
zu  einem  Wiener  Barockmuseum  befreit  werden  soll.  In  Landschlössern  und 
Gartensälen  Niederdeutschlands  —  vereinzelt  auch  in  Oberdeutschland  — 
werden  öfters  Verkleidungen  in  Delfter  und  einheimischer  blauer  Fliesenma- 
lerei verwendet.  Die  Freude  an  schimmernder  Pracht  kann  sich  nicht  genug- 
tun in  der  Besetzung  der  Wände  mit  goldgerahmten  Spiegeln.  Ja,  ganze  Ka- 
binette werden  mit  Spiegeln  ausgestattet,  die  mit  reichen  Schnitzereien  und 
mit  Lack-  und  Unterglasmalereien  ausgestattet  sind.  In  keinem  vornehmen 
Schloß  darf  ein  chinesisches  Lackkabinett  mit  farbenbunten  gemalten  Ver- 
täfelungen  in  Koromandellack  fehlen.  Der  größte  Stolz  waren  Porzellanka- 
binette, wie  sie  das  Schloß  von  Charlottenburg  und  das  in  Dresden  noch  besitzen. 
Andere  waren  in  Monbijou,  in  Oranienburg  und  Oranienbaum.  Man  begnügt 
sich  auch  mit  chinesischen  gemalten  Papiertapeten.  Wo  man  keine  Originale  er- 
werben konnte,  mußten  heimische  Nachahmungen  sie  ersetzen.  In  den  Lust- 
und  Gartenhäusern  war  das  eigentliche  Feld  der  Chinesenkunst.    Vom  Früh- 

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barock  an  bis  ins  Ende  des  1 8.  Jahrhunderts  hat  sie  in  der  Verstellung  der 
Künstler  und  der  Gesellschaft  mannigfaltige  Wandlungen  durchgemacht. 
Immer  aber  ist  es  eine  erträumte  heitere  Chinesenwelt,  in  die  sich  das  Jahr- 
hundert flüchtet.  Die  wichtigste  Wandbekleidung  wurde  mit  dem  reifen  Ba- 
rock das  Holz,  sei  es  in  der  braunen  Naturfarbe  oder  weiß  gestrichen.  Die 
Gliederung  durch  Pilaster  und  Füllungen  war  zurückhaltend,  während  an 
Türen  und  Supraporten  und  Deckengesimsen  reichere  Schnitzerei  Platz  griff. 
Die  Hauptwand  des  Zimmers  ist  im  allgemeinen  durch  den  Kamin  ausge- 
zeichnet, der  meist  aus  Marmor  und  niedrig  ist  und  einen  stuckierten  Auf- 
satz, einen  Spiegel  oder  ein  Gemälde  erhält.  Die  Decken  sind  häufig  mit  Gro- 
tesken im  Berainstil  bemalt,  so  in  ganz  köstlicher  Weise  in  den  kleinen  Ka- 
binetten Sophie  Charlottens  im  linken  Flügel  des  Charlottenburger  Schlos- 
ses. Weit  mehr  als  dies  bekannt  ist,  birgt  Deutschland  an  gut  erhaltenen 
Zimmerausstattungen  des  Barock,  allerdings  in  den  seltensten  Fällen  mit  der 
ursprünglichen  Möbeleinrichtung.  Der  Vorrang  gebührt  den  Gemächern  der 
Sophie  Charlotte  im  Charlottenburger  Schlosse,  vor  allem  der  Flucht  im  Erd- 
geschoß nach  dem  Garten,  wahrscheinlich  von  Eosander  ausgestattet.  Die  viel 
reicheren  Paradekammern  Friedrichs  I.  im  Berliner  Schlosse  von  Schlüter 
haben  bis  auf  das  rote  Samtzimmer  ihre  alten  Wandbekleidungen  eingebüßt 
und  zahlreiche  beklagenswerte  Umänderungen  erfahren.  Die  Wohnung,  die 
sich  Friedrich  bereits  als  Kurfürst  im  Spreeflügel  einrichtete,  die  Gemächer 
der  Markgräfin  Susanna  in  der  Favorite,  die  Wohnung  Augusts  des  Starken 
und  die  Ausstattung  des  Grünen  Gewölbes  im  Dresdener  Schlosse,  der  holz- 
vertäfelte Saal  Friedrich  Wilhelms  I.  im  Jagdschloß  Stern,  einige  Überreste 
der  Wohnung  Sophie  Charlottens  in  Monbijou,  die  für  Max  Emanuel  erbaute 
Badenburg  und  Pagodenburg  seien  als  Belege  für  das  Gesagte  genannt. 
Übrigens  finden  sich  auffallend  verwandte  Ausstattungen  in  den  schwedi- 
schen und  dänischen  Königsschlössern  (Drottningholm,  Rosenborg).  Kopf- 
schüttelnd steht  der  moderne  Mensch  in  diesen  überreich  ausgestatteten 
Wohngemächern,  in  dem  prunkenden  Schlafzimmer  Susannas  von  Baden 
und  Friedrichs  I.  Es  ist  eben  auch  die  Zimmereinrichtung  der  Schlösser  des 
Barock  nur  im  Zusammenhang  mit  der  Etikette  dieser  Epoche  zu  verstehen. 
Wie  Ludwig  XIV.  so  bildeten  die  deutschen  Fürsten  ihre  Lebensführung, 
selbst  das  Aus-  und  Ankleiden  mit  Hilfe  von  Zofen  und  Pagen  zu  feierlichen 
Zeremonien  aus.  Das  Schlafzimmer  diente  auch  zu  Empfängen.  Das  Bett 
wurde  durch  eine  Balustrade  abgegrenzt.  Noch  im  Rokoko  wurde  daran  fest- 
gehalten, wie  das  köstliche  mit  Silberlitzen  und  silberner  Balustrade  ausge- 
zeichnete Schlafzimmer  Friedrichs  des  Großen  im  Potsdamer  Stadtschloß 
dartut.  Es  ist  aber  bezeichnend,  daß  der  große  König  hier  eine  Feldbettstelle, 

192 


Abb.  94.     Decke  aus  dem  Schloß  in  Würzburg.     Mitte  18.  Jahrhunderts 

Schmitz,  18.  Jahrh.     13  I93 


in  der  er  schlief,  in  dem  Alkoven  hinter  einem  Bücherschrank  aufgehängt 
hatte. 

All  die  reichen  im  Barock  aufgekommenen  Gattungen  der  Wandbeklei- 
dung werden  in  den  Staatsgemächern  des  Rokoko  beibehalten.  Der 
höchste  Prunk  mit  Spiegeln,  Vergoldungen  und  Lackmalereien  und  Schnit- 
zereien entfaltet  sich  noch  z.  B.  in  den  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  ausge- 
statteten Gemächern  des  Würzburger  Schlosses.  Doch  hat  sich  mit  dem  Ein- 
tritt des  Rokokostils  der  Geschmack  helleren  und  leichteren  Dekorationen 
zugewendet.  Die  Hauptrolle  fällt  seit  dem  Spätbarock  der  weiß  oder  in  hellen 
Farben  gestrichenen  Holzvertäfelung  zu.  Sie  hatte  in  Paris  unter  de 
Cotte  und  Boffrand  eine  vollendete  Eleganz  in  der  Einteilung,  in  der  Zeich- 
nung der  Rahmen  und  in  dem  zarten  Relief  der  geschnitzten  Ornamentik  er- 
reicht. Wiederum  ist  München  in  der  Übernahme  der  Holzvertäfelung  im 
Pariser  Stil  vorangegangen.  Eine  Reihe  von  Zimmern  des  Schlosses  Schleiß- 
heim, die  in  den  zwanziger  Jahren  unter  Effners  Leitung  dekoriert  wurden 
—  darunter  zwei  mit  hervorragenden  gewirkten  Kriegsbildern  aus  Brüssel  — , 
stehen  am  Anfang ;  die  Paneele  und  Leisten  sind  noch  im  Regencestil  ver- 
ziert, vergoldete  Schnitzerei  auf  weißem  Grund.  In  näherer  Beziehung  zu 
den  Pariser  Rokokovertäfelungen  stehen  die  seit  den  dreißiger  Jahren  für 
Clemens  August  boisierten  Gemächer  in  Brühl  usw.;  auch  was  um  die  Mitte 
des  Jahrhunderts  in  Bruchsal  unter  dem  Fürstbischof  von  Hütten,  was  spä- 
terhin von  Pigage  in  Mannheim  und  Benrath,  von  de  la  Guepiere  in  der  Soli- 
tüde  an  Vertäfelungen  geschaffen,  hält  sich  in  den  strengeren  Formen  der 
Franzosen,  während  das  Cuvilliessche  Rokoko  in  München  und  das  frideri- 
zianische  in  Berlin  und  Potsdam  auch  in  der  Holzvertäfelung  jenes  oben  ge- 
kennzeichnete abweichende  Gepräge  ausgebildet  haben.  Zahlreiche  Zeugnisse 
wären  aus  deutschen  Schlössern  anzufügen.  Allein  die  höchste  Vollendung, 
die  etwa  Nahls  Türen  im  Charlottenburger  Ostflügel  und  Vertäfelungen  im 
Potsdamer  Stadtschloß  darstellen  (Abb.  93),  wird  nur  in  den  seltensten  Fäl- 
len erreicht.  Von  Nahl  selbst  verdient  die  Ausstattung  des  Schlößchens  Wil- 
helmstal bei  Kassel  aus  den  fünfziger  bis  sechziger  Jahren  rühmende  Erwäh- 
nung. Die  Schnitzereien  in  den  Schlössern  von  Ansbach  und  Bayreuth  kön- 
nen nur  im  Ganzen  damit  wetteifern").  Im  einzelnen  merkt  man,  daß  hier  die 
Mittel  fehlten,  um  Künstler  so  hohen  Ranges  zu  beschäftigen,  wie  dies  Kur- 
fürst Karl  Albert  und  Friedrich  der  Große  konnten.  Gerade  die  jetzt  der 
Öffentlichkeit  zugänglich  gemachten  Schlösser  von  Stuttgart  und  Karlsruhe 
machen  den  weiten  Abstand  deutlich,  der  zwischen  solchen  durchschnitt- 
lichen Rokokoleistungen  und  denen  ersten  Ranges  besteht,  wie  sie  vor  allem 
die  öfters  genannten  Schöpfungen  Diettrichs  in  München,  Nahls  und  Hoppen- 

194 


haupts  in  Potsdam  bezeichnen.  Doppelt  notwendig  ist  eine  kritische  Betrach- 
tung des  Rokoko  für  Künstler,  die  die  Schöpfungen  der  Zeit  als  Vorbilder 
benutzen  wollen.  —  Mit  rühmlicher  Feinheit  sind  die  farbigen  Vertäfelungen 
behandelt.  Feine  Zusammenstellungen  von  goldenen  und  silbernen  Leisten 
mit  roten  und  blauen  und  grünen  Füllungen  finden  sich  in  fast  all  den 
aufgeführten  Schlössern.  Öl-  und  Lackmalereien  mit  Schäfer-,  Gesellschafts- 
und Chinesenfiguren,  mit  Blumenranken  und  Rocailleornamenten  wurden  in 
München,  in  Berlin  und  am  Main  und  Rhein  geübt.  Das  Watteau-Kabinett 
von  Zick  im  Schloß  in  Bruchsal  sei  hervorgehoben,  während  als  besonders 
schöne  farbige  Räume  der  goldene  und  blaue  Saal  in  der  Amalienburg  wie 
das  silberne  und  grüne  Musikzimmer  Friedrichs  des  Großen  im  Potsdamer 
Stadtschloß  voranstehen   (Abb.  93). 

Gerade  auf  dem  Gebiete  der  Innendekoration  enthüllt  sich  der  ungemeine 
Reichtum  im  deutschen  Schaffen  des  18.  Jahrhunderts.  Das  Fehlen  der  ge- 
schlossenen und  strengen  Schule  der  Pariser  Innendekoration  hat  eine  außer- 
ordentliche Mannigfaltigkeit  ermöglicht.  Freilich  das  unbedingte  Maßhalten 
der  französischen  Künstler,  das  gerade  in  den  geschnitzten  Vertäfelungen 
sich  offenbart  (Hotel  Soubise),  darf  man  in  den  deutschen  Rokokoschöpfun- 
gen nicht  suchen  wollen. 


Abb.  95.    Rokokodekoration,  von  Zimmermann  in  Nymphenburg,  um  1750 

13-  195 


Abb.  96.    Aufsatzschränkchen.    Bayerisch,  um  1750 
Berlin,  Schloßmuseum 


16.  DIE  MÖBEL  DES  BAROCK  UND  ROKOKO 


Im  Anschluß  an  den  Entwicklungsgang  der  Wohnungskunst  ist  ein  Über- 
blick  über  die  damit   zusammenhängende    Formenbildung   des  deutschen 
Möbels  im  Barock  und  Rokoko  geboten. 

Die  deutschen  Möbeltischler  hatten  unter  dem  Eindruck  der  neuen  archi- 
tektonischen Ideen  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  die  kleinteiligen  Gliede- 
rungen der  Schränke  aufgegeben.  Die  Uberspinnung  der  Schrankfassaden 
mit  plastischen  Verzierungen,  die  in  den  süddeutschen  Reichsstädten  bis 
über  den  Dreißigjährigen  Krieg  üblich  geblieben  war,  hatte  einer  strengeren 
Aufteilung  Platz  gemacht.  Gedrehte  und  glatte  Säulenvorlagen,  kräftig  pro- 
filierte Gesimse  und  Verdachungen  geben  den  Nürnberger,  den  Hamburger 
und  Danziger  Schränken  seit  den  80er  Jahren  des  alten  Jahrhunderts  ein 
zeitgemäßes  Äußere.  Die  Türen  und  Schubläden  werden  mit  heraustreten- 
den, mannigfaltig  verkröpften  Umrahmungen  eingefaßt.  Also  auch  die  früh- 
barocke Schranktischlerei  kennzeichnet  ein  Zug  architektonischer  Strenge. 
Und  diesem  Handwerk  war  er  besonders  wohltätig,  da  die  Roll-  und  Knor- 
pelwerkschnitzerei   des    Dreißigjährigen    Krieges   eine    ungebührliche    Herr- 

196 


Abb.  97.    Süddeutscher  eingelegter  Schrank,  um  1730.    Berhn,  Schloßmuseum 


197 


Schaft  in  der  Möbelkunst  errungen  und  sich  in  den  Vorlagewerken  noch 
lange  breit  machte  (Kupferstiche  von  Unteutsch).  Hat  man  doch  geradezu 
diese  Auswüchse  der  deutschen  Spätrenaissance  in  der  Baukunst  als  ,. Schrei- 
nerarchitektur" bezeichnet.  Als  wenn  den  Schreinern  daran  das  Hauptmaß 
an  Schuld  beizumessen  sei.  In  der  Zweigeschossigkeit  der  frühbarocken 
Schrankgattung  lebt  noch  ein  Nachklang  der  Spätrenaissance  fort.  Mit  dem 
Durchbruch  des  vollen  Barock  —  um  1700  —  verlassen  die  Schranktischler 
die  Zweigeschossigkeit.  Nun  werden  die  Fronten  einer  zusammenfassenden 
Ordnung  unterworfen.  In  den  Hansastädten  entsteht  damals  der  „Schapp" 
genannte  Dielenschrank  mit  drei  vorgelagerten  starken  Halbsäulen  oder  Pi- 
lastern  korinthischer  Ordnung  und  weit  ausladendem  reichgetrepptem  und  ge- 
brochenem Gesimse.  Üppige  Rankenschnitzerei  in  der  Weise  der  vor  Schlü- 
ter herrschenden  Laubornamentik  der  hanseatischen  Bildnerei  wird  auf  die 
Mittelgiebel,  die  Kapitelle  und  einzelne  Friese  beschränkt.  Hamburg,  Bre- 
men, Danzig  und  Lübeck  waren  Hauptsitze  dieser  Kunst;  ihr  Wirkungsbe- 
reich erstreckt  sich  aber  bis  tief  in  das  Binnenland  hinein.  Die  Schnitzer  — 
welche  innungsgemäß  auch  jetzt  wie  früher  als  eigentliche  Holzbildhauer 
von  den  Tischlern  zu  trennen  sind,  sind  die  gleichen  wie  die  der  krausen 
Laubwerkfriese  und  Bekrönungen  an  den  Gestühlen,  Orgelemporen,  Kapel- 
lengeländern und  Altären  der  Hansakirchen.  Den  bestimmenden  Charakter 
verleiht  diesen  Barockschränken  indessen  die  wuchtige  Ausladung  und  Ver- 
kröpfung  der  rahmenden  Gesimse,  deren  weit  herausspringende,  ein-  oder 
auswärts  geschweifte  Leibungen  durch  den  Spiegelglanz  der  polierten  Nuß- 
holzfurniere gehoben  werden.  Die  norddeutsche  Tischlerei  hat  damit  dem  Ba- 
rock einen  besonders  lebendigen  Ausdruck  gegeben.  Ähnliches  gilt  von  den 
Tischen  und  Stühlen,  deren  mächtig  angeschwollene  schraubenförmige  Ba- 
lusterbeine im  Rückblick  auf  die  älteren  holländischen  Kugelbeine  den  eige- 
nen Formensinn  des  niederdeutschen  Barock  auf  der  Höhe  zeigen.  Die 
gleichzeitigen  süddeutschen  Schränke  geben  den  geschwellten  Profilen  und 
Verkröpf ungen  noch  ausschließlicher  Raum;  mit  Vorliebe  werden  die  ganzen 
Türen  und  Seitenwände  wellig  bewegt.  Vorzüglich  schöne  Beispiele  dieser 
Art  in  geflammten  Nußholzfurnieren  schufen  die  Tischler  in  Frankfurt  am 
Main  (Landesmuseum  in  Kassel). 

Bevor  der  weitere  Verlauf  der  Möbelgeschichte  in  dem  späteren  Barock 
verfolgt  wird,  ist  ein  kurzer  Blick  auf  die  Prunktischlerei  zu  werfen,  die  sich 
mit  der  Ausstattung  der  fürstlichen  Repräsentationsräume  befaßte.  Als  Erb- 
schaft der  Spätrenaissance  spielten  bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  des  18.  Jahr- 
hunderts die  aufs  reichste  geschmückten  ,, Kunstschränke"  und  Prunkkabi- 
nette eine  wichtige  Rolle  in  den  fürstlichen  Prachträumen  und  Kunstkam- 

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mern.  Alle  in  Augsburg  und  Nürnberg  während  des  17.  Jahrhunderts  blü- 
henden Kunstzweige  hatten  sich  an  den  hier  geschaffenen  Werken  der  Art 
mit  den  Tischlern  vereinigt:  die  Silberschmiede,  die  Emailmaler,  Bernstein- 
und  Elfenbeinschnitzer,  Glas-  und  Steinschneider,  Maler,  Graveure  und  viele 
andere.  Es  scheint  hier  eine  wichtige  Quelle  zu  liegen  für  die  überreiche, 
mit  den  mannigfaltigsten  Stoffen  arbeitende  Raumausstattungskunst  des 
deutschen  Barock  um  1700.  Für  diese  Prunkeinrichtungen  kommen  die 
durch  verschwenderische  Schnitzerei,  Vergoldung  und  Bemalung  gekenn- 
zeichneten Prachtmöbel  auf,  die  in  Berlin  unter  Schlüters  Ägide  eine  glück- 
liche Gestaltung  erfahren  (Abb.  98).  Mit  dem  übermächtigen  Einfluß  des 
französischen  Hofes  finden  in  den  zwanziger  Jahren  die  Kommoden,  Tische, 
Dielenuhren  und  Kabinette  Andre  Boulles  und  seiner  Richtung  Eingang  in 
die  deutschen  Schlösser.  Die  Bekleidung  dieser  schweren  Möbel  mit  ausge- 
schnittener vergoldeter  Bronze  und  Schildpatt  in  reicher  Berainornamentik 
und  mit  plastischem  Goldbronzedekor  kam  dem  Hang  der  deutschen  Fürsten 
nach  schimmernder  Pracht  entgegen.  Vor  allen  hat  Max  Emanuel  von 
Bayern  dieser  Möbelkunst  wie  dem  französischen  Bronzeguß  seine  Neigung 
geschenkt.  Er  hat  selbst  in  München  eine  Hoftischlerei  durch  Franzosen  für 
die  Herstellung  von  Boullemöbeln  ins  Leben  gerufen.  Auch  in  Augsburg 
sind  die  BouUemöbel  nachgebildet  worden,  wofür  die  17 11  hier  gefertigte, 
reich  mit  Silber  geschmückte  Landschaftsuhr  im  Schlosse  in  Altenburg  ein 
Beweis  ist. 

Die  bürgerliche  Möbelkunst  wird  seit  den  zwanziger  Jahren  des  Jahrhun- 
derts durch  eine  Reihe  neuer  Schrankformen  bereichert,  die  nur  teilweise  auf 
französische  Ein\virkungen  zurückgehen.  In  erster  Linie  sind  die  Augsbur- 
ger Kupferstecher  an  der  Verbreitung  dieser  zugleich  mit  dem  Bandelwerk 
übernommenen  Regenceformen  beteiligt.  Es  kommen  jetzt  die  Schreibka- 
binette und  Sekretäre,  die  Spiegel-  und  Eckkommoden,  geschweifte  Tisch- 
und  Sitzmöbel  auf.  Die  ausgeführten  Arbeiten  zeigen  in  höherem  Grade  noch 
wie  die  Stiche,  etwa  die  des  Silberkistlers  Rumpp  in  Augsburg,  eine  völlige 
Umsetzung  in  den  heimischen  Tischlerstil.  In  Österreich  und  in  Süddeutsch- 
land über  den  Main  hinaus  wird  mit  den  schöngemaserten  Nußfurnieren  die  alt- 
überlieferte Einlegearbeit  in  verschiedenfarbigen  und  gebeizten  Hölzern  wieder 
zu  Ehren  gebracht  (Abb.  97).  Das  Laub-  und  Bandelwerk,  Blumenmuster  und 
geometrische  Rauten  bedecken  die  Schrank-  und  Kommodentüren.  Ferner 
werden  Messing-,  Zinn-  und  Elfenbeinintarsien  als  Ersatz  für  die  Boulleein- 
lagen  verwendet.  Die  reichere  Einlegearbeit  herrscht  in  Verbindung  mit  ver- 
goldeten Schnitzereien  namentlich  in  den  österreichischen  und  bayerischen 
Klostermöbeln.    Diese  sind  aus  den  gleichen  Werkstätten  hervorgegangen, 


Abb.  gg.  Würzburger  Schrank,  Mitte  iS.Jahrh.  Berlin,  Schloßmuseum 


201 


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Abb.  100,  Geschnitzte  Tür,  Süddeutsch.  Mitte  iS.Jahrh. 
BerHn,  Kunstgewerbemuseum 


die  so  Großartiges  in  eingelegten  Vertäfelungen  und  Gestühlen  geleistet  ha- 
ben, wie  es  noch  jetzt  in  den  Kirchen,  Abtswohnungen,  Kapitelsälen  und 
Bibliotheken  der  österreichischen,  der  bayerisch-schwäbischen  und  der  Main- 
klöster zu  bewundern  ist.  Die  schweren  Verkröpfungen,  die  vorspringenden 
Gesimse  der  Schränke  treten  in  dem  späteren  Barock  zurück.  Die  Flächen 
werden  möglichst  geglättet,  dafür  beginnen  die  Fronten  und  Seiten  in 
Schwingung  zu  geraten.  Auch  die  Giebel  werfen  sich.  Und  so  schreitet  — 
unmerklicher  als  in  der  großen  Architektur,  wenngleich  unter  deren  Führung 
—  die  deutsche  Möbelkunst  mit  den  vierziger  Jahren  in  das  Rokoko  hinüber. 


202 


Abb.  loi.   Aachener  verglaster  Eckschrank,  Mitte  i8.  Jahrh. 
Köln,  Kunstgewerbemuseum 


203 


Abb.  102.     Ecksofa,  Mitte  i8.  Jahrhunderts.     Würzburg,  Schloß 

Wieder  sind  es  die  Augsburger  Stecher,  die  die  im  Westen  erfolgte  Stil- 
wandlung den  Handwerkern  Deutschlands  bekannt  machen,  aber  zugleich 
zur  Umbildung  in  die  heimische  Formengebung  anleiten.  Die  behaglich  ge- 
bauchten, in  lustigen  Bekrönungen  ausgeschweiften  Schränke  und  Kommoden 
des  süddeutschen  Rokoko  stellen  die  selbständige  Kraft  der  deutschen  Rokoko- 
tischlerei vor  Augen  (Abb.  96).  Bezeichnenderweise  haben  die  altbayerischen, 
die  südschwäbischen  und  allen  voraus  die  Mainlandschaften  dem  Rokokostil 
in  ihren  Möbeln  den  schönsten  Ausdruck  gegeben.  Den  Höhepunkt  bilden 
die  Würzburger  und  die  Mainzer  Schränke,  in  der  Formenbildung  wie  in  der 
trefflichen  Furnierung.  Der  Höhepunkt  der  plastischen  Bewegung  der  Kör- 
per und  Gesimse  und  der  Lockerung  der  geschnitzten  Bekrönungen  stellt 
sich  in  den  von  der  Mitte  des  Jahrhunderts  bis  gegen  1770  geschaffenen 
Stücken  dar  (Abb.  99).      An  den   Zeichnungen  der  Mainzer  Möbeltischler- 


204 


Abb.  103.   Kaminschirm  Friedrichs  d.  Gr.,  von  Hoppenhaupt,  um  1750.    BerHn,  Schloß 

Innung  der  Bibliothek  des  Berliner  Kunstgewerbemuseums,  jedes  Blatt  ein 
Schrank  in  maßstäblicher  Zeichnung  zur  Gesellenprüfung,  ist  die  Entwick- 
lung Jahr  für  Jahr  festgelegt.  Die  Rocaillen  der  Intarsien  und  geschnitzten 
Bekrönungen  sind  in  den  gleichen  zackigen  Formen  gehalten,  die  der  main- 
und  rheinfränkische  Barock,  namentlich  seit  dem  Eingreifen  der  bayerischen 
Stukkateure  und  Holzschnitzer,  ausgebildet  hatte.  Die  Entwicklung  der  Ver- 
hältnisse des  Schrankes  aus  den  nebengestellten  Säulenordnungen  ist  ein  Be- 
leg dafür,  wie  streng  das  Rokoko  selbst  hier  die  mathematischen  Grundlagen 
beibehalten  hat,  die  als  eine  wesentliche  Eigenschaft  in  dem  baukünstle- 
rischen Schaffen  des  18.  Jahrhunderts  in  dem  fünften  Kapitel  gekennzeichnet 
worden  ist. 

Während  die  furnierten  und  eingelegten  Möbel  über  den  Main  hinaus  auch 
in  Sachsen  und  Brandenburg  hergestellt  wurden,  pflegte  der  Niederrhein,  un- 
ter   Einwirkung    vom    nahen    Lüttich    her,    das   eichengeschnitzte    Mobiliar 


205 


(Abb.  loi).  Aachen  war  ein  Sitz  dieser  Kunst.  Die  Vertäfelungen  aus  dem 
Wespienschen  Hause  und  eine  Reihe  von  Schränken,  Kleiderschränken,  Auf- 
satzschränken mit  verglastem  Oberbau,  halbrunden  Eckschränken,  Dielen- 
uhren und  Sitzmöbeln  zeugen  von  der  Vollendung  in  der  Rocailleschnitzerei, 
die  unter  Couvens  Ägide  in  der  alten  Reichsstadt  für  die  Häuser  der  reichen 
Kaufmanns-  und  Fabrikantenfamilien  erreicht  wurde.  Die  Gattung  fand  auch 
am  rechten  Ufer  des  Niederrheins,  in  den  Industriestädten  des  Bergischen 
Landes  bis  ins  Westfälische  hinein  Verbreitung;  doch  ist  der  Charakter  die- 
ser Eichenmöbel  mehr  bürgerlich  und  derb,  ähnlich  wie  in  den  sparsamen 
Flachschnitzereien  der  bergischen  Schieferhäuser.  In  den  Hansastädten 
konnte  sich  das  Rokoko  an  den  Möbeln  natürlich  weniger  frei  entfalten.  Der 
im  Mittelpunkt  des  Handwerks  bleibende  große,  von  Pilastern  gegliederte 
Kleiderschrank,  der  Schapp,  behält  seinen  barocken  Grundzug  bis  in  die 
Spätzeit  des  Jahrhunderts.  Eigentümlich  ist  die  frühe  Einwirkung  der  eng- 
lischen Möbel,  die  sich  z.  B.  in  den  Chippendaleformen  der  Hamburger  Stühle 
kundtut.  Die  Möbel  Altonas  und  Schleswig-Holsteins  erinnern  in  der 
schmucklosen  und  klaren  Flächen-  und  Linienführung  an  die  dänischen.  Es 
gilt  hier  das  Gleiche  wie  in  der  Baukunst:  Die  freie  Entfaltung  des  Rokoko, 
dessen  Schauplatz  das  südliche  Deutschland  ist,  ist  von  dem  Norden,  insbe- 
sondere von  den  Küstenländern  nur  in  gewissen  Grenzen  mitgemacht 
worden. 

Viel  unmittelbarer  als  die  vornehme  bürgerliche  Möbelkunst,  die  im  Vor- 
stehenden überblickt  worden  ist,  spiegelt  sich  naturgemäß  die  Stilwandlung 
vom  Barock  zum  Rokoko  in  den  Prunkmöbeln  der  Schlösser.  Waren  doch 
zumal  die  reichen  Konsoltische  mit  den  Spiegeln  darüber,  die  Kanapees,  die 
Sessel  und  Schemel  Teile  der  reichen  Zimmerausstattungen.  Von  Schüblers 
und  Deckers  Vorlagewerken  bis  zu  den  gestochenen  Wandentwürfen  Hop- 
penhaupts sehen  wir  ihren  Stil  in  Verbindung  mit  der  Wandornamentik  fort- 
schreiten. In  den  Formen  der  Schnitzereien  zeigen  die  Prachtstücke  in  den 
..Reichen  Zimmern"  der  Münchner  Residenz  und  den  anderen  Zimmerein- 
richtungen des  Kurfürsten  Karl  Albert  den  üppigen  Reichtum  Cuvillies;  die 
Garnituren  der  Würzburger  Residenz  aus  der  Mitte  des  Jahrhunderts  den 
freien  Zug  der  spätesten  Weise  Balthasar  Neumanns  (Abb.  102) :  diejenigen  in 
den  Schlössern  Friedrichs  des  Großen  Nahls  Geist  und  den  des  Hoppenhaupt 
(Abb.  103),  während  solche  aus  der  Mannheimer  Residenz  und  vom  Rhein  das 
gemäßigte  Rokoko  in  der  Art  des  Pigage  durchblicken  lassen.  Für  die  Münch- 
ner Schloßeinrichtungen  sind  weißlakierte,  durch  vergoldete  Rocailleschnit- 
zerei gehobene  Kommoden  usw.  bezeichnend.  Die  Schrankmöbel,  die  Schreib- 
tische, die  Kabinette,  die  Bücher-  und  Medaillenschränke  der  Schlösser  un- 

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terscheiden  sich  sonst  gemeinhin  nur  durch  den  reicheren  Aufbau,  die  feinere 
Einlegearbeit  und  sorgfältigere  Schnitzerei  von  den  bürgerlichen  Schrankmö- 
beln. Schöne  Beispiele  bergen  die  Gemächer  der  geistlichen  Fürsten  im  Sü- 
den. Nur  Friedrich  der  Große  hat  die  in  Paris  durch  Caffieri  und  andere  zur 
höchsten  Meisterschaft  entwickelte  Bronzedekoration  der  Prachtmöbel  für 
seine  Schlösser  eingeführt.  Die  von  dem  1748  berufenen  Melchior  Kambly 
garnierten  Möbel  mit  Bronze  in  den  Potsdamer  Schlössern  kommen  in  der  Blu- 
menintarsia wie  im  Aufbau  den  besten  Pariser  Möbeln  des  Louisquinze  nahe. 
Doch  äußert  sich  trotz  gelegentlicher  genauer  Anlehnung  in  den  Bronzen 
Kamblys  die  Neigung  zur  Lockerung  der  Rocaillen,  zur  stärkeren  Durchset- 
zung der  Schnörkel  und  Gitter  mit  Blumengehängen  und  Ranken.  Die  brei- 
tere Form  seiner  Beschläge  und  ihre  Führung  quer  über  das  Möbel  fort  sind 
unterscheidende  Kennzeichen  im  Vergleich  mit  den  Caffierimöbeln.  Ein  wie- 
viel günstigeres  Feld  für  die  Luxusmöbelkunst  muß  Paris  unter  Ludwig  XV. 
und  XVI.  dargeboten  haben  als  die  deutschen  Fürstensitze,  da  doch  die  be- 
sten Möbelkünstler  hier  Deutsche,  und  zwar  meistens  Rheinländer  gewesen 
sind.  Unter  ihnen  haben  Schwertfeger,  Oeben  und  Riesener  den  größten  Ruf 
erworben. 


208 


17-  DIE  BILDHAUERKUNST  DES  BAROCK 

Die  Jahrzehnte  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  haben  auch  in  derBildner- 
kunst  die  Überreste  des  kleinhch  gewordenen  Ziergeistes  der  Spätrenais- 
sance überwinden  müssen.  Mit  dem  größeren  Stil  der  Baukunst  drang  in  die 
deutsche  Bildnerei  die  zusammenfassende  Gestaltungsweise  des  Barock  ein. 
Man  betrachte  die  seit  dem  letzten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  entstehenden 
Grabmäler,  die  Epitaphien  in  den  Kirchen.  Durchgehende  Säulen  großer 
Ordnung  und  ausladende  Segmentgiebel  bilden  den  Portikus  für  die  meist 
lebensgroße  kniende  oder  hingelagerte  Gestalt.  Wie  alles  Kleinliche  des  Or- 
namentes vermieden  —  das  krause  Roll-  und  Knorpelwerk  des  Dreißigjäh- 
rigen Krieges  durch  großgeformte  Kartuschen  verdrängt  wird,  so  baut  sich 
auch  die  Figur  monumentaler  auf.  Ihre  Haltung  ist  feierlicher,  die  Falten 
des  Gewandes  fallen  in  volleren  Massen  herab.  Die  Züge  des  von  der  Allon- 
geperücke umrahmten  Kopfes  sind  in  größeren  Flächen  zugeschnitten.  Ge- 
genüber den  in  starrer  Beterstellung  knienden  Grabmalsfiguren  des  älteren 
17.  Jahrhunderts  erscheinen  die  Fürsten,  Bischöfe  und  Generäle  der  Barock- 
epitaphien als  Vertreter  einer  modernen  Menschheit.  (Grabmäler  des  Georg 
Christian  von  Hessen-Homburg  [f  1677]  im  Mainzer  Dom  von  Arnold  Har- 
nisch, des  Bischofs  Bernhard  von  Galen  von  Joh.  M.  Gröninger  im  münster- 
schen  Dom  um  1678  und  des  Feldmarschalls  von  Sparr  in  der  Berliner  Ma- 
rienkirche von  Quellinus  d.  J.  [?]  von  1663.) 

Die  äußeren  Grundlagen  der  Barockbildnerei  sind  die  gleichen  wie  die  der 
Baukunst.  In  Süddeutschland  und  Österreich  empfängt  sie  Anregungen  von 
den  Italienern;  am  Rhein,  in  Westfalen  und  im  übrigen  Niederdeutschland 
von  den  Niederländern.  Beide  Bildnerschulen  waren  in  Beziehung  miteinan- 
der um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  auf  den  Höhepunkt  des  Barockstils 
emporgestiegen.  Rom  war  der  Hauptschauplatz  dieser  Entfaltung.  Hier  gab 
Bernini  dem  plastischen  Wollen  des  Barockzeitalters  den  gewaltigsten  Aus- 
druck. Von  hier  gingen  Düquenoy  und  der  ältere  Quellinus  aus,  die  Begrün- 
der der  niederländischen  Barockbildnerei.  Die  neue  Auffassung  in  der  Grab- 
malsgestaltung hat  von  diesem  Kreise  ihr  Gepräge  erhalten.  Eine  neue 
Menschlichkeit  drückt  sich   in  den  plastischen   Bildnissen  der   Meister  aus. 

Schmitz,   iS.Jahrh.      14  209 


Ihre  besondere  Kunst  betätigt  sich  in  der  virtuosen  Verschmelzung  eines  ver- 
tieften Naturstudiums  mit  großzügigem  Stilgefühl.  Die  Hautoberfläche,  die 
Haarlocken,  die  Spitzenkragen,  die  Stickereien  der  Gewänder  werden  bis  ins 
einzelne  und  doch  mit  plastischem  Empfinden  wiedergegeben.  Die  Vorliebe 
für  malerische  Wirkungen  findet  ihre  Nahrung  an  der  Verbindung  verschie- 
denfarbiger, weißer,  gelblicher,  schwarzer  und  roter  Marmorflächen.  Neben 
dem  Marmor  und  Alabaster  ist  die  Arbeit  in  Stuck  und  in  buntgefärbtem  ge- 
schliffenem Stuckmarmor  von  den  Italienern  in  Deutschland  bei  der  plasti- 
schen Ausschmückung  der  Altäre,  Grabkapellen  usw.  gefördert  worden. 

Bald  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  erscheint  in  Salzburg  unter  Erz- 
bischof Guidobald  von  Thun  der  Italiener  Antonio  Daria,  der  Schöpfer  des 
Hofbrunnens,  dessen  Seepferde,  Felsen  und  Schalen  mit  den  schäumenden 
Wasserstürzen  zum  erstenmal  den  Berninischen  Geist  verkünden.  Gleichzei- 
tig arbeiteten  für  den  Großen  Kurfürsten  die  Holländer  Quellinus,  Eggers 
und  Dusart,  von  deren  Hand  das  Berliner  Schloß  und  die  Potsdamer  Gärten 
noch  Statuen  und  Büsten  aus  Marmor  besitzen.  Der  dreißigjährige  Kriegs- 
winter hatte  in  Deutschland  die  besten  bildnerischen  Kräfte  verkümmern 
lassen.  Nur  im  flachen  Ornament  haben  sich  nun  zunächst  einheimische  Mei- 
ster neben  den  Ausländern  behaupten  können,  so  die  Stukkatoren  von  Wes- 
sobrunn  und  die  Schnitzer  der  Hansastädte,  die  beide  die  barocken  Akan- 
thusranken  ins  Krause  umbildeten. 

In  der  Freiskulptur  und  selbst  in  der  dekorativen  Bildnerei  haben  die  Aus- 
länder bis  tief  ins  i8.  Jahrhundert  hinein  neben  den  inzwischen  aufgekomme- 
nen deutschen  Bildnern  eine  Stellung  behauptet.  Es  seien  nur  die  aus  den 
südlichen  Niederlanden  stammenden  Meister  genannt :  Grupello  in  Düssel- 
dorf, der  Bronzegießer  de  Groff  in  München,  Verhelst  in  Augsburg,  die  Fa- 
milie von  der  Auwera  in  Würzburg;  aus  der  späteren  Zeit  Verschaff elt  in 
Mannheim  und  Tassaert  in  Berlin.  Von  Italienern  wirkten  Simonetti  in  Ber- 
lin, Domenico  Matielli  und  Corradini  in  Wien  und  Dresden,  Volpini  in  Mün- 
chen, ebendort  später  der  Porzellanmodelleur  Bustelli,  der  zahlreichen  Stuk- 
katoren in  Deutschland  nicht  zu  gedenken.  Vereinzelt  gewannen  auch  fran- 
zösische Bildhauer  eine  Stellung  an  deutschen  Höfen,  wie  Dubut  in  Mün- 
chen, Monnot  in  Kassel  und  der  jüngere  Adam  in  Berlin.  Die  Überlegenheit 
der  romanischen  Bildhauerschulen  über  die  deutschen  beruhte  in  der  plasti- 
schen Bewältigung  der  Frei  figur,  insbesondere  des  Aktes.  Abgesehen  von 
der  größeren  plastischen  Begabung  der  Romanen  bewirkte  die  Verbindung 
der  deutschen  Bildhauer  mit  der  Baukunst  ihre  durchgängige  dekorative  Ge- 
bundenheit. Die  deutsche  Bildnerei,  in  dem  Zusammenwirken  mit  der  Bau- 
kunst von  dieser  emporgetragen,  hat  in  dem  1 8.  Jahrhundert  eine  einzig  da- 

210 


Abb.  105.     Afrika,  von  Schlüter,  um  1700.     Rittersaal  des  Berliner  Schlosses 

Stehende  dekorative  Kraft  entwickelt.  Der  hier  ausgeführte  Gegensatz  tritt 
uns  in  Sanssouci  vor  Augen.  Die  unten  um  das  kreisrunde  Wasserbecken 
aufgestellten  marmornen  Götterfiguren  des  älteren  und  jüngeren  Adam 
aus  Nancy  und  des  Pigalle,  die  der  Große  König  aus  Frankreich  erhielt, 
sind  Meisterschöpfungen  freibewegter  nackter  Körper.  Dagegen  sind  die 
von  deutschen  Meistern  (Nahl,  Glume)  gearbeiteten  Sandsteinhermen  an 
der    Fassade    des    Schlößchens    unvergleichliche    Zeugnisse    des  organischen 


211 


Verwachsenseins  mit  dem  Körper  des  Gebäudes.  Friedrich  der  Große  hat 
offenbar  den  Sachverhalt  ähnlich  empfunden,  denn  so  tüchtige  einheimische 
Bildhauer  ihm  für  die  Ausschmückung  seiner  Schlösser  zu  Gebote  standen, 
so  hat  er  doch  die  Bemühungen  um  Gewinnung  französischer  Bildhauer  im- 
mer erneuert.  Die  Fertigkeit  der  französischen  Schule  in  der  Marmor- 
bildhauerei  stellte  diese  gegenüber  den  in  Sandstein,  Stuck  und  Holz  arbei- 
tenden deutschen  Werkstätten  an  sich  schon  auf  eine  höhere  Stufe.  Wie  viel 
mehr  tritt  die  vorwiegend  dekorative  Begabung  der  deutschen  Barock-  und 
Rokoko-Bildnerei  noch  in  den  Vordergrund  bei  den  süddeutschen  Meistern. 
Mit  der  Raumkunst  Balthasar  Neumanns,  Johann  Michael  Fischers  und  ihrer 
Genossen  erreichte  in  Süddeutschland  die  Rokokobildnerei  mit  den  Auwera, 
mit  Straub,  Günther  und  Egell  auf  der  Höhe  des  Jahrhunderts  ihre  Glanz- 
zeit. Die  Bedeutung  dieser  Künstlergruppe  beruht  ganz  eigentlich  in  ihrem 
Zusammenspiel  mit  dem  Orchester  der  Raumdekoration,  worin  eben  die 
Stärke  der  deutschen  Kunst  des  Jahrhunderts  liegt.  Die  in  der  Berninischen 
Kunst  enthaltenen  malerischen  Keime  sind  von  den  deutschen  Bildnern  auf 
die  Spitze  getrieben  vi^orden,  in  gleicher  Weise  wie  die  deutsche  Baukunst 
die  Richtung  Borrominis  bis  zum  Äußersten  entwickelt  hat.  Die  italienische 
und  namentlich  die  französische  Bildnerei  bleibt  im  Vergleich  damit  immer 
klar  und  bestimmt  —  daher  auch  ihre  Überlegenheit  im  Porträt  und  im 
Nackten.  Aber  ähnlich  wie  in  der  Architektur  werden  die  in  Deutschland 
heimisch  gewordenen  welschen  Meister  in  unsere  Kunstströmung  mit  hinein- 
gerissen, so  daß  beispielsweise  die  Italiener  in  Deutschland  eine  Lockerung 
des  plastischen  Stiles  im  Rokoko  mitgemacht  haben,  die  in  ihrer  Heimat  sel- 
tener zu  finden  ist.  Es  sei  an  den  Nymphenburger  Porzellanmodelleur  Bu- 
stelli  erinnert,  der  in  Chiaveri,  dem  Schöpfer  der  Dresdener  Hofkirche,  sei- 
nen Partner  auf  dem  Gebiete  der  Architektur  hat. 

Betrachten  wir  den  Verlauf  der  Stilentwicklung  im  einzelnen.  Die  figür- 
liche Bildnerei  in  Deutschland  in  den  Jahrzehnten  nach  dem  Westfälischen 
Frieden  hat  an  vielen  Stellen  unter  dem  Eindruck  der  italienischen  und  nie- 
derländischen Meister  und  durch  den  Einfluß  der  in  Rom  entstandenen  Kup- 
ferstiche Joachim  Sandrarts  eine  größere  Formengebung  angenommen.  Das 
zeigen  die  Werke  der  Kleinplastiker,  die  aus  der  Überlieferung  der  deut- 
schen Spätrenaissance  herauswuchsen,  wie  die  Elfenbeinstatuetten  Kerns, 
die  figurenreichen  Elfenbeinschüsseln  der  Maucher,  die  eisengeschnittenen 
Statuetten  Leygebes,  der  aus  Nürnberg  an  den  Hof  des  Großen  Kurfürsten 
kam  (Leopold  I.  zu  Pferde  von  1660  in  Schloß  Rosenborg,  der  Große  Kur- 
fürst als  Bellerophon  zu  Pferde  in  Berlin  1680),  ferner  die  Treibarbeiten  der 
Silberschmiede.    Die  Reihe  marmorner   Kaiserbüsten   auf   der  Terrasse  des 

212 


Abb.  io5.    Denkmal  des  Großen  Kurfürsten,  von  Schlüter,  1701.    Berlin 


213 


Abb.  107.     Sklave  vom  Denkmal  des  Großen  Kurfürsten 


214 


Abb.  io8.     Sklave  vom  Denkmal  des  Großen  Kurfürsten 


215 


Abb.  109.  Sterbender  Krieger,  von  Schlüter 
um  1700,  am  Berliner  Zeughaus 


Charlottenburger  Schlosses  von  einem  Meister  Günther  und  die  in  der  Spät- 
renaissance wurzelnden  Altarfiguren  Ableitners  in  München  sind  bezeichnend 
für  die  erste  Stufe  der  Einwirkung  des  Barock.  Eine  gewisse  Schwerfälligkeit 
haftet  diesen  Frühwerken  der  deutschen  Barockplastik  an,  wofür  auch  die  Figu- 
ren an  den  genannten  Grabmälern  Joh.  Mauritz  Gröningers  in  Münster  und  Ar- 
nold Harnischs  in  Mainz  zeugen.  Eine  tiefere  Erfassung  der  Bewegung  und  des 
B'altenwurfs  der  Berninischen  Kunst  verkünden  zum  erstenmal  die  Figuren 
auf  der  mehrfach  erwähnten,  unter  Leitung  Burnacinis  und  Mitwirkung  des 
jungen  Bernhard  Fischer  von  Erlach  in  den  achtziger  Jahren  errichteten 
Pestsäule  auf  dem  Graben  in  Wien:  die  von  Mathias  Rauchmüller,  Paul 
Strudel  und  anderen  gemeißelten  Statuen  des  knienden  Kaisers  Leopold  und 
der  stehenden  und  auf  Wolken  schwebenden  Engel  mit  der  oben  thronenden 
Dreieinigkeit. 

Die  Rossebändigergruppe  vor  dem  Marstall  in  Salzburg  von  Maendl  ist 
ein  weiteres  Zeugnis  der  Aufnahme  des  italienischen  Barock  am  Ausgang 
des  17.  Jahrhunderts.    In  diesem  Zeitpunkt  kommen  Schlüter  und  Permoser 

216 


Abb.  1 10.  Sterbender  Krieger,  von  Schlüter 
um  1700,  am  Berliner  Zeughaus 

empor.  Sie  ergreifen  den  römischen  Barock  mit  ihrem  ganzen  Wesen  und 
schmelzen  ihn  im  Feuer  ihrer  Leidenschaft  ins  Deutsche  um.  Es  beginnt 
die  Blüte  der  deutschen  Barockbildnerei,  deren  Hauptsitze  Berlin,  Dresden, 
Wien  und  München  werden. 

Andreas  Schlüter  ist  wie  als  Baumeister,  so  als  Bildhauer  bereits  in  War- 
schau mit  der  Schule  Berninis  in  Berührung  gekommen.  In  Rom,  wohin  ihn 
Friedrich  I.  sandte,  hat  er  ihre  Werke  studiert.  Er  steigert  die  Bewegung 
Berninis.  Er  bildet  dessen  plastische  Bestimmtheit  ins  Schwellende  um.  Im 
Fortschreiten  wächst  der  Schwung  und  die  Körperlichkeit  seiner  architek- 
tonischen Glieder  zugleich  mit  der  Bewegung  der  Figuren.  In  dem  Elisa- 
bethsaal und  im  großen  Treppenhaus  des  Berliner  Schlosses  scheinen  die 
nackten  Giganten  mit  den  schweren  Gebälken  im  Streite  zu  liegen;  in  dem 
späteren  Rittersaal  sind  die  reichen  Figurengruppen  mit  den  ausladenden 
und  geschwungenen  Gebälken  zu  einem  Ganzen  verwebt.  Wie  wundervoll 
schmiegen  sich  die  Körper  der  Erdteile  den  gebogenen  Türgiebeln  an 
(Abb.  105).  In  den  Ecken  der  Deckenvouten  durchstoßen  die  zu  Knäueln  ge- 


217 


ballten  Figuren  und  Wolkenmassen  die  sich  aufbäumenden  Gesimse;  einige 
streben  aufwärts,  andere  lagern  sich  auf  die  Giebel.  Gedanken,  die  Michel- 
angelo an  den  Mediceergräbern  zuerst  entwickelt,  werden  hier  zu  Ende  ge- 
dacht. Der  einheitliche  Schwung,  der  Schlüters  Architektur  und  plastische 
Figuren  beseelt,  zeichnet  auch  seine  wichtigste  Schöpfung  in  der  Freiplastik, 
das  Denkmal  des  Großen  Kurfürsten  auf  der  Langen  Brücke  in  Berlin,  vor 
allen  voraufgegangenen  Lösungen  dieses  Themas  aus  (Abb.  io6).  Anregun- 
gen aus  italienischen  (Farnesedenkmäler  in  Piacenza)  und  gleichzeitigen  Pa- 
riser Reiterdenkmälern  sind  im  Geiste  des  deutschen  Barock  fortgebildet 
worden  —  Jacobi  der  Bronzegießer  der  Figuren  hatte  in  Paris  gearbeitet, 
daher  auch  manche  Verwandtschaften  mit  Girardon  und  Coyzevox.  Alle 
übertrifft  Schlüter  in  der  Durchdringung  des  Sockels  und  der  Figuren  der 
vier  daran  gefesselten  Sklaven  und  der  darüber  schreitenden  Reiterfigur  mit 
dem  einheitlichen  Zuge  seiner  Empfindung.  Schlüter  ist  nicht  nur  groß  als 
Gestalter  körperlicher  Bewegung,  er  vermag  auch,  diese  zum  Träger  des  tief- 
sten seelischen  Ausdrucks  zu  machen.  Das  oft  so  hohle  Pathos  des  Barock 
erhebt  sich  in  Schlüters  besten  Werken  zu  wirklicher  Leidenschaft.  Die  vier 
Sklaven  —  die  erst  1708  nach  Glumes  d.  Ä.,  Nahls  d.  Ä.  und  anderer  Schü- 
ler Modellen  von  Jacobi  gegossen  wurden  —  zeigen  alle  Stufen  des  Schmer- 
zes, von  den  in  Kummer  versunkenen  und  in  ihre  Gewänder  gehüllten  hin- 
brütenden, bärtigen  älteren  Männern  bis  zu  dem  laut  um  Gnade  flehenden 
Jüngling  zur  Rechten  (Abb.  10  7, 108).  Über  dieses  Meer  brauender  und  aufschrei- 
ender Leidenschaft  der  Unterworfenen  nimmt  der  Reiter  im  römischen  Cä- 
sarengewande  seinen  Siegesweg.  Man  wird  nicht  ohne  Mühe  Werke  des  Ba- 
rock nennen  können,  in  denen  seelisches  Leben  mit  solcher  Tiefe  gebildet  ist, 
vvfie  in  den  Schlüterschen  Köpfen  erschlagener  Krieger  an  den  Schlußsteinen 
im  Hofe  des  Zeughauses  (Abb.  1 09, 1 1 o ) .  Sie  sind  tot,  aber  unter  den  geschlosse- 
nen Augenlidern  scheint  noch  Lebensglut  zu  glimmen.  Von  dem  auf  dem 
Höhepunkt  edler  Kampfeslust  gefällten  jungen  Helden  bis  zu  den  in  der  wil- 
den Wut  vom  Tod  ereilten,  haßerfüllten,  zerzausten  alten  Kriegern  eine 
Fülle  verschiedenster  Temperamente.  In  der  Wiedergabe  tragischen  Schmer- 
zes enthüllt  sich  die  tiefe  Natur  dieses  großen,  von  der  Höhe  des  Glücks  so- 
bald in  die  Nacht  des  Elends  hinabgestürzten  deutschen  Genius.  Ergreifend 
ist  die  Gruppe  der  Afrika  im  Rittersaal,  wo  ein  Löwe  ein  junges  Negerweib 
tötet  und  der  Mann,  seinen  Kopf  im  Gewand  verhüllend,  davoneilt  (Abb.  105). 
So  auch  das  kleine  Kind  auf  dem  Grabmal  Mannlichs  in  der  Marienkirche, 
das  sich  dem  Totengerippe  durch  die  Flucht  vergeblich  zu  entziehen  sucht, 
und  die  weinenden  Frauen  an  den  Sarkophagen  des  Königs  und  der  Königin 
(vgl.  Abb.  22).   Man  halte  die  Büste  des  Prinzen  von  Homburg,  die  Jacobi  nach 

218 


Abb.  III.     Prinz  Friedrich  von  Homburg,  Bronze  nach  Schlüter,  1701 

Schloß  Homburg 


219- 


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Abb.  112.    Asien,  von  Schlüter,  1711,  in  der  Loge  Royal  York,  Berlin 


Schlüters  Modell  im  Jahre  1701  goß  (Schloßhof  in  Homburg,  Abb.  iii),  neben 
eine  der  ähnlich  aufgebauten  Büsten  der  gleichzeitigen  römischen  und  Pariser 
Bildhauer.  Wo  finden  sich  dieses  lohende  Feuer,  diese  gedrängte  Leidenschaft 
wie  in  dem  sturmatmenden  Haupte  des  alten  Kriegshelden,  des  brandenbur- 
gischen Reiterführers  in  der  Schlacht  bei  Fehrbellin.  Es  ist  eine  deutsche 
Porträtschöpfung,  die  den  besten  Bildnissen  Dürers  gleichkommt.  Freilich 
redet  nicht  zu  uns  der  gefühlsreiche  Jüngling,  den  uns  Heinrich  von  Kleist 
als  Spiegel  seines  eigenen  Wesens  schildert.  Wohl  aber  spürt  man  noch  in 
den  gealterten  Zügen  das  aufbrausende  Naturell,  das  den  jungen  Kriegsfür- 
sten fünfundzwanzig  Jahre  früher  zum  vorschnellen  Angriff  auf  die  Schwe- 
den hingerissen  hatte.  Der  innere  Sturm  umwittert  den  majestätischen  Kopf 
und  die  Allongeperücke  und  wühlt  selbst  in  den  Falten  der  Drapierung.  Es 
gibt  keinen  trefflicheren  Ausdruck  für  die  Mächtigkeit  des  Fürstenideals  die- 
ser Epoche  des  deutschen  Barock.  Von  den  späteren  Bildhauerarbeiten  im 


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Abb.  113.     Afrika,  von  Schlüter,   1711,  in  der  Loge  Royal  York,  Berlin 


Berliner  Schloß,  seit  dem  Sturz  des  Meisters  im  Jahre  1708,  so  in  den  Stuck- 
reliefs und  Gruppen  an  der  Decke  der  Langen  Galerie,  verfällt  der  Stil  Schlü- 
ters ins  Zerrissene  und  trotz  vieler  Feinheiten  scheint  es,  als  ob  er  die  Aus- 
führung mehr  und  mehr  seinen  zahlreichen  Schülern  überlassen  hat.  Von 
eigenhändiger  Arbeit  sind  aber  sicher  die  vier  Erdteile  in  Stuck  im  Saal  der  Loge 
Royal  York  (Abb.  112,  113).  Die  posaunenblasenden  Genien  am  Eosander- 
portal und  im  Eosanderhof  des  Schlosses  gehören  den  letzten  Regierungs- 
jahren Friedrichs  I.  und  teilweise  schon  dem  Beginn  der  Zeit  Friedrich  Wil- 
helms I.  an  und  deuten  in  ihrer  eleganten  Bewegung  und  Gewandung  auf  den 
Übergang  zu  einer  leichteren  Formengebung  —  man  möchte  auf  einen  Mei- 
ster aus  der  Richtung  des  Coyzevox  schließen  — ,  wie  ja  damals  hier  der 
Franzose  Dubut  wirkte.  Die  trefflichen  Schüler,  die  Schlüter  herangebildet, 
unter  denen  Nahl  d.  Ä.  und  Glume  d.  Ä.  hervorragten,  konnten  leider  in 
Berlin  nicht  zur  Entfaltung  kommen,  da  Friedrich  Wilhelm  I.  ihnen  keine 


Abb.  114.     Herkules  und  Omphale,  Elfenbeinschnitzerei  von  Permoser 
Anfang  18.  Jahrhunderts.     Berlin,  Schloßmuseum 


Abb.  115.     Engel,  von  Raphael  Donner 
Dom  in  Preßburg,  um  1730 

großen  Aufgaben  bot.  Eines  der  schönsten  Werke,  in  dem  noch  Schlüter- 
scher Geist  nachwirkt,  ist  das  Grabmal  Glumes  in  der  Berliner  Marienkirche, 
um  1725  zugleich  mit  der  Kapelle  für  den  Finanzminister  Johann  Andreas 
von  Kraut  errichtet.  Auf  dem  Sarkophag  die  Büste  des  Verstorbenen  und 
daneben  die  weiblichen  Gestalten  der  Zeit  und  Ewigkeit,  alles  in  weißem 
Marmor. 

Schlüter  ist,  sieht  man  von  den  Architekten  ab,  das  größte,  man  kann 
ruhig  sagen,  das  einzige  wahre  Genie  unter  den  deutschen  bildenden  Künst- 
lern des  Jahrhunderts.  Sein  Schaffen  ist  freilich  durch  die  Beschränkungen 
seiner  Umgebung  und  Zeit  bedingt  worden.  Nur  vereinzelt  kann  er  sich  un- 
gehemmt entfalten.  In  diesen  Werken  allerdings  erreicht  er  eine  überra- 
gende Höhe.    Aus  ihnen  spricht,  befreit  von  allen  Gewaltsamkeiten  des  Ba- 


223 


rock,  die  Seele  des  großen  Menschen  zu  uns  bis  auf  den  heutigen  Tag.  Er 
steht  auf  einer  Höhe  mit  Bach  und  Leibniz.  Die  strömende  Leidenschaft  der 
deutschen  künstlerischen  Empfindung  des  1 8.  Jahrhunderts,  die  in  der  Musik, 
der  Raumkunst  und  späterhin  auch  in  der  Dichtung  hervorbricht,  findet  in 
seinen  Götter-  und  Geniengestalten  den  ergreifendsten  plastischen  Ausdruck : 
wir  meinen  den  Genius  des  Jahrhunderts,  den  der  junge  Goethe  in  Wanderers 
Sturmlied  besingt: 

,, Vater  Bromius! 

Du  bist  Genius, 

Jahrhunderts    Genius, 

Bist,  was  innere  Glut 

Pindarn  war, 

Was  der  Welt 

Phöbus  Apoll  ist.  — 

.  .  .  Innere  Wärme, 

Seelenwärme 

Mittelpunkt!" 

Die  Einsamkeit  seiner  Erscheinung  teilt  Schlüter  mit  den  meisten  bedeu- 
tenden Männern  unseres  Volkes.  Ein  Meteor  im  wahren  Sinne  des  Wortes, 
nur  kurze  Zeit  alles  überstrahlend  und  wieder  zurückfallend  ins  Dunkel, 
aus  dem  er  hervorgebrochen'-). 

Schlüters  süddeutscher  Zeitgenosse  Balthasar  Permoser,  geboren  1651  in 
der  Nähe  von  Traunstein,  ist  gleichfalls  ein  Schüler  der  römischen  Barock- 
bildnerei.  Seine  ersten  Lehrjahre  verbrachte  er  in  Salzburg  unter  dem  Ein- 
druck der  Kunst  Anton  Darias  und  in  Wien  bei  Knacker,  einem  der  Mitar- 
beiter an  der  Pestsäule,  der  später  am  Castrum  doloris  Josephs  I.  und  an  des- 
sen Gruft  mitarbeitete.  Um  1675  begab  er  sich  nach  Italien  und  erfuhr  die 
Einwirkung  von  Bernini  und  Pietro  da  Cortona.  Einige  Zeit  arbeitete  er  in 
Florenz  für  Cosimo  III.,  besonders  kleine  Werke  in  Elfenbein.  Um  1689 
wird  er  Hofbildhauer  Joh.  Georgs  III.  in  Dresden.  Seine  Blütezeit  ist  das 
erste  Viertel  des  18.  Jahrhunderts.  Permoser  ist  gleichzeitig  mit  Schlüter  im 
Auftrage  Friedrichs  I.  auch  für  das  Berliner  Schloß  tätig  gewesen  (zwischen 
1704  und  17 10).  Es  werden  ihm  die  in  diesen  Jahren  entstandenen  Hermen 
an  den  beiden  Balkons  der  Lustgartenseite  des  Schlosses  zugeschrieben,  die 
den  besten  Werken  Schlüters  gleichkommen  und  unter  den  deutschen  Bild- 
hauerarbeiten des  Jahrhunderts  in  vorderster  Reihe  stehen.  Das  Ver- 
hältnis Permosers  zu  Schlüter  verdiente  eine  Beleuchtung,  da  in  der  Tat  Fä- 
den von  den  Berliner  Werken  zu  den  Hermen  und  Atlanten  am  Dresdener 

224 


Abb.  ii6.     St.  Martin,  von  Raphael  Donner,  am  Dom  in  Preßburg,  1734 

Schmitz,   iS.Jahrh.     15  225 


Zwinger  führen,  deren  beste  Stücke,  so  namentlich  am  Wallpavillon,  von 
Permosers  Hand  herrühren  (um  1720,  Abb.  15).  Gegenüber  der  Ruhe  der 
Berliner  Schloßhermen  ist  in  den  Dresdener  Satyrhermen  die  Lockerung  der 
Bewegung  und  Schwellung  der  Formen  gesteigert.  Mit  den  stark  unter- 
schnittenen,  gewaltsam  gebrochenen  und  gerollten  Gebälken  und  Giebeln  der 
Pöppelmannschen  Architektur  sind  sie  zu  einem  unvergleichlichen  Ganzen 
verwachsen.  In  seinen  späteren  Werken  drängt  sich  ein  schnörkelhafter  Zug 
stärker  hervor;  anderes  wieder,  wie  die  beiden  holzgeschnitzten  überlebens- 
großen Heiligengestalten  im  Dom  in  Bautzen,  zeichnet  sich  durch  großen 
Stil  aus  (Abb.  114).  Die  Grabmalsgruppen  und  die  Apotheosen,  wie  die 
um  1721  entstandenen,  auf  den  Prinzen  Eugen  und  August  den  Starken 
verraten  auch  im  Gedanklichen  einen  Hang  zum  Übertriebenen.  Permoser 
war  als  Mensch  voll  wunderlicher  Züge,  ein  echter  Künstler  des  Barock.  Seine 
Virtuosität  in  der  Technik  der  Marmor-  und  Elfenbeinarbeit  riß  die  Zeitge- 
nossen zur  Bewunderung  hin  und  zog  Schüler  aus  Berlin,  aus  Wien,  aus 
Mannheim  (Paul  Egell  17 12)  und  von  anderwärts  in  seine  Werkstatt.  Na- 
mentlich für  Dresden  wurde  er  der  Begründer  einer  Bildnerschule.  Sein 
Schüler  Benjamin  Thomae,  der  mit  ihm  am  Zwinger  tätig  war,  wurde  der 
Lehrer  des  Meißener  Porzellanbildhauers  Kandier.  In  den  frühesten  plasti- 
schen Schöpfungen  der  Meißner  Manufaktur  nach  Kirchners  und  Kändlers 
Modellen  lebt  Permosers  Geist  fort  '3). 

In  Wien  und  im  übrigen  Österreich  kommt  die  Bildnerei  nach  Beendigung 
des  Spanischen  Erbfolgekrieges  zugleich  mit  der  Baukunst  zur  höchsten 
Entfaltung.  Die  Italiener,  Matielli,  der  Schöpfer  der  Gartenfiguren  im 
Schwarzenberggarten  (17 16),  der  Herkulesgruppen  am  Reichskanzleitrakt 
der  Hofburg,  Corradini  und  der  vor  allem  in  Heiligenkreuz  tätige  Vene- 
zianer Giuliani  haben  eine  erneute  Verbindung  der  österreichischen  Bildner- 
kunst mit  der  fortgeschrittenen  italienischen  hergestellt.  Ganz  ähnlich  wie  in 
der  Baukunst  Bernhard  Fischers  von  Erlach  und  Lukas  von  Hildebrands  hat 
in  der  Bildnerei  offenbar  die  Ausdehnung  der  österreichischen  Herrschaft  in 
Italien  den  Zusammenhang  der  beiden  Kunstgebiete  gefördert.  Matielli  und 
Corradini  gingen  später  nach  Dresden,  wo  sie  eine  Reihe  von  mythologischen 
Figuren  für  den  Großen  Garten  und  Matielli  die  Steinfiguren  auf  Chiaveris 
Hofkirche  schufen.  In  Wien  hatte  sich  inzwischen  ein  einheimischer  Meister 
erhoben,  der,  aus  der  Schule  Giulianis  und  anderer  Venezianer  hervorgegan- 
gen, als  erster  deutscher  Meister  den  wuchtigen  Barockstil  in  eine  freiere 
und  zartere  Form  überführte:  Raphael  Donner.  Seine  Blütezeit  ist  um  1730. 
Donner  kommt  in  der  Gestaltung  seelischen  Ausdrucks  Andreas  Schlüter 
gleich.    Er  hat  den  religiösen  Themen  eine  tiefere   Fassung   gegeben.    Diei 

226 


Abb.  117.    Maria  und  Johannes,   von  Raphael  Donner.    Bleirelief  im  Münzamt  Wien 

Pietä,  die  Beweinung  Christi  durch  Maria,  durch  die  Freunde  und  die  Engel 
hat  er  im  Relief  und  in  Altargruppen  mit  Innigkeit  gestaltet.  Die  Gebärden 
seiner  klagenden  und  anbetenden  Engel  drücken  Trauer  und  Hingebung  er- 
greifend aus  (Abb.  115, 117).  Mit  der  Lockerung  des  Faltenstils,  mit  der  Lösung 
der  Bewegung  und  der  schlankeren  Bildung  der  Gestalten  geht  eine  verfeinerte 
Seelenstimmung  Hand  in  Hand.  Im  Relief  tritt  eine  weichere  gleichmäßig 
schwellende  Flächenbehandlung  an  Stelle  der  oft  stürmisch  bewegten  Un- 
ruhe des  älteren  Barock.  Das  malerische  Element,  die  Wirkung  mit  hellen 
und  dunklen  Flecken  tritt  in  den  Vordergrund  vor  dem  plastischen  der  Zeit 
um  1700.  (Vgl.  Donners  Reiterstatue  des  hl.  Martinus  von  1734  an  der  Mar- 
tinskirche in  Preßburg  [Abb.  116]  mit  der  des  Großen  Kurfürsten  von  Schlü- 
ter). Auch  die  Verbindung  der  Heiligengruppen  und  Reliefs  mit  der 
gelockerten  spätbarocken  Architektur  der  Altäre  usw.  zu  einem  dekorativen 
Ganzen  bekundet  einen  entwickelten  malerischen  Sinn.  Donner  bewegt  sich 
damit  auf  der  in  den  späteren  Werken  Permosers  eingeschlagenen  Linie ;  dieser 


227 


Abb.  ii8.    Madonna,  von  Egid  Quirin  Asam 
um    1730.     Kaiser-Friedrich-Museum,    Berlin 


228 


hat  wohl  auch  auf  Donner  eingewirkt  (vgl.  Donners  Apotheose  Karls  VI.)- 
Dagegen  tritt  in  der  plastischen  Bildung  nackter  Körper  frühzeitig  eine 
Mäßigung  im  Malerischen,  eine  geradezu  klassische  Haltung  zutage, 
allerdings  erst  in  den  späteren  Schöpfungen,  den  Flußgöttern  am  Brunnen 
des  Neumarktes  und  den  Genien  am  Wandbrunnen  des  Rathauses  in  Wien. 
Also  eine  verwandte  Erscheinung  wie  in  der  Wiener  Architektur,  in  den 
Werken  des  jüngeren  Fischer  von  Erlach.  Der  Bleiguß,  in  dem  die  Mehrzahl 
der  Donnerschen  Werke  gearbeitet  sind,  kommt  dem  weichen  Formenideal 
des  Meisters  entgegen.  Unter  den  Wiener  Nachfolgern  Donners  ragen  Ha- 
genauer  und  Franz  Xaver  Messerschmied  als  Hauptvertreter  eines  tempera- 
mentvollen Rokokostils  hervor;  von  des  letzteren  Hand  stammen  neben 
Heiligenfiguren  in  Stein  und  Marmor  eine  Reihe  plastischer  Kopfstudien.  Im 
allgemeinen  wendet  sich  die  Wiener  Plastik  unter  Maria  Theresia  früher  als 
anderswo  einem  ruhigeren  Stile  zu.  Die  dekorative  kirchliche  Skulptur  hat 
unter  Karl  VI.  zugleich  mit  der  spätbarocken  Baukunst  in  allen  österreichi- 
schen Ländern,  so  in  Tirol,  in  Böhmen  und  Schlesien,  üppige  Blüten  ge- 
trieben. 

Die  kräftigste  Umgestaltung  der  plastischen  Grundzüge  des  Barock  in 
eine  rein  malerische  Form  ist  von  den  oberbayerischen  Stukkatoren  und  Holz- 
schnitzern seit  den  zwanziger  Jahren  des  1 8.  Jahrhunderts  im  Bunde  mit  der 
Raumausstattung  vollzogen  worden.  Andreas  Faistenberger  und  namentlich 
Egid  Quirin  Asam  in  München  —  die  beide  in  Rom  studiert  hatten  —  haben 
die  äußerste  Verschmelzung  der  figürlichen  und  ornamentalen  Bildnerei  mit 
den  architektonischen  Gliedern  herbeigeführt.  Die  goldschimmernden  Altar- 
ausstattungen Egid  Quirin  Asams  in  der  Johann-Nepomuk-Kirche  in  München 
(vgl.  Abb.  45)  und  in  der  Klosterkirche  in  Weltenburg  (1735)  fließen  mit  den 
Räumen  zu  einem  flimmernden  Bilde  zusammen.  Die  heftigen  Licht-  und  Schat- 
tengegensätze mit  den  aus  dem  Licht  auftauchenden,  von  hinten  beleuchteten, 
dramatisch  bewegten  Heiligengestalten  versetzen  uns  noch  einmal  in  die 
barocke  Stimmung,  die  in  dem  Feuerwerk  der  Feste  und  den  Blitz-  und  Wol- 
kenerscheinungen der  Theater  ihren  Höhepunkt  fand.  Die  Lockerung  der 
Bewegungen  und  des  Faltenwurfs  rückt  die  Figuren  des  Faistenberger,  des 
Asam  (Abb.  118)  und  des  Münchner  Schnitzers  Joachim  Diettrich  (Hoch- 
altar der  Klosterkirche  in  Diessen)  in  den  Beginn  des  Rokoko. 


229 


Abb.  119.     Hochaltar  im  Dom  zu  Worms,  um  1750 


230 


i8.    DIE    BILDHAUERKUNST    DES    ROKOKO 

Der  Eintritt  des  Rokokostils  am  Ende  der  dreißiger  Jahre  bezeichnet  in  der 
figürhchen  Bildnerei  den  Anfang  einer  auf  breitester  Grundlage  erwach- 
senden, mehr  als  dreißig  Jahre  dauernden  Blüteepoche.  Nun  schwingen  sich 
die  bayerischen  und  mainfränkischen  Bildhauerwerkstätten  auf  dem  Gebiete 
der  kirchlichen  Skulptur  empor.  Neben  der  Stuckarbeit,  die  aus  dem  Schöße 
der  Schule  von  Wessobrunn  erwuchs,  und  neben  der  dekorativen  Steinbild- 
nerei  erlangt  die  Holzschnitzerei  in  diesen  Landschaften  —  seit  den  zwan- 
ziger Jahren  schon  in  Oberbayern  —  eine  überragende  Stellung.  Die  Bild- 
hauer vereinigen  sich  mit  den  Tischlern  in  der  Herstellung  reichausgestatte- 
ter Altäre,  Kanzeln,  Chorstühle  und  Beichtstühle.  An  keiner  Stelle  läßt  sich 
der  Zusammenhang  der  architektonischen  und  ornamentalen  Gliederbildung 
des  Figürlichen  im  Rokoko  klarer  empfinden,  als  an  den  Altaraufbauten,  die 
seit  den  dreißiger  Jahren  in  großer  Zahl  in  Bayern  und  Franken  entstehen. 
In  der  Münchner  Schule,  die  an  Fruchtbarkeit  die  anderen  überragt,  führen 
die  Altarschöpfungen  Egid  Quirin  Asams  um  1730  zum  Rokoko  hinüber. 
Die  in  den  vierziger  und  fünfziger  Jahren  von  Johann  Baptist  Straub  und 
seinen    Mitgenossen    in    Diessen    (vgl.  Abb.  46),     Schäftlarn,     Ettal,    Für- 


231 


stenzell,  Grafrath  usw.  ausgeführten  Altäre  veranschaulichen  das  rasche  Auf- 
blühen des  Rokokostils.  Seine  freieste  Entfaltung  stellen  die  Altarwerke 
Ignaz  Günthers  in  Rott  am  Inn,  Neustift,  Weyarn,  Starnberg,  sowie  in  eini- 
gen Kirchen  von  München  (St.  Peter,  Bürgersaal)  und  Umgegend  dar.  Die 
Grundform  des  Barockaltars  mit  wuchtigen  Säulenstellungen,  wie  sie 
Pozzo  und  Fischer  von  Erlach  und  ihre  Zeitgenossen  im  Beginn  des  Jahrhun- 
derts nach  den  Mustern  des  römischen  Barock  gestaltet  hatten,  bildete  den 
Ausgangspunkt.  Mehr  und  mehr  werden  die  Säulen  lockerer  gestellt ; 
die  äußeren  treten  hervor,  der  ganze  Grundriß  gerät  in  Bewegung,  in  dem 
gleichen  Maße  wie  die  Gesimse  und  Giebel  zu  schwingen  beginnen.  Und  mit 
der  Auflockerung  der  Kapitelle  und  der  Verlebendigung  der  Gebälke  hat  die 
Erleichterung  der  Bewegung  und  der  Faltenschwung  der  Heiligenfiguren 
zwischen  den  Säulen  und  in  den  Bekrönungen  Schritt  gehalten.  Die  anbe- 
tend geneigten  und  verzückt  emporblickenden  Gestalten  Straubs  und  Gün- 
thers scheinen  durchströmt  von  dem  auf-  und  abwogenden  Bewegungsge- 
fühle, das  die  architektonische  Gliederung  der  Altäre  beseelt  und  in  den  Ro- 
cailleschnörkeln  der  Abschlüsse  verklingt  (Abb.  120,  121).  Die  schmelzende 
Empfindung  geht  noch  über  die  des  Raphael  Donner  hinaus,  dessen  Einfluß  so- 
wohl Straub  wie  sein  Schüler  Günther  in  Wien  erfahren  haben '4).  Die  schlan- 
ken, lockigen  Engelknaben  der  bayerischen  Meister  bekunden  ihre  Herkunft 
aus  Donners  Schule.  Im  Verein  mit  pausbäckigen  Engelkindern  umschwe- 
ben sie  die  göttlichen  Gestalten,  auf  Wolken  emporsteigend,  auf  Schnörkeln 
kniend  und  an  den  Gesimsen  hängend.  In  der  Gestaltung  weiblicher  Anmut 
und  seliger  Hingabe  liegt  die  stärkste  Seite  dieser  Richtung.  Die  jungfräu- 
liche Gottesmutter  auf  der  schlangenumwundenen  Weltenkugel,  die  Imma- 
culata in  lieblicher  Unschuld,  die  Schmerzensmutter  mit  dem  Leichnam  ihres 
Sohnes  auf  dem  Schöße,  heilige  Bekennerinnen  liegen  ihr  am  besten  (Abb.  118). 
Ebenbürtig  und  in  verwandtem  Sinne  entwickelt  sich  in  Würzburg  die  Altar- 
bildnerei  Auweras,  der  in  der  üppigeren  Formen-  und  Faltengebung  die  flämi- 
sche Herkunft  zu  bekunden  scheint  (Augustinerkirche  Abb.  32).  Er  war 
auch  in  der  kirchlichen  Steinbildnerei  der  führende  Meister  des  Fürstbistums 
am  Main,  wofür  eine  Reihe  von  Schutzpatronen  an  Würzburger  Häusern, 
sowie  die  drei  obersten  Stationen  des  Kreuzwegs  zum  Käppele  zeugen. 
In  Mannheim  wirkte  in  derselben  Zeit  Paul  Egell,  dessen  holzgeschnitzter 
Altar  aus  der  Oberen  Pfarrkirche  in  Mannheim  im  Berliner  Museum  um 
1760  die  letzte  Entwicklungsphase  des  kirchlichen  Rokoko  dieser  Ge- 
genden verkörpert  (Abb.  122)  '5).  Die  aufgelöste  Haltung  der  Statuen,  der  lok- 
kere  Zuschnitt  der  Gewandflächen  sowie  die  skizzenhafte  Modellierung  des 
Reliefs  der  Rückwand:  alles  das  beweist  die  äußerste  Erleichterung  des  For- 

232 


Abb.  I20.     Kirchenvater,  von  Ignaz  Günther 
Tonmodell  im  Kaiser-Friedrich-Museum 


233 


mensinnes  im  spätesten  Rokoko.  Vollends  enthüllt  sie  sich  in  der  Bildung 
des  Rahmens  mit  bewegten  Palmbäumen  und  des  oberen  Abschlusses  als  ge- 
kräuselte muschelartige  Schnörkel.  Egell,  von  dem  auch  das  Giebelrelief  am 
Bibliotheksflügel  des  Mannheimer  Schlosses  herrührt,  ist  aus  der  Schule  Per- 
mosers hervorgegangen.  Mit  den  aufgeführten  Namen  ist  die  Zahl  tüchtiger 
Rokokomeister  nicht  erschöpft"^).  Die  glänzende  Entfaltung  der  kirchlichen 
Rokokobildnerei  auf  dem  Höhepunkt  des  Jahrhunderts  ist  unlösbar  verknüpft 
mit  dem  gleichzeitig  erblühten  Raumsinn  des  kirchlichen  Rokoko,  der  in  den 
Bauten  Neumanns,  Johann  Michael  Fischers  und  ihrer  Zeitgenossen  wirkt.  In 
der  vor-  und  rückwärts,  der  auf-  und  abflutenden  Bewegung  der  Plastik  ver- 
dichtet sich  körperlich  das  Raumempfinden  dieser  Generation.  Wie  weit  der 
Bildhauer  in  das  Bereich  des  Architekten,  oder  der  Architekt  in  das  des  Bild- 
hauers übergegriffen,  kann  hier  nicht  näher  erörtert  werden.  Entwürfe  zu 
Altären  und  anderen  Dekorationsstücken  wurden  bald  von  diesem,  bald  von 
jenem  geliefert.  In  Dresden  findet  die  kirchliche  Bildnerkunst  Permosers 
ihre  Fortsetzung  in  den  religiösen  Porzellangruppen  Kirchners  und  Händ- 
lers; der  letztere  hat  auch  einige  Grabmäler  in  Stein  gearbeitet.  Neben  der 
Hauptströmung  des  kirchlichen  Rokoko,  in  der  viele  Züge  volkstümlicher 
Kunst  ans  Licht  kommen,  hat  damals  der  römische  Barock  stellenweise 
nachgewirkt,  wie  der  Statuenschmuck  Mattiellis  auf  der  Dresdener  Hof- 
kirche und  die  Bildwerke  Verschaffelts  an  der  Mannheimer  Jesuitenkirche 
dartun. 

Die  weltliche  Bildnerei  des  deutschen  Rokoko  tritt  gegenüber  der  kirch- 
lichen an  Bedeutung  und  Umfang  zurück.  Sie  hat  in  der  Bau-  und  Garten- 
skulptur ihr  Bestes  geschaffen.  Die  Werkstätten  am  Main  und  Mittelrhein 
sowie  die  von  Berlin  und  Potsdam  haben  darin  Ausgezeichnetes  geleistet.  In 
den  Mainbistümern  steht  an  erster  Stelle  Ferdinand  Tietz,  ein  Deutsch- 
böhme '7).  Seine  Sandsteinarbeiten  in  den  fürstbischöflichen  Parks  von  Seehof 
vind  Veitshöchheim  haben  die  sinnliche  Bewegtheit,  die  uns  in  den  ornamen- 
talen Erfindungen  des  deutschen  Rokoko  entgegentrat.  Die  halbnackten  Nym- 
phen Satyrn  und  Putten  ( Abb.  1 2  3 ) ,  die  kokett  gekleideten  Kavaliere  und  Damen, 
Jäger  und  Jägerinnen,  Komödien-  und  Opernfiguren,  die  Garten-  und  Jagd- 
trophäen wachsen  wie  Naturgebilde  aus  den  dunkeln  Hainen,  aus  den  Laub- 
gängen, aus  den  Felsen  der  Bassins  und  den  Geländern  der  Balustraden  und 
den  Treppenwangen  heraus.  Mit  den  glänzenden  Aktfiguren  des  Adam  und 
des  Pigalle  kann  man  die  verdrehten  knusprigen  Frauen-  und  Kinderkörper 
des  Tietz  nicht  vergleichen:  sie  sind  mehr  ornamental  empfunden.  Das  Auf- 
und  Abschwellen  der  gerundeten  Glieder  ist  dem  Flächenspiel  der  Rocailleor- 
namente  verwandt.    Und  selbst  in  den  Köpfen  wirkt  dieses  Spiel  fort.    So 

234 


Abb.  121.     Verkündigung,  von  Ignaz  Günther.     Mitte   i8.  Jahrhunderts 
Kirche  zu  Weyarn 


235 


Abb.  122.     Hochaltar  der  Oberen  Pfarrkirche  in   Mannheim,  von  P.  Egell,  um  1760 

BerHn,  Kunstgewerbemuseum 


trifft  Tietz  das  Triebhafte  der  Wald-  und  Wassergottheiten  besonders 
glücklich,  wie  das  verführerische  Lächeln  der  Sphinxweiber,  der  Satyrn  und 
Nymphen.  Auch  die  gleichzeitigen  Garten-  und  Bauplastiker  Friedrichs  des 
Großen  haben  gerade  in  der  Fassung  des  halbmenschlichen,  halbtierischen 
Lebens  der  Naturgötter  Köstliches  geschaffen.    Es  seien  die  Sphinxweiber 

236 


Abb.  123.     Steinputto,  von  Ferd.  Tietz,  um  1750 
Bergrat  W.  Arbenz,  Zehlendorf 

von  Ebenhecht  in  Rheinsberg  und  Potsdam,  die  Neptunsgruppe  im  Bassin 
des  Potsdamer  Lustgartens  und  die  Brunnengruppen  unter  der  vorderen  Ko- 
lonnade als  die  Überreste  des  umfangreichen  alten  Bestandes  genannt.  Den 
Naturgeist  des  deutschen  Rokoko  verkörpern  mit  am  schönsten  die  Fauns- 
und Nymphenhermen  an  der  vorderen  Fassade  von  Sanssouci  (Abb.  75). 
Welche  Sinnenlust  durchströmt  die  sich  räkelnden,  mit  den  Gebälken  spie- 
lenden Körper  und  die  lächelnden  Köpfe;  wie  webt  sie  in  den  Weinranken, 
den  Kürbisstauden,  den  Pansflöten,  Syringen  und  Schellentrommeln,  in  den 
Garten-  und  Musikgeräten,  die  um  die  Bäuche  der  Waldgötter  geschlungen 
sind.  Und  welcher  organische  Zusammenhang  zwischen  den  architektonisch 
gebildeten  Schäften  der  Hermen,  den  rankenden  Ornamenten  und  den  her- 
auswachsenden Menschenleibern.  Die  geistvolle  Verbindung  der  Architektur 
und  der  verzierenden  Skulptur  ist  ein  Kennzeichen  der  besten  Schöpfungen 
des  deutschen  Rokoko,  insbesondere  der  Werke,  die  damals  für  Friedrich  den 
Großen  entstanden.  Die  zarten  Umrisse  der  Attikafiguren  und  Blumenvasen 
auf  den  Bauten  und  Kolonnaden  Knobelsdorffs  sind  nur  die  Ausklänge  des 
feinen  Lebens  seiner  Pilaster,  Gesimse  und  Gebälke.  Das  glänzendste  Werk 
solcher  sprühenden  Dachbekrönung   sind  die   Pferdegruppen  vom  jüngeren 


237 


Glume  auf  den  beiden  Risaliten  des  Marstalls  am  Potsdamer  Lustgarten 
(Abb.  124).  Trotz  des  wilden  Aufbäumens  und  Ausschiagens  bilden  die 
Pferde  mit  dem  Unterbau  eine  Einheit;  nur  das  höchste  Stilgefühl  war  im- 
stande, Gegensätze,  wie  die  strengste  Säulenarchitektur  mit  den  zackigsten 
Umrissen  des  Bildwerkes  zu  verbinden.  Es  geht  vom  jüngeren  Glume  über 
seinen  Vater  bis  zu  dessen  Lehrer  Schlüter  eine  Linie  der  Schultradition  zu- 
rück. Die  Pferde  Glumes  vergegenwärtigen  im  Rückblick  auf  Schlüters 
Denkmal  und  auch  auf  die  Gruppen  der  Schlüterschen  Schule  auf  der  Attika 
des  Zeughauses:  wie  die  deutsche  Bildnerei  von  dem  noch  gebundenen  Stile 
des  Barock  zur  äußersten  Lockerung  des  Rokoko  in  dem  halben  Jahrhundert 
fortgeschritten  ist.  Einige  andere  gleichzeitige  Musterlösungen  verwandter 
Art  sind  die  Jagdgruppen  von  Manskirch  auf  dem  für  Clemens  August  er- 
richteten Hirschberger  Tor  (jetzt  in  Arnsberg),  und  die  Pferdegruppe 
auf  dem  Marstall  in  Ehrenbreitstein.  Zu  den  Glanzwerken  der  deut- 
schen Bauskulptur  des  Rokoko  gehören  die  Arbeiten  des  Tietz  an  der  Resi- 
denz in  Trier,  die  Giebelreliefs  und  das  in  Rocaillen  aufgelöste  Treppengelän- 
der im  Stiegenhaus ;  ferner  der  köstliche  Sandsteinschmuck  des  Feill  am  Erb- 
drostenhof  und  am  Residenzschloß  in  Münster  und  die  um  1765  entstandenen 
Giebelreliefs  und  Gruppen  Verschaffelts  am  Schloß  zu  Benrath.  Verschaffelt 
hat  eine  Reihe  dekorativer  Gruppen  für  den  Park  Karl  Theodors  in  Schwet- 
zingen geliefert,  unter  denen  die  gefallenen  Hirsche  am  Eingang  der  großen 
Allee  hervorragen.  Bemerkenswerterweise  hat  die  Barock-  und  Rokokobild- 
nerei  das  Pferd  und  besonders  das  leidenschaftlich  erregte  sprengende  Pferd 
mit  höchstem  Feingefühle  zu  gestalten  vermocht.  Den  schon  genannten 
Pferdegruppen  seien  aus  dem  Rokoko  noch  angeschlossen  das  Reiterdenkmal 
Kändlers  für  August  III.,  das  allerdings  nur  in  dem  kleinen  Porzellanmodell 
erhalten  ist,  sowie  die  edlen  Pferdeköpfe  am  Marstall  bei  der  Wiener  Hof- 
burg und  die  Pferdebändiger  von  Nahl  in  der  Aue  in  Kassel.  Der  Rokokostil 
hat  in  der  Bildnerei  bis  in  das  Ende  der  siebziger  Jahre  das  Feld  behauptet. 
Allerdings  macht  sich  namentlich  in  den  nackten  Figuren  in  diesem  Zeit- 
punkt bereits  die  stärkere  Einwirkung  der  antiken  Vorbilder  geltend.  Das 
plastische  Grundgefühl  des  Barock  bleibt  aber,  wenn  auch  abgekühlt,  vor- 
waltend. Diese  Generation  von  Rokokoklassikern  vertreten  in  Würzburg 
Wagner,  der  Schöpfer  der  Stationen  zum  Käppele  (Abb.  125),  der  Putten- 
gruppen im  Würzburger  Hofgarten  und  mehrerer  mythologischer  im  Park 
von  Veitshöchheim;  in  Mainz  Johann  Peter  Melchior ''>),  dessen  Grabmal  im 
Mainzer  Dom  und  Puttengruppe  mit  dem  Relief  des  Fürstbischofs  Emmerich 
Joseph  von  der  Reitbahn  jetzt  im  dortigen  Museum  zu  nennen  sind,  ferner 
Pfaff,  der  in  seinen  frühesten  Altargruppen  noch  den  lockeren  Spätrokokostil 

238 


239 


Abb.  125.     Job.  P.  Wagner,  Kreuztragung.  um   1770.     Würzburg- 

des  Paul  Egell  aufweist,  indessen  seine  den  späteren  achtziger  Jahren  ange- 
hörenden allegorischen  Figuren  auf  der  von  Mangin  erbauten  Dompropstei 
schon  klassische  Formen  zeigen;  in  Berlin  gehören  Elias  und  Wilhelm  Chri- 
stian Meyer,  die  von  Meißen  herüberkamen,  dieser  Übergangsrichtung  an; 
sie  arbeiteten  den  Figurenschmuck  für  die  von  Gontard  und  Unger  in  den 
siebziger  Jahren  erbauten  Brücken  und  Kolonnaden.  Bettkober,  Bardou,  Eck- 
stein und  andere  schließen  sich  an,  vi^ährend  als  Hofbildhauer  an  Stelle  des 
jüngeren  Adam  der  im  Stile  Falconets  arbeitende  Flame  Tassaert  trat.  Für 
Karl  Theodor  wirkte  neben  Verschaffelt  Conrad  Linck,   der  Frankenthaler 


240 


Porzellanmodelleur,  dessen  Denkmäler  auf  der  Heidelberger  Neckarbrücke 
Hervorhebung  verdienen.  In  München  sind  Auliczek  und  Roman  Anton 
Boos,  der  Schöpfer  mythologischer  Figuren  in  den  Hofgartenkolonnaden, 
Vertreter  des  Rokokoklassizismus.  In  Wien  wirkte  in  diesem  Sinne  Ludwig 
Beyer,  dem  der  Garten  von  Schönbrunn  die  Mehrzahl  seiner  Göttergestalten 
verdankt.  Zum  Schluß  sei  die  Ausstattung  der  Klosterkirche  von  Salem  beim 
Bodensee  von  Dürr  und  Wieland  genannt,  deren  figürlicher  Schmuck  den 
letzten  Lebensäußerungen  des  Rokoko  zugehört,  während  die  architektoni- 
sche Umrahmung  schon  ganz  in  den  geraden  Linien  und  glatten  Flächen  des 
Louisseizestils  gebildet  ist. 

So  bezeichnet  also  das  erste  Drittel  des  Jahrhunderts  den  Aufschwung 
eines  kraftvollen  körperlichen  plastischen  Empfindens  in  den  Werken  Schlü- 
ters, Permosers,  Raphael  Donners  und  ihrer  Zeitgenossen.  Das  zweite  Drittel 
des  Jahrhunderts  stellt  die  Lockerung  des  räumlich  plastischen  Sinnes,  die 
Auflösung  ins  Malerische  dar.  In  dem  letzten  Drittel  des  Jahrhunderts  end- 
lich vollzieht  sich  die  Beruhigung  zum  Flächigen  und  Linearen,  die  schließ- 
lich, wie  sich  noch  zeigen  wird,  die  plastische  Bildungskraft  des  Barockzeit- 
alters zum  Erlöschen  brachte. 


Selbstbildnis.     Chr.  Ludw.  Lückes  in  Ton 


Schmitz,   i8.  Jahrh.     l6 


241 


19.  DIE  ÖLMALEREI 


Vuv 


Gegenüber  dem  geschlossenen  und  an  glücklichen  Schöpf  ungen  reichen  Bilde, 
das  die  deutsche  Baukunst  und  im  Zusammenwirken  mit  ihr  die  deko- 
rative Bildnerei  und  Malerei  des  Barock  und  Rokoko  darbieten,  fällt  die  Ta- 
felmalerei beträchtlich  ab.  An  dem  von  innen  heraus  quellenden  Strome  der 
Entwicklung,  den  wir  bisher  verfolgt  haben,  nimmt  sie  nur  bedingten  Anteil. 
Auf  diesem  Felde  fehlen  die  großen  Persönlichkeiten,  in  denen  sich  die  natio- 
nalen Kräfte  aussprechen,  wie  sie  das  Zeitalter  Dürers  in  der  deutschen  Ma- 
lerei gesehen  hat.  Es  scheint,  als  ob  die  Summe  des  künstlerischen  Genies 
von  den  großen  Raumschöpfern  und  Dekoratoren  aufgesogen  wurde.  Hinzu 
kommt  noch,  daß  die  Höfe  die  Porträtmalerei  nach  dem  Vorbild  der  franzö- 
sischen begünstigten.  Französische  und  in  Frankreich  gebildete  niederlän- 
dische Maler  beherrschten  dieses  Feld  fast  ausschließlich  bis  weit  über  die 
Mitte  des  Jahrhunderts  hinaus. 


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243 


Abb.  127.     Supraporte,  von  Johann  Conrad  Seekatz,   1768.    Darmstadt,  Schloß 

Die  Erschöpfung  der  deutschen  künstlerischen  Kultur  am  Ausgang  des 
Dreißigjährigen  Krieges  zeigte  sich  naturgemäß  auf  dem  Gebiete  der  Malerei 
greller  als  auf  dem  der  übrigen  Künste.  So  werden  holländische  und 
flämische  Porträtmaler  an  die  norddeutschen  Höfe  gezogen.  Unter  dem 
Großen  Kurfürsten  fänden  wir  Mytens  und  Honthorst  am  brandenbur- 
gischen Hofe;  Snapphan  (f  i6gi)  am  anhaltischen  in  Dessau,  van  der 
Werff  und  andere  am  kurpfälzischen  in  Düsseldorf.  Im  engsten  Anschluß 
an  den  Stil  der  Holländer  malen  Matthias  Scheits  in  Hamburg  (f  1700), 
Andreas  Stech  in  Danzig  (f  1697),  ebendort  Daniel  Schulz  ihre  Porträte 
und  Familienbilder.  Gleichfalls  knüpfen  die  Stillebenmaler,  wie  Abraham 
Mignon  und  die  Tiermaler  wie  Christoph  Paudiss  an  die  Niederländer 
an.  Den  von  Grund  aus  malerischen  Zug,  den  selbst  die  Niederländer  des 
späteren  17.  Jahrhunderts  als  einen  Abglanz  ihrer  großen  Epoche  bewah- 
ren, lassen  ihre  deutschen  Nachahmer  vermissen.  Allzuleicht  verfallen  sie  in 
eine  zeichnerische  Härte,  die  z.  B.  schon  Joachim  Sandrarts  und  Matthäus 
Merlans  (f  1687)  Bildnisse  zeigen. 

Die  kirchliche  Tafelmalerei  des  deutschen  Barock  und  Rokoko,  um 
mit  dieser  die  Betrachtung  der  einzelnen  Gattungen  zu  beginnen,  hat  ihrem 
Vorbild,  der  italienischen,  gegenüber  keine  Bedeutung  errungen.  Man  ver- 
gegenwärtige sich  die  Säle  mit  den  Italienern  des  17.  Jahrhunderts  in  der 
Dresdener  Galerie,  dem  glänzendsten  Sammelplatz  dieser  Art,  und  rufe  sich 
ins  Gedächtnis,  was  man  von  deutschen  Altarbildern  in  den  Barockkirchen 
Süddeutschlands  gesehen  hat:  so  wird  man  das  bestätigen  müssen.  Unter, 
dem  mächtigen  Farben-  und  Goldprunk  der  säulen-  und  figurenreichen  Altar- 


244 


Abb.  128.     Supraporte,  von  Johann  Conrad  Seekatz,   1768.    Darmstadt,  Schloß 

aufbauten  scheinen  die  nachgedunkelten  Altartafeln  mit  ihren  Verzückungen, 
Himmelfahrten,  Krankenheilungen  und  Martyrien  selten  über  das  Dekorative 
sich  zu  erheben.  Den  älteren  Barock  vertritt  eine  Reihe  von  Altargemälden 
des  Sandrart,  des  Onghers  und  des  de  Rül  im  Würzburger  Dome  (um  1670); 
den  reifen  Barock  die  in  Carlones  Stuckaltären  sitzenden  Marterdarstellun- 
gen von  Rottmayer,  Johann  Wolf  und  Caspar  Sing  in  den  Seitenkapellen  des 
Domes  von  Passau.  Den  Übergang  zum  Rokoko  bezeichnen  Holzers  tiefemp- 
fundene Altarblätter,  während  die  Altarbilder  Knollers,  des  Maulpertsch  und 
des  Johann  Martin  Schmidt  in  Wien,  des  sogenannten  Kremserschmidt,  den 
Ausklang  darstellen.  Die  venezianische  Altarmalerei,  der  ältere  Guardi,  Pia- 
zetta  und  Tiepolo,  hat  die  spätere  österreichische  und  süddeutsche  Altarbild- 
kunst gefördert.  Eine  Sonderstellung  nehmen  die  religiösen  Ölbilder  des  Ja- 
nuarius  Zick  ein,  die  in  Sammlungen  und  selbst  im  Handel  häufiger  begeg- 
nen. Das  Vorbild  für  sie  waren  vielfach  die  religiösen  Bilder  Rembrandts, 
die  in  einem  weichen,  zwischen  Watteau  und  Chardin  schwebenden  Stile  wei- 
cher Flaumigkeit  auf  eigene  Weise  umgebildet  werden.  Mehr  der  Merkwür- 
digkeit halber  seien  aus  dem  protestantischen  Kreise  die  biblischen  Gemälde 
der  am  Mittelrhein  und  Main  tätigen  Seekatz  gestreift. 

Nächst  der  kirchlichen  Bildmalerei  erstreckt  die  mythologische  ihre 
Wurzeln  am  tiefsten  in  das  17.  Jahrhundert  hinein.  Auch  auf  diesem  Felde 
hat  die  deutsche  Malerei  keine  Früchte  getragen,  die  mit  den  Schöpfungen 
der  Italiener,  der  Niederländer  und  Franzosen  in  einem  Atem  genannt  wer- 
den dürfen.  Hier  beginnt  auch  schon  der  Wirkungskreis  der  ausländischen 
Hofmaler  (van  der  Werff,  Pesne,  van  Loo!).    Nur  in  Wien  errang  einen  ge- 


245 


wissen  Ruf  durch  seine  kleinfigurigen  Mythologien  Johann  Georg  Platzer 
(f  1760).  Im  allgemeinen  blieben  den  deutschen  Meistern  Supraporten  und 
Wandfüllungen  vorbehalten,  die  in  kleineren  Sälen  der  Schlösser  und  vor- 
nehmen Häuser  angebracht  wurden.  So  haben  Zick  der  Jüngere  in  Bruchsal, 
Engers  usw.,  Brinckmann  in  Mannheim  und  Seekatz  in  Darmstadt,  ferner 
Leydensdorf  aus  Mannheim  in  Benrath,  Coppers  in  Münster,  Harper  und 
Fechhelm  in  Berlin  und  Potsdam  gewirkt.  Neben  mythologischen  Gegenstän- 
den liebt  das  Rokoko  in  diesen  Wandbildern  Darstellungen  von  kleinen  Lie- 
besgöttern, von  Schäferszenen,  von  Idyllen,  Sittenbildern,  Tieren, 
Stilleben,  Architekturen  und  landschaftlichen  Prospekten.  Es  versteht  sich 
von  selbst,  daß  die  Bilder  und  Stiche  der  französischen  Maler  aus  der  Nach- 
folge Watteaus  die  Vorbilder  für  die  deutschen  Schäfer-  und  Gesellschafts- 
stücke des  Rokoko  waren.  Die  geistvolle  Malweise  dieser  Schule  werden  wir 
selten  finden.  In  der  strichelnden  Aufsetzung  kleiner  Blitzlichter  kommen  ihr 
am  nächsten  die  kleinen  Bilder  des  Pragers  Norbert  Grund  (f  1767,  Abb.  126). 
Einen  Hauch  davon  atmen  auch  die  Supraporten  von  Johann  Conrad  Seekatz 
(f  1768)  aus  dem  Schloß  in  Braunshardt,  jetzt  im  Darmstädter  Schlosse 
(Abb.  127,  128).  Sie  stellen  Gesellschaften  des  hessen-darmstädtischen  Hofes  in 
Parklandschaften  dar.  Den  Ausklang  dieser  Richtung  bezeichnen  die  denk- 
würdigen Tapetenbilder  mit  Monatsdarstellungen,  die  Seekatz  im  Hause  des 
Rats  Goethe  in  Frankfurt  für  den  einquartierten  französischen  Königsleut- 
nant Grafen  Thoranc  gemalt  hat  (im  Museum  des  Goethehauses)  und  deren 
Entstehung  zusammen  mit  den  Landschaftstapeten  von  Christian  Georg 
Schütz  und  Johann  Georg  Trautmann  Goethe  im  ersten  Buche  von  Wahrheit 
und  Dichtung  verewigt  hat  (Abb.  129).  Die  Umrahmungen  bewegen  sich  in 
dem  lockeren  Muschelstile  des  letzten  Rokoko.  Nicht  minder  denkwürdig  für 
uns  Deutsche  ist  das  im  Goethemuseum  aufbewahrte  Ölbild  des  Seekatz, 
Herrn  und  Frau  Rat  Goethe  mit  dem  kleinen  Wolfgang  und  der  Schwester, 
alle  in  Schäfertracht  vor  einer  Parklandschaft  mit  einer  römischenTempelruine 
darstellend  (Abb.  130).  Neben  den  Schäfer-  und  feineren  Gesellschaftsstücken 
pflegte  das  bürgerliche  deutsche  Rokoko  mit  Vorliebe  das  Sitten-  und  das 
Genrebild.  Mehr  als  die  französischen  Meister  haben  in  diesem  Fach  die  Hol- 
länder anregend  gewirkt.  Insbesondere  schreibt  sich  von  ihnen  die  mit  der 
Mitte  des  Jahrhunderts  auftretende  Malerei  von  Familiengruppen  und  Genre- 
szenen in  Innenräumen  her.  Damit  kommt  der  Geschmack  an  dem  Helldun- 
kel in  der  Art  Rembrandts  und  Ostades  auf,  den  außer  den  genannten  Mei- 
stern Justus  Juncker  (f  1767)  in  Frankfurt  und  Christian  Wilhelm  Ernst  Diet- 
rich (Dieterici  f  1774)  in  Dresden  nachahmen.  Auch  diese  Erscheinung  hat  im 
Leben  des  jungen  Goethe  eine  Rolle  gespielt.   Es  ist  bekannt,  wie  er  als  Leip- 

246 


Abb.  129.     Johann  Conrad  Seekatz,  Monatsbilder 
Goethehaus,  Weimar 


247 


Abb.  130.     Johann  Conrad  Seekatz,  Die  Familie  Goethe 
Frankfurt,  Goethehaus 


ziger  Student  und  unbeschadet  der  akademischen  Lehren  Ösers  entzückt 
vor  den  Niederländern  der  Dresdener  Galerie  verweilte.  Den  Jüngling,  des- 
sen leidenschaftliches  Begehren  war,  zwischen  der  Kunst  und  dem  Leben 
Beziehungen  zu  gewinnen,  überkam  es  wie  eine  Offenbarung,  daß  er  in  Osta- 

248 


Abb.  131.     Daniel  Chodowiecki,  Der  Hahnenschlag.     Berlin 

des  Bildern  Eindrücke  gestaltet  fand,  die  ihm  täglich  in  der  Wohnung  und 
Werkstatt  seines  Freundes,  des  Schuhmachermeisters,  vor  Augen  traten. 

Die  Landschaftsmale  r  e  i  wurzelt  genau  so  wie  die  figürliche  in 
dem  idealen  Stil  des  17.  Jahrhunderts.  Sie  ist  keineswegs  ein  Spiegel  der  hei- 
mischen Landschaft,  wozu  sich  so  hoffnungsvolle  Anfänge  in  dem  Zeitalter 
Dürers  hervorgetan  hatten.  Wie  der  deutsche  Gartenbau  des  Barock  und  Ro- 
koko eine  ideale,  auf  südlichen  Pflanzenbildungen  aufgebaute  Kunstwirkung 
erstrebte,  so  ist  auch  die  Landschaftsmalerei  dieser  Epoche  von  dem  hohen 
Stil  der  italienisch-französischen  Landschaftsmaler  ausgegangen.  Die  pathe- 
tisch bewegten  Baumumrisse  und  Felsen  des  Salvator  Rosa  und  anderer  Ita- 
liener, die  römischen  Berg-  und  Flußlandschaften  der  späten  Niederländer  in 
der  Art  des  Berghem  und  Mouscheron  und  die  großen  Baummassen,  Ebenen 
und  Wolken  des  Claude  Lorrain  bilden  die  Elemente  auch  der  deutschen  ba- 
rocken Landschaftsmalerei.  In  solcher  Art  malten  in  Wien  Anton  Feisten- 
berger  (f  1722)  und  Christian  Hilfgott  Brand  (f  1756).  Von  hier  nehmen 
Argricola  und  sein  Schüler  Johann  Alexander  Thiele  in  Dresden  (f  1752) 
ihren  Ausgang.  Der  letztere  geht  alsbald  zur  Darstellung  heimatlicher  An- 
sichten über;  namentlich  malte  er  Prospekte  sächsischer  und  mecklenburgi- 


249 


Abb.  132.     Salomon  Geßner,  Am  Brunnen.     Zürich 


250 


Abb.i33-  Johann  Heinrich  Roos,  Römische  Hirten.  Frankfurt  a.M.,  Staedelsches  Institut 

scher  Städte  und  Landschaften.  Auch  der  in  der  Frankfurter  Gegend  und  am 
Mittelrhein  tätige  Künstlerkreis  vollzieht  nach  der  Mitte  des  Jahrhunderts 
einen  Übergang  von  dem  idealisierten  Landschaftsstil  zur  Wiedergabe  vater- 
ländischer Ansichten.  Allein  überwiegend  bleibt  doch  auch  damals,  sowohl 
in  der  Wiedergabe  des  Baumschlags  wie  des  Erdreichs  und  der  Berge  der  de- 
korative Zug  der  Überlieferung  bestehen.  So  in  den  Rhein-  und  Mainland- 
schaften des  Christian  Georg  Schütz,  die  an  den  Niederländer  Saftleven  und 
in  den  Nachtbildern  Trautmanns,  die  an  Eglon  van  der  Neer  erinnern.  Auch 
die  Tiergartenlandschaften  Chodowieckis  und  des  jungen  Hackert  sind  mehr 
idealisierte  als  wirkliche  Natur  (Abb.  131).  Die  reizenden  Landschaftsbilder  und 
Radierungen  Salomon  Geßners  in  Zürich  versetzen  uns  in  arkadische  Haine  und 
nicht  an  die  Ufer  des  Zürichsees  (Abb.  132).    Die  verschönerte  Natur  wirkt 


251 


in  den  Radierungen  des  Studenten  Goethe  in  Leipzig  nach.  Der  Stil  der 
Landschaft  des  i8.  Jahrhunderts  wird  uns  verständlich  im  Zusammenhang 
mit  der  Gesamtanschauung  von  der  Natur,  die  der  Barock  besaß.  Sie  kommt 
noch  deutlicher  in  den  Theaterprospekten  und  in  der  Gartenkunst  zutage.  Die 
großartigste  Äußerung  dieser  von  Grund  aus  dekorativen  Stilisierung  der  Land- 
schaft schafft  das  Jahrhundert  in  den  gewirkten  Bildteppichen  von  Brüssel, 
Audenarde,  Beauvais,  Paris  und  Aubusson,  die  die  begehrten  Wanddeko- 
rationen der  fürstlichen  und  adeligen  Schlösser  auch  in  Deutschland  bildeten. 

Der  Wirklichkeitssinn  erwacht  bezeichnenderweise  eher  in  der  Malerei 
von  Architekturen  und  Stadtansichten.  In  diesem  Zweige  hatte 
Deutschland  bereits  einen  trefflichen  Meister  in  Matthäus  Merian  besessen. 
Die  architektonischen  Kupferstichwerke  gaben  dieser  Richtung  Nahrung. 
Von  Bildern  sind  neben  denen  Thieles  die  Frankfurter  Ansichten  des  Schütz 
und  die  Berliner  von  Rosenberg  Denkmäler  des  erwachenden  Sinnes  für  die 
Schönheiten  der  Städte.  Ohne  Zweifel  hat  die  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts 
zur  Reife  gediehene  städtische  und  bürgerliche  Baukunst  den  Blick  geschärft. 
Aber  welche  Überlegenheit  der  malerischen  Anschauung  über  die  deutschen 
Stadtveduten  liegt  in  den  Bildern,  die  der  Venezianer  Bernardo  Beiotto, 
genannt  Canaletto,  ein  Neffe  des  berühmten  Antonio  Canale,  um  die 
Mitte  des  Jahrhunderts  von  Dresden,  Wien  und  München  gemalt  hat.  Von 
1746 — 1764  war  er  mit  Unterbrechungen  in  Dresden  tätig. 

Mit  der  Landschaftsmalerei  hängt  die  Tiermalerei  zusammen.  Vieh- 
stücke in  der  Art  der  italienisierenden  Niederländer  malten  Johann  Heinrich 
Roos  (f  1685,  Abb.  133)  und  Johann  Philipp  Peter  Roos  (f  1705),  auch 
Rosa  di  Tivoli  genannt,  da  er  den  größten  Teil  seines  späteren  Lebens  in 
Tivoli  verbrachte.  Die  Kuh-,  Schaf-  und  Ziegenherden  dieser  Meister  tra- 
gen überwiegend  ein  dekoratives  Gepräge;  mit  den  holländischen  Viehmalern 
der  Zeit  Potters  sind  sie  nicht  zu  vergleichen.  In  Wien  wirken  als  Tiermaler 
Franz  Werner  Tamm,  ein  gebürtiger  Hamburger,  und  die  drei  Brüder  Hamil- 
ton, unter  denen  Johann  Georg  sich  großer  Beliebtheit  als  Pferdebildnismaler 
erfreute  (Abb.  134).  War  doch  gerade  Wien  mit  seiner  Hofreitschule  und 
dem  großen  Gestüt  von  Lipizza  ein  Mittelpunkt  edler  Pferdezucht.  Ein  eifrig 
gepflegter  Zweig  der  Tiermalerei  war  die  Jagdmalerei.  Es  gab  an  den  Höfen 
eigentliche  Jagdmaler,  die  die  Fürsten  auf  ihren  Jagden  begleiten  mußten. 
Freilich  verdient  vieles  auf  diesem  Gebiet  Geschaffene  nur  ein  kulturge- 
schichtliches Interesse.  Der  beste  Jagdmaler  Deutschlands  gehört  dem 
17.  Jahrhundert  an.  Es  ist  Karl  Andreas  Ruthart  (f  1680).  Er  war  in  den 
sechziger  Jahren  in  Antwerpen  und  seine  Bären-  und  Hirschhetzen  haben 
Züge  mit  den  flämischen  Tiermalern  aus  dem  Kreise  des  Rubens,  Fyt  und 

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Snyders  gemein,  allerdings  ohne  deren  malerische  Kraft  zu  erreichen.  Der 
eigentliche  Jagddarsteller  des  deutschen  Barock  und  Rokoko,  der  um  die 
Mitte  des  i8.  Jahrhunderts  in  Augsburg  tätige  Johann  Elias  Ridinger,  Schü- 
ler des  Rugendas  und  seit  1759  Direktor  der  Akademie,  hat  fast  ausschließ- 
lich für  den  Kupferstich  gezeichnet.  Seine  umfangreichen  Folgen  wie  ,,Die 
Fürsten- Jagdlust",  ,,Die  Parforce-Jagd  des  Hirschen",  ,,Die  jagdbaren  Tiere", 
„Die  Kämpfe  reißender  Tiere"  usw.  sind  Zeugnisse  der  Jagdlust  dieser  Epo- 
che. Die  barocke  Zeichnung  der  Tiere  und  der  Felsen-  und  Waldlandschaft 
trägt  den  Stempel  des  bizarren  und  malerischen  Empfindens,  das  die  Erzeug- 
nisse der  Augsburger  Stecher  dieser  Jahrzehnte  kennzeichnet.  Für  das  Na- 
turgefühl des  deutschen  Barock  und  Rokoko  ist  es  beachtenswert,  daß  Brok- 
kes,  der  Hamburger  Naturdichter,  einen  Teil  der  Versunterschriften  unter 
Ridingers  Blätter  lieferte. 

Die  wichtigste  Stellung  hatte  damals  in  der  deutschen  Ölmalerei  die  Por- 
trätmalerei inne.  Ihre  Hauptpflegestätten  waren  die  Höfe.  Indem  ihnen  der 
französische  Königshof  als  Ideal  in  allen  Dingen  der  Kunst  vorschwebte, 
verlangten  die  Fürsten  sich  und  die  Ihren  auch  nach  dem  Muster  der  franzö- 
sischen Könige  und  der  Hofgesellschaft  von  Versailles  in  lebensgroßen  Bild- 
nissen zu  sehen.  Majestät  und  imponierende  Haltung  der  Fürsten,  Grazie  der 
Damen,  rauschender  Faltenwurf,  Eleganz  der  Erscheinung  und  glänzende 
Farben  waren  in  der  Pariser  Schule  wie  in  keiner  anderen  herausgebildet. 
Selbstverständlich  wurden  deshalb  Pariser  oder  in  Paris  ausgebildete  Meister 
als  Hofmaler  an  die  deutschen  Höfe  gezogen.  Sie  erhielten  Titel  und  Aus- 
zeichnungen, wurden  zu  Akademiedirektoren  ernannt  und  fanden  bei  Hof 
und  Adel  ehrenvolle  Aufnahme,  indessen  die  Landeskinder  sich  mit  den 
untergeordneten  Stellungen  als  Kammerdiener  oder  Kammermaler  zu  be- 
gnügen hatten.  So  kamen  Vivien  und  Georg  des  Marees  (t  1776)  nach  Mün- 
chen, Pesne,  Charles  Amedee  van  Lo  nach  Berlin,  van  der  Werff  nach 
Düsseldorf,  Goudreaux  nach  Mannheim,  Louis  de  Silvestre  nach  Dresden 
(vgl.  die  Abbildungen  in  den  ersten  Kapiteln),  van  der  Schuppen  und  Martin 
Mytens  nach  Wien.  Die  festliche  Erscheinung  ist  der  Hauptvorzug  ihrer 
Bilder.  Doch  haben  Meister  wie  Goudreaux,  des  Marees  und  Pesne  eine 
Reihe  von  Bildnissen  gemalt,  die  an  malerischer  Feinheit  den  Meisterwerken 
der  Pariser  Porträtmalerei  der  Regence  und  des  Rokoko  nahekommen.  Der 
Art  und  Qualität  der  Franzosen  gleichen  die  Bildnisse  des  Johann  Kupetzky 
Cj"  1740)  und  des  Adam  von  Manyocki  (f  1757).  Die  deutschen  Porträtmaler 
haben  erst  gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts  neben  den  Ausländern  an  den 
Höfen  Fuß  fassen  können.  Sie  haben  sich  die  Malweise  und  die  Allüren  der 
Franzosen  zu  eigen  gemacht,  sie  bewahren  sich  gleichwohl  ein  Streben  nach 

254 


Abb.  135.     Querfurt,  Fürst  Karl  von  Waldeck.     Schloß  Arolsen 

schärferer  Charakteristik  (Abb.  135).  Der  schüchteren  Auffassung,  wozu  sie 
neigen,  kommt  die  beginnende  Hinwendung  zur  bürgerlichen  Anschauung 
entgegen.  Im  allgemeinen  kennzeichnet  die  deutschen  Porträtisten  wieder 
ein  Hervortreten  des  Zeichnerischen,  eine  größere  Glätte  und  Härte  der 
Färbung  und  eine  Neigung  zur  Betonung  des  Einzelnen.  Das  Maß  an  male- 


255 


Abb.  136.     Johann  Heinrich  Tischbein,  Der  Künstler  und  seine  Tochter 
Kaiser-Friedrich-Museum 


256 


Abb.  137.     Georg  Ziesenis,  Marie,  Gemahlin  des  Grafen  von  Schaumburg-Lippe 
Durchl.  Fürst  zu  Schaumburg-Lippe 


Schmitz,   18.  Jahrh.     17 


257 


[  Abb.  138.     Raphael  Mengs,  Selbstbildnis 

Petersburg,  Eremitage 

rischer  Kraft  ist  und  bleibt  den  gleichzeitigen  Franzosen  unterlegen.  Dabei 
hat  die  deutsche  Bildnismalerei  im  zweiten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts  im 
einzelnen  Erfreuliches  geleistet  und  verdient  die  Teilnahme,  die  ihr  von 
Seiten  der  Sammler  und  Forscher  neuerdings  entgegengebracht  wird. 

Als  zwei  hauptsächlich  in  bürgerlichen  Kreisen  tätige,  durch  Natürlichkeit 
ausgezeichnete  Bildnismaler  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  gehen 
Balthasar  Denner  in  Hamburg  und  Christian  Seybold  in  Wien  voran. 
Unter  den  älteren  deutschen  Hofporträtisten  nehmen  E.  A.  Eger  am  darm- 
städtischen Hofe,  Johann  Conrad  Eichler  und  Bernhard  Christoph  Franke  in 
Braunschweig  und  allenfalls  Weidemann  in  Berlin  einen  gewissen  Rang  ein. 
Die  besten  Vertreter  des  späteren  Rokoko  sind  Johann  Christian  Fiedler 
(t  1768)  in  Braunschweig,  Johann  Georg  Ziesenis  (f  1777),  der  am  braun- 
schweigischen,  am  schaumburg-lippischen,  am  zweibrückenschen  und  ande- 
ren Höfen  wirkte  (Abb.  J37),  Christian  Friedrich  Reinhold  Lisiewski,  Anna 

25S 


Dorothea  Therbusch,  geb.  Lisiewska  Cf  i782)'9),  Anna  Rosina  de  Gask, 
geb.  Lisiewska,  Georg  David  Matthieu  in  Schwerin  (f  1778)  und  Johann 
Heinrich  Tischbein  d.  Ä.  in  Kassel  (1722  — 1789;  Abb.  136).  Auch  Ismael  Mengs 
und  in  seinen  früheren  Bildnissen  sein  Sohn  Anton  Raphael  Mengs  gehören 
noch  dem  Ausgang  des  Rokoko  an  (Abb.  138).  Das  gilt  zumal  von  den  farben- 
frischen Pastellen,  die  Mengs  von  August  III.  und  der  Dresdener  Hofgesell- 
schaft schuf.  Die  Pastellmalerei  erlangte  in  Deutschland  neben  der  Ölmalerei 
weite  Verbreitung.  Die  Modekünstler  waren  Pietro  Rotari  und  die  Rosalba 
Carriera.  Das  Bedeutendste  schuf  auf  deutschem  Boden  Etienne  Liotard,  ein 
Franzose  aus  dem  Kreise  der  großen  französischen  Pastellisten  dieser  Epoche, 
von  denen  Fantin  la  Tour  in  jüngster  Zeit  eine  Auferstehung  erlebt  hat.  Als 
Emailmaler,  Miniaturmaler  und  Zeichner  kam  Daniel  Chodowiecki  nach  dem 
Siebenjährigen  Kriege  in  Berlin  empor;  der  Illustrator  der  Minna  von  Barn- 
helm und  des  Werther  führt  bereits  aus  dem  Rokoko  heraus  in  einen  neuen 
Zeitabschnitt  hinüber.  Bevor  wir  dem  Leser  einen  Einblick  in  diese  letzte 
Epoche  des  Jahrhunderts  eröffnen,  gilt  es  eine  Umschau  zu  halten  über  das, 
was  die  deutsche  Kunst  auf  den  Gebieten  des  Kunsthandwerks  im  Zeitalter 
•des  Barock  und  Rokoko  geschaffen  hat. 


17* 


259 


Abb.  13g.     Oberlichtgitter,  um  1700.     Berlin,  Kunstgewerbemuseum 
20.   SCHMIEDEKUNST  UND  WAFFEN 


In  der  Betrachtung  des  deutschen  Kunsthandwerks  des  Barock  und  Rokoko 
verdient  die  Eisenschmiedekunst  voranzugehen,  da  in  ihr  die  nach  dem 
Dreißigjährigen  Kriege  noch  vorhandenen  bodenständigen  künstlerischen 
Kräfte  Deutschlands  am  deutlichsten  zutage  treten.  Die  Eisenschmiedekunst 
der  zweiten  Hälfe  des  17.  Jahrhunderts  ist  nichts  als  eine  unmittelbare  Fort- 
entwicklung der  in  der  Spätrenaissance  aufgekommenen  Kunstweise.  Die 
Gitter  der  Marktbrunnen,  der  Kirchenportale,  der  Chorschranken  und  Vor- 
hallen des  Kircheninnern,  die  Oberlichter  der  Türen  und  der  Fenster  werden 
bis  in  die  Spätzeit  des  17.  Jahrhunderts  und  selbst  bis  in  den  Anfang  des  18. 
in  der  überlieferten  Art  geschmiedet.  Sie  bestehen  aus  gleichmäßig  dünnen 
Stäben  von  rundem  Querschnitt,  die  durcheinander  gesteckt  sind.  Die  netz- 
artigen Verflechtungen  der  Stäbe,  ihre  Aufrollungen  zu  Voluten  mit  ange- 
setzten flachen  Blättern  bilden  dichte,  in  einer  Fläche  entwickelte  Linien- 
spiele. (Schöner  Brunnen  in  Neisse  1686,  Floriansbrunnen  in  Salzburg  1687.) 
Die  Umbildung  dieser  Spätrenaissanceformen  in  dem  Barock  veranschaulicht 
ein  Oberlichtgitter  mit  der  Devise  Friedrichs  I.  aus  dem  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts; hier  haben  sich  krause  Blätter  an  die  dünnen,  volutenartig  gebo- 
genen Stäbe  angesetzt  (Abb.  139).  Das  barocke  Bildungsprinzip  äußert  sich 
innerhalb  der  überlieferten  Technik  in  der  jetzt  beliebt  werdenden  Gewohn- 
heit, Chorgitter  und  Gartentore  mit  perspektivischen  Mustern  zu  verzieren 
(Chorgitter  von  Maria  Einsiedeln  1675  und  von  St.  Ulrich  in  Augsburg  1712). 
Selbst  die  Eisenschmiede  folgen  also  einem  charakteristischen  Zuge  der  Zeit, 
indem  sie  dem  Auge  eine  Verkürzung  vortäuschen  und  eine  Raumerweite- 
rung innerhalb  der  Fläche  erstreben. 

Der  entwickelte  Barock  der  ersten  Jahrzehnte  des  18.  Jahrhunderts  setzte 
an  die  Stelle  der  gleichmäßigen  Rundstäbe  und  flachen  Blätter  einen  lebhaf- 
ten Wechsel  zwischen  einem  Gerüst  von  starken  Vierkantstäben  mit  einge- 

260 


Abb.  140.     Oberlichtgitter  der  „Ungarischen  Garde".     Wien,  um  1720 

füllten  dünneren  Rechtecksstäben,  die  an  den  Endungen  und  Biegungen  in 
ausgeschnittene  Akanthusblätter  aus  dünnem  Eisenblech  eingesetzt  sind.  In 
der  gedrängten  Verflechtung  dieser  an-  und  abschwellenden  Figuren  wie  in 
dem  Heraustreten  der  plastischen  Teile  prägt  sich  der  Barock  aus.  Es  ist 
kein  Zufall,  daß  die  Bau-  und  Gartenschöpfungen  Fischer  von  Erlachs  und 
Lukas  von  Hildebrands  in  Wien  die  glänzendsten  Stätten  der  Schmiedekunst 
des  reifen  Barock  sind  (Abb.  1 40) .  Am  üppigsten  entfaltet  sie  sich  in  den  Garten- 
toren, in  denen  des  Belvedere  und  des  Schlosses  Schloßhof.  In  immer  krauseren 
Schwingungen  und  stärkeren  Ausladungen  schießen  die  Linien  nach  oben  hin 
zusammen  zu  einem  dichten  Geäst.  Ihre  Wirkung  wurde  durch  Färbung  und 
Vergoldung  gegen  die  Steinpfeiler  und  das  Laubwerk  gehoben  (ein  teilweise 
noch  vergoldetes  Abschlußgitter  des  Cour  d'honneur  von  Charlottenburg  um 
1710).  Das  Laub-  und  Bandelwerk  der  deutschen  Schmiedearbeiten  dieser 
Zeit  ist  natürlich  stark  von  den  Ornamenten  Berains  angeregt  worden.  Eine 
Reihe  von  Vorlagenbüchern,  so  einige  bei  Weigel  in  Nürnberg  erschienene 
Schlosserbücher,  die  Entwürfe  Paul  Deckers,  ferner  von  Schlossermeistern 
selbst,  wie  von  Schmittner  in  Wien  herausgegebene  Musterbücher  haben  die 
französischen  Ornamentformen  des  Marot  und  Berain  für  den  heimischen 
Gebrauch  zurechtgemacht. 

In  der  Rokokozeit  treten  die  süddeutschen  Eisenschmiede  in  denVordergrund. 
Ihre  Vororte  sind  Augsburg  und  Würzburg  (Abb.  141).  Der  glänzendste  Mei- 
ster ist  Johann  Georg  Oegg  in  Würzburg  (1703 — 1780),  der  vom  Fürstbischof 
Friedrich  Karl  von  Schönborn  aus  der  Wiener  Hofschlosserei  berufen  wurde. 


261 


Abb.  141.     Gittertor  des  Klosters  Ebrach,  Würzburg,  um  1750 


262 


Abb.  142.     Entwurf  zu  einem  Gitter.     Süddeutsch,  um  1750 
Berlin,  Bibliothek  des  Kunstgewerbemuseums 


263 


Abb.  143.     Deutsche  Pürschbüchsen,  um  1700.     Berlin,  Zeughaus 

Der  Zusamenhang  mit  Wien  wird  auch  dadurch  beleuchtet,  daß  Lukas  von 
Hildebrand  den  Entwurf  zu  dem  nicht  mehr  erhaltenen  Abschlußgitter  des 
Cour  d'honneur  vor  dem  Würzburger  Schlosse  geliefert  hat.  In  der  Tat  sind 
die  reichen,  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  von  Oegg  geschaffenen  Garten- 
tore des  Würzburger  Schloßgartens  eine  Fortbildung  der  genannten  Wiener 
Schöpfungen  aus  dem  späten  Barock.  Die  Wirkung  namentlich  der  an- 
schwellenden, mit  Wappen  und  Bischofskrone  besetzten  Bekrönungen  ist 
durch  die  stärkeren  Biegungen  der  Gestäbe  und  die  zerfranste  Akanthus-  und 


264 


1^.1 


.  1 


Abb.  144.     Deutsche  Hirschfänger  usw.,  18.  Jahrhunderts.     Berlin,  Zeughaus 

Rocailleornamentik  in  getriebenem  Eisenblech  stark  belebt.  Die  Umbildung 
der  Rocaillen  und  ihre  Durchsetzung  mit  schwereren  Frucht-  und  Blumen- 
kränzen kommt  in  den  Augsburger  Vorlagen  für  eisernes  Gitterwerk  noch 
mehr  zum  Ausdruck  (vgl.  Johann  Samuel  Birkenfelds  bei  Engelbrecht  und 
Hertel  erschienene  Vorlagen,  auch  die  Blätter  von  Baumann  und  Haber- 
mann). Das  teilweise  vergoldete  Gitter  der  Barfüßerkirche  in  Augsburg  von 
Johann  Balthasar  Birkenfeld,  dem  Vater  des  Stechers  (1760),  sei  als  Beispiel 
für  die  mit  den  reichen  Ausstattungen  im  Rokokostil  entstandenen  Vorhal- 


265 


len- und  Chortrennungen  in  den  südschwäbischen  Kirchen  erwähnt.  Ein  enge- 
rer Anschluß  an  die  elegante  Schmiedekunst  der  Franzosen  ist  nebenher 
gegangen.  Diesen  erstreben  die  um  1742  erschienenen  Vorlagen  für  Schlosser 
von  Francois  Cuvillies  in  München,  die  den  feinen  Linienzügen  der  Gitterent- 
würfe in  Blondels  Jardins  de  Plaisance  nacheifern.  Die  wenigen  Überreste 
der  Knobelsdorffschen  Epoche  in  Potsdam  und  Berlin  folgen  gleichfalls  mehr 
dem  leichten  Zug  der  französischen  Vorbilder.  Ihre  Glanzleistung  vollbrachte 
um  1740  die  französische  Schmiedekunst  des  Louis-Quinze  in  den  Gitterab- 
schlüssen der  Place  Concorde  in  Nancy,  gefertigt  von  Lamour  unter  Heres 
Oberleitung  für  König  Stanislaus  Leszcynsky,  die  natürlich  von  den  nach 
Paris  reisenden  deutschen  Künstlern  bewundert  wurden. 

Im  Zusammenhang  mit  den  Eisenschmieden  sind  die  Eisenschneider 
und  die  Waffenschmiede  zu  nennen.  Unter  den  Eisenschneidern  sind 
die  Nürnberger  Bartholomeus  Hoppert  und  Gottfried  Leygebe  hervorzuhe- 
ben. Von  Leygebe  sind  außer  den  genannten  Eisenstatuetten  eine  Reihe  klei- 
nerer Eisenschnittarbeiten,  Büsten,  Kapseln  und  Degengriffe  erhalten.  Seit 
1668  war  er  in  Berlin  als  Münzeisenschneider  angestellt.  Das  Hauptfeld  der 
Eisenschneidekunst  war  im  Barock  und  Rokoko  das  Gewehrschloß.  Diese 
Zeit  sah  die  höchste  Kunstentfaltung  in  der  Herstellung  der  Gewehre,  d.  h, 
vorzüglich  der  fürstlichen  und  adeligen  Jagdgewehre,  die  in  den  Händen  der 
Büchsenmacher  lag  (Abb.  143).  Die  Büchsenmacher  hatten  die  Oberleitung,  die 
Erzeugung  teilte  sich  in  den  Lauf,  in  das  Schloß  und  in  den  hölzernen  Schaft,  der 
den  eigentlichen  Büchsenschäftern  vorbehalten  blieb.  Die  letzteren  verzier- 
ten die  Schäfte  mit  Schnitzereien  und  Hirschhorneinlagen,  meist  Jagddarstel- 
lungen in  Rankenwerk.  Wahre  Künstler  in  derartiger  Verzierung  waren  die 
Büchsenschäfter  Johann  Michael  und  Christoph  Maucher  in  Schwäbisch- 
Gmünd  um  1700,  deren  Elfenbeinschnitzereien  schon  Erwähnung  fanden. 
Treffliche  Gewehrschäfte  ihrer  Hand  birgt  das  Bayerische  Nationalmuseum. 
Von  den  Büchsenmachern  verdient  vom  künstlerischen  Standpunkt  Erwäh- 
nung Armand  Bongarde,  auch  Eisenschneider,  am  Hofe  Jan  Wilhelms  in 
Düsseldorf  um  1700.  Zum  Schluß  sei  der  Prachtgeschütze  in  Bronzeguß  ge- 
dacht, unter  denen  die  des  Stückgießers  Johann  Jacobi  in  Berlin,  des  Gießers 
von  Schlüters  Großem  Kurfürsten  und  Prinzen  von  Homburg,  hervorragen. 


265 


Abb.  145.     Silberterrine,  von  L.  Biller,  Augsburg,  um  1715.     Berlin,  Schloß 
21.  GOLD  UND   SILBER 


Die  Gold-  und  Silberschmiede  des  Barock  haben  mit  den  Eisenschmieden  die 
feste  Verbindung  nach  rückwärts,  nach  der  Blütezeit  in  der  Renaissance 
gemein.  Unter  allen  Handwerkern  genossen  sie  das  höchste  Ansehen.  Durch 
das  ganze  17.  Jahrhundert  hindurch  hatte  dieses  Handwerk  in  Augsburg  und 
Nürnberg  und  anderen  Reichsstädten  fortgelebt.  Infolge  der  Beziehung  zu 
den  Ornamentstechern  waren  die  Goldschmiede  die  wichtigsten  Träger  der 
Ornamententwicklung  gewesen.  Mit  dem  Eintritt  des  Barock  behaupteten 
sie  ihre  Stellung.  Ja,  auch  die  Städte  des  Nordens  und  Ostens,  wie  Berlin, 
Danzig  und  Breslau,  treten  als  Sitze  fruchtbarer  Goldschmiedswerkstätten 
neben  die  süddeutschen  altehrwürdigen  Mittelpunkte  in  den  Strom  der  Ent- 
wicklung ein. 

Das  Arbeitsfeld  der  Goldschmiede  erweitert  sich  durch  den  Barock  in  be- 
zeichnender Weise.  Die  Kirchengeräte  sind  an  Umfang  bedeutend  gewach- 
sen: riesige,  mit  Wolken  und  Strahlen  besetzte  Monstranzen,  Prachtkelche 
und  Ziborien,  große  Standleuchter,  Meßkannen,  breite  Beschläge  der  Missa- 
lien, lebensgroße  Heiligenbüsten,  Kruzifixe  und  Engelstatuetten,  selbst  ganze 
Altarbekleidungen,  reliefgeschmückte  Vorsätze  und  Heiligenschreine  setzen 

267 


das  Silberschmiedehandwerk  in  Bewegung.  Die  Domschätze  in  Breslau  und 
Bamberg  sind  reich  mit  barockem  Kirchensilber  versehen.  In  Bamberg  sieht 
man  heute  noch  die  schimmernden  Silberheiligen,  -engel  und  -kreuze  in  den 
Prozessionen  über  den  Köpfen  der  Menge  den  Domberg  hinaufstreben.  Auch 
die  protestantischen  Kirchen  haben  wenigstens  in  der  Bestellung  von  Altar- 
leuchtern, Tauf-  und  Abendmahlsgerät  der  barocken  Leidenschaft  für  den 
Glanz  ihren  Tribut  gezollt.  Schier  ans  Märchenhafte  grenzt,  was  uns  von  dem 
Silbetprunk  der  Höfe  von  Dresden,  München  und  Berlin  berichtet  wird.  Sil- 
berbüfetts, wie  das  im  Rittersaal  des  Berliner  Schlosses,  goldenes  und 
silbernes  Tafelgeschirr,  silberbeschlagene  Möbel  und  Zimmerausstattungen 
mußten  den  Glanz  der  Festgemächer  in  den  Schlössern  erhöhen.  Selbst 
Friedrich  Wilhelm  I.,  der  haushälterische  Monarch,  der  viele  Prachtdekora- 
tionen seines  Vaters  überweißen  ließ,  hat  der  Leidenschaft  für  Silberarbeit 
gefrönt.  Ganze  Zimmer  der  Paradekammern  im  Schloß  sind  mit  silberbe- 
schlagenen Möbeln  ausgestattet  gewesen;  im  Rittersaal  ließ  er  einen  mit  Fi- 
guren und  Trophäen  überreich  beladenen  Musikerchor  in  Silber  von  Lieber- 
kühn anbringen.  Nach  der  Rückkehr  vom  Hofe  Augusts  des  Starken  soll 
der  König  haben  zeigen  wollen,  daß  er  diesen  an  Silberprunk  noch  überbie- 
ten könnte  —  so  berichtet  seine  Tochter  Wilhelmine  von  Bayreuth.  Aller- 
dings sprach  der  Umstand  mit,  daß  die  Silberschätze  Investierungen  des 
Staatsschatzes  für  Kriegs-  und  Notzeiten  waren.  So  hat  Friedrich  der  Große 
den  Silberchor  in  den  Schlesischen  Kriegen  einschmelzen  lassen,  und  unge- 
zählte Silberarbeiten  des  Barock  und  Rokoko  sind  in  den  Napoleonischen 
Kriegen  in  allen  deutschen  Landen  zur  Münze  gewandert.  Die  silberbeschla- 
genen Möbel  und  das  Schlafzimmer  mit  silberner  Barriere  im  Potsdamer 
Stadtschloß  zeugen  noch  von  dem  Geschmack  Friedrichs  des  Großen  für 
kunstvolle  Silberarbeit.  Die  Zunahme  der  Silbergewinnung  im  deutschen 
Bergbau  wie  die  amerikanische  Silbereinfuhr  haben  zur  Ausdehnung  dieser 
Kunstindustrie  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  beigetragen.  Das  Kennzeichen 
der  Silberarbeiten  des  18.  Jahrhunderts  gegenüber  denen  der  Spätrenaissance 
ist  die  Bevorzugung  der  Treibarbeit  und  des  unvergoldeten  weißen  Silbers. 
In  keinem  anderen  Kunstzweige  hat  eine  so  geschlossene  Überlieferung 
von  der  Blütezeit  vor  dem  Dreißigjährigen  Kriege  bis  in  das  späteste  17.  Jahr- 
hundert fortbestanden.  Die  Erblichkeit  des  Handwerks  in  den  Augsburger 
und  Nürnberger  Goldschmiedefamilien  hat  eine  ununterbrochene  Werkstatt- 
tradition begünstigt.  Die  Erzeugnisse  folgen  bis  in  das  neue  Jahrhundert  in 
manchen  Städten  den  Renaissanceformen,  z.  B.  ein  Teil  der  Arbeiten  des 
Augsburgers  Thelott.  Auffallend  eng  ist  die  teilweise  Verknüpfung  des  Ju- 
welierhandwerks mit  der  Vergangenheit.    Die  mit  Juwelen,   edlen   Steinen, 

268 


Abb.  146.    Silberkanne,  von  A.  Biller,  Augsburg,  1698.    Berlin,  Schloß 


269 


Emaillen  und  Kostbarkeiten  aller  Art  für  August  den  Starken  von  seinem 
Hof  Juwelier  Dinglinger  gefertigten  Tafelaufsätze  und  Prunkstücke  setzen  die 
Zierkunst  der  Spätrenaissance  fort,  die  in  den  Tischfontänen  und  Prachtwer- 
ken Christoph  Jamnitzers,  Matthäus  Wallbaums  und  des  Dresdener  Gold- 
schmieds Kellerdahler  im  ersten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts  so  Meisterliches 
geschaffen  hat.  Für  die  barocke  Phantastik  sind  vor  allem  bezeichnend  die 
Werke  Melchior  Dinglingers  im  Grünen  Gewölbe.  Köstlich  ist  der  Tafelauf- 
satz mit  dem  Hof  halt  zu  Delhi  von  1707.  Dem  Großmogul  Aurang-Zeb,  der 
im  Hintergrunde  unter  Palasthallen  thront,  ziehen  von  allen  Seiten  die  Großen 
des  Reiches  unter  Baldachinen,  mit  Gefolge  und  Dienern,  zu,  Elefanten,  Ka- 
mele, Affen  und  andere  Tiere,  edles  Geschirr  und  Juwelen  dem  Fürsten  zum 
Geburtstag  darbringend.  Die  vordersten  haben  sich  auf  den  Stufen  zum 
Throne  des  Herrschers  niedergeworfen.  Das  Gewimmel  der  vergoldeten  und 
bunt  emaillierten  Figürchen,  der  in  Juwelen  und  Steinen  schimmernden 
Schabracken  und  Geräte  ist  entzückend  —  eine  Abbildung  würde  den  Ein- 
druck falsch  wiedergeben;  es  weht  uns  ein  Zauber  von  den  Karnevalsfesten 
des  Dresdener  Hofes  entgegen.  Man  denkt  auch  der  Maskeraden  in  fremd- 
ländischen Gewändern,  die  diese  Epoche  mit  so  vielem  Ernst  betrieben  hat; 
an  den  Traum  Jan  Wilhelms  vom  abessinischen  Kaiserthron  und  ähnlichen 
politischen  Blödsinn  der  deutschen  Fürsten  des  Barock.  Die  Prachtkostüme, 
die  Pferdegeschirre,  die  Degengriffe  und  die  einander  an  Glanz  über- 
bietenden Ordensketten  boten  dem  Juwelierhandwerk  und  der  Emailleur- 
kunst  reiche  Beschäftigung.  Im  Rokoko  hat  sie  das  Beste  in  goldenen  Dosen 
und  in  der  Goldfassung  steinerner  Dosen  geleistet.  Hierfür  hatte  Friedrich 
der  Große  eine  leidenschaftliche  Neigung.  Die  von  Berliner  Goldschmieden 
gefertigten  Dosen  des  Königs  im  HohenzoUernmuseum  zeugen  davon. 

Das  Silbergeschirr  hat  mit  dem  Aufschwung  des  Barock  seit  dem  letzten 
Viertel  des  17.  Jahrhunderts  die  zierlichen  Spätrenaissanceformen  und  Orna- 
mente verlassen.  Laubranken  und  Blumenkränze  werden  auf  den  ovalen 
Schüsseln,  den  breiten  Tellern  und  auf  den  Bechern  in  kräftig  bewegtem  Re- 
lief getrieben,  die  Becher  zuweilen  mit  plumpen  Profilköpfen  römischer  und 
deutscher  Kaiser  verziert.  Wir  begegnen  wieder  dem  schweren  Blumen- 
und  Rankendekor  unter  Le  Pautres  und  des  älteren  Marot  Einwirkung. 
Wie  eng  auch  die  reicheren  Gefäßformen  diesem  älteren  Louisquatorze- 
geschirr  folgen,  offenbaren  die  üppigen  Becken,  Kannen  und  Schüsseln  von 
den  Augsburgern  Biller,  die  um  1700  für  Friedrich  I.  geschaffen  wurden  und 
den  Hauptbestand  des  einige  Jahre  später  aufgestellten  Eosanderschen  Bü- 
fetts im  Schlüterschen  Rittersaale  darstellen  (Abb.  146).  In  den  Schlüter- 
schen  Stuckdekorationen  der  Paradekammern,  so  z.  B.  im  Friese  des  Ritter- 

270 


Abb.  147.     Silberterrine,  von  L.  Biller,  Augsburg,  um  1730.     Berlin,  Schloß 

Saales,  kehren  die  gleichen  wuchtig  profilierten  Becken  und  ebenso  die  in 
krause  Akanthusblätter  auslaufenden  Adlerköpfe  der  schwunghaften  Kan- 
nenhenkel wieder.  Die  Einwirkung  des  plastischen  Spätstils  Schlüters  prägt 
sich  in  den  beiden  großen  geradwandigen  Terrinen  des  Silberbüfetts  aus,  die 
bereits  der  Frühzeit  Friedrich  Wilhelms  I.  um  1714  angehören  (Abb.  145). 
Die  posaunenblasenden  Genien,  die  Adler  und  die  Krone  des  Deckels  gehen 
zu  eng  mit  den  gleichen  Motiven  an  den  westlichen  Teilen  des  Schlosses  zu- 
sammen, als  daß  man  nicht  an  einen  Modelleur  des  gleichen  Kreises  denken 
sollte.  Es  besteht  eine  Beziehung  auch  in  den  Kartuschen  und  Henkeln  zu 
den  beiden  spätesten  Arbeiten  Schlüters,  den  Sarkophagen  Friedrichs  I.  und 
der  Sophie  Charlotte  in  der  Berliner  Domgruft. 

Deutlicher  als  in  den  übrigen  Künsten  spiegelt  sich  im  deutschen  Silberge- 
rät der  R  e  g  e  n  c  e  Stil,  jenes  Zwischenstadium  zwischen  dem  Barock  und 
dem  Rokoko.  Das  für  diesen  Stil  bezeichnende  Laub-  und  Bandelwerk,  durch 
die  Stiche  Daniel  Marots  und  namentlich  Berains  eingeführt,  ist  im  süddeut- 


271 


Abb.  148.     Silberbeschlagener  Kaminschirm,  von  Lieberkühn  d.  J.. 
Um  1750.     Berlin,  Schloßmuseum 


272 


sehen  Silber  mit  weit  größerem  Verständnis  angewendet  worden,  als  in  den 
Stuckdekorationen  der  gleichzeitigen  Hildebrandschen,  Effnerschen  und  Dek- 
kerschen  Bauten.  Außer  der  Familie  Biller  ragen  in  Augsburg  Johann  An- 
dreas Thelott  und  Pfeffenhauser  als  Vertreter  des  Regencestiles  hervor;  die 
Ränder  der  Taufbecken  und  der  Schalen  für  Meßkännchen  boten  Gelegenheit 
zur  Entfaltung  der  in  feinbewegtem  Relief  getriebenen  Ornamente. 

Auch  hier  brachten  die  späten  dreißiger  Jahre  den  Umschwung  zum  Rokoko 
(Abb.  147).  Die  gebauchten  Terrinen  mit  Schnörkelhenkeln  und  -fußen,  runde 
Suppenschalen  mit  Deckeln  und  Untertellern,  Pastetenbüchsen,  Tischleuchter 
mit  bewegten  Schäften  und  Lichttüllen  müssen  das  Feld  teilen  mit  den 
schnelle  Verbreitung  findenden  Geschirren  für  Tee,  Kaffee  und  Schokolade. 
Die  Pariser  Silberschmiede  Meissonier  und  Pierre  Germain  haben  durch  ihre 
Vorlagefolgen  dem  Rokokostil  in  Deutschland  zur  Verbreitung  geholfen.  Wie- 
derum betätigt  sich  das  deutsche  Formempfinden  in  der  Lockerung  der  Ro- 
caillen.  Augsburg  bleibt  wie  in  der  Ornamentstecherei  so  in  der  Silbertreib- 
arbeit nach  wie  vor  der  erste  Platz.  Noch  bis  in  die  siebziger  und  achtziger 
Jahre  hinein  erscheinen  die  Augsburger  Silberarbeiten  des  Rokoko  als  Haupt- 
artikel der  deutschen  Luxusindustrie  auf  den  Messen.  Den  feinsten  Geschmack 
entwickeln  die  Berliner  Silberschmiede  in  der  ersten  Hälfte  der  Regierung 
Friedrichs  des  Großen.  Die  belebte  Zeichnung  der  Rocaillen  und  ihre 
Durchsetzung  mit  lebensvollen  Weinranken  und  Blättern  an  den  Terri- 
nen und  Tabletts  des  jüngeren  Lieberkühn  erinnern  an  die  in  dem  gleichen 
Jahrzehnt,  von  1740  bis  1750,  entstandenen  geschnitzten  und  stuckierten 
Wandornamente  des  friderizianischen  Rokoko.  Ebenso  ist  in  den  Rocaillen 
und  den  Blumengehängen  des  von  Lieberkühn  für  die  Markgräfin  von 
Schwedt,  die  Schwester  Friedrichs,  getriebenen  silbernen  Kaminschirms  im 
Berliner  Schloßmuseum  der  Zusammenhang  mit  diesen  Dekorationen  kaum 
zu  verkennen  (Abb.  148).  Der  Siebenjährige  Krieg  hat  dem  Berliner  Silber- 
handwerk schwere  Schädigung  gebracht. 

Dem  silbernen  Büfett-  und  Tafelschmuck  waren  im  Beginn  des  18.  Jahr- 
hunderts zwei  bedeutsame  Nebenbuhler  erstanden,  das  Porzellan  und  die 
Fayence,  zu  deren  Betrachtung  wir  nun  übergehen. 


Schmitz,  18.  Jahrh.     i8  273 


22.  DAS    PORZELLAN 

Auf  deutschem  Boden  ist  nicht  nur  zu  Beginn  des  1 8.  Jahrhunderts  daseuFO- 
päische  Porzellan  erfunden  worden:  hier  hat  auch  die  Porzellankunst  des 
i8.  Jahrhunderts  ihre  fruchtbarste  und  glücklichste  Epoche  erlebt.  Eine  Reihe 
der  trefflichsten  Bildhauer,  von  denen  die  Mehrzahl  bereits  in  der  Steinskulp- 
tur hervorgetreten  sind,  haben  sich  in  den  Dienst  der  zahlreichen,  durch  den 
Wetteifer  der  Fürsten  ins  Leben  gerufenen  Porzellanmanufakturen  gestellt. 
Die  dekorative  Malerei  trat  hinzu,  und  so  entstand  die  köstliche  kleine  Welt 
des  deutschen  Porzellans,  in  der  sich  Geist  und  Ideen  unserer  Vorväter  aus 
dem  1 8.  Jahrhundert  einen  so  bezeichnenden  künstlerischen  Ausdruck  gege- 
ben haben. 

Im  Rahmen  dieser  Gesamtdarstellung  ist  es  wichtig  zu  erfahren,  wieso  die 
deutsche  Porzellankunst  des  1 8.  Jahrhunderts  mit  dem  Entwicklungsgange 
zusammenhängt,  den  die  Leser  in  den  voraufgehenden  Abschnitten  kennen- 
gelernt haben.  Welche  Kräfte  wirkten  zusammen,  um  der  Porzellanplastik 
und  -geschirrkunst  in  dem  deutschen  Spätbarock  und  Rokoko  diese  glän- 
zende Laufbahn  zu  bereiten?  Welche  Fäden  verknüpfen  die  Formen-  und 
Farbenbildung  des  deutschen  Porzellans  mit  dem  Stil  der  übrigen  Künste? 
Wie  wandelt  sich  in  Verbindung  mit  diesen  die  Porzellanbildnerei  und  -ma- 
ierei im  weiteren  Verlauf  des  Jahrhunderts? 

Die  Liebhaberei  der  deutschen  Fürsten  für  das  Porzellan  wurde  im  letzten 
Drittel  des   17.  Jahrhunderts  durch  die  Einfuhr  großer  Mengen  chinesischer 


274 


Abb.  149.  Terrine  aus  dem  Schwaiiünservice,  von  Kandier,  um  1730 

Porzellane  geweckt,  die  besonders  über  Holland  ins  Land  kamen.  In  ganz 
und  gar  mit  chinesischen  Porzellanen  ausgestatteten  Sälen  fand  der  Ge- 
schmack für  die  chinesisch«  Kunst,  der  uns  in  der  Einrichtung  chinesischer 
Lackkabinette  und  in  der  Einlassung  chinesischer  Vertäfelungen  und  Tape- 
ten in  den  Schlössern  des  Barock  begegnet  ist,  seinen  Höhepunkt.  Solche 
Porzellankabinette  entstanden  in  Charlottenburg,  Oranienburg,  Oranien- 
baum,  in  den  Dresdener  Schlössern  und  anderwärts.  Der  leidenschaftlichste 
Porzellansammler  unter  den  deutschen  Fürsten,  August  der  Starke,  faßte  den 
Plan,  ein  ganzes  Palais,  das  eben  im  Außenbau  vollendete  japanische  oder 
damals  holländische  Palais  in  Dresden-Neustadt,  im  Innern  durchaus  mit  Por- 


l8* 


275 


zellan  auszustatten.  Der  Wunsch,  die  für  chinesisches  Porzellan  außer  Lan- 
des gehenden  Riesensummen  im  Lande  zu  behalten,  hatten  den  König  be- 
stimmt, Versuche  zur  Herstellung  der  echten  Porzellanmasse  anstellen  zu 
lassen.  Sie  führten  im  Jahre  17 13  zur  Erfindung  einer  dem  chinesischen  Por- 
zellan ähnlichen  kaolinhaltigen  Masse  durch  Johann  Friedrich  Böttger  und 
zur  Gründung  der  Meißener  Porzellanfabrik  im  Jahre  17 10.  In  den  zwanziger 
Jahren  hob  sich  die  Leistungsfähigkeit  der  Fabrik  so  sehr,  daß  der  Kurfürst 
daran  denken  konnte,  sie  zur  Ausstattung  des  japanischen  Palais  neben  sei- 
ner ostasiatischen  Porzellansammlung  heranzuziehen.  Nun  ist  zwar  diese 
Ausstattung  nicht  zustande  gekommen;  nur  Zeichnungen  und  Pläne  geben 
uns  eine  Vorstellung  dessen,  was  beabsichtigt  war.  Aber  eine  Reihe  von  pla- 
stischen Arbeiten,  namentlich  von  Geschirren  und  von  großen  Tieren  ist  in 
Porzellan  ausgeführt  worden  und  in  den  Dresdener  Sammlungen  erhalten. 
Die  Porzellantiere,  in  der  Mehrzahl  nur  weiß  glasiert  und  zuweilen  kalt  bemalt, 
sind  unabhängig  von  der  ostasiatischen  Formenwelt  und  Zeugnisse  dafür, 
mit  welcher  Kraft  der  deutsche  Spätbarock  den  neuen  Werkstoff  mit  seinem 
plastischen  Lebensgefühl  durchdrungen  hat.  Die  architektonisch-ornamen- 
talen Teile,  z.  B.  des  Glockenspiels,  sind  deutlich  von  der  Zwingerarchitektur 
bestimmt.  Denkmäler  bizarrer  Barockphantasie  sind  die  großen  dickbauchi- 
gen Vasen  mit  grotesken  Gnomen,  Chinesen-  und  Tierköpfen,  teilweise  nach 
dem  Vorbild  italienischer  Kupferstiche  geformt.  Echte  Geschöpfe  des  Barock 
sind  ferner  die  von  dem  Modellmeister  Gottlob  Kirchner  um  1728 — 1730  mo- 
dellierten exotischen  Tiere,  wie  das  Nashorn,  der  Elefant,  das  Löwenpaar  und 
der  Luchs,  in  denen  noch  jene  halb  komische,  halb  tragische  vermenschlichte 
Tierheit  steckt,  die  dem  eigentlichen  Barock  —  um  nur  an  Schlüters  Löwen, 
Elefanten  und  Kamele  zu  erinnern,  so  gemäß  war.  Natürlicher  ist  schon  ein 
großer  Affe  von  Kirchner.  Kirchner  hat  noch  einige  andere  Gruppen  geschaf- 
fen, so  den  hl.  Wenzeslaus,  die  Madonna  mit  dem  hl.  Antonius,  sämtlich 
weiß,  in  denen  der  Geist  der  religiösen  Barockskulptur  in  der  Art  des  Per- 
moser und  des  Donner  nachwirkt.  Eine  Tischfontäne  und  eine  Uhr  klingen 
in  den  Rollwerk-  und  Muschelformen  und  in  den  Faunen  und  Genien  entfernt 
an  die  Zwingerskulpturen  Permosers  an. 

Kirchners  Mitgenosse,  der  ihn  bald  überflügeln  sollte,  Johann  Joachim 
Kandier,  ist  als  Schüler  Thomaes  gleichfalls  aus  diesem  Kunstkreise  heraus- 
gewachsen. Die  von  ihm  geschaffenen  Modelle  der  Figuren  und  Prunkge- 
schirre des  Brühischen  Schwanenservice  (Abb.  149)  und  des  Sulkowskischen 
Services,  sowie  anderer  Terrinen,  Tischleuchter,  Schalen  usw.  tragen  viele 
Züge  der  von  Permoser  begründeten  Dresdener  Barockbildnerei.  Daneben 
haben  zu  den  Formen  der  Terrinen  usw.  teilweise  auch  deutsche,  namentlich 

276 


Abb.  150.     Konfektschale,  von  Eberlein.     Meißen,  um   1730 
Berlin,  Schloßmuseum 


277 


Augsburger  Silberschmiedearbeiten  der  Zeit  Modell  gestanden.  Diese 
Beziehung  entstand  teilweise  dadurch,  daß  die  Prunkbüfetts  und  -kabi- 
nette  in  Porzellan  einen  Ersatz  bildeten  für  die  in  Silber  ausgestatteten,  wie 
deren  ja  z.  B.  August  der  Starke  zu  den  Vermählungsfestlichkeiten  von  1719 
hatte  herrichten  lassen.  So  ist  eine  Verwandtschaft  der  Figuren,  Henkel, 
Schnörkel  und  Ränder  der  Prunkterrinen  von  dem  Augsburger  Silberschmied 
Biller  d.  J.  um  1715  im  Silberbüfett  des  Berliner  Schlosses  und  den  Formen 
Kändlers  unverkennbar  (vgl.  Abb.  145).  Nur  setzt  Kandier  sie  in  eine  schwung- 
vollere Gestalt  um.  Die  starken  Einziehungen  und  Schwellungen  der  Kör- 
per, die  lebhaft  gerollten  Schnörkel  der  Henkel  und  Füße  sowie  die  Schwin- 
gung des  Reliefs  sind  das  Eigentum  des  großen  Bildners.  Diese  am  Ende  der 
dreißiger  Jahre  geschaffenen  Ziergeschirre  gehören  zu  den  wichtigsten  Denk- 
mälern des  Übergangs  zum  Rokoko.  Auch  die  Bewegung  der  Figuren,  zumal 
der  Najaden  mit  den  sinnlich  beseelten  Köpfen  führen  vom  Barock  zum  Ro- 
koko hinüber  —  die  unter  Kändlers  Einwirkung  von  Eberlein  modellierte 
Najade  mit  der  Konfektschale  im  Schwanenservice  gehört  hierher  (Abb.  150). 
Die  Hauptwerke  Kändlers  für  die  Figurenplastik  in  dieser  Frühzeit  (um  1735 
bis  1740)  liegen  auf  dem  Gebiete  der  Tierbildnerei.  Die  großen  meist  nur 
weißglasierten  Tiere,  die  er  als  Nachfolger  Kirchners  für  das  japanische  Pa- 
lais modelliert  hat,  stehen  unter  den  deutschen  Kunstschöpfungen  des  Jahr- 
hunderts in  der  vordersten  Reihe.  Der  Auerochse  im  Kampf  mit  dem  Wild- 
schwein, der  liegende  Ziegenbock  (Abb.  151),  der  junge  Bär,  der  Pelikan,  der 
Reiher,  der  Paduanerhahn  und  der  abwärts  kletternde  Papagei  sind  plastische 
Gestaltungen  der  Tierwelt,  die  dem  Größten  dieser  Art  zur  Seite  stehen.  Und 
ferner  die  ganze  Gesellschaft  mittelgroßer,  mit  wenigen  aber  herrlichen 
Farben  bemalter  Vögel  und  Tiere:  die  Rohrdommeln,  Truthennen,  Perl- 
hühner, Wiedehopfe,  Spechte,  Trommeltauben,  Papageien  und  Kakadus, 
Wellensittiche,  die  Elstern  und  Häher  bis  zu  den  Finken  und  Meisen  herab! 
Wie  unübertrefflich  ist  der  Charakter  jedes  dieser  Wesen  getroffen,  wie  ist 
ihr  Bau  und  ihr  Gefieder  lebendig  und  doch  in  einem  großen  plastischen  Stil 
modelliert.  Zumal  die  Affen,  der  Marder,  das  Eichhörnchen,  die  Springmaus, 
die  Möpse  und  das  Bologneserhündchen,  dessen  Knurren  man  zu  hören 
glaubt :  all  diese  Lebewesen  sind  in  ihrer  schnurrigen  Erscheinung  und  ihrem 
putzigen  Getue  unvergleichlich  gekennzeichnet.  Das  tiefe  Hineinversenken 
in  unsere  vierbeinigen  und  gefiederten  Mitgeschöpfe  rückt  den  großen  deut- 
schen Rokokomeister  in  die  Nähe  der  deutschen  Tierplastiker  der  Gotik.  Um 
1740,  mit  dem  endgültigen  Eintritt  des  Rokoko,  beginnt  Kandier  sich  der 
Schöpfung  jener  kleinen  Figuren  und  Gruppen  zuzuwenden,  die  den  Ruhm 
Meißens  verbreitet  haben.    An  der  Spitze  stehen  die  Liebesgruppen  aus  der 

278 


Abb.  151.     Ziegenbock,  von  Kandier.    Meißen,  um   1730 
Kunsthandlung  Glenk,  Inh.  E.  Worch,  Berlin 


italienischen  Komödie  (vgl.  Abb.  Kap.  25)  und  der  französischen  Oper,  die  Grup- 
pen von  Kavalieren  und  Damen  in  Krinolinen,  von  Schäfern  und  Schäferinnen, 
deren  beste,  in  der  kurzen  Zeitspanne  von  1740  bis  1745  entstandene  Stücke 
die  begehrtesten  Werke  der  Porzellansammler  sind.  Und  eine  unbefangene, 
von  den  späteren  Versüßlichungen  dieser  Vorwürfe  absehende  Betrachtung 
der  seltenen  alten  Ausformungen  kann  die  Wertschätzung  begreifen.  Das 
vollschwellende  plastische  Gefühl,  das  Kändlers  Prunkgeschirre  und  Tiere 
atmen,  wirkt  ungemindert.  Unsere  Bewunderung  ist  um  so  größer,  da  die 
genremäßigen  Gegenstände,  die  von  Hause  aus  mehr  für  die  Erzählung  auf 
der  Fläche  geschaffen  waren,  ins  Räumliche  umzusetzen  waren.  Die  Quelle 
für  den  ganzen  Kreis  dieser  Krinolinen-,  Schäfer-  und  Komödiengruppen 
liegt  in  den  französischen  Gemälden  und  Stichen  aus  der  Nachfolge  Wat- 
teaus. Einzelne  unmittelbare  Entlehnungen  aus  französischen  Stichen  sind 
nachgewiesen  worden.  Aber  das  nimmt  den  Schöpfungen  Kändlers  nichts 
von  ihrem  entzückenden  Leben.  Die  feurige  Bemalung,  teilweise  mit  groß- 
stilisierten bunten  Streublumen  auf  den  Gewändern,  gehoben  durch  einzelne 
Partien  in  tiefglänzendem  Schwarz  erhöht  die  sprühende  Wirkung  der  klei- 


279 


T^-.-r::V\ 


Abb.  152.     Vase  mit  Heroldchinesen,  um  1725 
Charlottenburg,  Schloß 


280 


nen  Bildwerke,  in  denen  sich  uns  Nachgeborenen  die  Stimmung  der  höfischen 
Gesellschaft  des  deutschen  Rokoko  so  ganz  besonders  zu  verkörpern  scheint. 
Sie  sind  ein  Abglanz  der  höfischen  Feste,  Tänze,  Menuetts,  Schäferspiele, 
Bergmannsfeste,  ,, Wirtschaften",  Opern  und  Komödien  des  Dresdner  Hofes. 
Kandier  schuf  in  diesen  und  den  Folgejahren  eine  Menge  Gruppen  und  Figu- 
ren von  Vc":stypen,  Soldaten  zu  Fuß  und  zu  Pferde,  Jäger,  Handwerker, 
Bergleute  (solche  auch  von  Reinecke),  Krämer,  Orientalen,  Bauern  und  Bett- 
ler. In  den  späteren  vierziger  Jahren  gewann  die  antike  Götterwelt  einen' 
wichtigen  Platz  im  Schaffen  des  Meisters.  Mit  dem  Ende  dieses  Jahrzehntes 
beginnt  seine  Vollkraft  nachzulassen.  Er  arbeitet  unermüdlich  immer  neue 
Modelle  und  bewahrt  bis  zuletzt  eine  stets  achtunggebietende  Höhe  —  aber 
die  allegorischen  und  nackten  Göttergestalten  nehmen  einen  gleichmäßigen 
Charakter  an  —  die  in  Dresden  früher  als  anderswo  einsetzende  Neigung 
zum  Klassizismus  färbt  auf  Kändlers  spätere  Plastik  ab.  Die  große  Zeit  der 
Meißener  Porzellanbildnerei  bis  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  war  auch  die  der 
farbigen  Dekoration.  Hier  hatte  Meißen  ebenfalls  das  Glück,  eine  bedeutende 
Künstlerpersönlichkeit  zu  gewinnen  in  Johann  Gregor  Herold,  der  im  Jahre 
1720  berufen  wurde  und  die  Malerei  über  die  bescheidenen  Anfänge  der  Epo- 
che Böttgers  hoch  hinausführte.  Im  Anschluß  an  die  Malerei  der  ostasiati- 
schen Porzellane  entwickelt  sich  die  Blumenmalerei  in  leuchtenden  grünen 
und  blauen  Schmelzfarben  und  in  Eisenrot  unter  der  Glasur,  die  namentlich 
auf  den  glatten  Gefäßkörpern  der  Vasen  und  Teller  nach  chinesischen  und  ja- 
panischen Mustern  Anwendung  findet.  Neben  den  Blütenzweigen,  haupt- 
sächlich Päonien,  daneben  Lotos,  Kirschblüten,  Kiefern,  Bambus,  und  den 
bizarren  chinesischen  Felsbildungen  werden  Tigermuster,  Drachen-  und 
Schmetterlingsmuster  und  großstilisierte  Chinesenfiguren  übernommen.  Diese 
um  1720  bis  zum  Ende  der  dreißiger  Jahre  in  Blüte  stehende  Dekoration  gibt 
an  Schmiß  der  Zeichnung,  an  Kraft  der  Farben  und  an  flächenmäßiger  Emp- 
findung den  chinesischen  Porzellanen  des  17.  Jahrhunderts  nichts  nach.  Es 
ist  dies  ein  Fall,  wo  das  europäische  18.  Jahrhundert  dem  Wesen  des  chine- 
sischen Stils  nahekommt,  während  die  übrige  Chinesenkunst  des  Barock  und 
Rokoko  nichts  weiter  als  eine  Übersetzung  in  den  burlesken  und  grotesken 
Stil  ist,  die  sich  alle  exotischen  ebenso  wie  alle  geschichtlichen  Gegenstände 
gefallen  lassen  mußten.  Zwei  Punkte  trennte  vor  allem  die  Kunstsprache  des 
europäischen  Barock  von  der  des  fernen  Ostens:  die  Symmetrie  und  das  Stre- 
ben nach  plastischem  Ausdruck.  Diese  Eigenschaften  finden  sich  in  den  rein 
europäischen  Dekorationsformen  der  frühesten  Meißener  und  der  mit  ihnen 
zusammenhängenden  frühesten  Wiener  Porzellangeschirre.  Der  Spitzen- 
dekor, meist  in  Gold  oder  Schwarz,  beruht  auf  dem  Laub-  und  Bandelwerk, 

281 


Abb.  153.     Der  stürmische  Liebhaber,  von  Bustelü.     Nymphenburg,  um  1760 
Kunsthandlung  Altkunst  G.  m.  b.  H.,  Berlin 


dessen  Blüte  in  der  deutschen  Dekoration,  sowie  in  Deckers  und  in  Kleiner» 
Kupferstichwerken  um  17 10 — 1730  geschildert  ^vorden  ist.  Den  größten  Ge- 
gensatz gegenüber  den  Grundsätzen  der  ostasiatischen  Flächenverzierung  be- 
zeichnen aber  die  von  sogenannten  Hausmalern,  Bottengruber  in  Breslau  und 
Wien  u.  a.,  um  1720 — 1740  überdekorierten  Geschirre  und  Service.  Ihre  bild- 
mäßig dargestellten  mythologischen  Szenen  und  die  üppigen  Akanthus-  und 
Laubranken  wurzeln  in  dem  Stil  der  Malerei  des  deutschen  Barock.  Im  Ver- 
gleich damit  offenbart  sich  in  den  unter  Herolds  Ägide  geschaffenen  ost- 
asiatischen Dekorationen  der  Meißener  Manufaktur,  welche  befreiende  Ein- 


Abb.  154-  Der  Juni,  von  Konrad  Linck.  Frankenthal, 
um  1765.    Berlin,  Schloßmuseum 

Wirkung  die  chinesische  Flächendekoration  auf  die  deutsche,  zumal  auf  die 
Verzierungsweise  der  Keramik,  ausgeübt  hat.  So  mag  der  chinesische  Dekor 
in  der  Tat  zur  Entwicklung  des  Rokoko  beigetragen  haben,  besonders  in  Be- 


283 


zug  auf  die  Leichtigkeit  der  Flächenbehandlung  und  die  lebendige  Auffassung 
der  Pflanzen  und  Blumen.  Das  läßt  sich  auch  in  den  gleichzeitigen  franzö- 
sischen Ornamentstichen  von  Watteau  und  Huet  wahrnehmen,  die  in  den 
deutschen  Kunstwerkstätten  Nachahmung  fanden.  Wie  jene  Franzosen,  so 
hat  Herold  chinesische  Anregungen  mit  dem  europäischen  Ornament  durch- 
drungen. Er  schuf  damit  den  eigentlichen  Herolddekor,  der  neben  Kändlers 
Krinolinengruppen  der  größte  Ruhmestitel  von  Meißen  wurde  (Abb.  152).  Es 
sind  das  kleine,  mit  zierlichem  Pinsel  in  Eisenrot,  Purpur  und  einzelnen 
Schmelzfarben  gemalte  Bildchen  von  Chinesengesellschaften  beim  Teetrin- 
ken, beim  Essen,  beim  Musizieren  usw.,  unter  Palmen  und  phantastischen 
Bäumen  oder  in  Tempeln  und  Pavillons,  meist  umrahmt  von  feingeschwunge- 
nem Laub-  und  Rankenwerk  in  Gold-  und  Purpurlinien.  Daneben  treten  spä- 
ter Bildchen  europäischen  Inhalts  auf,  Hafenszenen,  Gesellschaften,  Jagden, 
mit  fein  gemalten  Fernen,  in  denen  das  Vorbild  Watteaus  und  seiner  Nach- 
folger durchschimmert.  An  Schwung  der  Malerei  stehen  die  zwischen  1720 
und  1730  gemalten  Chinesenbilder  —  zuweilen  in  ausgesparten  Feldern  far- 
biger Fondvasen  (Augustus-Rex-Vasen)  —  voran.  Diese  Heroldmalerei,  die 
zu  den  schönsten  Blüten  des  deutschen  18.  Jahrhunderts  zählt,  bleibt  bis  in 
die  vierziger  Jahre  in  Übung  ;  etwa  gleichzeitig  mit  der  großen  Epoche  Känd- 
lers endet  auch  die  des  Heroldstils  im  Meißener  Dekor.  Es  tritt  an  Stelle 
jener  geistvoll  stilisierten  Figürchen  teils  eine  Anlehnung  an  Stichvorlagen, 
teils  ein  Streben  nach  malerischer  Wiedergabe  der  Wirklichkeit,  besonders 
in  den  Landschaften.  In  der  Blumen-  und  Vogelmalerei  setzt  sich  gleichfalls 
der  europäische  Naturalismus  durch.  Das  plastische  und  gemalte  Ornament 
der  Geschirre  schließt  sich  natürlich  der  damals  zur  Reife  gelangten  lockeren 
Form  der  deutschen  Rocaille  an.  Der  Abschluß  der  großen  Zeit  Meißens  um 
1750  wird  mit  bestimmt  durch  die  Verbreiterung  der  Erzeugung,  die  sich  dem 
industriellen  Betrieb  genähert  hatte. 

Erst  nach  der  Mitte  des  Jahrhunderts,  als  der  Glanz  Meißens  bereits  im 
Erlöschen  war,  kommen  eine  Reihe  weiterer  Manufakturen  empor.  Die  Vor- 
geschichte dieser  fürstlichen  Fabrikgründungen,  die  einen  Beitrag  zum  Bilde 
des  Industrie-  und  Monopolwesens,  des  Abenteurer-  und  Schwindlertums, 
aber  auch  des  unablässigen  Strebens  nach  technischer  und  künstlerischer 
Verbesserung  liefert,  gehört  nicht  hierher.  Während  die  Meißener  Plastik 
und  Geschirrkunst  noch  durch  starke  Fäden  mit  dem  späten  Barockstil  ver- 
knüpft war,  fällt  das  Schaffen  der  übrigen  Manufakturen  —  sieht  man  von 
der  frühen  Wiener  (du  Paquier)  ab  —  fast  ausschließlich  in  die  Epoche  des 
reifen,  ja  überwiegend  des  bereits  abblühenden  Rokokostils.  Dem  plastischen 
und  koloristischen  Empfinden  des  Rokoko  zählen  noch  vollständig  zu  die 

284 


Abb.  155.     Die  chinesische  Kaiserin,  von  Joh.  P.  Melchior. 

Berlin,  Schloßmuseum 


Höchst,  um  1765 


285 


knusperigen,  meist  weißen,  oder  mit  starken  Farben,  mit  glänzendem 
Schwarz  und  großen  Streublumen  dekorierten  Figürc.hen  der  ersten  Berliner 
Fabrik  von  Wegely  (1752 — 1757).  wahrscheinlich  von  Reichard  modelliert, 
unter  denen  die  aus  dem  Leben  gegriffenen  Bürger-  und  Volkstypen  einen  in 
Berlin  früher  als  anderswo  hervortretenden  Zug  zum  Naturalistischen  spü- 
ren lassen.  Auch  die  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege  in  der  von  dem  König 
übernommenen  Manufaktur  von  dem  aus  Meißen  nach  Berlin  übergesiedelten 
Modellmeister  Friedrich  Elias  Meyer  geschaffenen  mythologischen,  allegori- 
schen und  Schäferfiguren  sind  reines  Rokoko.  Sie  setzen  den  späteren  Stil 
Kändlers,  dessen  Gehilfe  Meyer  bis  1761  war,  ins  Zierliche  um.  In  die  zwan- 
zig Jahre  von  etwa  1755 — 1775  drängt  sich  die  beste  und  meiste  Plastik  der 
Manufakturen  von  Berlin,  Fürstenberg,  Nymphenburg,  Wien,  Frankenthal, 
Ludwigsburg,  Höchst,  Fulda,  Ansbach,  und  der  kleineren  thüringischen  Fa- 
briken zusammen.  Unter  den  Modelleuren,  die  noch  im  Rokoko  wurzeln, 
ragt  Franz  Anton  Bustelli  hervor,  ein  Italiener,  dessen  Nymphenburger  Por- 
zellanfiguren (um  1760 — 1765)  an  plastischem  Leben  den  besten  Gruppen 
Kändlers  gleichkommen.  Es  sind  vorwiegend  Figuren  aus  der  italienischen 
Komödie,  Kavaliere  mit  ihren  Damen,  Tänzer  und  Tänzerinnen  und  Schäfer- 
paare, in  der  Mehrzahl  weiß,  seltener  mit  wenigen,  aber  leuchtenden  Farben 
bemalt  (Abb.  153).  Die  biegsamen  Körper  sind  meist  in  höchster  Bewegung. 
Der  kecke  Zuschnitt  der  Falten  verbindet  Bustellis  geist-  und  lebensprühende 
Figürchen  mit  den  Holzschnitzwerken  des  Günther  und  der  übrigen  Münch- 
ner Rokokoplastiker.  Kändlers  Krinolinen-  und  Komödiengruppen,  die  fünf- 
zehn bis  zwanzig  Jahre  früher  entstanden,  zeigen  das  Feuer  der  Leidenschaft 
noch  durch  den  volleren  plastischen  Stil  des  Barock  gebunden:  Bustellis  Ge- 
stalten sind  aufgelöstes  Gefühl  bis  in  die  zierlichen  Hände  und  Fußspitzen 
hinein.  Demgegenüber  haben  die  gleichzeitigen  Rokokofigürchen  der  älteren 
Modelleure  von  Frankenthal,  einer  Gründung  des  Straßburger  Fayencefabri- 
kanten Hannong,  von  Höchst  und  Ludwigsburg,  einen  mehr  unbeholfenen, 
doch  durch  die  naive  Frische  erfreuenden  Charakter  (vgl.  Abb.  Kap.  27).  Köst- 
liche Naivität  zeichnet  auch  die  glattmodellierten  und  in  lichten  Farben  bemal- 
ten zierlichen  Wiener  Figürchen  von  Kavalieren  und  Damen,  Kammermädchen, 
Verkäuferinnen  und  dergleichen  Typen  aus.  Das  gilt  ferner  von  den  meist 
winzigen  Fuldaer  Grüppchen,  deren  milchige  Glasur  der  Nymphenburger 
nahekommt.  Für  die  Geschichte  der  deutschen  Kunst  des  Jahrhunderts  haben 
größere  Bedeutung  die  Modelleure  Conrad  Linck,  Johann  Peter  Melchior  und 
Wilhelm  Beyer.  Conrad  Linck,  der  Schöpfer  des  Karl-Theodor-Denkmals 
auf  der  Heidelberger  Brücke,  wählt  Gegenstände  seiner  Figuren  und  Grup- 
pen mit  Vorliebe  aus  dem  Bereiche  der  antik  kostümierten  Götter-,  Helden-, 

286 


Abb.  155.     Violinspieler,  von  Beyer.     Ludwigsburg,  um  1765 
Kunsthandlung  Altkunst  G.  m.  b.  H.,  Berlin 


287 


Grazien-  und  Musenwelt  (Abb.  154).  Die  zierlichen  Gesten  wie  die  weichfallen- 
den Gewänder  seiner  überschlanken  Götter  und  Grazien,  dieRocaillesockel  und 
ebenso  die  zarte  Dekoration,  oft  mit  Streublümchen  und  mit  plastischen  Blu- 
menkränzen stellen  seine  Schöpfungen  in  eine  Reihe  mit  den  letzten  Äuße- 
rungen des  süddeutschen  Rokoko.  Die  Empfindung  geht  hier  in  das  Schwär- 
merische hinüber:  man  darf  an  die  letzten  Werke  der  kirchlichen  Skulp- 
turen dieser  Gegenden,  an  die  Werke  des  Egell  und  des  PfafT  erinnern. 
Melchior,  der  Modellmeister  von  Höchst,  dessen  Steinbildwerke  schon  er- 
wähnt wurden,  hat  ebenfalls  halb  Rokoko-,  halb  klassische  Musen-  und 
Göttergestalten  geschaffen.  Am  liebsten  ergeht  er  sich  in  der  Gestaltung 
von  Chinesen  (Abb.  155),  Schäferpaaren  und  spielenden  Kindern.  Die  nicht 
ohne  Einwirkung  der  Mainz  nahen  französischen  Kunst,  von  Boucher  und 
Grenze,  gebliebene  Vorstellungswelt  Melchiors,  trägt  bereits  einen  stark  bür- 
gerlichen Grundzug,  wie  er  sich  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege  durchzu- 
setzen begann.  In  den  zarten  Farben,  unter  denen  Rosa  und  Gelb  vorherr- 
schen, spiegelt  sich  der  Farbengeschmack  des  spätesten  Rokoko.  Die  Streu- 
blumen der  Gewänder  haben  hier  wie  anderwärts  fast  ganz  einfarbigen  oder 
gestreiften  Kleidern  Platz  gemacht.  Der  letzten  empfindungsvollen  Phase 
des  Rokoko  verdankt  auch  Ludwigsburg  eine  kurze  Blüte  der  Porzellanpla- 
stik: ein  trefflicher  Bildhauer,  Lejeune,  schuf  um  1760 — 1765  eine  Anzahl 
von  Gruppen  und  Figuren  aus  der  höfischen  und  vornehmen  Gesellschaft.  Von 
Beyer  ist  die  Folge  der  Musiksoli,  die  den  besten  Werken  der  deutschen  Porzel- 
lankunst zuzählt  und  zugleich  die  Stimmung  dieser  beginnenden  Blütezeit 
des  deutschen  musikalischen  Lebens  widerspiegelt  (Abb.  156).  Die  von  Beyer 
geschaffenen  nackten  Götter-  und  Musengestalten  stehen  schon  stärker,  als 
die  von  Linck  und  Melchior  unter  dem  Eindruck  der  neuen  klassischen  Ideen. 
Allein  das  plastische  Gefühl  ist  immer  noch  rege.  Erst  in  seinen  später 
für  den  Garten  von  Schönbrunn  gefertigten  Steinfiguren  mythologischer  Ge- 
stalten ist  Beyer  stärker  in  den  Klassizismus  hinein  geraten.  Eine  ähnliche 
Stilstufe  vertritt  in  Berlin  Elias  Meyers  jüngerer  Bruder,  Wilhelm  Christian 
Meyer,  der  in  den  siebziger  Jahren  zahlreiche  allegorische  und  mythologische 
Gruppen  schuf,  darunter  den  figurenreichen  Tafelaufsatz,  den  der  Große  Kö- 
nig 1772  der  Kaiserin  Katharina  von  Rußland  schenkte.  Die  glänzende,  ins 
Helle  und  Zarte  gebrochene  Färbung,  in  der  das  Rosa  eine  herrschende  Rolle 
spielt,  nähert  sich  wiederum  der  Grundstimmung  des  spätesten  Rokoko.  Der 
jüngere  Meyer  hat  eine  Reihe  von  Steinfiguren-  und  -reliefs  für  die  von  Gon- 
tard  errichteten  Gebäude,  Kolonnaden  und  Brücken  geliefert.  In  der  Tat, 
der  plastische  Stil  des  Meisters  stellt  einen  ähnlichen  Übergang  vom  Rokoko 
zum  frühen  Klassizismus  dar,  wie  ihn  in  der  Architektur  Gontard  bezeichnet. 

288 


Abb.  157.     Teller  aus  dem  Neuen-Palais-Service,  um  1765.     Berlin 

Von  den  Formen  und  Dekorationen  der  Geschirre  der  nach  der  Mitte  des 
Jahrhunderts  gegründeten  Manufakturen  gilt  das  gleiche  wie  von  denen  der 
zweiten  Epoche  Meißens.  Neben  naturalistischen  Blumen-  und  Vogelmale- 
reien spielen  Landschaften  und  Schäferszenen,  letztere  unter  dem  Einfluß 
französischer  Stiche,  zunächst  die  wichtigste  Rolle.  In  den  siebziger  Jahren 
treten  mythologische  Bilder,  auch  diese  vielfach  nach  französischen  Stichen, 
hinzu.  Das  Randornament  wird  aus  den  späteren  Rocailleformen  mit  Gitter- 
füllungen und  Blumengewinden  entnommen.  Aus  der  Fülle  des  Rokokoge- 
schirres ragen  die  Arbeiten  der  Berliner  Manufaktur  der  Zeit  nach  dem  Sie- 
benjährigen Kriege  hervor.  Die  umfangreichen,  im  Auftrage  Friedrichs  des 
Großen  für  das  Neue  Palais,  für  das  Breslauer  Schloß  und  für  Sanssouci  um 


Schmitz,  iS.Jahrh.     ig 


289 


1765 — 177°  entstandenen  Tafelservice  verdienen  Bewunderung  (Abb.  157). 
Die  lebendige  Zeichnung  der  zerfransten  Rocaillen  mit  Stabmustern  und 
Ranken  steht  auf  der  Höhe  der  besten  Wanddekorationen  Hoppenhaupts  in 
dem  zur  gleichen  Zeit  ausgestatteten  Neuen  Palais.  Auch  diese  Geschirre 
sind  ein  Beleg  dafür,  welche  Lebenskraft  das  friderizianische  Rokoko  sich 
durch  den  großen  Krieg  hindurch  bewahrt  hat.  Und  ebenso  beweisen  die 
farbenbunten  Chinesenbilder,  daß  der  Große  König  an  der  Phantasiewelt  des 
Rokoko  immer  noch  Vergnügen  fand.  Alle  anderen  Manufakturen  übertrifft 
die  Blumenmalerei  dieser  Service.  Bis  in  die  letzten  Jahrzehnte  des  Jahr- 
hunderts ist  die  Berliner  Blumenmalerei  hervorragend  geblieben. 


my 


290 


Abb.  158.     Frankfurter  Fayencevase,  um  1700 
Berlin,  Schloßmuseum 


23.  DIE  FAYENCE 

Lange  bevor  das  Porzellan  von  Sachsen  aus  seine  Laufbahn  antrat  und  der 
^  bestimmende  Stoff  für  die  Kleinplastik  wie  für  das  feinere  Tafel-,  Kaffee- 
und  Teegeschirr  des  Jahrhunderts  wurde,  hatte  die  Fayencekunst  in  Deutsch- 
land Fuß  gefaßt.  Sie  war  mit  der  Spätrenaissance  aufgekommen  und  hatte 
in  der  Schweiz,  in  Süddeutschland,  in  Schlesien  und  Böhmen  und  vor  allem  in 
Hamburg  bis  in  die  erste  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  Aufnahme  gefunden. 
Allerdings  ist  diese  ältere,  teilweise  mit  der  italienischen  Majolika  zusam- 
menhängende deutsche  Fayencetöpferei  neben  den  bodenständigen  Steinzeug- 
und  Zinn-  und  Holzgeschirren  zu  keiner  größeren  Bedeutung  gelangt.  Ihre 
sparsamen,  meist  in  Blau  gemalten  Verzierungen  wurzeln  völlig  in  der  deut- 
schen Spätrenaissance. 

Auch    auf  diesem  Gebiete,  wie    auf  so  vielen    anderen  der  Kunst    und   der 


ig« 


291 


Abb.  15g.     Straßburger  Fayencejagd,  um  1750.     Berlin,  Schloßmuseum 

Landeskultur,  kam  bald  nach  dem  Dreißigjährigen  Kriege  der  Anstoß  zu 
einer  Entwicklung  im  Geiste  des  Barock  von  Holland  her.  War  doch  hier  mit 
Delft  als  Mittelpunkt  eben  in  den  Jahrzehnten  des  großen  künstlerischen  Auf- 
schwungs Hollands,  in  Nacheiferung  der  durch  den  ostasiatischen  Handel 
eingeführten  chinesischen  Porzellane  die  Fayencebäckerei  und  -maierei 
unter  glänzender  Zinnglasur  zu  einem  eigentümlichen  Stil  gediehen.  Von 
Holländern  wurden  die  ersten  Fayencefabriken  der  neuen  Richtung  in 
Deutschland  ins  Leben  gerufen;  in  Hanau  1661  von  Daniel  Behaghel  und  Ja- 
kob van  der  Walle,  in  Frankfurt  von  Johann  Simonet  1666,  in  Berlin  unter 
dem  Großen  Kurfürsten.  Es  wiederholt  sich  eine  Erscheinung,  die  bereits  in 
der  Porzellangeschichte  begegnet  ist.  Einzelne  deutsche  Dekorateure  außer- 
halb der  Manufakturen  bemalen  die  neuen,  von  Delft  und  seinen  deutschen 
Abzweigungen  erzeugten  weißen  Geschirre,  die  Enghalskrüge  und  breiten 
Teller  im  Geschmack  des  malerischen  heimischen  Barockstils.  Namentlich  in 
Nürnberg  wurden  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  solche  Fayence- 
gefäße von  den  Glasmalern  Joh.  Schaper,  Abraham  Helmhack  u.  a.  mit  Land- 
schaften, religiösen  Bildern,  Wappen,  barocken  Blumen  und  Ranken  in  bun- 
ten, schwarzen  oder  purpurnen  Schmelzfarben  bemalt.  Gegenüber  dieser  in 
den  ,, Hausmalereien"  der  Porzellane  fortlebenden  Überdekoration  stützt  sich 
nun  aber  die  Fayencemalerei  der  von  Holländern  gegründeten  Manufakturen 
selbst,  in  Hanau,  Frankfurt  und  in  Berlin,  natürlich  fast  völlig  auf  die  in 
Holland  übliche  Weise.  Chinesenfiguren  und  Streublumen  nur  in  Unter- 
glasurbau mit  wenigen  anderen  Farben  sind  vorherrschend.  Zu  künstle- 
rischer Höhe  erhebt  sich  eine  Gruppe  von  Tellern  und  bauchigen  Vasen 
meist  großen  Formats  mit  Chinesen-  und  holländischen  Figuren  und  Fächer- 
palmen   und    kiefernartigen  Bäumen,    die    aus    der    Frankfurter   Fabrik    zu 


292 


Abb.  i6o.     Stralsunder  Fayenceterrine,  um  1750.     Berlin,  Schloßmuseum 

Ende  des  17.  Jahrhunderts  hervorging  (Abb.  158).  In  der  großzügigen  Pinsel- 
führung, dem  kräftigen  Blau  und  der  schimmernden  Zinnglasur  reicht  sie  an 
die  besten  Leistungen  der  Eynacker  und  anderen  Delfter  heran.  Gröber  sind 
die  zahlreichen,  häufig  mit  dem  ,, Pfauenmuster"  bemalten  plumpen  Vasen 
ostasiatischer  Form,  die  im  ersten  Drittel  des  Jahrhunderts  in  Berlin  ent- 
standen und  von  den  Sammlern  bisher  als  „Potsdam"  bezeichnet  wurden-°). 
Neben  dem  holländischen  Geschmack  findet  im  ersten  Drittel  des  18.  Jahr- 
hunderts der  einheimische  Barock  in  der  Fayencekunst  eine  Stätte  in  den  Fa- 
briken von  Nürnberg  und  Bayreuth.  Die  Nürnberger  gründeten  Christoph 
Marx  und  Joh.  Conrad  Romedi  17 13;  in  den  beiden  Kordenbuschs  erwuchsen 
ihnen  tüchtige  Maler;  die  Bayreuther  entstand  in  der  eben  angelegten  Vor- 
stadt St.  Georgen  am  See  um  1720  durch  Knöller.  Beiden  ist  die  Vorliebe 
für  das  Laub-  und  Bandelwerk  und  die  Lambrequinumrahmungen  und  ein 
blasses  Blau  eigentümlich.  Die  um  17 10  aufkommende  Fabrik  in  Ansbach 
hat  in  bunten,  namentlich  grünen  und  gelben  Scharffeuerfarben  mit  Geschick 
die  Blumen-  und  Vogelmuster  der  chinesischen  Porzellane  aus  der  ,, grünen 
Familie"  nachgebildet  und  darin  (gleichzeitig  mit  den  Nachahmungen  die- 
ser und  der  roten  Familie  in  Meißen!)  um  1730  schöne  Vasen  und  Teller  ge- 
schaffen. 


293 


Eine  einschneidende  Stilwandlung  widerfuhr  der  deutschen  Fayencekunst 
mit  dem  Umschwung  zum  Rokoko  um  1740.  Zugleich  beginnt  damit  eine  be- 
deutende Ausbreitung  der  Erzeugung,  die  bis  in  den  Beginn  der  siebziger 
Jahre  andauert.  Im  Süden  und  noch  mehr  im  Norden  Deutschlands  bis  ins 
schwedische  Pommern  und  ins  dänische  Schleswig-Holstein,  nach  Königs- 
berg und  nach  Schlesien  (Proskau)  dehnt  sich  die  Fayenceindustrie  aus.  Ne- 
ben den  walzenförmigen  Bierkrügen,  den  Tellern  und  Blumenvasen  bilden 
Bratenschüsseln,  Suppenterrinen,  Saucieren,  Gewürzaufsätze  und  Potpourri- 
vasen die  bevorzugten  Herstellungsgegenstände.  Die  plastisch  belebten  For- 
men, die  das  Porzellan  des  Rokoko  annimmt,  finden  auch  bei  den  Fayencege- 
schirren um  die  Jahrhundertmitte  Eingang.  Die  plastische  Bewegung  der  bau- 
chigen Gefäßkörper,  der  Rocailleränder,  der  Schnörkelhenkel  und  -fuße  ist  in 
der  gleichzeitigen  Fayence  aber  durchgehends  um  einen  Grad  schwerfälliger 
und  die  Ausformung  weicher,  was  sich  teilweise  durch  die  weniger  scharf 
ausprägbare  Masse  erklärt.  Wie  in  dem  Rokokoporzellangeschirr  wird  hier 
die  naturalistische  Blumen-  und  Landschaftsmalerei  vor  den  ostasiatischen 
Dekorationen  bevorzugt.  Die  verschiedenfarbige  Scharffeuermalerei  und  na- 
mentlich die  bunte  Muffelmalerei  verdrängt  vielerorts  den  Blaudekor  der  er- 
sten Epoche.  Die  von  dem  aus  Meißen  1736  geflüchteten  Porzellanmaler  Lö- 
wenfinck  in  Fulda  und  Straßburg  bemalten  Fayencen  sind  ein  Beispiel  für 
das  Übergreifen  der  Porzellandekorationen  auf  die  Fayence.  Mehr  als  in  dem 
Porzellan  kommt  in  der  Fayence  des  Rokoko  ein  urwüchsiges  Empfinden 
zum  Ausdruck.  Das  erscheint  besonders  in  dem  plastischen  Zierat  der  Ge- 
fäße, der  gerne  aus  Früchten,  Zwiebeln  und  Knollen  geformt  wird;  nament- 
lich aber  in  den  als  Kohlköpfen,  Enten,  Truthühnern,  Rebhühnern  und 
Schweinsköpfen  gestalteten  Terrinen  und  Suppenschüsseln.  Die  Küche  des 
Schlößchens  Favorite  bei  Baden-Baden  und  das  Jagdschloß  des  Clemens  Au- 
gust von  Köln,  Clemenswerth,  sind  mit  reichen  Garnituren  der  Art  aus  Straß- 
burger  Fayence  ausgestattet. 

Die  Straßburger  Fabrik  der  Familie  Hannong  steht  in  ihren  künstlerischen 
Leistungen  weitaus  an  erster  Stelle.  Ihre  breitrandigen  Teller  und  ihre 
Schüsseln  zeichnen  sich  durch  die  eleganten,  an  die  Pariser  Silberge- 
schirre erinnernden  Formen,  durch  die  gleichmäßig  leuchtende  weiße  Glasur 
und  die  großzügige  Blumenmalerei,  namentlich  in  roten  und  grünen  Muffel- 
farben aus.  Auch  in  der  farbigen  Fayenceplastik  steht  Straßburg  obenan. 
Dafür  zeugen  neben  den  genannten  Geschirren  in  Tierform  die  vor  kurzem 
von  dem  Berliner  Schloßmuseum  erworbene  Saujagd  (Abb.  159)  und  ein  im 
Handel  befindliches  Affenkonzert.  Später,  als  Paul  Anton  Hannong  durch 
das  Sfevresmonopol  aus  Straßburg  nach  Frankenthal  übersiedelte  (1755)  und 

294 


Abb.  i6i.     Stralsunder  Fayenceuhr,  um  1760 
Berlin,  Schloßmuseum 


hier  eine  Porzellanfabrik  gründete,  wurden  die  Straßburger  Modelle  teil- 
weise hier  in  Porzellan  wiederholt.  Auch  überdies  scheint  die  Straßburger 
Fabrik  von  größtem  Einfluß  auf  den  Fortgang  der  Rokokofayence  gewesen 
zu  sein  —  beinahe  das,  was  Meißen  fürs  Porzellan  war.  Nach  Westen  und 
Osten.  Die  Fabriken  von  Niederwiller,  von  Marseille  und  selbst  die  Brüs- 
seller verraten  das  Straßburger  Vorbild.  Verwandtschaft  damit  haben  von  den 
süddeutschen  Fabriken  namentlich  Höchst  und  Hanau.  Ein  Gegenstück  zur 
Straßburger  Fabrik  ist  die  erst  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege  erblühende 
Fabrik  von  Proskau  in  Schlesien,  die  später  der  Alte  Fritz  in  Regie  nahm. 
Sie  veranschaulicht,  wie  die  Rokokoformen  und  Dekore  ins  Kleinbürgerliche 
und  Provinzielle  verkümmerten.  Die  hier  und  in  Hollitsch  erzeugten  Geschirre 
in  Form  von  Hühnern,  Enten  und  anderen  Vögeln  und  Tieren  sind  durch 
einen  gleich  weiten  Abstand  von  den  kraftvoll  modellierten  und  bemalten  Ge- 


295 


Abb.  162.    Fliesenwand  in  Blaumalerei.     Norddeutsch 
(Osnabrück?),  um  1760.     Berlin,  Schloßmuseum 


296 


schöpfen  Straßburgs  getrennt.  Um  die  Jahrhundertmitte  blühten  zahlreiche 
kleinere  Fabriken  im  südlichen  (Göppingen,  Schretzheim,  München),  im  mitt- 
leren (Rudolstadt,  Erfurt)  und  im  nördlichen  Deutschland.  Neben  den  schles- 
wig-holsteinischen (in  Kiel,  Stockeisdorf,  Kellinghusen,  Rendsburg,  Schles- 
wig) und  denen  an  der  Unterweser  (Vegesack  und  Lesum)  verdienen  die  der 
Familie  Ehrenreich  in  Königsberg  und  vorzüglich  die  des  Kammerrates  Giese 
in  Stralsund  Hervorhebung  (Abb.  i6o,  i6i).  Die  Vorliebe  für  Blaumalerei 
auch  jetzt  noch  haben  die  Fayencen  der  Küstenländer  mit  denen  Dänemarks 
und  Schwedens  gemeinsam,  was  bei  den  politischen  und  Handelsbeziehungen 
zu  diesen  Ländern  selbstverständlich  ist. 

Die  Blüteepoche  der  deutschen  Fayence  endet  mit  dem  Rokoko  im  Anfang 
der  siebziger  Jahre.  Der  plastische  Geist  und  der  frohe  Farbensinn  ließen  nach. 
Ihre  Triumphe  hatten  sie  beispielsweise  in  den  mit  einem  luftigen  Blumen- 
gitter umsponnenen  ,, Netzvasen"  von  Münden  und  Stockeisdorf  gefeiert. 
Auch  in  den  prächtigen  Fayenceöfen  im  lockersten  Rocaillestil;  Meister- 
werke plastischer  Modellierung  bergen  namentlich  die  österreichischen,  die 
Münchner  und  die  Schlösser  am  Main  und  Rhein.  Öfen  mit  Blaumalerei  — 
kleine  Schäferszenen  in  Rocaillen  —  schufen  neben  Fliesen  Hamburg  und 
andere  norddeutsche  Fabriken  (Abb.  162). 


^^^-«^ 


297 


24-  DIE  GESCHNITTENEN  GLÄSER 

Von  den  übrigen  Zweigen  des  Kunsthandwerks,  die  im  i8.  Jahrhundert  in 
Deutschland  eine  Blüte  erlebt  haben,  verdient  endlich  eine  kurzeWürdigung 
die  Glasschneidekunst.  Besonders  merkwürdig  ist  die  Ausprägung,  die  der 
deutsche  Barock-  und  Rokokostil  der  Gestaltung  und  der  Dekoration  der 
edleren  Trinkgläser  gegeben  haben.  Von  der  Spätrenaissance  her  hatte  sich  die 
B  e  m  a  1  u  n  g  der  Humpen,  Pokale  und  Gläser  mit  Bildern  und  Wappen  in 
Schmelz-  und  Lackfarben  bis  in  das  Ende  des  17.  Jahrhunderts  und  teilweise 
selbst  bis  in  den  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  fortgeerbt.  Die  Gläser  der  Hal- 
loren, der  altehrwürdigen  Hallenser  Salzherren,  Bergmanns-  und  Jägerhum- 
pen vom  Fichtelgebirge,  Hofkellereigläser  von  Dresden  sind  Träger  dieser 
Überlieferung  gewesen.  Eine  Veredelung  der  Formen  und  der  Bemalung  der 
Glaspokale  erfolgte  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  zuerst  in  Nürn- 
berg, das  neben  Augsburg  überhaupt  die  Traditionen  so  vieler  Zweige  deut- 
schen Kunstfleißes  aus  der  Renaissanceepoche  durch  den  Dreißigjährigen 
Krieg  hindurch  gerettet  hat.  Hier  erscheinen  zuerst  Pokale  auf  hohen  Schäf- 
ten, deren  Kugel-  und  Balusterprofile  an  die  frühbarocken  gedrehten  Möbel- 
beine anklingen.  Die  Dekoration  der  Mehrzahl  besteht  in  Schwarzlot-  und 
farbigen  Schmelzmalereien  von  der  Hand  jener  oben  als  Fayencedekorateure 
schon  genannten  Glasmaler  Schaper,  Helmhack  usw.  Daneben  treten  mit 
dem  Rade  eingeschnittene  Verzierungen,  Landschaften  und  derglei- 
chen auf,  deren  Hauptmeister  der  ältere  und  der  jüngere  Georg  Schwanhardt 
in  Nürnberg  waren.  Mit  dem  Eintritt  des  Hochbarock  am  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts gewinnt  dieser  Schnittdekor,  neben  dem  Tief  schnitt  auch  der 
seltenere  Hochschnitt,  in  cier  Glaskunst  die  Vorherrschaft.  Das  mit  den  acht- 
ziger Jahren  in  Aufnahme  gekommene  kristallklare  Kreideglas  mit  dicken 
Wandungen  ermöglichte  der  Schneidetechnik  diesen  Aufschwung.  In  den 
vieleckigen  Kuppaformen  und  in  den  facettierten  Balusterschäften  und  Dek- 
kelknäufen  dieser  gegossenen  und  durch  Schliff  bearbeiteten  ,, Kristallgläser" 
gibt  sich  das  plastische  Empfinden  des  Barock  markanten  Ausdruck.  Gewiß 
hat  die  Freude  des  Barock  am  Spiel  des  Lichtes  zu  der  merkwürdigen  Ent- 
faltung der  deutschen  Glasschneidekunst  an  der  Wende  des  17.  zum  18.  Jahr- 
hundert beigetragen.    In  diesem  Zeitpunkt  errang  das  Glas  auch  in  der  Aus- 

298 


Abb.  163.  Becher  mit  Blumen.  Böhmen,  um  1700 
Berlin,  Schloßmuseum 

stattung  der  vornehmen  Gemächer  eine  bedeutsame  Stellung,  um  nur  an  die 
Spiegeldekorationen  und  Glasvertäfelungen  der  Decken  und  Wände  in  der  Fa- 
vorite,  im  Grünen  Gewölbe,  in  der  Amalienburg  und  in  Würzburg,  ferner  an 
die  Kristall-  und  Glaskronen  und  an  die  Prunkschränke  zu  erinnern.  För- 
dernd mögen  auf  die  Ausbildung  des  Glasschnitts  in  Deutschland  die  ge- 
schnittenen Bergkristallgefäße  der  italienischen  Renaissance  eingewirkt  ha- 
ben, die  zu  den  Schaustücken  der  fürstlichen  Kunstkammern  gehörten  (Grü- 
nes Gewölbe).  Die  Hauptstätten  der  Glasfabrikation  und  Schneidekunst  ent- 
stehen in  Deutschböhmen,  in  Oberschlesien  am  Fuße  des  Riesengebirges  im 
Hirschberger  Tal,  in  Potsdam  und  in  Zechlin  in  der  Mark  Brandenburg.  In 
dem  ersten  Viertel  des  Jahrhunderts  haben  die  böhmischen  Meister  den  Vor- 
rang (Abb.  163).  Ihre  Pokale  zeichnen  sich  durch  ausdrucksvolle  Profile  und 
meist  durch  den  ornamentalen  Dekor  aus.  In  den  älteren  Werken  herrscht 
noch  das  krause  Rankenwerk;  um  17 10  tritt  an  seine  Stelle  das  Laub-  und 
Bandelwerk,  teilweise  in  Anlehnung  an  die  in  diesem  Jahre  erschienenen  Or- 
namentwerke Johann  Leonhard  Eislers  und  des  Schlüterschülers  Paul  Decker, 
dessen  „Groteskenwerk"  im  Titel  ausdrücklich  für  Goldschmiede  wie  für 
Glasschneider  als  Vorlagensammlung   empfohlen  wird.     Somit  berührt  sich 


299 


Abb.  164.    Pokal  mit  Monogr. 

Friedr.  Wilhelms  I.  von  Gottfr. 

Spiller,  um  1705 

Berlin,   Schloßmuseum 


Abb.  165.  Pokal  mit  Chinoiserien 

Schlesien,  um  1760 

Berlin,  Schloßmuseum 


auch  diese  abseitsliegende  Kunstindustrie  mit  dem  großen  Entwicklungs- 
gange der  deutschen  Barockformen.  Neben  derben  mythologischen  und 
Amorettenfiguren  werden,  und  dies  vor  allem  auf  den  schlichter  gebildeten 
brandenburgischen  Gläsern  der  Epoche  Friedrichs  I.  und  Friedrich  Wil- 
helms I.,  Fürstenbildnisse,  Monogramme  und  Gebäude  eingeschnitten  (Abb. 
164).  Ein  Meisterschneider  um  1700  war  der  von  dem  Großen  Kurfürsten 
1683  angestellte  Gottfried  Spiller  in  Potsdam.  Damals  wurde  von  dem  Che- 
miker und  Alchymisten  Kunkel  auf  der  Pfaueninsel  bei  Potsdam,  die  ihm 
der  Kurfürst  geschenkt  hatte,  kurze  Zeit  das  vielbesprochene  rote  Rubinglas 
erzeugt.    Bemerkenswert    ist    übrigens    die    Notiz    Nicolais,    daß    der  Eisen- 


300 


Abb.  i66.    Pokal,  geschnitten  von  A.  F.  Sang  in  Braun- 
schweig, um  1730.     Köln,  Kunstgewerbemuseum 

Schneider  und  Medailleur  der  Kurfürsten,  der  aus  Nürnberg  übergesiedelte 
Gottfried  Leygebe,  Formen  für  Zieraten  der  Potsdamer  Glashütten  herge- 
stellt hat;  womit  sich  wiederum  ein  Verbindungsweg  rückwärts  nach  der  al- 
ten Hauptstadt  der  deutschen  Kunstarbeit  der  Spätrenaissance  ergibt.  Län- 
ger als  anderswo  behauptet  sich  das  gedrängte  Barockornament  in  den  ge- 
schnittenen Gläsern,  bei  den  abgelegenen  böhmischen  und  schlesischen  Werk- 
stätten noch  besonders.   Die  große  Zeit  der  deutschen  Glasschneidekunst  war 


301 


eigentlich  die  des  Barock.  Mit  dem  Erlöschen  des  Barock  um  1740  verliert 
sich  die  plastisch  formende  Kraft  in  der  Bildung  der  Pokalkörper-  und 
-Schäfte.  Das  Ornament  und  die  Bilder  aus  dem  Schäfer-,  Amoretten-  und  Chi- 
nesenkreise geraten  unter  den  Einfluß  der  Augsburger  Stecher  (Abb.  165). 
Das  Werk  des  Glasschneiders  Chr.  Gottfried  Schneider  in  Warmbrunn,  um 
1740  bis  in  die  sechziger  Jahre,  veranschaulicht  am  besten  den  Rocaillestil  in 
der  Glasdekoration.  Eine  weitere  Dekorationsweise  des  Rokoko  ist  die  auf- 
geklebte Vergoldung  (Abb.  166).  Im  Beginn  der  siebziger  Jahre  wird  der 
spielerische  Rokokozierat  von  den  Gläsern  verbannt.  Wie  die  Gefäßformen 
der  Trinkgläser  alsbald  unter  dem  Einfluß  der  klassischen  Kunstlehren  sich 
glätten,  so  erstirbt  auch  die  Freude  an  dem  lustigen  Licht-  und  Schatten- 
spiel der  mit  Schnitt  bedeckten  schimmernden  Kristallgläser. 

Auf  die  vorwiegend  mit  Goldradierung  und  Rot  gemalten  G  o  1  d  z  w  i  - 
schengläser  (zwischen  zwei  Glaswandungen),  die  in  dem  Rokoko  ihre 
Blütezeit  erlebten,  sei  nur  hingewiesen. 


302 


Abb.  167.  Bühnenentwurf  der  Bibiena,  um  1740.  Berlin,  Bibl.  des  Kunstgewerbemuseums 


25.   DIE  KUNST  DES  THEATERS 

Die  Oper  und  das  Schauspiel  haben  an  den  deutschen  Höfen  des  1 8.  Jahrhun- 
derts eine  Rolle  gespielt,  von  der  sich  die  Gegenwart  kaum  eine  Vorstel- 
lung machen  kann.  Auf  den  Bau,  die  Einrichtung  und  Ausstattung  der  Opern- 
und  Komödienhäuser  hat  die  Epoche  eine  unbegreifliche  Fülle  künstlerischer 
und  technischer  Kraft  verwendet-').  Nur  noch  wenige  Theaterräume,  und  nicht 
die  stattlichsten,  sind  uns  aus  dem  18.  Jahrhundert  erhalten  —  das  Markgräf- 
liche Opernhaus  in  Bayreuth,  das  Kurfürstliche  Hoftheater  in  München,Fried- 
richs  des  Großen  Bühne  im  Neuen  Palais,  Karl  Theodors  Schauspielhaus  im 
Schwetzinger  Schloßgarten  und  das  des  Prinzen  Heinrich  in  Rheinsberg.  Sie 
alle  sind  ihrer  Kulissen  beraubt.  Der  Glanz  des  Zuschauerraums  ist  verblaßt; 
kalte  Moderluft  weht  durch  die  öden  Räume.  Verklungen  ist  der  schmel- 
zende bei  canto  der  italienischen  Sänger,  das  Lachen  und  Klagen  der  Scara- 
muzzi  und  Kolombinen  und  die  Musik  des  Orchesters.  Aber  zahlreiche  Kup- 
ferstiche und  Entwürfe  setzen  uns  in  den  Stand,  das  Theaterwesen  des  Jahr- 
hunderts wenigstens  vor  unserem  geistigen  Auge  auferstehen  zu  lassen. 


303 


Die  italienische  Oper,  die  mit  dem  Barock  in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts erblüht  war,  hatte  seit  dem  späteren  17.  Jahrhundert  —  als  das 
wichtigste  Glied  der  höfischen  Feste  —  das  Theater  der  deutschen  Residen- 
zen völlig  in  Besitz  genommen.  Die  Oper  ist  der  Glanzpunkt  all  der  wochen- 
langen Krönungs-,  Vermählungs-,  Geburts-  und  Einzugsfeste,  in  denen  sich 
die  Höfe  von  Wien.  Dresden.  München  und  Düsseldorf  nicht  genugtun 
konnten. 

Prunkopem  und  Ballette  waren  auch  die  beliebtesten  Darbietungen  der 
großen  Karnevalsfeiem. 

Die  Dekorationen  der  Bühne  und  des  Zuschauerhauses  ergänzten  einan- 
der. Die  festlich  geputzte  Zuschauermenge,  um  den  glänzenden  Fürstenhof 
in  der  säulenflankierten  und  samtdrapierten  Mittelloge  gruppiert,  in  dem 
Schein  vieler  Tausenden  von  Kerzen  des  Kronleuchters  bildete  mit  Sängern 
und  Schauspielern  ein  Ganzes.  Der  Boden  des  Parterres  und  des  Orchesters 
wurden  anläßlich  der  Karnevals-  und  Hofbälle  auf  eine  Höhe  mit  dem  Büh- 
nenboden gehoben.  In  Knobelsdorffs  Berliner  Opernhause,  das  in  architek- 
tonischer Hinsicht  die  bedeutendste  deutsche  Schöpfung  dieser  Gattung  war, 
wurde  das  Bühnenhaus  bei  diesen  Anlässen  in  einen  korinthischen  Saal  mit 
Kaskaden  und  Najaden  verwandelt;  der  über  dem  Foyer  gelagerte  Apollo- 
saal mit  atlantengestützter  Galerie  wurde  hinzugezogen.  So  wogte  das  far- 
benbunte Meer  der  Ballgesellschaft  unter  dem  säulengetragenen  Triumph- 
bogen des  Proszeniums  hin  und  her.  Zuweilen  nehmen  die  Fürsten  mit  ihren 
Damen  an  den  Balletten  teil.  Allegorische  Prunkaufzüge.  Ritterspiele  und 
Turniere,  die  auch  im  Freien,  in  den  Schloßhöfen  und  in  den  Parks  aufge- 
führt wurden  —  die  Leser  erinnern  sich  der  in  dem  Dresdener  Zwinger  abge- 
haltenen Schauspiele  — ,  wurden  im  Barock  auch  noch  auf  den  Bühnen  ab- 
gehalten. Rauschende  Apotheosen,  die  den  Ruhm  des  Landesherrn  verherr- 
lichen, durften  nicht  fehlen.  Unter  Blitz  und  Donner,  auf  Wolken  und  stür- 
mischen Meereswogen  erscheinen  die  olympischen  Götter,  um  in  allego- 
rischen Schauspielen  den  anwesenden  Landesherrn  und  sein  Haus  zu  vergöt- 
tern. So  geht  der  Oper  Servio  Tullio.  einer  von  Stefani  komponierten  Dich- 
tung des  Terzago,  die  aus  Anlaß  der  Vermählungsfeier  Max  Emanuels  mit 
Maria  Antonia.  Kaiser  Leopolds  I.  Tochter.  1686  aufgeführt  wurde,  ein  Pro- 
log voraus,  der  den  Servius  TuUius  als  den  Ahnherrn  Max  Emanuels  feiert. 
Trompeter-  und  Paukerchöre,  die  auf  den  Seiten  des  Parketts  oder  in  Logen 
aufgestellt  waren,  fielen  bei  den  Steigerungen  in  die  Musik  des  Orchesters 
ein.  Die  Leidenschaft  des  Barock  für  das  Lautschallende,  für  das  Rau- 
schende, für  starke  Licht-  und  Schattengegensätze,  für  wunderbare,  überra- 
schend eintretende  Verwandlungen  ergeht  sich  mit  ungehemmter  Lust.  Einen 

304 


Abb.  i68.     Bühnenentwurf  der  Galli  Bibiena,  um  1740 
Berlin,  Bibliothek  des  Kunstgewerbemuseums 


Schmitz,  18.  Jahrh,     20 


305 


Anfang  stellt  die  zur  Geburtstagsfeier  Josephs  I.  vor  Kaiser  Leopold  1678  auf- 
geführte Oper  „La  Monarchia  latina  trionfante",  ein  von  Draghi  komponier- 
tes Dichtwerk  Minatos,  dar.  Höhepunkte  sind  die  um  1700  aufgeführten 
Opern  ,,La  Monarchia  stabilita",  die  in  Düsseldorf  vor  Jan  Wilhelm  und  sei- 
nem Gaste  Karl  III.  von  Spanien,  unserem  späteren  Karl  VI.  stattfand,  sowie 
Stefanis  Oper  ,, Heinrich  der  Löwe",  mit  der  das  Kurfürstliche  Opernhaus  in 
Hannover  eingeweiht  wurde.  Damit  beginnt  die  Glanzzeit  der  italienischen 
Oper,  deren  Hauptförderer  Karl  VI.  in  Wien,  sowie  August  der  Starke  in 
Dresden  und  Friedrich  der  Große  in  Berlin  während  des  Rokoko  gewesen 
sind.  Die  Herrschaft  der  Familie  Galli  Bibiena  beherrscht  den  deutschen 
Theaterbau  und  die  Bühnendekoration  von  nun  ab  bis  zum  Abblühen  des  Ro- 
kokostils fast  uneingeschränkt.  Als  erster  tritt  in  Wien  Francesco  Galli  Bi- 
biena unter  Kaiser  Leopold  auf:  es  ist  derselbe,  der  mit  Fischer  von  Er  lach 
um  die  Dekorationen  bei  Josephs  I.  Einzug  und  später  um  die  Karlskirche 
konkurrierte  und  der  Verfasser  des  Werkes:  ,,L'archittura  maestra  delli  Arti 
che  la  compongono".  Als  Theaterarchitekt  gewinnt  grundlegende  Bedeutung 
sein  Bruder  Ferdinando  Galli  Bibiena.  Am  Hofe  Ranuccios  IL  Farnese  in 
Parma  hatte  er  bereits  eine  fruchtbare  Wirksamkeit  ausgeübt  und  in  Madrid 
als  Fest-  und  Theaterarchitekt  Karls  III.  gelebt,  als  ihn  dieser  im  Jahre  1712 
nach  Wien  berief.  Hier  hat  er  eine  Anzahl  der  Freuden-  und  Trauerdekora- 
tionen geschaffen,  als  der  Nachfolger  Burnacinis  und  zugleich  mit  der  gewal- 
tigen Bautätigkeit,  die  nach  dem  Rastatter  Frieden  einsetzte.  Für  das  Bühnen- 
wesen war  sein  Schaffen  von  umwälzender  Bedeutung.  Er  setzte  an  die  Stelle 
der  älteren  Barockdekoration,  die  Kulissen  und  Hintergrundsprospekt  pa- 
rallel zur  Vordergrundsebene  anordnete,  eine  Schrägstellung  der  Pro- 
spekte. Dadurch  verkürzten  sich  die  Linien  nach  verschiedenen  Augenpunk- 
ten. Ferdinando  Bibiena  befreit  also  die  Bühnenbilder  von  der  architektonisch 
klaren  Perspektive  mit  einem  Fluchtpunkt,  die  in  den  älteren  Barocktheatern 
in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  gebräuchlich  war.  Der  Gipfel- 
punkt darin  war  von  Andrea  Pozzo  erreicht  worden;  der  Jesuitenpater  hat 
gerade  in  der  Schöpfung  der  ,,theatra  sacra"  für  die  Kirchen  seine  Vollendung 
in  der  Perspektivkunst  entwickelt.  Pozzo  ist  deshalb  in  gleicherweise  bahn- 
brechend für  die  Deckenmalerei  wie  für  die  Theatermalerei  um  1700  ge- 
worden. Es  ist  bemerkenswert,  daß  Wien  diesen  großen  Perspektivkünstler 
an  sich  zog  eben  in  dem  Augenblicke,  als  die  Raumkunst  Fischer  von  Er- 
lachs  und  Hildebrands  aufging.  Die  Fortsetzer  seiner  Ideen  in  den  späteren 
Barock  und  bis  zum  Rokoko  hinein  sind  die  Galli  Bibiena.  Ihre  Schöpfun- 
gen sind  geistesverwandt  den  Kirchen-  und  Schloßräumen,  die  Fischer  und 
Hildebrand  und  ihre  Schule  schufen.    Als  der  Vater   1723  zurücktrat,  war 

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sein  Sohn,  Giuseppe  Galli  Bibiena,  bereits  zur  Meisterschaft  herange- 
wachsen. Giuseppe  hat  die  Stellung  des  Vaters  eingenommen  und  den  Ruhm 
der  Familie  auf  den  Gipfel  gebracht.  Für  seinen  Herrn,  Karl  VI.,  schuf  er 
bereits  17 16  die  Dekorationen  zu  der  großen  Oper  ,,Die  über  die  Alcina  ob- 
siegende Angelica",  die  auf  dem  Teich  der  kaiserlichen  Favorite  gesungen 
wurde,  im  Jahre  1723  noch  unter  seinem  Vater  das  offene  Theater  in  Prag  für 
die  böhmische  Krönungsfeier,  und  die  berühmte  Dekoration  der  Winterreit- 
schule (1740).  Dem  Kaiser  ist  auch  das  monumentale  Prachtwerk  Giuseppes 
gewidmet,  das  das  Können  der  Bibiena  über  den  festlichen  Augenblick  ver- 
ewigt hat:  die  ,,Architettura  e  prospettiva"  1740,  Augsburg,  gestochen  von 
Pfeffel,  Kleiner,  Schmuzer  u.  a.  Den  Siegeszug  des  Giuseppe  durch  Deutsch- 
land, seine  Bühnenschöpfungen  in  Dresden,  in  München  zur  Vermählung 
Karl  Alberts  mit  Maria  Josepha,  Kaiser  Josephs  I.  Tochter,  abermals  in  Dres- 
den und  Warschau  für  August  III.  und  in  dem  Jahrzehnt  vor  dem  Sieben- 
jährigen Kriege  für  Friedrichs  des  Großen  Oper  in  Berlin,  verfolgen  wir 
nicht.  Sein  Bruder  Allessandro  Galli  Bibiena,  mit  dem  Vater  seit  17 12  in 
Wien  tätig,  folgte  einem  Rufe  des  Kurfürsten  Karl  Philipp  nach  Mannheim. 
Hier  leitete  er  nicht  nur  die  Opern  und  Feste  des  Hofes  und  erbaute  1737  bis 
1742  das  zugrundegegangene  Opernhaus,  sondern  er  beherrschte  auch  das 
fürstliche  Bauwesen.  Neben  den  Galli  Bibiena  waren  noch  andere  Italiener 
als  Theaterarchitekten  und  Maler  tätig,  wie  die  Mauro  in  München  und  Dres- 
den und  später  Bellavita  in  Berlin,  der  gemeinsam  mit  Giuseppe  Opern- 
dekorationen für  das  Knobelsdorffsche  Gebäude  malte.  Sein  Nachfolger 
Verona  führt  bereits  bis  in  den  Ausgang  des  Jahrhunderts.  Unter  den  deut- 
schen Theatermalern  hatte  um  1700  der  in  Rom  ausgebildete  Harms  in  Dres- 
den und  Braunschweig  Rühmliches  geschaffen.  In  München  blühte  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  die  Familie  Quaglio. 

In  den  Bühnenprospekten  des  Giuseppe  Galli  Bibiena  und  seiner  Richtung 
enthüllt  sich  der  in  dem  Barock  wirkende  künstlerische  Geist  mit  seiner  vollen 
Gewalt  (Abb.  167,  168).  Ungeheure  Feenpaläste,  riesige  Säulenhallen,  gewaltige 
Gewölbe  und  Pfeiler,  Galerien  und  Treppen  schieben  sich  ineinander  und  zie- 
hen den  Blick  in  weite  Fernen.  Gärten  und  Grotten  versetzen  uns  in  eine 
Zauberwelt,  die  alle  Vorstellungen  von  den  Gärten  der  Semiramis  und  Ar- 
mida übertreffen.  Ein  sinnberückender  Reichtum  aller  erdenklichen  Zieraten 
ist  über  die  Bauten  gebreitet.  Alle  Gesetze  der  Architektur  scheinen  aufge- 
hoben. Licht  und  Wolkenschatten  verstärken  den  zauberhaften  Eindruck. 
Dieser  Welt  der  Phantastik  entstammen  auch  die  Kostüme  der  Figuren,  wo- 
zu ebenfalls  die  Theaterarchitekten  die  Modelle  lieferten.  Ob  es  sich  um  die 
Gestalten  der  italienischen  Oper  und  Komödie,  ob  um  die  der  französischen 

308 


Abb.  170.    Scaramuz  und  Kolombine,  nach  Kandier,  um  1745.    Berlin,  Schloßmuseum 

Tragödien  handelt:  die  Götter  und  Helden  des  Altertums,  die  abenteuernden 
Ritter  und  verwunschenen  Prinzessinnen  der  Renaissancedichtung,  die  Pier- 
ros,  Dottori  und  Kolombinen  der  italienischen  comedia  dell'arte,  sie  sind  keine 
Geschöpfe  der  Wirklichkeit,  sondern  der  Phantasie  des  Barock.  Der  ideale 
Stil  der  Theaterdichtung  dieses  Jahrhunderts  ist  auch  der  der  Aufführung. 
Die  unter  der  Direktion  großer  Baukünstler  von  allen  Künsten  des  Auges, 
des  Ohres  und  des  Gedankens  geschaffenen  Prunkopern  geben  kein  Abbild 
des  Lebens,  wie  es  ist.  Sie  versetzen  Geist  und  Sinne  in  einen  erhöhten  Zu- 
stand, und  alles  menschliche  Handeln  ist  zum  Allgemeinen  erhoben.  Das  Ty- 
pische und  Allegorische  empfand  diese  Epoche  als  das  im  höchsten  Grade 
Künstlerische.  Daher  die  Leidenschaft  für  die  italienische  Charakterkomödie. 
Darum  gelang  dem  Barock  auch  die  Vereinigung  der  gegensätzlichen  Künste 
in  der  Oper:  des  gesprochenen  Wortes,  des  Orchesters  und  der  Raumkunst. 
Somit  ist  es  klar,  welche  belebenden  Kräfte,  ganz  abgesehen  von  der  unmit- 
telbaren Befruchtung,  aus  der  Opern-  und  Schauspielkunst  dieser  Epoche  auf 
die  gesamte  künstlerische  Empfindung  des  Jahrhunderts  ausströmen  mußten. 
Über  den  Rahmen  dieses  Buches  würde  eine  Erörterung  darüber  hinaus- 


309 


gehen :  wie  sich  der  musikalische  und  dichterische  Stil  der  italienischen  Oper 
und  Dramatik  selbst  vom  frühen  Barock  bis  zum  Höhepunkt  des  Rokoko  ge- 
wandelt hat.  Durch  eine  solche  Untersuchung  müßten  sich  die  tiefsten  Auf- 
schlüsse über  die  Wechselbeziehung  des  Raum-  und  Dekorationsempfindens 
mit  der  Musik  und  dem  dichterischen  Gefühl  gewinnen  lassen.  Insbesondere 
würde  das  Schaffen  der  deutschen  Komponisten  interessieren,  die  in  der  er- 
sten Hälfte  des  Jahrhunderts  italienische  Opernmusik  geschrieben  haben.  Im 
Barock  war  dies  Händel,  dessen  Wirken  zum  größten  Teile  auf  dem  Boden 
Londons  liegt;  für  das  Rokoko  sind  es  Hasse,  der  seine  größten  Triumphe  am 
Hofe  Augusts  III.  in  Dresden  feierte,  und  Graun,  der  Kapellmeister  Fried- 
richs des  Großen  bereits  in  der  Rheinsberger  Kronprinzenzeit  und  der  Schöp- 
fer der  Berliner  Oper  nach  des  Königs  Thronbesteigung.  Die  Gegenstände 
der  von  Graun  und  Hasse  komponierten  Opern  sind  die  der  italienischen  Oper, 
Darstellungen  der  Liebesleidenschaft,  der  Kämpfe  und  Abenteuer  der  Helden 
des  Altertums,  die  seit  der  Renaissance  die  Lieblinge  der  Roman-  und  Dra- 
mendichtung waren.  Auch  Glucks  Opern  wurzeln  noch  sehr  stark  in  diesem 
Kreise.  Um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  beginnt  vereinzelt  neben  der  italieni- 
schen Prunkoper  ein  durch  die  französische  Tragödie  genährter  strengerer 
Geschmack  in  den  Kulissen  und  Prospekten  Fuß  zu  fassen.  Ein  Hauptträger 
dieses  französischen  Stils  war  Servandoni  in  Paris,  der  um  die  Mitte  des 
Jahrhunderts  in  Dresden  Beifall  errang. 

Die  Glanzepoche  der  italienischen  Prunkoper  in  Deutschland  erlosch  mit 
dem  Ausbruch  des  Siebenjährigen  Krieges,  der  besonders  dem  festlichen  Hof- 
leben in  Wien,  in  Dresden  und  Berlin  den  heftigsten  Schlag  versetzte. 

Über  die  Architektur  der  Opernhäuser  des  deutschen  Barock 
und  Rokoko  müssen  wenige  Andeutungen  genügen.  Das  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  in  Italien  eingeführte  Logensystem  des  italienischen  Thea- 
ters findet  sich  bereits  in  den  ersten  deutschen  Barocktheatern  angewendet; 
so  in  dem  Wiener  von  Burnacini  1678  und  in  dem  Münchner  Opernhaus  Sant 
Salvator,  das  schon  1657  von  Santurini  errichtet  wurde  und  zwar  für  den 
Kurfürsten  Ferdinand  Maria  und  seine  Gemahlin,  die  savoyische  Prinzessin 
Adelaide,  die  also  auch  hier,  wie  im  Kirchen-  und  Schloßbau,  eine  Vorkämp- 
ferin des  italienischen  Geschmacks  in  Deutschland  ist.  Diesen  beiden  schließt 
sich  an  das  von  dem  Oberlandbaumeister  von  Klengel  für  den  Kurfürsten 
Johann  Georg  III.  1667  erbaute  Komödienhaus  nach  italienischer  Art  in  Dres- 
den. Der  Aufschwung  zu  großartiger  Gestaltung  der  langovalen  Zuschauer- 
räume und  der  tiefen  Bühnen  setzt  mit  dem  vollen  Barock  am  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  ein.  Das  von  Giusti  für  den  Kurfürsten  Ernst  August  er- 
baute Opernhaus  in  Hannover,  sowie  die  17 18 — 17 19  erfolgte  Umgestaltung 

310 


Abb.  171.    Opernhaus  in  Bayreuth,  von  Giuseppe  und  Carlo  Galli  Bibiena,  1745 


311 


des  Dresdener  Opernhauses  durch  zwei  Mitglieder  der  Familie  Mauro  aus 
Venedig,  das  um  1740  von  Allessandro  Galli  Bibiena  erbaute  Mannheimer 
Opernhaus  und  das  gleichzeitig  entstandene  Berliner  von  Knobelsdorff  wie 
das  auf  Betreiben  von  Friedrichs  Schwester,  der  Markgräfin  von  Bayreuth, 
von  den  Bibiena  1745  errichtete,  noch  erhaltene  in  Bayreuth  (Abb.  171) 
und  endlich  das  um  1750  entstandene  Warschauer  Opernhaus  Augusts  III. 
veranschaulichen  die  Entwicklung  in  den  Hauptdenkmälern.  Auch  hier  offen- 
bart sich  die  Durchdringung  der  älteren  italienischen  Kunstformen  mit  den 
französischen  wie  in  der  deutschen  Schloßarchitektur.  Man  beachte,  wie 
das  im  prunkenden  italienischen  Spätbarock  eingerichtete  Bayreuther  Opern- 
haus, das  in  der  triumphalen  Komposition  der  Hofloge  Gius.  Bibienas 
Meisterhand  bekundet,  eine  Fassade  im  klassischen  Geschmack  von  dem 
Franzosen  St.  Pierre  erhält.  Französische  Gedanken  finden  sich  auch  im  In- 
nern von  Cuvillies  Residenztheater  in  München  und  von  Knobelsdorffs 
Opernhaus  eingemischt.  Von  dem  bewegten  Rokoko  dieser  Meister  entfernt 
sich  das  von  Pigage  erbaute  Schwetzinger  Theater,  während  das  um  1765 
für  Friedrich  den  Großen  im  Neuen  Palais  errichtete  Theater  bezeichnender- 
weise auf  das  Knobelsdorffsche  Schloßtheater  zurückgreift.  Die  französische 
Ranganordnung  zeigte  wie  das  Schwetzinger  kleine  Theater  auch  der  durch 
de  la  Guepiere  vollendete  Umbau  des  Stuttgarter  Opernhauses.  Die  Ausstat- 
tung der  Opernhäuser  zog  bis  in  diese  Spätzeit  des  Rokoko  hinein  heitere 
und  spielerische  Formen,  bewegte  Atlanten  und  verschnörkelte  Konsolen  als 
Stützen  der  Logen  vor.  Das  so  ganz  eigentümliche  und  hohe  Stilgefühl  die- 
ses Jahrhunderts  enthüllt  sich  am  deutlichsten  darin :  daß  die  eigentliche  Ar- 
chitektur von  dem  strengsten  Maßgefühl  beherrscht  wird,  während  in  der 
Dekoration  und  der  Bühnenausstattung  des  Theaterraumes  das  leichte  Spiel 
der  Phantasie  zu  walten  scheint. 


312 


26.    DIE    GARTENKUNST 

Als  der  wichtigste  Schauplatz  der  Vergnügungen  der  höfischen  und  vor- 
t  nehmen  Gesellschaft  steht  der  Garten  des  Barock  und  Rokoko  geradezu  im 
Mittelpunkt  des  künstlerischen  und  geistigen  Lebens  des  Jahrhunderts.  In 
ihm  offenbart  sich  das  besonders  geartete  Verhältnis  zur  Natur  mit  der  größ- 
ten Deutlichkeit.  Der  Garten  ist  ein  Spiegelbild  des  Seelenlebens  dieser  Epoche 
—  in  der  Folgezeit  betätigt  sich  das  dichterische  Empfinden  gerade  in  der 
Ausgestaltung  der  Gärten  —  umgekehrt  gehen  von  diesen  mächtige  Anre- 
gungen auf  die  erwachende  deutsche  Poesie  über.  Der  Garten  ist  das  wich- 
tigste Verbindungsglied  zwischen  der  früheren  und  späteren  Hälfte  des 
i8.  Jahrhunderts. 

Das  Wesen  des  Barockgartens  beruht  in  dem  engsten  Verhältnis  zur  Ar- 


313 


Abb.  172.     Fontäne  und  Lattenwerk  in  Mirabell  bei  Salzburg,  um  1700 

chitektur.  Er  ist  Architektur.  Die  raumbildenden  Faktoren,  die  den  Grundriß 
und  Aufriß  des  Schloßgebäudes  bestimmen,  gestalten  auch  die  Anlage  und 
Einteilung  des  angrenzenden  Gartens.  Nur  entfalten  sie  sich  auf  der  Fläche 
in  die  Breite.  Die  älteren  Barock  gärten  erstrecken  sich  immer  nur  in 
der  Breite  der  Schloßfront,  oder  einschließlich  der  Nebenflügel,  und  ihre  Tiefe 
ist  ebenfalls  begrenzt  durch  die  Maße  des  Gebäudes.  Die  Mehrzahl  der  Gär- 
ten, in  allen  Fällen  dort,  wo  es  sich  um  völlige  Neuschöpfungen  handelt,  hat 
die  Form  eines  länglichen  Rechtecks,  das  auf  den  drei  freien  Seiten  durch 
Mauern,  Gräben  und  Alleen  aufs  schärfste  gegen  die  umgebende  Landschaft 
abgeschlossen  ist  (Bruchsal  und  Favorite).  Mit  Vorliebe  wird  auch  die  Rück- 
seite des  Gartens  durch  ein  langgestrecktes  Gebäude,  eine  Orangerie  oder 
Gloriette  abgeschlossen,  so  daß  der  Gartenraum  zwischen  die  Gebäude  ein- 
gespannt erscheint  (ehemaliger  Lustgarten  in  Berlin,  Belvedere  in  Wien 
[vgl.  Abb.  71],  Schloß  Ludwigsburg  und  Favorite  dahinter).  Die  Wege, 
die  Plätze,  die  Beete  und  Gebüsche  des  Gartens  unterliegen  der  strengsten 
geometrischen  Anordnung. 

Demgemäß  geht  die  Entwicklung  der  deutschen  Gartenkunst  zusammen 
mit  der  des  Schloßbaues.    Der  Renaissancegarten  war  in  der  Zeit  vor  dem 


314 


Abb.  173.     Gartentheater  in  Mirabell  bei  Salzburg,  um  1700 

Dreißigjährigen  Kriege  an  den  Höfen  von  München  und  Wien  aufgenommen 
worden.  Während  des  Krieges  entstehen  bedeutende  Anlagen  der  Art  in  Hei- 
delberg, in  Böhmen  durch  Wallenstein  und  in  Dresden  durch  den  Kurfürsten 
von  Sachsen.  Nach  dem  Kriege  treten  die  norddeutschen  Höfe,  vor  allem 
Brandenburg,  in  die  Reihe  der  Gartenliebhaber  ein.  Es  beginnt  eine  allge- 
meine Leidenschaft  für  die  Gartenkunst  zugleich  mit  dem  lebhaft  geweckten 
Interesse  für  edle  Baum-  und  Blumenzucht.  Mächtige  Antriebe  kamen  durch 
die  einwandernden  holländischen  Gärtner.  Durch  sie  wurde  die  Veredlung 
der  Ostbäume  und  die  Pflege  neuer  Blumensorten,  wie  der  Tulpen  und  Hya- 
zinthen, begründet.  Nach  holländischen  Mustern  legte  der  Große  Kurfürst 
den  Lustgarten  hinter  dem  Berliner  Schlosse  an  und  von  dort  die  Allee  zum 
Tiergarten,  die  heutige  Straße  ,, Unter  den  Linden".  Das  Wesen  des  Garten- 
stils der  Renaissance  beruht  in  der  strengen  Gliederung  des  Gartens  in  eine 
Reihe  gleichwertiger  Abschnitte.  Sie  werden  durch  Steinbalustraden, 
Statuenreihen,  glattgeschorene  Heckenwände,  Gitter,  Laubengänge  und 
Baumreihen  voneinander  abgegrenzt.  Im  holländischen  Garten  ist  diese 
schachbrettartige  Zerlegung  des  Grundrisses  durch  das  ebene  Terrain  und 
durch  Einziehung  gerader  Kanäle  am  stärksten  ausgesprochen.    Es  fand  in 


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Abb.  174.     Park  des  Belvedera  in  Wien.     Anfang  18.  Jahrhunderts 

Niederdeutschland  und  in  den  ebenen  Teilen  Sachsens  Verbreitung.  Dagegen 
hatte  der  italienische  Garten  des  17.  Jahrhunderts,  der  in  der  hügel-  und 
felsreichen  Umgebung  Roms  entstanden  war,  eine  Vorliebe  für  bewegteres 
Relief  und  gedrängtere  Komposition.  Terrassen,  Treppen,  Balustraden  und 
Felsengrotten,  die  der  Plastik  reiche  Entfaltungsmöglichkeit  gaben,  stür- 
zende Wasserfälle  und  Fontänen  waren  hier  Hauptmittel  des  Gartenkünst- 
lers. Diese  Gedanken  finden  sich  denn  auch  in  den  älteren  Barockgärten  um 
Salzburg  (Mirabell,  Schloß  und  Garten  um  1689  begonnen  wahrscheinlich 
unter  Leitung  Bernh.  Fischer  von  Erlachs),  Wien  (Schwarzenberggarten. 
Belvedere  [Abb.  174],  in  dem  Zwingergarten  in  Dresden,  in  der  Favorite  bei 
Mainz  und  namentlich  —  um  das  heute  noch  berühmteste  Werk  zu  nennen, 
in  der  Kaskade  mit  dem  Herkules  hinter  Wilhelmshöhe.  Sie  wurde  um  1700 
für  den  aus  Rom  zurückgekehrten  Landgrafen  Karl  von  Hessen  von  Guer- 
nieri  geschaffen.  Stärker  noch  als  die  meist  verschwundenen  oder  umgestal- 
teten Gärten  selbst  zeugen  die  Marmorbildwerke  der  italienischen  Plastiker 
von  dem  Einfluß,  den  die  italienische  Kunst  in  dem  deutschen  Garten  des  Ba- 
rock ausgeübt  hat,  um  nur  nochmals  an  die  Werke  Darias  und  Mostos  in 
Salzburg,  Mattiellis  und  Corradinis  in  Wien  und  Dresden  zu  erinnern. 


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Eines  ist  dem  italienischen  wie  dem  holländischen  Garten  des  17.  Jahr- 
hunderts gemeinsam  und  wird  auch  für  den  Garten  des  deutschen  Barock 
bestimmend:  die  völlige  Unterordnung  der  Bepflanzung  unter  die  Linien  der 
Architektur.  Die  Bäume  und  Sträucher  werden  zu  grünen  Wänden,  Pyrami- 
den, Kugeln  oder  sonstigen  geometrischen  Körpern  zugeschnitten.  Sie  haben 
eine  raumbildende  Rolle,  genau  so  wie  die  Gebäude  und  Statuen,  zu  über- 
nehmen. In  den  Naturtheatern  bilden  sie  die  Kulissen.  Bei  den  Balletten  und 
Reiterspielen  werden  immergrüne  Pyramiden  und  Kugelbäume  in  Holz- 
kübeln reihenweise  versetzt,  so  im  Parterre  des  Großen  Gartens  in  Dresden. 
Diese  Erscheinung  gibt  über  das  Stilempfinden  des  Barock  den  klarsten  Auf- 
schluß. So  völlig  ist  auch  das  Gartenschaffen  dem  Architekten  unterworfen, 
daß  der  Baum,  die  Pflanze  als  Einzelwesen  zurücktreten.  Die  südlichen 
immergrünen  Bäume  und  Sträucher,  Buchse,  Myrten,  Zypressen,  Lorbeer, 
Orangen,  Zitronen,  Oleander,  Granaten  und  Zedern  mit  ihrem  dunkeln  und 
dichten  Laub  sind  daher  seit  der  Renaissance  in  immer  wachsendem  Maße 
die  tonangebenden  Gewächse  auch  der  deutschen  Parks  geworden.  Mit  dem 
Barock  entwickelt  sich  auf  deutschem  Boden  eine  hohe  Kultur  dieser  Gattun- 
gen. Die  Fürsten  wetteifern  in  der  Anlage  von  Züchtereien.  Die  Orangerie 
darf  in  keinem  fürstlichen  Garten  fehlen.  Sie  nimmt  inmitten  der  Gewächs- 
häuser einen  Saal  für  festliche  Gesellschaften  auf,  so  daß  die  Gäste  zwischen 
den  südlichen  Bäumen  wandelnd  durch  die  bis  zur  Erde  reichenden  Fenster 
den  Garten  überblicken  können  (Charlottenburger  Orangerie  mit  Prachtsaal 
von  Eosander  1703,  Orangerie  von  Welsch  in  Fulda,  von  De  la  Fosse  in 
Darmstadt,  von  du  Ry  in  Cassel).  Es  werden  aber  auch  die  einheimischen 
Laubbäume,  namentlich  die  Hainbuchen  und  Linden  zu  Wänden  und  Figu- 
ren zurechtgestutzt.  Die  Blumenbeete  werden  in  künstlichen  Mustern  „en 
broderie"  angelegt.  Die  Berainschen  und  Marotschen  Bandverschlingungen 
der  gestickten  Wandbekleidungen  kehren  hier  wieder.  Eine  Reihe  von  Vorla- 
genwerken beleuchten  die  bis  ins  Spielerische  gehende  Leidenschaft  für  der- 
artige Schnörkeleien.  Der  Barock  entwickelt  also  seine  Gartenschönheit  nicht 
aus  der  heimatlichen  Natur.  Vielmehr  zwingt  er  dieser  eine  idealisierte 
fremde  Natur  auf.  Daher  auch  die  Neigung  zu  möglichst  flachen  Ebenen  bei 
Anlage  neuer  Schlösser  und  Parks.  Kein  künstlerisches  Empfinden  für  die 
deutsche  Berg-  und  Waldlandschaft.  Daher  auch  die  Freude  an  den  mehr 
plastischen  Laubformen  der  Kastanien,  der  Nußbäume,  der  Maulbeerbäume 
und  Linden,  mit  denen  die  Fürsten  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  die  Alleen 
bepflanzen  ließen.  Und  betrachtet  man  die  fremdartigen  Formen  der  Blumen 
und  Sträucher,  die  jetzt  tonangebend  werden,  der  Tulpen,  Hyazinthen,  Lev- 
koien,  des  Jasmins:  zeigt  sich  nicht  auch  darin  eine  ähnliche  Vorliebe?  Von 

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Abb.  176.     Malerei  eines  Türflügels  im  Würzburger  Schloß,  um  1740 


319 


hier  aus  gewinnt  die  Blumenmalerei  der  Wände,  der  Porzellane  und  Fayen- 
cen und  der  Gobelinzeichner  erst  ihren  Hintergrund   (Abb.  178). 

Diese  Mittel  einer  stilisierten  Natur  und  Gartenarchitektur  waren  am  Hofe 
Ludwigs  XIV.  durch  Lenötre  zu  einer  einheitlichen  Wirkung  zusammengefaßt 
worden.  An  Stelle  der  Nebeneinanderreihung  gleichwertiger  Abteilungen 
setzte  Lenötre  eine  große  Mittelachse,  um  die  sich  symmetrisch  alles 
übrige  gruppierte.  Die  sanft  abfallende  Neigung  des  ganzen  Terrains  trat 
hinzu,  um  den  Eindruck  des  Hauptdurchblicks  noch  majestätischer  zu  ma- 
chen. Versailles,  mitten  in  eine  wüste  Gegend  hineingeschaffen,  hat  die  neuen 
Ideen  am  großartigsten  verwirklicht:  es  wird  seit  der  Wende  zum  18.  Jahr- 
hundert das  Vorbild  auch  für  die  deutschen  Parks.  Französische  Gärtner  und 
Architekten  und  deutsche  in  Paris  geschulte  Künstler  verbreiten  den  fran- 
zösischen Gartenstil  mit  der  größten  Schnelligkeit.  Großartige  Beispiele,  die 
freilich  nur  in  den  Hauptzügen  noch  die  Grundgedanken  bewahren,  sind  der 
von  Sophie  Charlotte  geschaffene  Schloßgarten  von  Charlottenburg,  der 
Schloßgarten  von  Herrnhausen,  ein  Werk  des  Kurfürsten  Ernst  August  von 
Hannover,  der  Dresdener  Große  Garten  in  der  Gestalt,  die  ihm  August  der  Starke 
gab,  die  Parkschöpfungen  Max  Emanuels  in  Schleißheim  und  Nymphenburg 
(Abb.  175)  und  die  Gärten  von  Schönbrunn  bei  Wien  und  von  Pommersfelden. 
Bezeichnenderweise  sind  die  im  Anfang  des  Jahrhunderts  entstandenen  Parks 
meist  Vergrößerungen  von  kleineren  Gärten  des  17.  Jahrhunderts  nach  der 
Länge  hin.  Auf  die  Gewinnung  einer  breiten  durchgehenden  Mittelachse  im 
Anschluß  an  das  Parterre  vor  dem  Schlosse  wird  alles  vereinigt :  Rasenflächen, 
Blumenbeete,  Alleen,  Kanäle  und  seeartige  steingefaßte  Bassins,  von  den 
strengen  Linien  der  Baumkulissen  begleitet,  durchziehen  den  Garten  der 
Länge  nach  bis  zu  einem  Lust-  oder  Jagdschlosse  am  anderen  Ende.  Damit 
hat  der  Garten  genau  so  wie  das  Schloß  einen  beherrschenden  Mittelraum  er- 
halten und  gliedert  sich,  wie  das  Innere  des  Schlosses,  in  eine  von  dort  aus 
abgestufte  Gruppe  größerer  und  kleinerer  Raumabteilungen.  Zugleich  mit 
den  meisten  oben  genannten  Schloßbauten  im  ersten  Jahrhundertdrittel  ent- 
standen in  Deutschland  die  Parkanlagen  im  französischen  Geschmack.  Doch 
wurden  auch  im  Anschluß  an  ältere  Lust-  und  Jagdschlösser  französische 
Gärten  angelegt,  so  der  Schwetzinger  von  Kurfürst  Carl  Philipp,  der  Moritz- 
burger von  August  dem  Starken,  von  denen  beiden  noch  Grundlinien  erhal- 
ten sind.  Der  Adel  und  die  reichen  Kaufleute  in  den  Städten  wetteiferten  mit 
den  Fürsten  in  der  Gartenkunst.  Neben  Dresden  war  Leipzig  wegen  seiner 
Gärten  berühmt  (Rosenthal,  die  Boseschen  Gärten).  In  Berlin  zeichneten  sich 
die  um  1730  erbauten  Paläste  der  Wilhelmstraße  durch  ihre  bis  zumTiergar- 
ten  durchgehenden  schmalen  Gärten  aus.    Die  selbständige  Schöpferkraft  der 

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Schmitz,  iS.Jahrh,     21 


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deutschen  Meister  enthüllt  sich  in  dem  Geschick,  mit  dem  sie  die  neuen  Ideen 
nach  den  häufig  schwierigen  Bedingnissen  des  Geländes  abwandeln.  So  Welsch 
in  der  berühmten  Anlage  der  Favorite  bei  Mainz  und  in  dem  Orangeriegarten 
zu  Fulda,  Neumann  in  dem  Schloßgarten  zu  Würzburg,  der  in  dem  engen 
Winkel  der  Festungswerke  liegt.  Großartige  Werke  deutscher  Gartenkunst 
sind  fast  völlig  zugrunde  gegangen  wie  Pöppelmanns  Garten  des  Japanischen 
Palais,  der  mit  dem  Zwingergarten  auf  der  anderen  Eibseite  einen  Prospekt 
bilden  sollte. 

Mit  der  wachsenden  Raumweite  hat  die  Gartenkunst  des  späteren  Barock 
die  scharfe  Abgrenzung  gegen  die  anstoßende  Umgebung  verlassen.  Sie  geht 
dazu  über,  durch  Alleen  entfernte  Punkte  mit  dem  Schloß  und  Garten  in  Be- 
ziehung zu  setzen.  Ein  schönes  Beispiel  ist  das  Alleennetz  vom  Schlosse 
Schwedt  an  der  Oder;  eine  viereckige  Allee  führt  zu  dem  Lustsitz  Monplai- 
sier.  Die  Alleen  um  Schleißheim,  Schwetzingen,  Bonn,  Potsdam  sind  noch 
Zeugen  dieser  Zeit.  Die  an  den  Park  anschließenden  Wälder  werden  durch 
strahlenartige  Schneisen  gegliedert,  wie  in  Moritzburg  und  Benrath.  Es  wer- 
den am  Ende  des  Parks  auf  beiden  Seiten  Waldstücke,  Haine  oder  ,,boschetti" 
geschaffen,  in  denen  sich  der  freiere  Wuchs  der  Bäume  entwickeln  kann 
(Schwetzingen,  Rheinsberg). 

Das  gesellschaftliche  Element  im  Barockgarten  spricht  sich  aus  in  den  An- 
lagen von  Gartentheatern,  von  Schießständen,  Arenen  für  Kämpfe  wilder  Tiere 
(Wien,  Dresden),  Plätze  für  Wirtschaften,  Teiche  und  Kanäle  für  Gondel- 
fahrten und  Wasserfeste  (St.  Georgen  am  See  bei  Bayreuth,  wo  eine 
Miniaturflotte  auf  dem  See  stationierte). 

Der  Rokokostil  hat  die  Grundsätze  des  Barockgartens  beibehalten. 
Er  hat  oft  nur  das  Begonnene  fortgesetzt.  Eine  Wandlung  des  Geschmacks 
bekundet  sich  in  den  Einzelheiten.  Neben  den  Hauptachsen  entstehen  neue 
Gartenpartien,  in  denen  die  verschiedensten  Raumgestaltungen,  Rondelle, 
Irrgärten,  Berceaus,  Laubengänge  vereinigt  werden.  Hierin  äußert  sich  eine 
Verfeinerung,  eine  Abkehr  von  dem  Majestätischen  wie  dies  auch  in  den  Ro- 
kokoschlössern wahrzunehmen  ist.  Sogar  eine  ähnliche  geistreiche  Raum- 
gliederung und  Verknüpfung  durch  Gänge!  Die  Gartenschöpfungen  Fried- 
richs des  Großen  sind  die  wichtigsten  Leistungen  der  Zeit :  Die  von  Knobels- 
dorff  geschaffene  Umgestaltung  des  Tiergartens  seit  1740  (Abb.  177),  die 
Gärten  von  Rheinsberg  und  Sanssouci  und  der  des  Neuen  Palais.  Stets  die- 
ser feine  Wechsel  zwischen  Alleen  mit  runden  und  andersgeformten  Plätzen. 
Der  Garten  von  Veitshöchheim  ist  eine  der  glänzendsten  Rokokoschöpfun- 
gen. Neben  den  großen  beiden  Bassins,  entwickeln  sich  auf  beiden  Seiten  eine 
Reihe  von  Abschnitten  mit  den  köstlichsten  Laubengängen  und  heckenum- 

322 


Abb.  178.     Gartensaal  im  Schloß  in  Schönbrunn,  um  1770 

zäunten  Plätzen,  von  den  Bildwerken  des  Tietz  und  Wagner  belebt.  Die  nach 
dem  Siebenjährigen  Kriege  angelegten  Parks  weichen  von  den  architektoni- 
schen Formen  des  französischen  Stils  noch  nicht  ab.  Der  Garten  des  Neuen 
Palais,  der  Neuplatz  und  der  hinter  dem  Schloß  in  der  Zitadelle  angepflanzte 
Garten  in  Münster  nach  Schlauns  Plänen,  desgleichen  die  verschwundene 
umfangreiche  Parkanlage  der  Solitüde  bei  Stuttgart,  wie  auch  der  Schloß- 
park von  Ludwigslust  sind  dafür  Belege.    Unverkennbar  waltet  hier  noch  ein 


323 


großartiger  Zug  in  der  Anordnung  weiter,  alleebegrenzter  Plätze  in  Verbin- 
dung mit  ausstrahlenden  Alleen  und  Chausseen :  die  Anlagen  von  Münster 
und  Ludwigslust  sind  zugleich  Hauptzeugen  der  noch  lebendigen  städtebau- 
lichen Kraft. 

Nur  in  den  Waldstücken  am  Rande  des  Parks,  in  den  boschetti  und  Hainen 
des  Apollo  hat  sich  inzwischen  ein  freierer  Geist  eingenistet,  der  die  unge- 
regelte Stellung  der  Bäume  und  ihr  wildes  Wachstum  dem  strengen  Zu- 
schnitt des  Barockgartens  vorzieht. 


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27.  DER  GEIST  DES  DEUTSCHEN  ROKOKO 

Sieh  den  Schwan 

Umringt  von  seiner  frohen  Brut 

Sich  in  den  roten  Widerschein 

des  Himmels  tauchen!  .  .  . 

Wie  hebhch  flüstert  dort  im  Hain 

Der  schlanken  Espen  furchtsam  Laub 

Am  Ufer,  und  wie  reizend  fließt 

Die   Saat  in  grünen  Wellen  fort 

Und  rauscht  vom  Winde  sanft  bewegt. 

Ewald  von  Kleist  an  Salomo  Geßner  1757. 

Die  Entstehung    des   deutschen  Barock,  seine  höchste  Ausbildung  sowie 
seine    Entwicklung    zum    Rokoko    ist    somit    auf    allen   Kunstgebieten 
verfolgt  worden. 

Immer  wieder  ist  der  Weg  von  dem  Gebundenen  zu  dem  Bewegten  und 
schließlich  zu  der  Auflockerung  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  hinangegan- 
gen. Die  tiefgreifende  Wandlung  von  dem  älteren  strengen  Barock  des 
17.  Jahrhunderts  zu  dem  vollen  Barock  Schlüters  und  Fischer  von  Erlachs 
und  weiterhin  zu  dem  aufgelösten  Rokoko  des  späteren  Balthasar  Neumann, 
des  Joh.  Michael  Fischer  und  des  Knobelsdorff  spiegelt  sich  in  der  Gliederung 


325 


und  Raumbildung  der  Gebäude  so  gut  wie  in  allen  Zweigen  der  Kunst  und 
des  Kunsthandwerks. 

Es  ist  an  der  Zeit,  einen  Augenblick  auf  der  Höhe  des  Jahrhunderts  zu  ver- 
weilen und  zu  fragen,  in  welcher  Weise  die  äußeren  und  inneren  Umstände 
sowie  das  geistige  Gesicht  Deutschlands  sich  geändert  haben  im  Vergleich 
mit  der  in  den  ersten  Abschnitten  entworfenen  Sachlage  im  Anfang  des  Jahr- 
hunderts. 

Unerschüttert  ist  die  Stellung  der  Fürsten,  der  Kirche  und  des  Adels  wie 
im  Beginn  des  Jahrhunderts.  Überragend  ist  noch  immer  die  höfische  und 
religiöse  Kunst.  Äußerlich  ist  die  Vorherrschaft  der  ausländischen  Bildung, 
der  französischen  und  italienischen  Sprache  in  diesen  und  den  vornehmen 
städtischen  Kreisen  ungebrochen.  Die  französische  Kultur  hat  noch  tiefere 
Wurzeln  geschlagen.  Die  Schriften  der  Aufklärung  und  der  galanten  Dich- 
tung, die  Dramen  und  Schäferspiele  üben  eine  bedeutende  Einwirkung  auf 
die  in  den  dreißiger  Jahren  erblühende  Generation  der  besseren  Gesellschaft. 
Friedrich  der  Große  hat  bereits  in  den  Rheinsberger  Tagen  Voltaire  als  den 
neuen  Genius  des  Jahrhunderts  verehrt.  Seine  geistreiche  Schwester  Wilhel- 
mine von  Bayreuth,  die  Herzogin  von  Gotha  und  später  noch  Carl  Theodor 
von  der  Pfalz  waren  begeisterte  Förderer  Voltaires,  seiner  Schriften  und 
seiner  Dramen.  Zur  gleichen  Zeit  mit  der  Loslösung  des  Geistes  aus  dem  Ge- 
bundenen der  älteren  Epoche  war  die  Lockerung  in  der  Architektur  und  allen 
bildenden  Künsten  eingetreten.  Was  Meissonier  und  der  jüngere  Blondel  für 
die  Entwicklung  der  neuen  Bau-  und  Zierformen:  das  bedeuten  Voltaire  und 
seine  Mitkämpfer  für  die  Umwandlung  der  geistigen  Bildung. 

Sie  sind  anders  geartet,  die  Träger  dieses  neuen  Geschmacks,  die  deut- 
schen Fürsten  des  Rokoko  als  ihre  Väter!  Der  Kaiser  Karl  VI.  (f  1740)  bleibt 
bis  ans  Ende  dem  Barock,  in  dem  seine  Künstler  die  höchsten  Triumphe  ge- 
feiert, treu.  Den  Übergang  in  die  neue  Zeit  unternehmen  am  frühesten  die 
Söhne  des  Max  Emanuel,  sein  Nachfolger  Kurfürst  Karl  Albert  (1726 — 1745), 
(vgl.  Abb.  7),  der  Schöpfer  der  Amalienburg,  und  Clemens  August,  der  Kur- 
fürst von  Köln  und  Fürstbischof  der  westfälischen  Stifte.  Ihre  frühesten  Schöp- 
fungen um  1730  sind  die  Marksteine  des  beginnenden,  von  Barockelementen 
noch  durchsetzten  Rokoko.  In  Dresden  zeigt  sich  die  Wandlung  nach  dem 
Tode  Augusts  des  Starken,  da  sein  Sohn,  der  lange  in  Paris  gewesene  Au- 
gust III.,  die  gewaltigen  Unternehmungen  des  Vaters  nicht  weiterführt,  son- 
dern mehr  die  feinere  Kunstpflege,  das  Sammeln  von  Gemälden  und  Skulpturen, 
betreibt  (Abb.  182).  Welch  ein  Gegensatz  zwischen  dem  derben  Friedrich  Wil- 
helm I.  und  seinem  Sohne  Friedrich!  Welche  Vergeistigung  gegenüber  dem 
urwüchsigen  Wesen  des   Vaters:   die  Trinkgelage  und  Tabakskollegien  im 

326 


Abb.  179.     Friedrich  der  Große,  von  Pesne,   1739.     Berlin,  Kaiser-Friedrich-Museum 

327 


Jagdschloß  Wusterhausen  und  demgegenüber  die  Tafelrunde  von  Rheinsberg 
und  Sanssouci!  Die  Fürsten  des  Rokoko  haben  das  wüste  Trinken  und  Essen, 
das  oft  so  rohe  Treiben  der  Väter  abzustreifen  gesucht.  Nur  von  der  Jagd- 
leidenschaft in  den  barocken  Formen  des  früheren  Jahrhunderts  haben 
sie  sich  schwerer  losreißen  können.  Ist  nun  nicht  die  ganze  Kunst,  sind 
die  Schlösser  und  ihre  Gemächer,  die  Gärten,  die  Bildwerke  und  die  Porzel- 
lane nicht  ein  Spiegelbild  dieser  veränderten  Gesellschaft?  Sind  nicht  die 
lichtgetönten  feingezeichneten  Vertäfelungen  des  Rokoko  mit  sparsamen 
Gold-  und  Silberleisten  die  Hintergründe  eines  anderen  leiblichen  und  geisti- 
gen Daseins  als  die  prunkenden  Sammet-  und  Spiegelverkleidungen  des  Barock? 
■  Das  Verhältnis  zur  Natur  ist  insofern  unverändert  geblieben :  daß  die  ide- 
alistischen Grundlagen  bestehen  bleiben.  So  muß  man  sich  hüten,  in  den 
Volkstypen  der  Porzellankunst  des  Rokoko  ein  Streben  nach  Wiedergabe  des 
Volkslebens  in  unserem  naturalistischen  Sinne  zu  sehen.  Nein,  es  sind  ver- 
schönerte Bauern,  Ausrufer  und  Bettler,  Bergleute  und  Handwerker  —  oft 
übrigens  nach  Pariser  und  Londoner  Stichen  kopiert  —  ebenso,  wie  die 
Volkstypen  der  italienischen  und  französischen  Bühne,  die  auch  von  der 
fürstlichen  Gesellschaft  selbst  bei  ,, Bauernhochzeiten"  und  ,, Wirtschaften" 
in  den  Lustgärten  gespielt  wurden.  Die  Schäfer  und  Schäferinnen  und  Hir- 
ten sind  alles  andere  als  leibhafte  Kuhknechte  und  Viehmägde.  Also  immer 
noch  verschönerte  Natur. 

Gewandelt  hat  sich  das  Tempo  der  Empfindung.  Die  schwere  Allonge- 
perücke ist  dem  Zopf  gewichen;  der  zierliche  Dreispitz  und  der  Frack  verdrän- 
gen den  Hut  und  den  feierlichen  Rock.  Der  Unterschied  in  der  plastischen 
Empfindung  ist  bedeutend  zwischen  den  Werken  Schlüters  und  Permosers 
und  denen  des  jüngeren  Glume,  des  Günther  usw.  Mit  der  Lockerung  der 
Flächen  geht  die  Verfeinerung  des  seelischen  Ausdrucks  zusammen.  Die 
kirchliche  und  die  Gartenskulptur  machen  keinen  Unterschied  im  Grade  der 
Empfindung.  Tränenreicher  Schmerz  verkörpert  sich  in  den  Schmerzens- 
muttern und  Magdalenen  von  Straubs,  Günthers  und  Egells  Hand.  Verliebte 
Schwärmerei  und  lockende  Sinnlichkeit  atmen  die  Waldgötter  und  Sphinx- 
weiber von  Tietz,  Glume  und  Ebenhecht. 

Die  rohe  Körperkraft  der  Naturgottheiten  des  Barock  ist  gemildert.  Zar- 
teres Liebesleben  beseelt  die  Faune  und  Nymphen  in  den  dunkeln  Hainen 
und  Laubengängen  des  Rokoko.  Zuweilen  scheint  selbst  ein  Zug  von  Schwer- 
mut Seegötter  und  Najaden  zu  umschweben,  die  die  Fontänen,  Kaskaden,  die 
Grotten  und  Felsen  bevölkern.  Für  die  feine  Sinnlichkeit  der  Zeit  möge  die 
köstliche  schlafende  Schäferin  in  Elfenbein  von  Ludwig  von  Lücke  im  Baye- 
rischen Nationalmuseum  sprechen  (Abb.  1 80). 

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Abb.  i8i.     Frankenthalergruppe,  von  Lücke,  um   1760 
Kunsthandlung  Altkunst,  G.  m.  b  H.,  Berlin 

Das  Rokoko  wird  nicht  müde,  die  Geräte  der  Gärtnerei  und  des  Hirten- 
lebens zusammen  mit  Musikinstrumenten,  Pansflöten  und  Syringen,  mit  Blu- 
men und  Bändern  darzustellen,  gemalt  und  geschnitzt  und  gemeißelt 
am  Äußeren  und  im  Inneren  der  Schlösser  und  Lustgebäude.  Durch 
die  Ornamentik  der  felsen-  und  moosartigen  Rocailleschnörkel  wuchern  Blu- 
men, besonders  Rosen,  Schilf-  und  Gartenfrüchte,  Kürbis,  Melonen,  Granaten 
und  Reben;  die  Kändlerschen  Tiere  und  die  Blumenmalereien  des  Porzellans 
sind  Zeugnisse  verwandten  Sinnes.  Die  empfindungsvolle  Liebe  zum  Leben 
im  Garten  und  die  Beseelung  der  Natur    war  dem  Barock  fremd  geblieben. 


330 


Abb.  182.     August  III.  von  Sachsen.     Pastell  von  R.  Mengs 
Dresden,  Gemäldegalerie 


331 


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Abb.  183.     Nahl  und  Glume,  Hermen  am  Schloß  Sanssouci,  um  1745 


332 


Sie  findet  in  der  Dichtung  ihren  Abdruck  in  der  Schäferpoesie.  Friedrichs 
des  Großen  Dichtungen  enthüllen  sie  mehrfach  wie  seine  Schöpfung  von 
Sanssouci  das  Hauptdenkmal  des  künstlerischen  Geistes  ist.  Die  feinste  Form 
hat  sie  in  den  Oden  des  friderizianischen  Offiziers  Ewald  von  Kleist  erhalten, 
die  ja  in  eben  dem  Jahrzehnt  vor  dem  Siebenjährigen  Kriege  in  den  Pots- 
damer Gärten  entstanden : 

„und  in  der  Flur  ein  Labyrinth 

Von  Blumen  und  manch  bunter  Kranz, 

Aus  dessen  Mitte  Phöbus  Bild 

Voll  Strahlen  blitzt  und  über  dem 

In  holden  Düften  Zephir  schwärmt." 
Am  ,, Rasensitz  in  dickbelaubten  Linden"  seufzt  er  um  seine  Doris;  ,,in 
grüner  Nacht  umschattet  von  der  Birken  hangend  Haar",  in  blühenden  Hek- 
ken  eines  Tals";  im  Bach  sieht  er  ,,am  Grunde  Muscheln,  Gras  und  wankende 
Blumen".  Im  melancholischen  Hain  murmelt  der  Bach,  ,,der  Rosenbüsche 
tränkt  und  auf  dem  von  Zephirs  sanftem  Hauch  die  kleinen  krausen  Wellen 
fliehen".  Der  Dichter  flüchtet  aus  der  Stadt,  aus  den  Palästen.  Der  grünen 
Finsternis,  dem  dichten  Hain,  den  Hecken  und  den  Auen  vertraut  er  sein  Ge- 
fühl. Zur  ländlichen  Beschäftigung  eilt  er  in  die  Hütte,  wo  Doris  ihn  er- 
wartet. 

Die  Anfänge  der  Flucht  in  die  Einsamkeit  des  Gartens  und  des  Hains  sind 
im  Barock  vorhanden,  auch  in  der  deutschen  Poesie--).  Die  Klausen  des  greisen 
Max  Emanuel  und  der  Markgräfin  Susanna  deuten  auf  die  Neigung  zur  Ein- 
kehr, zur  Lösung  aus  den  gesellschaftlichen  Banden  des  Barockgartens.  Die 
Spätzeit  Ludwigs  XIV.  bringt  die  Wendung,  als  der  alte  König  sich  sein 
Marly  abseits  von  Versailles  schuf.  Die  von  Joseph  Clemens  gegründete 
Brüderschaft  von  Blumengärtnern,  die  Confrerie  des  fleuristes,  die  die  Pop- 
pelsdorfer  Schloßkapelle  mit  Blumen  schmückten,  ist  eine  Schöpfung  dieses 
Geistes.  Kein  Künstler  hat  ihn  wunderbarer  verklärt  als  Watteau.  Seine 
Insel  der  Seligen,  Cythere,  ist  das  Sinnbild  dieser  Stimmung.  Den  größten 
Bewunderer  fand  Watteau  in  dem  jungen  Friedrich,  der  Rheinsberg  unter 
Watteaus  Zeichen  umschuf.  Seine  Schwester  Wilhelmine  hat  in  der  Eremi- 
tage bei  Bayreuth  ein  Gegenstück  zu  Sanssouci  geschaffen.  Neben  dem  Son- 
nentempel, den  Orangerien,  Fontänen,  Grotten,  Wasserpielen  mit  lüsternen 
Wasser-  und  Waldgöttern  entstanden  eine  Kapelle  und  Zellen,  wo  die  Mark- 
gräfin und  ihre  Damen  in  Eremitengewändern  Buße  taten.  Friedrich  errich- 
tete sich  in  dem  Chinesenhause  im  Park  von  Sanssouci  eine  Stätte,  wohin  er 
der  Wirklichkeit  entfliehen  konnte.  Auf  dem  Hügel  hinter  Sanssouci  erbau- 
ten Knobelsdorff  und  Bellavita  eine  römische  Ruine  als  Point  de  vue  des  von 

333 


Knobelsdorffs  korinthischen  Kolonnaden  eingerahmten  Blicks  durch  den  hin- 
teren Park. 

Der  Umschwung  zum  Rokoko  spricht  sich  endlich  in  der  Verfeinerung  des 
malerischen  Sinnes  aus.  Die  gewaltsame  Hell-  und  Dunkelwirkung  der  ba- 
rocken Bau-  und  Bildwerke,  der  Feuerwerke  und  Zauberopern  ist  gelindert. 
Watteau  hat  den  malerischen  Blick  entfesselt,  der  in  Tiepolo  um  die  Jahr- 
hundertmitte den  Deutschen  am  gewaltigsten  sich  offenbarte.  Haben  sie 
auch  in  der  Deckenmalerei  nur  in  beschränkter  Weise  diesem  Gange  folgen 
können :  Tatsache  ist  auch  hier  ein  Lichterwerden,  Eröffnung  durchsonnter 
Höhen  und  Verscheuchung  schwarzer  Wolken.  In  der  religiösen  Malerei 
vollzog  sich  die  Entfaltung  mit  größerer  Stoßkraft  und  wirkte  bis  in  die  Spät- 
zeit des  Jahrhunderts.  Die  mythologische  Malerei  der  Schlösser  ist  aber 
nicht  zurückgeblieben.  Phöbus  Apoll,  mit  seinen  Sonnenrossen  die  Morgen- 
röte am  Himmel  heraufführend,  ist  der  Lieblingsgegenstand  der  Rokoko- 
decken. Das  Erwachen  des  künstlerischen  Empfindens  für  das  Licht  und  die 
Sonne  ist  bezeichnend.  Der  Sonne  werden  Tempel  in  den  Parks  errichtet; 
Friedrich  feiert  sie  in  seiner  Ode  auf  Sanssouci. 

Das  politische  Gesicht  Deutschlands  hat  sich  nun  geändert.  Friedrich,  der 
als  Kronprinz  zur  Seite  des  greisen  Prinzen  Eugen  unter  des  Kaisers  Fahnen 
den  Polnischen  Erbfolgekrieg  gegen  die  Franzosen  mitgemacht  (1735),  erhob 
sich  gegen  Österreich  und  eroberte  Schlesien.  In  Karls  VI.  Tochter  Maria 
Theresia  war  dem  Hause  Habsburg  eine  Frau  gleich  groß  als  Herrscherin, 
Gattin  und  Mutter  erstanden.  In  dem  Siebenjährigen  Kriege  vereinigte  sich 
die  Macht  der  Reichsstände  des  Südens  und  des  Westens  nochmals  mit  dem 
Kaiserhause,  im  Bunde  mit  Frankreich,  Rußland  und  Schweden,  gegen  Preu- 
ßen. Friedrich,  von  England  unterstützt,  behauptete  sich.  Furchtbar  wurden 
seine  Lande,  aber  auch  die  Nachbargebiete,  vor  allem  Sachsen  und  Böhmen, 
durch  die  sieben  Kriegsjahre  mitgenommen. 


334 


28.   DER    UMSCHWUNG    ZUM    FRÜHKLASSIZISMUS 
IN  DER  BAUKUNST 

Die  lebendige  Kraft,  die  in  dem  deutschen  Rokoko  wirkte,  ist  durch  den 
Siebenjährigen  Krieg  keineswegs  gebrochen  worden.  Es  entstehen  in  den 
Jahren  nach  dem  Hubertusburger  Frieden  noch  Denkmäler  der  Baukunst 
und  Bildnerei,  die  das  Rokokoempfinden  ungeschmälert  zeigen.  So  in  Trier, 
das  unter  dem  kunst-  und  lebensfrohen  Kurfürsten  Johann  Philipp  von  Wal- 
derdorf seit  1756  eine  Nachblüte  des  rheinfränkischen  Rokokostils  erlebte  — 
die  Bekrönung  des  Marstalls  in  Ehrenbreitstein  mit  einer  Pferdegruppe  von 
Feill  (1762 — 1763)  hält  die  lebhaften  Umrisse  fest.  Eine  späte  starke  Äuße- 
rung des  westlichen  Rokoko  ist  das  von  demselben  Feill  dekorierte  Fürst- 
bischöfliche  Schloß  in  Münster,  1764  nach  den  Plänen  des  greisen  Schlaun  be- 
gonnen. Am  merkwürdigsten  ist  das  Festhalten  der  Innendekorationen  des 
1764  begonnenen  Neuen  Palais  bei  Sanssouci  an  dem  Stile  Hoppenhaupts. 
Hier  ergeht  sich  das  Spiel  der  Rocaillen  in  ungehemmtem  Schwünge,  wäh- 
rend in  den  gleichzeitigen  Gemächern  von  Benrath  (Pigage)  und  Solitüde 
(de  la  Guepiere)  das  Rokoko  schon  gemäßigt  ist.  Bis  rund  um  das  Jahr  1770 
ist  di^  Rocarlle  im  Augsburger  Silber,  in  den  Porzellanen,  Fayencen  und  Mö- 
beln, im  Schmiedeeisen  gepflegt  worden. 


335 


Abb.  184.     Klosterkirche  Wiblingen,  ausgestattet  von  Januarius  Zick,  um  1770 


336 


Abb.  185.     Salon  im  Schloß  Benrath,  von  Nie.  de  Pigage,  um  17Ö5 


Am  zähesten  behauptet  sich  die  Überlieferung  in  der  kirchlichen  Decken- 
malerei Süddeutschlands,  in  den  Werken  Günthers,  Januarius  Zicks,  Winks 
und  Knollers.  Es  ist  von  keiner  Unterbrechung  durch  den  Siebenjährigen 
Krieg  die  Rede;  im  Gegenteil,  das  nächste  Jahrzehnt  bringt  noch  eine  Steige- 
rung des  malerischen  und  räumlichen  Empfindens.  Auch  die  zahlreichen  Kir- 


Schmitz,  18.  Jahrh.     22 


337 


Abb.  i85.     Schloß  Paretz.     Zimmer,  um  1798 


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Abb.  187.     Schloß  Freienwalde.     Zimmer,  um  1798 


339 


chenbauten  selbst,  die  noch  in  Schwaben  und  Franken  entstehen,  unter  denen 
Wiblingen  und  Rot  bei  Ulm  hervorragen,  bewahren  in  den  Raumgedanken 
die  Grundzüge  des  spätesten  Rokoko  (Abb.  184).  Endlich  genügt  es,  an  die 
um  1760  bis  1770  entstehenden  Porzellanfiguren  von  Beyer,  von  Linck,  Mel- 
chior und  W.  C.  Meier  zu  erinnern,  um  auch  auf  plastischem  Gebiet  das 
Fortwirken  der  alten  Schaffenskraft  zu  konstatieren. 

Inzwischen  hatte  eine  Strömung  eingesetzt,  die  die  Abkehr  von  dem  be- 
wegten Stil  des  Rokoko  und  die  Hinwendung  zu  den  strengen  Formen  der 
Antike  im  Schilde  führte.  Am  frühesten  und  mit  durchschlagendem  Erfolge 
hat  sie  in  Paris  Fuß  gefaßt.  Der  jüngere  Blondel  hat  sie  vorbereitet.  Soufflot, 
der  Schöpfer  der  Kirche  Ste.  Genevieve,  und  Gabriel,  der  Erbauer  des  Schlöß- 
chens Petit  Trianon,  sind  die  Bahnbrecher  des  klassischen  Stiles  in  der  Pa- 
riser Baukunst  in  den  beiden  Jahrzehnten  von  1750  bis  1770  gewesen.  Wäh- 
rend noch  das  Rokoko  so  vielerorts  bei  uns  in  Blüte  stand,  drang  der  neue 
Stil  —  das  Louisseize  —  in  Deutschland  ein.  Seine  Träger  sind  einmal 
die  Franzosen  selbst,  wie  Antoine  im  Kurfürstentum  Trier,  Ixnard,  der  die 
Klosterkirche  in  St.  Blasien,  eine  Reihe  von  Schloß-  und  Klosterbauten  im 
südlichen  Schwaben  erbaute,  sowie  das  von  Peyre  vollendete  kurfürstliche 
Schloß  in  Koblenz  begann;  ferner  Legeai,  früher  schon  als  Schöpfer  der 
Hedwigskirche  in  Berlin  genannt,  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege  Planent- 
werfer der  Kommuns  beim  Neuen  Palais  und  der  Anlage  vor  dem  Schloß  in 
Ludwigslust,  endlich  Mangin,  der  die  vielbewunderte,  von  Pfaff  mit  Bild- 
werken geschmückte  Dompropstei  in  Mainz  erbaute.  Eine  Reihe  deutscher 
Meister,  die  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in  Paris  bei  Blondel  studiert 
hatten,  vollzogen  jetzt  den  Übergang  vom  spätesten  Rokoko  zum  frühklassi- 
schen Stile.  Als  Vorkämpfer  kann  Krubsazius  in  Dresden  gelten,  der  schon 
vor  dem  Siebenjährigen  Kriege  in  seinen  Worten  und  Werken  die  Blondei- 
schen Lehren  verkündet  hatte.  Die  hauptsächlichsten  Träger  des  neuen  Ge- 
schmacks sind:  Charles  Louis  Dury  in  Kassel,  Roth,  dessen  Tätigkeit  in 
Bonn  und  an  der  Jesuitenkirche  in  Büren  erwähnt  wurde,  Karl  von  Gontard, 
aus  Bayreuth  1764  nach  Berlin  berufen,  der  jüngere  Cuvillies,  fortgeschritte- 
ner der  Kanonikus  Ferdinand  Lipper  in  Münster,  Schlauns  Nachfolger.  Man 
verwirft  mehr  und  mehr  alle  Verzierungen,  die  nicht  einen  architektonischen 
Ausdruck  haben.  An  sich  sind  ja  diese  Forderungen  nicht  neu.  Die  Leser  er- 
innern sich,  daß  neben  der  Hauptentwicklung  des  Barock  und  Rokoko  immer 
eine  Strömung  hergegangen  ist,  die  die  Einhaltung  der  strengsten  Gesetz- 
lichkeit betonte.  Man  denke  an  die  holländischen  Meister  im  Geiste  Palla- 
dios,  an  Leonhard  Sturm,  den  Gegner  Schlüters,  an  die  Hugenottenbaumei- 
ster, an  den  protestantischen  Kirchenbau,  an  de  Cotte  und  seinen  Einfluß  auf 

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Abb.  i8g.     Museum  Fridericianum  in  Kassel,  von  S.  L.  Dury,  1769 

Westdeutschland  und  endlich  an  de  Bodt  und  Longuelune,  die  in  Dresden  an 
Pöppelmanns  Stelle  traten.  Blondel  der  Jüngere  hat  diese  Strömung  in  Paris 
wieder  zur  allein  herrschenden  gemacht.  Einen  entscheidenden  Anstoß  er- 
hielt sie  durch  die  erneute  Fühlungnahme  mit  der  antiken  römischen  Bau- 
kunst. Um  1760  entstanden  eine  Reihe  von  Werken,  in  denen  französische 
und  englische  Architekten  ihre  Studien  an  den  antiken  Überresten  veröffent- 
lichten, als  die  wichtigsten  Lerois  Denkmäler  Griechenlands,  Woods  und 
Dawkins  Ruinen  von  Palmyra  und  die  von  Baalbek,  Stuarts  und  Rewetts 
Altertümer  von  Athen  und  Adams  und  Clerisseaus  Diokletianspalast  in 
Spalato. 


342 


Abb.  190.     Berlin,  Alte  Münze,  von  Heinr.  Gentz,   1798  (abgebrochen) 

Das  äußerliche  Kennzeichen  der  seit  rund  1770  den  Rokokogeschmack  auch 
in  Deutschland  ablösenden  Kunstweise,  des  ,,gout  antique",  ist  die  Anwen- 
dung geradliniger  und  strenger  Formen  im  Aufbau  und  in  der  Verzierung  der 
Gebäude.  Aber  die  innere  Raumgestaltung  wie  die  äußere  Flächenbehandlung 
bewahren  zunächst  gewichtige  Elemente  des  Rokokozeitalters.  Bleiben  doch 
auch  die  Aufgaben  überwiegend  die  überkommenen.  In  den  schwäbisch-frän- 
kischen Kirchenneubauten  bleibt  ein  Hauch  des  sinnlichen  Raumempfindens 
lebendig,  ob  auch  die  Kuppeln  flacher,  die  Wände  gerade,  die  Säulenstellun- 
gen und  Gebälke  nach  strengeren  Regeln  gebildet  werden.  Allerdings  tritt 
die  Vereinheitlichung  des  Raumes  an  Stelle  der  sich  verschneidenden,  inein- 
ander wogenden  Raumgruppen  der  großen  Rokokomeister  im  Zeitalter  Bal- 
thasar Neumanns.  Dort,  wo  die  Pariser  Klassizisten  oder  ihr  Vorbild  wirken, 
werden  die  zentralen  Kuppelräume  aufgenommen;  so  Ixnards  St.  Blasien, 
die  Frauenkirche  in  Nürnberg  von  Lipper  —  wozu  ein  ähnlicher  Entwurf 


343 


Verschaffelts  aus  Mannheim  vorlag  — ,  die  Paulskirche  in  Frankfurt  und 
Gontards  Gensdarmentürme  in  Berlin.  Daneben  wird  der  langrechteckige 
tonnenüberwölbte  Kirchenraum  mit  geradem  Chorschluß  Sitte,  wofür  die 
Jesuitenkirche  in  Mainz  von  Jäger  und  die  in  Büren  (mit  Mittelkuppel),  sowie 
die  Lutherische  Kirche  in  Ludwigslust  von  Busch  und  Verschaffelts  Kirche 
in  Oggersheim  (1775)  zeugen  mögen.  Gegenüber  diesen  auf  einfachste  Grund- 
rißlösungen ausgehenden  Kirchen  behaupten  die  von  Langhans  in  Schlesien 
und  Posen  errichteten  Gotteshäuser  in  der  ovalen  Anlage  der  Emporenlogen 
—  bei  äußerlich  rechteckiger  Gestalt  —  einen  lebhafteren  Zug  in  der  Raum- 
gestaltung. Die  strenge  Säulen-  und  Pilasterstellung  wird  jetzt  als  unent- 
behrlich auch  für  die  Fassaden  und  Kuppeln  der  Kirchen  gehalten. 

Die  Entwicklung  großer  Säulenstellungen  nach  den  neustudierten  römi- 
schen Mustern  scheint  eine  der  vornehmsten  Aufgaben  der  Prachtbaukunst 
zu  werden.  Die  mächtige  Anlage  der  Kommuns  beim  Neuen  Palais,  die  Gens- 
darmenkirchen  und  die  Kolonnaden  und  Brücken,  der  Freundschaftstempel 
und  das  Belvedere :  diese  reichen  Säulenbauten,  die  Gontard  (und  Unger) 
für  den  Alten  Fritz  errichteten,  finden  ihre  Gegenstücke  in  den  mit  Nahls 
Bildwerken  geschmückten  Kolonnaden,  in  dem  Museum  Fridericianum 
(1769)  in  Kassel  (Abb.  189),  endlich  in  dem  Schloß  Wilhelmshöhe  von  Charles 
Louis  Dury,  ferner  in  den  meisten  Vorhallen  der  Kirchen.  Die  Kulisse 
vor  der  Kirche  in  Ludwigslust  ist  ein  Musterzeugnis.  Auch  in  den  Sälen  wer- 
den lange  Reihen  korinthischer  Säulen  beliebt  (großer  Saal  der  Akademie  in 
Mainz  von  Jäger,  die  ovalen  Säle  von  Langhans  in  Berlin  und  die  des  Erd- 
mannsdorf  in  Wörlitz  und  Berlin). 

In  der  Schloß-  und  Landhausarchitektur  wirken  Anregungen  von  England, 
von  Chambers  und  seiner  Schule,  umbildend.  Erdmannsdorf,  der  Baumeister 
des  Fürsten  Friedrich  Franz  von  Anhalt,  hat  in  dem  Schloß  in  Wörlitz  um 
1770  das  erste  Denkmal  dieser  Richtung  hingestellt.  Hier  ist  ein  endgültiger 
Bruch  mit  dem  Rokoko  unleugbar.  Unmittelbare  Studien  in  Rom  und  für 
die  Dekorationen  in  Herkulanum  und  Pompeji  haben  auch  die  Formgebung 
im  einzelnen  bestimmt  (Abb.  208).  Ähnlich  sind  Weinlig  aus  Dresden  und 
Krähe  aus  Koblenz  auf  den  Bahnen  der  alten  und  modernen  römischen 
Architektur  zu  ihrem  Stil  gelangt.  Rom  war  die  Vorstufe  doch  auch 
für  Soufflot,  Gabriel  und  Clerisseau,  die  großen  Meister  des  Louisseize  in 
Frankreich. 

Völlig  unabhängig  entfaltet  sich  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege  die  länd- 
liche Baukunst  und  der  Kolonistenbau  in  Preußen;  die  großen  Trockenlegun- 
gen Friedrichs  des  Großen  z.  B.  im  Warthebruch  und  in  Pommern  boten  die 
Gelegenheit  zur  Schaffung  vieler  Hunderter  von  Dörfern.  Aus  der  seit  Fried- 

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345 


rieh  Wilhelms  I.  Tagen  blühenden  Schule  ländlicher  Architektur  wuchs  jetzt 
die  für  unsere  Zeit  so  bedeutungsvolle  Gestalt  David  Gillys  hervor. 

Es  ist  nicht  leicht,  die  umfangreiche  deutsche  Bautätigkeit  in  den  Jahren 
von  rund  1765  bis  1800  gemeinhin  zu  kennzeichnen.  In  diesem  Zusammen- 
hang genügt  es,  festzustellen,  daß  sie  insgesamt  durch  starke  Fäden  mit  den 
baukünstlerischen  Grundkräften  des  Barock-  und  Rokokozeitalters  verknüpft 
bleibt.  Die  räumliche  und  plastische  Fülle  haben  allerdings  nachgelassen. 
Glatte  Flächen,  gerade  Gebälke,  regelmäßige  Raumformen  haben  mehr  und 
mehr  die  reiche  Bewegung  zum  Stillstande  gebracht.  In  den  Deckengemälden 
wird  die  Untersicht  und  die  malerische  Verkürzung  endlich  aufgegeben.  Die 
Vorliebe  für  die  Kassettendecken  bekundet  schließlich  die  Zurückdrängung 
der  Raumbewegung  zugunsten  einer  streng  abschließenden  Bedachung  im 
Sinne  der  Antike. 


346 


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Abb.  192.  Friedrich  Wilhelm  III. 
und  Luise.    Schlesischer  Eisen- 
guß, um  1800 


29.    DIE    WANDLUNG    IN    DEN    ÜBRIGEN    KÜNSTEN 

Die  Kunst  des  letzten  Jahrhundertdrittels  zeigt  auf  der  ganzen  Linie  das 
Nachwirken  der  räumlichen  plastischen  und  malerischen  Empfindung  der 
voraufgegangenen  Zeit,  allerdings  mehr  und  mehr  beruhigt  durch  die  klassi- 
schen Formgedanken. 

In  der  Verbindung  mit  der  Architektur  wandelt  die  B  i  1  d  n  e  r  e  i  ihren 
Stil,  indem  sie  die  Reliefs  flacher  und  die  Umrisse  der  Bekrönungsfiguren 
ruhiger  macht.  Den  Übergang  vertreten  die  späteren  Bildwerke  Nahls  in 
Kassel,  seine  Rossebändiger  und  das  Denkmal  Landgraf  Karls,  die  Statuen 
Pfaffs  in  Mainz,  zu  denen  zahlreiche  Tonskizzen  im  dortigen  Museum  sind, 
Figuren  und  Reliefs  W.  C.  Meyers  und  seiner  Schüler  an  den  Bauten  Gon- 
tards  und  Ungers  in  Berlin,  die  Gartengruppen  Kapplungers  in  Ludwigslust 
und  endlich  die  späteren  Werke  Peter  Wagners  in  Würzburg  (Stationen  des 
Käppele  [Abb.  125])  und  im  Park  von  Veitshöchheim.  In  der  kirchlichen  Skulp- 
tur bezeichnen  die  Altarausstattungen  von  Dürr  und  Wieland  im  südlichen 
Schwaben  (Abb.  193),  vorzüglich  die  in  der  Zisterzienserkirche  Salem  unfern 
des  Bodensees,  das  Nachleben  der  älteren  Schule  in  dem  neuen  Gewände  des 
Louisseize.  In  der  kirchlichen  Umgebung  wirken  allerdings  die  klassischen 
Säulen-  und  Rahmenformen,  die  geradlinigen  Vasenbekrönungen,  die  Lor- 
beergehänge, die  Mäanderfriese  des  ,,ä  la  Grecque",  die  jetzt  als  Schmuck  der 


347 


Altäre,  der  Kanzeln,  der  geschnitzten  Chorstühle  und  Beichtstühle,  sowie  an 
den  Grabmälern  auftreten,  befremdend  (Abb.  196). 

Als  Nachfolger  des  jüngeren  Adam  hat  in  Berlin  der  Wallone  Antoine  Tas- 
saert  die  Marmorbildnerei  von  dem  letzten  Rokoko  übergeführt  in  einen  dem 
Stile  Falconets  verwandten  Geschmack.  Die  Nymphen,  Grazien  und  Amo- 
retten haben  bei  aller  Glättung  der  Körper  noch  vieles  von  der  Anmut  der 
Rokokobildnerei.  Der  in  Berlin  jetzt  erwachende  patriotische  Stolz  gibt  zu 
Darstellungen  friderizianischer  Generale,  wie  sie  leibten  und  lebten,  Anlaß, 
worin  Tassaert  der  würdige  Vorläufer  seines  Schülers  Schadow  ist.  Neben 
den  Marmorstatuen  im  Treppenhaus  des  Kaiser-Friedrich-Museums  über- 
mittelt die  prächtige  Tonskizze  vom  Kopf  des  alten  Ziethen  einen  Begriff  von 
Tassaerts  Frische  in  der  Erfassung  des  Lebens.  Sein  Fortsetzer,  Gottfried 
Schadow,  der  1785  bis  1787  in  Rom  weilte,  hat  gleichfalls  das  feinbewegte 
Relief  beibehalten,  wie  die  Stuckfüllungen  in  Erdmannsdorfs  Parolesaal  und 
Säulensaal  im  Berliner  Schloß,  die  Stein-  und  Stuckreliefs  an  dem  Branden- 
burger Tor  und  an  anderen  Bauten  Berlins  beweisen.  Wie  vieles  haben  z.  B. 
auch  seine  Herkulesgruppen  auf  der  Herkulesbrücke  (1789)  mit  denen  etwa 
noch  des  Matielli  in  der  Wiener  Hofburg  gemein.  Aber  selbst  die  Marmor- 
büsten Schadows  in  den  achtziger  und  neunziger  Jahren  verknüpft  die  Behand- 
lung des  Marmors,  das  Schwebende  der  Flächen  mit  dem  Handwerklichen  des 
Jahrhunderts,  und  nur  in  der  Durchführung  des  einzelnen,  der  genauen  Falten- 
behandlung tritt  die  Naturalistik  hervor  (Abb.  198);  ein  Markstein  für  diese 
ist  die  Marmorgruppe  der  Prinzessinnen  Luise  und  Friederike  (1794,  vollendet 
1799).  Neben  Schadow  sind  Bettkober,  Bardou  und  Eckstein  in  Berlin  in  der 
Baubildnerei  an  den  Bauten  Friedrich  Wilhelms  II.  beteiligt  und  haben  im 
Büsten-  und  Reliefporträt  gearbeitet.  Der  gleichen  Stilrichtung  gehören  Doli 
und  Klauer  in  Weimar  an,  die  neben  Büsten  Bauskulpturen  für  Erdmanns- 
dorfs Bauten  in  Dessau  und  Wörlitz  schufen.  In  Wien  sind  Franz  Xaver 
Messerschmied,  Balthasar  Moll,  der  Schöpfer  des  bleigegossenen  Reiterdenk- 
mals Franz'  I.,  J.  G.  Dorfmeister,  Joh.  Berger  und  der  aus  Ludwigsburg  be- 
rufene Wilh.  Beyer  Ubergangsmeister  zu  dem  Stil,  der  in  den  Biskuitgruppen 
Grassis  und  in  Zauners  früheren  Werken  (Grabmal  Leopolds  IL)  in  der  Augu- 
stinerkirche rein  entwickelt  ist.  Aus  der  durch  die  Übung  des  Bleigusses 
ausgezeichneten  Wiener  Modelleurkunst  wächst  der  treffliche  Medailleur 
Leonhard  Posch  heraus,  dessen  schönste  Werke,  die  Porträtmedaillen  von 
Mitgliedern  des  Kaiserhauses,  in  die  Wiener  Zeit  fallen;  1804  ging  er 
nach  Berlin,  um  für  die  neugegründete  Eisengießerei  zu  modellieren.  End- 
lich wäre  noch  der  Übergangserscheinungen  in  München  zu  gedenken,  des 
Roman  Anton  Boos,  der  den  Stil  der  Straub  und  Günther  verdrängte,  und  in 

348 


Abb.  :93.     Engelgruppe  in  der  Kirche  zu  Salem 
von  Dürr  und  Wieland,  um  1775 


349 


Abb.  194.     Notenpult,  von  David  Roentgen,  um  1770.     Berlin,  Schloßmuseum 


350 


Abb.  195.     Büro,  von  David  Roentgen,  um  1780.     Berlin,  Schloßmuseum 


35t 


Abb.  195.    Sebastiansaltar  im  Münster  zu 
Salem,  von  Dürr  und  Wieland,  um  1775 


352 


Mannheim  des  Verschaffelt,  der  ähnlich  wie  Tassaert,  nur  mit  römischer 
Schulung,  das  flämische  Naturell  bis  in  den  beginnenden  Klassizismus  hinein 
bewahrt.  Er  ist  der  Lehrer  Landolin  Ohmachts  in  Straßburg,  der  bereits  mit 
beiden  Füßen  in  der  klassischen  Formengebung  wurzelt.  Die  hauptsächlich 
als  Porzellan  modelleure  tätigen  Meister  Linck  und  Melchior  streifen 
jetzt  mehr  und  mehr  das  Rokoko  ab.  Die  Reliefplakette  des  jungen  Goethe 
von  Melchiors  Hand  vom  Jahre  1775  mag  als  Markstein  des  Stilwandels  ge- 
nannt werden.  Eine  entscheidende  Wendung  in  der  Porzellanplastik  kommt 
um  1780  zum  Durchbruch,  indem  die  farbigglasierten  Porzellane  durch  das 
weißer,  schärfer  auszuformende  Biskuit  verdrängt  werden.  Neben  Grassis 
Wiener  Gesellschaftsgruppen  und  Büsten  ragen  die  von  Schadow  für  die  Ber- 
liner Manufaktur  modellierten  Werke  hervor. 

Die  Geschirrformen  des  Porzellans  werden  jetzt  den  glattwandigen  Urnen 
und  Vasen  der  Antike  nachgebildet;  die  Blumen-  und  Landschaftsmalerei  in 
der  leichten  Rokokomanier  kommt  außer  Mode.  Architektonische  Verzie- 
rungen werden  dem  strengeren  Bau  des  Gefäßes  angepaßt.  Reizvolle  Service 
und  Ziervasen  in  dem  Louisseizegeschmack  sind  in  Berlin  (Kurländer  Mu- 
ster, Blumen  von  Schulz),  in  Fürstenberg,  in  Höchst  und  Wien  entstanden 
(Abb.  199).  Ein  Beweis  für  das  Erlöschen  des  höchsten  Stilempfindens  wird 
erbracht  durch  die  Vorliebe  für  marmorartige  Dekorierung  der  Gefäße,  ein 
Gegenstück  zu  der  Neigung  für  zartgetönte  Stuckmarmorbekleidung  der 
Wände.  Die  neuen  Dekore,  die  teilweise  Anregungen  von  den  pompejani- 
schen  Wandgemälden  und  Vasenmalereien  empfingen,  deuten  wie  die  breite 
und  dicke  Vergoldung  auf  das  Erlahmen  des  dem  Rokoko  eigentümlichen 
Sinnes  für  das  keramische  Material. 

Der  Umschwung  wird  noch  deutlicher  betont  durch  das  Aufkommen  des 
Steinguts  an  Stelle  der  Fayence.  Um  1775  ist  die  Mehrzahl  der 
Fayencefabriken  eingegangen  oder  sie  sind  in  Steingutfabriken  umge- 
wandelt worden.  So  die  von  Kassel  schon  1771,  die  in  Rheinsberg,  die  Pros- 
kauer,  die  in  Königsberg.  Die  fruchtbarste  entstand  in  Magdeburg.  Die  Ge- 
stalten des  Steingutgeschirrs  sind  von  ihrem  Ursprung  her,  in  der  Wedg- 
woodfabrik  von  Etruria  in  England  auf  den  glatten  klarlinigen  klassischen 
Formen  aufgebaut,  die  in  England  Flaxmann,  Adam  u.  a.  nach  antiken  Mu- 
stern geschaffen  haben.  Der  schöne  Umriß  ist  die  Forderung  der  Zeit 
auf  allen  Gebieten  der  Geschirrkunst  geworden.  Auch  deutsche  Baumeister 
wie  Dury  in  Kassel,  Langhans  in  Berlin,  Genelli,  Friedr.  Gilly  usw.  haben 
Vorlagen  für  Geschirr  in  Porzellan  und  Steingut  geliefert.  Die  frühesten 
Steingutgefäße,  die  marmorierten  von  Kassel,  die  gelben  und  blauen  von 
Rheinsberg  suchen  der  zarten  Farbenwirkung  der  Wedgwoodmassen  nachzu- 

Schmitz,   18.  Jahrh.     23  353 


Abb.  197.     G.  Schadow,  Grabmal  Daries  in  Frankfurt  a.  O.,  1800 

eifern,  aber  nach  und  nach  beherrscht  das  gelbliche  Weiß  und  das  Schwarz 
die  mehr  zur  Industrie  auswachsende  norddeutsche  Steinguterzeugung  ganz. 

In  gleicher  Weise  bewirken  die  englischen  Silber  gerate  des  letzten  Jahr- 
hundertviertels einen  Umschwung  in  der  deutschen  Silberschmiedekunst.  In 
Berlin  und  auch  in  Augsburg,  dem  langjährigen  Hauptsitz  des  Rocaillestils 
in  der  Silberkunst,  werden  Terrinen,  Gewürzaufsätze  und  Leuchter  den  glat- 
ten englischen  Mustern  nachgebildet  (Abb.  200). 

Das  Glas  sucht  dem  neuen  Geschmack  zu  folgen  durch  urnenmäßige  For- 


354 


Abb.  ig8.    Gottfried  Schadow,  Friedrich  Wilhelm  II.,  Marmor,  1793.    Berlin,  Schloß 
=3*  355 


Abb.  199.     Porzellanservice,  Kurländer  Muster.     Berlin,  um  1780 

men  der  Pokale,  Beschränkung  der  geschnittenen  Verzierungen  auf  sparsame 
Gehänge  und  Anbringung  von  schwarzen  Silhouetten. 

Am  greifbarsten  erscheint  das  Zurücktreten  der  plastischen  Bewegtheit  zu- 
gunsten der  linearen  Flächigkeit  in  den  Schmiedeeisengittern,  die 
jetzt  aus  gleichmäßig  dünnen  Stäben  zusammengesetzt  werden.  Am  Ausgang 
des  Jahrhunderts  übernimmt  der  Eisenguß  ihre  Herstellung.  Die  Möbel- 
kunst nimmt  zugleich  mit  der  Innenarchitektur  gerade  Formen  an. 
Kein  deutscher  Meister  läßt  besser  den  Übergangsstil  erkennen  als  David 
Roentgen  in  Neuwied.  Die  dem  Auge  unsichtbare  Überführung  der  ge- 
schweiften Beine  in  die  Zarge  am  Rokokotisch-  und  Stuhlmöbel  behalten  noch 
die  frühesten,  um  1770  entstandenen  Roentgenmöbel  bei  (Abb.  194).  In  den 
späteren  tritt  die  Scheidung  der  vierkantigen  zugespitzten  Beine  von  den  ge- 
raden Zargen  ein  und  die  Verkröpfung  der  tragenden  und  getragenen  Glieder 
vArd  in  reinen  Architekturformen  behandelt  (Abb.  195).  Eine  reiche  Garnie- 
rung dieser  reifen  Roentgenschränke,  Schreibtische  und  Stühle  mit  gerad- 
linigen vergoldeten  Messingverzierungen  und  -leisten  ä  la  grecque  vervoll- 
ständigt den  Eindruck  des  klargegliederten  Aufbaus  an  Stelle  des  einheit- 
lichen malerischen  Wurfs,  der  dem  Rokokomöbel,  etwa  dem  in  Kamblys  Art, 


356 


Abb.  200.     Berliner  Silberbowle,  um  1800 
Berlin,  Schloßmuseum 

das  Gepräge  gibt.  Die  formale  Gestaltung,  die  blonde  Mahagonifurnierung 
sowie  die  aus  farbigen  und  naturgetönten  Hölzern  mit  höchstem  Geschick 
durchgeführten  Einlegearbeiten  setzen  die  Roentgenmöbel  in  eine  Linie  mit 
den  Pariser  Meisterwerken  des  Louisseize,  die  in  der  Hauptsache  ja  deutsche 
Künstler  zu  Urhebern  haben.  Die  teilweise  nach  Zeichnungen  von  Januarius 
Zick  eingelegten  Chinesen-  und  Schäferszenen,  die  Landschaften,  Blumen 
und  Geräte  sind  in  der  Zeichnung  und  der  Absetzung  der  Schatten  Zeugen  des 
immer  noch  gesunden  Empfindens  für  bildliche  Wiedergabe  mit  räumlichen 
Mitteln,  ohne  die  Fläche  zu  zerstören.  Das  ist  eine  Erbschaft  der  stilisieren- 
den Kraft  des  Jahrhunderts,  die  nirgendwo  lebendiger  geblieben  war  als  in 
der  Gobelinwirkerei;  Bouchers  damals  entstandene  Folgen  von  Beauvais  und 
Paris  sind  dafür  die  Belege.  In  Deutschland  sind  auch  die  Blumen-  und  Land- 
schaftsmalereien der  Zimmerwände  im  späteren  18.  Jahrhundert,  meist  schon 
auf  Papiergrund,  bestimmt  von  der  stilbildenden  Fähigkeit,  die  die  Natur  in 
ein  dekoratives  Gemälde  umzusetzen  vermochte,  und  die  dem  19.  Jahrhundert 
fast  ganz  verloren  ging  (Abb.  186,    188). 


357 


Abb.  201.   Römisches  Haus  in  Weimar,  erbaut  von  Goethe  und  Ahrens,  1794 


30.    DAS    GEISTIGE    LEBEN    UND    DIE    DICHTUNG    IM 
LETZTEN   DRITTEL   DES  JAHRHUNDERTS 


Nicht  am  Ulmenbaum 
Hast  du  ihn  besucht 
Mit  dem  Taubenpaar 
In  dem  zärthchen  Arm 


Mit  der  freundhchen  Ros'  umkränzt. 
Tändelnden  ihn,  blumenglücklichen 
Anakreon, 
Sturmatmende  Gottheit! 

Goethe,  Wanderers  Sturmlied. 


Wie  hatten  sich  unterdessen  in  Deutschland  die  politischen,  die  sozialen 
und    geistigen    Zustände,    die  die  äußeren  Grundlagen  für  die  Kunst 
des  Jahrhunderts  waren,  gewandelt? 

Noch  blieb  das  Gebäude  des  Heiligen  Römischen  Reiches  Deutscher  Na- 
tion unversehrt.  Der  fürstliche  Absolutismus  bestand  weiter.  Dem  Adel  blie- 
ben seine  Vorrechte  ungeschmälert.  Aber  nach  dem  Siebenjährigen  Kriege 
hatte  sich  die  Auffassung  von  den  Pflichten  des  Regenten  geändert.  Das 
Vorbild  des  Großen  Preußenkönigs,  der  dem  Ruhm  des  Kriegshelden  den  des 
großen   Friedensherrschers   hinzufügte,    spornte   viele   deutsche   Fürsten   an, 

358 


Abb.  202.  Gräfin  Böse,  von  Job.  Friedr. Tischbein,  1750— 1812.  Dresden,  Gemäldegalerie 

359 


Abb.  203.     Friedr.  H.  Füger,  der  Sohn  des  Künstlers.     Wien,  Akademie 

alle  Kräfte  der  Kultur  ihrer  Länder  zu  widmen.  Kaiser  Joseph  II.  begann  die 
Beschränkung  der  überzahlreich  gewordenen  Klöster  in  Österreich  und  er- 
öffnete den  Weg  zu  Reformen  des  Staatswesens.  Max  Joseph  III.  von  Bayern 
war  ein  eifriger  Förderer  der  Wissenschaften.  Die  Landgräfin  Henriette 
Caroline  von  Hessen-Darmstadt,  der  Fürst  Friedrich  Franz  von  Anhalt, 
Winckelmanns  Freund  und  Erdmannsdorfs  Gönner,  Herzog  Carl  August 
von  Weimar,  der  Freund  Goethes  und  Förderer  Wielands,  Herders  und  Schil- 
lers, der  Fürst  Wilhelm  von  Schaumburg-Lippe  und  der  Minister  des  Fürst- 


360 


Abb.  204.  Angelika  Kauffmann,  Selbstbildnis.  Budapest,  Gemäldegalerie 

bistums  Münster,  Freiherr  von  Fürstenberg,  sind  die  Hauptleuchten  unter 
den  weltlichen  und  geistlichen  Regenten  in  den  letzten  drei  bis  vier  Jahrzehn- 
ten des  Säkulums.  Die  Ideen  einer  neuen  Menschheitskultur,  der  Humanität, 
von  England  ausgegangen  und  von  den  deutschen  Schriftstellern  gefördert, 
wirkten  umgestaltend  auf  das  Verhältnis  des  Fürsten  zu  seinem  Lande.  Die 
patriotischen  Phantasien  Moesers,  die  Schriften  Garves  und  Engels  haben 
die  Verbesserung  der  überlebten  Staatsverhältnisse  zum  Gegenstande  der 
Literatur  gemacht.  Jetzt  tritt  das  Bürgertum  bestimmend  in  das  gesell- 
schaftliche und  geistige  Leben  Deutschlands  ein.  Aus  seinen  Kreisen  er- 
stehen das  deutsche  Schrifttum,  die  Dichtung,  das  deutsche  Schauspiel  neu- 


361 


verjüngt.  Die  Porträtmalerei  sucht,  was  sie  an  dekorativer  und  farbiger  Ro- 
kokoschönheit einbüßt,  zu  ersetzen  durch  ernstere  Charakteristik  (Friedr. 
Aug.  Tischbein,  Heinr.  Friedr.  Füger  [Abb.  203]  und  Angelika  Kauf f mann 
[Abb.  204]  nicht  ohne  Berührung  mit  den  großen  Engländern;  Anton  Graff 
aus  Winterthur  in  Dresden). 

Noch  bis  in  die  siebziger  Jahre  bleibt  die  französische  Sprache  maßgebend 
an  den  Höfen.  Die  Schrift  Friedrichs  des  Großen  über  die  deutsche  Literatur 
(1780)  beleuchtet  das  ablehnende  Verhältnis  eines  mit  Racines  und  Voltaires 
Dichtung  großgewordenen  Greises  gegenüber  den  ,, ungeregelten"  Erstlingen 
des  zum  Fluge  sich  anschickenden  deutschen  dichterischen  Genius.  Noch  im 
Jahre  1774  wird  dem  französischen  Schauspiel  in  Berlin  eine  Stätte  erbaut. 
Eis  kurz  vorher  herrschte  es  in  Mannheim  und  anderen  Hoftheatern;  in  den 
großen  Städten,  so  in  Frankfurt,  sind  französische  Singspiele  und  Komödien 
bevorzugt.  Die  deutschen  Schauspieltruppen  haben  nur  mit  der  größten 
Mühe,  von  Ort  zu  Ort  wandernd,  sich  heraufgearbeitet.  Unvergänglichen 
Dank  erwarb  sich  Lessing  durch  die  Verfechtung  der  deutschen  Sache 
gegen  die  französische  hohe  Dramatik  in  der  Hamburgischen  Dramaturgie. 
Seine  ,, Minna"  und  noch  stärker  Goethes  ,, Götz"  stellen  das  Charakteristische, 
die  Natur  der  Idealität  und  dem  geregelten  Rhythmus  Racines  gegenüber. 

Der  Geist  des  Barock-  und  Rokokozeitalters  ist  auch  außerhalb  der  bilden- 
den Kunst  jetzt  nicht  mit  einem  Schlage  erloschen.  Die  italienische  Oper 
lebt  in  der  Umgestaltung  durch  Gluck  und  Mozart  weiter.  Der  idealistische 
dichterische  Gegenstand  und  der  hohe  Stil  der  Musik  —  ich  möchte  sagen 
die  auch  im  Tragischen  gewahrte  heitere  Formenschönheit  —  verbinden 
selbst  die  späteren  reifen  Werke  Glucks,  die  Armide  und  den  Orpheus,  wie 
Mozarts  Figaro,  Entführung  aus  dem  Serail,  Zauberflöte  und  Don  Juan  mit 
den  Traditionen  der  Opera  italiana.  In  der  Beseelung  freilich  hat  sich  der 
deutsche  Genius  Bahn  gebrochen,  den  die  Vorläufer  Graun  und  Hasse  noch 
nicht  gestalteten.  Der  Stil  der  Bühnenmaler  dieser  Spätzeit,  wie  des  Qua- 
glio,  J.  H.  F.  Zimmermann  (f  1792)  und  Verona  führt  von  dem  Barock  in  die 
früheste  Romantik  hinüber.  Die  Idyllendichtung  Gesners  und  des  Malers 
Müller  von  Mannheim  ist  eine  Fortentwicklung  der  Schäferpoesie  und  Na- 
turempfindung des  Rokoko,  die  Ewald  von  Kleist  vertrat  -3) .  Die  Hirten,  Schä- 
fer, Grazien  und  Nymphen  sind  die  aus  der  Rokokomalerei  und  dem  Porzel- 
lan bekannten  Wesen.  Namentlich  hat  Wieland  der  graziösen  und  galanten 
Welt  in  seinen  Romanen  und  Dichtungen  gehuldigt.  Eines  nur  ist  gegenüber 
dem  Rokoko  fortgeschritten :  die  Empfindung  für  die  Landschaft.  Indes 
all  die  lieblichen  Haine,  die  blauen,  von  Zephir  umflüsterten  Seen  und  In- 
seln, die  Blumenwiesen  und  Grotten  und  Wasserstürze  in  Gesners  und  Mül- 

362 


Abb.  205.     Job.  H.  W.  Tischbein,  Goethe  in  Rom.     Frankfurt,  Städelsches  Institut 

lers  Idyllen  erinnern  an  die  arkadische  Welt  der  Parks  des  Rokoko,  wie  auch 
die  Illustrationen  der  beiden  malenden  Dichter  über  die  Grazien,  Amoretten, 
Schäfer  und  arkadischen  Landschaften  nicht  hinausgehn.  Der  Landschafts- 
maler Joh.  Samuel  Bach,  aus  Hamburg,  ein  Schüler  Krügers  in  Potsdam 
und  Ösers,  ist  ein  geistesverwandter  Meister  (f  1778,  Abb.  206).  Nur 
in  der  Freude  an  den  krausen  Bäumen,  an  den  Ulmen  und  Eichen,  bricht 
stellenweise  eine  romantische  Empfindung  hervor. 

Goethes  Gesänge  aus  den  beginnenden  siebziger  Jahren  durchströmt  dagegen 
eine  neue  leidenschaftliche  Versenkung  in  die  Natur.  Hier  erst  erweitert  sich 
das  Herz  im  Anblick  der  Landschaft.  Die  Seele  geht  über  in  die  Gräser,  in 
die  Blumen,  in  Bäume,  Sträucher  und  Felsen,  sie  schäumt  mit  dem  Wasser- 
fall, „stäubt  lieblich  in  Wolkenwellen  zum  glatten  Fels  und  leicht  empfangen 
wallt  sie  verschleiernd  zur  Tiefe  nieder".  Sie  rauscht  in  den  Wipfeln  und 
wallt  mit  Wolken  und  Nebeln  aufwärts.  In  den  besten  dieser  Hymnen 
walten  ein  rhythmisches  Empfinden  und  eine  Seelenbewegung,  die  uns  das 
Jahrhundert  schon  in  den  großen  Raumschöpfungen  und  den  gemalten  Dek- 


363 


Abb.  2o5.     Job.  Samuel  Bach,  Landschaft,  um  1770.     Hamburg,  Kunsthalle 

ken  spüren  ließ.  Hier  ist  ein  Wendepunkt.  Dichtung  und  Musik  übernehmen 
die  Führung  in  dem  Augenblick,  wo  die  schöpferische  Kraft  der  räumlich 
imd  plastisch  bildenden  Künste  nachläßt.  Der  wirkende  Genius  eines  großen 
Volkes  ist  ein  einziger  Strom,  der  bald  hier,  bald  dort  seinen  Weg  sucht.  Ist 
der  körperlich  tätige  räumliche  und  plastische  Sinn  erlahmt,  so  tritt  ein  an- 
derer an  seine  Stelle.  Zweifellos  hat  das  seelische  Empfinden  nun  einen  Grad 
erreicht,  dem  die  begrenzten  Formen  der  bildenden  Kunst  nicht  mehr  genü- 
gen. Die  Goetheschen  Gesänge  dieser  Jahre,  wie  auch  der  Goetz,  der  Wer- 
ther, der  Hymnus  auf  Erwin  von  Steinbach  und  das  Straßburger  Münster, 
sind  die  ersten  Zeugnisse  eines  neuen  Geschlechtes,  die  Vorzeichen  der  Ro- 
mantik. 

In  der  Gartenkunst  regt  sich  die  Durchbrechung  der  Stilgrundsätze  des 
Jahrhunderts.  Auch  hier  sind  die  Fäden  zu  dem  Rokoko  nicht  zu  übersehen. 
All  die  Schwärmereien  und  Einsiedeleien,  wie  sie  Carl  Theodor  im  Schwet- 
zinger  und  Friedrich  Franz  im  Wörlitzer,  Carl  August  und  Goethe  im  Wei- 
marer Park  schaffen,  sind  in  ihren  Ursprüngen  bis  in  die  Barockzeit  zurück- 


364 


zuverfolgen.  Die  Grotten  und  Tempel,  die  immergrünen  Bäume  und  Haine 
lassen  die  Berührung  noch  dieser  Zeit  mit  dem  südlichen,  dem  italienischen 
Wesen  durchblicken.  Erst  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  erwacht  unter  dem 
Studium  der  englischen  Gartenschöpfungen  der  Sinn  für  große  malerische 
Wirkungen  heimischer  Baumgruppen  und  weiter  Wiesen.  Der  von  Carl 
Theodor  begonnene  Englische  Garten  in  München  und  der  von  Friedrich  Wil- 
helm II.  umgestaltete  Charlottenburger  Park  sind  neben  denen  von  Wörlitz, 
Weimar  und  Schwetzingen  hervorzuheben. 

Die  aufblühende  Landschaftsmalerei  hat  den  idealisierenden  Stil  in  ähn- 
licher Weise  beibehalten  —  schon  die  neuerwachende  Neigung  für  Claude 
Lorrain  deutet  auf  die  Vorliebe,  deren  sich  die  großen  Formen  der  italieni- 
schen Landschaft  erfreuen.  Hackert,  wie  Winckelmann  ein  Sohn  der  Mark, 
hat  in  seinen  italienischen  Landschaften  den  Stil  Lorrains  weitergebildet. 
Goethes  und  Knieps  und  Tischbeins  Landschaftsdarstellungen  bleiben  dieser 
Richtung  treu.  Noch  Lüttke,  Schinkels  Lehrer,  vertritt  den  arkadischen 
Stil,  um  seine  Bilder  im  Marmorpalais  zu  nennen.  Schütz  und  die  Kobell 
in  Mannheim  und  später  in  München  suchen  den  Weg  zur  heimischen 
Landschaft,  teilweise  durch  die  alten  Niederländer.  Auch  die  Waldland- 
schaften des  Pascha  Weitsch  und  die  Dresdner  Landschafter  streben  in 
dieser  Richtung.  Doch  beginnt  erst  mit  Caspar  David  Friedrich,  seit  1798 
in  Dresden,  der  wahre  Aufschwung  dieser  Gattung. 


365 


Abb.  207.     K.  G.  Langhans,  Brandenburger  Tor  in  Berlin,  1789 


AUSGANG    DES  JAHRHUNDERTS 

Der  in  dem  deutschen  Barock  und  Rokoko  waltende  künstlerische  Geist 
hat  sich  also  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  Jahrhunderts  zwar  gewandelt 
und  gemäßigt,  aber  nicht  erschöpft.  Die  räumliche  und  plastische  Gestal- 
tungskraft ist  allmählich  hinter  dem  Streben  nach  klarem  Ausdruck,  nach 
Ruhe  und  Einfachheit,  nach  Natur  und  Natürlichkeit  zurückgetreten. 

Erst  unserer  Generation  blieb  es  vorbehalten,  die  künstlerischen  Werte  zu 
erkennen,  die  auch  noch  in  den  Schöpfungen  des  ausgehenden  18.  Jahrhun- 
derts liegen.  Insbesondere  ist  der  Baukunst  unserer  Zeit  das  Zurückgreifen 
auf  die  Gestaltungsweise  der  bürgerlichen  und  ländlichen  Baukunst  dieser 
Epoche  zum  Segen  geworden.  Es  liegen  hier  greifbar  die  letzten  Überliefe- 
rungen des  wahrhaft  architektonischen  Empfindens  beschlossen,  das  dem 
18.  Jahrhundert  eigentümlich  war. 

Allerdings  treten  bereits  am  Ausgang  des  Rokoko  Anzeichen  auf,  die  die 
Auflösung  des  Stilgefühls  vorausverkünden.  Einer  der  schwerwiegendsten 
Vorwürfe,  womit  die  Spätzeit  des  Jahrhunderts  in  Bausch  und  Bogen  abge- 


366 


tan  wurde,  ist  „die  Nachahmung  der  Antik  e".  Winckelmann  soll 
durch  seine  Schriften  diese  Nachahmung  seit  den  sechziger  Jahren  herbeige- 
führt haben.  Daß  der  Einfluß  Winckelmanns  —  der  beiläufig  bemerkt  in  sei- 
nen ästhetischen  Anschauungen  in  seiner  Zeit,  im  ausgehenden  Rokoko  wur- 
zelt, —  erheblich  oder  gar  entscheidend  das  praktische  Schaffen  in  andere 
Bahnen  geleitet  haben  soll,  ist  nur  Theorie.  Die  Künstler  haben  damals  im- 
mer noch  nur  von  Künstlern  in  den  Werkstätten,  und  auf  den  Bauplätzen  ge- 
lernt. Es  sind  eigentlich  nur  die  Künstler  zweiten  Grades,  Akademiedirek- 
toren wie  Oeser,  Goethes  Lehrer  in  Leipzig,  und  Hagedorn  in  Dresden,  ferner 
die  ästhetischen  Schriftsteller  wie  Lessing,  Sulzer,  Kant,  Herder  und  späterhin 
Goethe  und  sein  Kreis,  die  Archäologen  Hirt,  Moritz  und  Bötticher,  die  die 
Winckelmannschen  Forderungen  von  der  ,, Nachahmung  der  Antike"  aufneh- 
men. Was  haben  die  besten  Werke  Schadows,  etwa  sein  Ziethen  und  der 
Alte  Dessauer,  die  herrlichen  Säle  des  Langhans,  eine  Dorfsiedlung,  ein 
Landhaus,  eine  Kaserne  und  Fabrik  von  David  Gilly  (Schlußvignette)  mit 
der  Nachahmung  der  Antike  zu  tun?  Man  bedenke  nur,  daß  die  Kunst  seit 
der  Renaissance  doch  immer  bestrebt  gewesen  ist,  der  Antike  gleichzukom- 
men. So  fordert  auch  der  Barock,  wie  Berninis  Worte  und  Schlüters  An-( 
Schaffungen  von  Gipsen  schon  beweisen,  daß  der  Künstler  neben  der  Natur 
die  Antike  zum  Ausgangspunkt  nehmen  soll.  Sogar  an  Permosers  Werken 
rühmen  die  Zeitgenossen  die  antike  Form!  In  der  Zeit  des  Rokoko  haben 
Glume  und  Nahl  in  ihren  Ringer-  und  Rossebändigergruppen  der  Antike 
nacheifern  wollen.  Und  käme  es  auf  das  äußere  Kostüm  an,  dann  wären  die 
als  antike  Heroen  frisierten  Fürstenbilder  des  Barock  und  Rokoko  antiker, 
als  die  Feldherrnstatuen  in  der  Zeittracht  aus  der  klassizistischen  Epoche! 
Nein,  darauf  kommt  es  nicht  an.  Sondern  das  ist  der  Kern  der  Frage:  wel- 
cher Art  das  Verhältnis  zur  Antike  ist.  Hat  die  gestaltende  Bildnerkraft  die 
Anregung  der  Antike  im  Feuer  der  eigenen  Empfindung  zu  neuen  Bildungen 
umgeschaffen?  Die  Beurteilung  eines  Kunstwerks  hat  nur  nach  dem  Maß 
des  in  ihm  verkörperten  räumlichen,  plastischen  oder  malerischen  Könnens 
zu  fragen.  Und  diese  vorurteilslose  Betrachtung  verlangen  auch  die  Schöp- 
fungen des  Klassizismus  in  Deutschland.  Nur  dort,  wo  die  Forderung  einer 
wissenschaftlichen  Nachahmung  der  Antike  erhoben  und  in  die  Praxis  umge- 
setzt wurde,  wie  unter  dem  Einfluß  der  oben  genannten  Dilettanten  und 
Theoretiker :  da  liegen  die  Keime  zur  Untergrabung  der  künstlerischen 
Schaffensweise.  Diese  Richtung  kommt  bezeichnenderweise  zuerst  mit  den 
Nachbildungen  römischer  und  griechischer  Tempelgebäude  in  den  male- 
risch umgestalteten  Parks  der  siebziger  Jahre  auf. 

Das  archäologische  und  geschichtliche  Interesse  verquickt  sich  mit  dem 

367 


romantisch  sentimentalen,  um  neben  den  Werken  „edler  Einfalt  und 
stiller  Größe"  die  „der  tapferen  und  ritterlichen  Heldenvorzeit",  die  im  goti- 
schen Stile  zu  stellen  2-+).  Empfindungen  römischer  Bürgergröße  und  vergei- 
stigte, ins  Unbegrenzte  schweifende  Raumvorstellungen  treten  am  Ausgang 
des  Jahrhunderts  hinzu,  durch  Gedanken  der  französischen  Revolutionsarchi- 
tekten genährt,  um  selbst  die  Künstler  aus  dem  alten  Gleise  zu  bringen.  Die 
pathetischen  Denkmalsentwürfe  von  Friedrich  Gilly  (Abb.  20g),  von  Gentz, 
Louis  Catel,  Weinbrenner  und  dem  jungen  Klenze  und  Schinkel  sind  dafür 
Beweise  -5) .  Man  greift  auf  den  schweren,  ungegliederten  frühdorischen  Stil  zu- 
rück, um  die  äußerste  Größe  und  Majestät  auszudrücken.  Das  Unsicherwer- 
den des  architektonischen  Instinktes  äußert  sich  in  der  Loslösung  von  der 
maßstäblichen  Gesetzlichkeit,  die  der  Grundzug  des  baukünstlerischen  Schaf- 
fens im  18.  Jahrhundert  gewesen  war.  Man  verwirft  die  Säulenordnungen 
des  Vignola  und  öffnet  der  Willkür  in  den  Verhältnissen  Tor  und  Tür.  Über- 
aus kennzeichnend  sind  für  diese  Strömung  die  Worte  des  jungen  Dury,  die 
er  aus  Rom  an  seinen  alten  Vater,  den  Erbauer  des  Schlosses  Wilhelmshöhe, 
richtet:  „Die  jungen  deutschen  Künstler  gehen  so  weit,  daß  sie  alle  Säulen- 
ordnungen und  Verhältnisse  verwerfen.  Sie  machen  die  Säulen  und  Gebälke 
so  hoch  als  ihnen  gefällt  und  als  sie  glauben,  daß  es  dienlich  und  schön  ist. 
Die  Regeln  sind  ihnen  verhaßt."  Wie  auf  das  architektonische  und  plastische, 
so  wirkte  auch  auf  das  malerische  Gestaltungsvermögen  die  gedankliche 
historische,  sentimentale  und  archäologische  Richtung  um  die  Jahrhundert- 
wende abschwächend  ein.  Der  malerische  Auftrag  wird  trockener,  und  end- 
lich gilt  die  Kartonzeichnung  nach  Antiken,  nach  Raffael  und  Michelangelo, 
die  Carstens  und  etwa  der  Weimarer  Künstlerkreis  gepflegt  haben,  mehr 
als  ein  frisch  gemaltes  Bildnis. 

Inzwischen  waren  die  äußeren  und  inneren  Verhältnisse  des  Jahrhunderts 
überhaupt  ins  Wanken  geraten.  Im  Jahre  1790  vereinigte  die  Kaiserkrönung 
Leopolds  II.  nochmals  in  Frankfurt  die  weltlichen  und  geistlichen  Fürsten 
und  Stände  des  Heiligen  Römischen  Reiches  Deutscher  Nation,  indessen  in 
Frankreich  die  Revolution  auf  dem  Marsche  war.  Noch  einmal  entwickelte 
sich  im  Römer  und  im  Dom  der  alte  Glanz.  An  den  Dekorationen  wirkten 
beiläufig  Mangin  und  Goethes  späterer  Freund  und  Weimarer  Oberbaudirek- 
tor Coudray-'')  mit.  Kläglich  endete  der  Versuch  des  Kaisers,  Friedrich  Wil- 
helms II.  und  des  Reiches,  den  französischen  König  zu  retten.  Sie  zogen  die 
französischen  Revolutionsheere  hinter  sich  her  und  mußten  ihnen  das  linke 
Rheinufer  überlassen.  Die  geistlichen  Kurfürsten  flohen  aus  ihren  Residen- 
zen. An  der  Schwelle  des  neuen  Jahrhunderts  wurde  durch  den  Reichsdepu- 
tationshauptschluß den  geistlichen  Fürstentümern  und  Ständen  in  Deutsch- 

368 


Abb.  208.     Zimmer  im  Stein  bei  Wörlitz,  von  Erdmannsdorf,  um  1775 

Schmitz,   18.  Jahrh.     24  369 


Abb.  209.     Friedrich  Gilly,   Entwurf   zum  Denkmal  Friedrichs  d.  Gr.     BerUn  1797 

land  ein  Ende  gemacht.  Bald  darauf  stürzte  das  tausendjährige  Reich  und 
mit  ihm  Preußen  unter  den  Schlägen  Napoleons  zusammen.  Damit  gingen 
zum  großen  Teil  die  Vorrechte  der  Fürsten,  der  Kirche  und  des  Adels  ver- 
loren. Das  Bürgertum  gewann  wie  schon  früher  im  geistigen  so  im  politi- 
schen und  wirtschaftlichen  Leben  eine  ausschlaggebende  Stellung.  Die 
Städteverfassungen  und  die  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  der  Bauern  be- 
zeichnen die  Umwälzung  des  Staatskörpers  den  Verhältnissen  der  neuen  Zeit 
gemäß. 

Auch  das  kirchliche  Empfinden,  das  die  Barock-  und  Rokokokunst  mit  em- 
porgetragen hatte,  war  zugleich  mit  den  künstlerischen  Gefühlsmächten  zu- 
rückgetreten. Auf  die  fast  schwärmerische,  zuweilen  sogar  süßliche  Reli- 
giosität des  spätesten  Rokoko  —  auf  der  protestantischen  Seite  rechnet  dahin 
zum  Teil  auch  Klopstocks  Dichtung  — ,  folgte  mit  dem  Klassizismus  eine 
Abkühlung.  Die  Aufhebung  des  Jesuitenordens,  dieses  Bannerträgers  der 
katholischen  Bewegung,  im  Jahre  1773,  ist  ein  denkwürdiges  Ereignis.  Es 
erlischt  die  emsige  Tätigkeit  der  Orden  und  Universitäten  auf  dem  Gebiete 
der  liturgischen  und  apologetischen  Forschung.  Die  Aufklärung  findet  Ein- 
gang in  den  geistlichen  Gebieten,  selbst  an  den  Höfen  der  Kurfürsten  Fried- 
rich Karl  von  Erthal  in  Mainz,  Prinz  Maximilian  Friedrich  von  Köln  und 
Clemens  Wenzeslaus  von  Trier,  die  in  dem  Emser  Kongreß  1786  die  Rechte 
des  Papstes  in  Deutschland  zu  beschränken  suchten.  In  dem  Koadjutor  von 
Mainz,  Karl  von  Dalberg,  fanden  Wieland  und  Forster  einen  Gönner.  Eine 
neue  Art  von  Frömmigkeit  erwuchs  erst  wieder  an  der  Wende  zum  neuen 
Jahrhundert  in  der  erblühenden  Romantik. 


370 


Eine  Forderung  ist  es  vor  allem,  die  den  Gegensatz  der  neuen  (roman- 
tischen) Ästhetik  dem  1 8.  Jahrhundert  gegenüber  bestimmt:  das  Schöne  sei 
zugleich  das  Gute.  Diese  von  Herder  geförderte  und  von  Schiller  in  seinen 
ästhetischen  Schriften  umfassend  begründete  Anschauung  vom  Wesen  der 
Kunst  als  eines  moralischen  Erziehungsmittels  bezeichnet  zusammen  mit  den 
oben  genannten  Erscheinungen  die  Auflösung  des  künstlerischen  Stilempfin- 
dens des  Jahrhunderts. 

Am  Ausgang  des  Jahrhunderts  waren  die  Industrie,  der  Kohlen-  und  Erz- 
bergbau, die  Eisengießerei  und  das  Maschinenwesen,  besonders  in  Schlesien 
und  im  Ruhrgebiet,  sowie  die  Textilfabrikation  am  Rhein  und  in  Obersach- 
sen mächtig  emporgekommen.  Das  technische  und  naturwissenschaftliche 
Denken  bemächtigte  sich  der  in  die  Zukunft  weisenden  geistigen  Mächte. 
Auch  dadurch  mußte  dem  freiwaltenden  künstlerischen  Schaffensgeist  Ein- 
trag geschehen.  Neue  gewaltige  Aufgaben  eröffneten  sich  dem  menschlichen 
Betätigungsdrang.  Die  aristokratischen  Ideale  verloren  ihren  Inhalt.  Die  ar- 
beitenden bürgerlichen  Schichten  und  am  fernen  Horizont  die  unteren  Stände 
forderten  ihre  Gleichstellung  mit  den  so  lange  herrschend  gewesenen  Klas- 
sen. Die  wirtschaftlichen  Kämpfe  bereiten  sich  vor,  in  denen  wir  heute  mit- 
ten drin  stehen.    Ein  neues  Zeitalter  zieht  herauf. 

So  trafen  auf  der  Wende  des  i8.  zum  19.  Jahrhundert  zahlreiche  äußere 
und  innere  Umstände  zusammen,  die  eine  gänzliche  Umformung  im  Seelen- 
leben der  deutschen  —  wie  überhaupt  der  Kulturmenschheit  zur  Folge  haben 
mußten.  Der  Umschwung  kommt  auch  in  der  tiefgreifenden  Wandlung 
der  Kunstauffassung  zutage,  die  sich  mit  dem  Eintritt  in  das  19.  Jahr- 
hundert vollzieht  und  dieses  alsbald  in  wachsenden  Gegensatz  zu  dem 
18.  Jahrhundert  brachte. 


M' 


371 


ANMERKUNGEN  UND  ZUSÄTZE 

(Die   Literaturangaben  verzeichnen    im  allgemeinen  nur  die  neueste  Literatur    und   erheben   keinen  Anspruch 

auf  Vollständigkeit) 

i)  Zu  Seite  28.  Über  die  Lebensverhältnisse  und  die  geistige  Bildung  des  deutschen 
Bürger-  und  Bauerntums  im  17.  und  18.  Jahrhundert  findet  man  Aufschluß  im 
3.  und  4.  Bande  von  Gustav  Freytags  Bildern  aus  der  deutschen  Vergangenheit.  Ein 
denkwürdiges  Zeugnis  des  in  den  Hansastädten  lebendigen  Bürgersinnes  ist  der  dort 
mitgeteilte  Brief  des  Hamburger  Bürgermeisters  Schulte  an  seinen  Sohn  in  Lissabon. 

2)  Zu  Seite  31.  Reichhaltige  Sammlungen  deutscher  Fe  stliteratur  des  Barock  be- 
sitzen die  Ornamentstichsammlung  und  Lipperheidesche  Kostümbibliothek  des  Kunst- 
gewerbemuseums in  Berlin,  auf  deren  gedruckte  Kataloge  verwiesen  sei.  Auch  die 
Dresdner  und  Münchner  Kupferstichkabinette  sind  zu  nennen.  Die  große  Veröffent- 
lichung Louis  Sponsels  über  den  Zwinger  in  Dresden  und  die  damit  zusammenhängenden 
Feste  ist  leider  nicht  über  den  Tafelband  gediehen.  Im  vorliegenden  Buche  ist  von 
der  Abbildung  gestochener  Feste  abgesehen  worden,  da  sich  darunter  nichts  künstlerisch 
Einwandfreies,  nichts,  was  den  Vergleich  mit  den  besten  französischen  Schöpfungen  der 
Gattung  aushält,  findet.  Den  großen  Stil,  den  in  Frankreich  etwa  auch  die  Fest-  und 
Trauerpredigten  Bossuets  erreicht  haben,  vermissen  wir  in  den  deutschen  Stichen. 
Als  Gegenstück  der  hier  beschriebenen  Luft-  und  Wasserfeuerwerke  Friedrichs  I.  und 
Augusts  des  Starken  sei  noch  das  auf  dem  Starnberger  See  von  dem  Kurfürsten  von 
Bayern  abgehaltene  genannt,  das  Fleming  in  dem  Teutschen  Jäger  (1724)  beschreibt. 
Auf  dem  nach  dem  Modell  des  venetianischen  Buzentaurus  erbauten  Prachtschiffe 
des  kurfürstlichen  Hofes  findet  eine  Lusttaufe  der  anwesenden  hohen  Gäste  statt: 
„Als  sich  aber  einige  von  geringerem  Stande  zu  dieser  Zeremonie  präsentierten, 
wurde  das  Wasser  in  größerer  Menge  über  ihre  Köpfe  geschüttet,  wobei  sie  sich 
doch  glücklich  schätzen  konnten,  daß  sie  hohen  Personen  zur  Kurzweil  gedient 
hatten." 

Von  weitgehender  Bedeutung  für  die  Geschichte  der  Feste  des  Barock,  aber  auch 
der  Bau-  und  Gartenkunst  und  Waldkultur  sind  die  großen  Hauptjagden  und  einge- 
stellten Jagden,  die  Wasserjagden  und  Tierhetzen.  Eine  ausführliche  Würdigung  dieser 
für  den  Seelenzustand  der  barocken  deutschen  Hofgesellschaft  so  erkenntnisreichen 
Veranstaltungen  mit  allem,  was  zur  künstlerischen  Veredlung  der  Jagd  gehört,  wird 
das  von  dem  Verfasser  vorbereitete  Werk:  „Waidwerk  und  Kunst"  bringen.  Für  er- 
gänzende einschlägige  Nachrichten  hierüber  wäre  der  Verfasser  zu  Dank  verpflichtet. 

3)  Zu  Seite  64.  Unter  den  Stadtregulierungen  verdient  die  Magdeburgs  durch 
ihren  Festungskommandanten,  den  alten  Dessauer,  noch  Beachtung.  Er  befiehlt  nicht 
nur  gleiche  Höhe,  sondern  auch  gleiche  gelbe  Farbe  der  Häuser;  während  jetzt 
Magdeburg  nach  der  Staatsumwälzung  bekanntlich  ein  Narrengewand  anlegt.  Eine 
hübsche  Anlage  ist  ferner  der  dreieckige  Platz  vor  der  Residenz  in  Eichstätt, 
mit  den  Domherrnkurien,  eine  Schöpfung  Pedettis,  jetzt  leider  durch  eine  im  19.  Jahr- 
hundert von  dem  Herzog  von  Leuchtenberg  gepflanzte,  dichte  englische  Gartenanlage 
entstellt. 

24a  373 


4)  Zu  Seite  68.  In  seltenem  Maße  wird  uns  die  Absicht  der  Kirchenau  sstattung 
des  Barock  verständlich  in  dem  Dom  zu  Eichstätt,  der  in  der  vorderen  Partie, 
dem  Willibaldschor,  von  Gabrielo  de  Gabrielis  im  Anfang  des  i8.  Jahrhunderts  um- 
geändert wurde.  Eine  Brücke  führt  gerade  auf  die  Fassade,  deren  Portal,  von 
Pilastern  und  dem  flachgebogenen  Giebel  gleichsam  perspektivisch  eingefaßt,  den 
Näherkommenden  in  sich  hineinzieht.  Sogleich  beim  Eintritt  sieht  sich  der  Gläubige 
einem  gewaltigen  goldstrotzenden  Säulenziborium  gegenüber,  das  aus  dem  Dunkel 
des  Raumes  hervorschimmert. 

5)  Zu  Seite  70.  Zum  Verständnis  der  Heiligenverehrung  des  Barock  ist  die 
von  Gustav  Freytag  mitgeteilte  Geschichte  der  Ermordung  und  Beisetzung  des  Juden- 
knaben Simon  Abeles  in  Prag  (Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit  Band  3)  vor 
vielen  anderen  lehrreich. 

6)  Zu  Seite  76.  Im  Anschluß  an  die  Hofkirche  entstand  in  Neuburg  selbst  später 
die  Pfarrkirche  St.  Peter,  dicht  bei  der  ersteren.  Als  wichtige  Spätrenaissancekirche 
sei  noch  die  Jesuitenkirche  in  Eichstätt  um  1620  mit  charakteristischer  Fassade  und 
Turmbildung  angeführt.  Die  Verwendung  des  blendend  weißen  Putzes  läßt  sowohl 
in  Neuburg  wie  in  Eichstätt  die  Grenze  zwischen  Renaissance  und  Barock  kaum 
spüren.  Vergleiche  über  die  genannten  Kirchen  das  Werk  des  Pater  Braun  über 
die  Jesuitenkirchen  in  Deutschland  und  ferner  die  zusammenfassende  Darstellung  bei 
Hauttmann,  Geschichte  der  kirchlichen  Baukunst  in  Bayern,  Schwaben  und  Franken 
1550— 1780.     1921. 

7)  Zu  Seite  99.  Das  ehemalige  Benediktinerkloster  Neresheim  liegt  in  Schwaben, 
zwei  Stunden  von  Nördlingen  auf  einsamer  Höhe.  Nur  der  Entwurf  des  Innern 
geht  auf  Neumann  zurück  (Abb.  51).  Die  Ausführung  zog  sich  lange  über  seinen 
Tod  (1753)  hinaus.  Die  Deckengemälde  von  Knoller  und  Schöpf,  1771-75  ausgeführt, 
wirken  bunt  und  unvermittelt  in  dem  klassizistisch  geweißten  Räume.  Die  Altäre 
sind  schon  reifes  Louisseize.  Die  großartige  Wirkung  entsteht  durch  die  völlige  Ein- 
heitlichkeit des  von  bewegten  Wänden  umgrenzten  Raumes.  Neuerdings  ist  das 
Kloster,  wie  in  Ellwangen,  Weingarten,  Banz  und  anderen  süddeutschen  Abteien, 
wieder  von  Mönchen  besetzt  worden.  —  Der  Eindruck  des  Inneren  von  Vierzehn- 
heiligen wird  durch  die  moderne  Bemalung  resp.  Erneuerung  beeinträchtigt.  Doch 
ist  diese  Wiederherstellung  noch  befriedigend  im  Vergleich  mit  der  in  den  letzten 
Jahren  um  sich  greifenden  Neubemalung  und  Vergoldung  der  Barockkirchen  in 
Bayern.  —  Über  Neumanns  Kirchenbauten  vgl.  neuerdings  das  oben  zitierte  Buch 
von  Hauttmann.  Die  Rotunde  von  Holzkirchen  (S.  50)  behandelt  der  wichtige  Aufsatz 
von  Feulner  :  B.  Neumanns  Rotunde  in  Holzkirchen,  konstruierte  Risse  in  der  Barock- 
architektur, Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Arch.,  Bd.  VI.  Im  vorigen  Jahre  fand  im  Würz- 
burger Schlosse  eine  Ausstellung  der  Neumannschen  Zeichnungen  statt.  Von  mehreren 
Seiten  wird  gegenwärtig  eine  Bearbeitung  Neumanns  unternommen.  Die  zahlreichen, 
hier  nicht  zu  erörternden  Streitfragen  werden  dadurch  hoffentlich  der  Lösung  näher 
gerückt.  Dies  wird  durch  die  von  Wien  her  in  Angriff  genommene  Biographie  Lukas 
von  Hildebrands  noch  gefördert  werden.  Zu  dem  Spätstil  Neumanns  und  zur  Ver- 
breitung seiner  Schule  hat  Karl  Lohmeyer  in  Heidelberg  in  seinem  Buche  über  Jo- 
hannes Seiz  und  in  anderen  Forschungen  wichtige  Beiträge  geliefert.  Vgl.  auch 
Lohmeyers  Ausgabe  der  Briefe  Neumanns  von  seiner  Pariser  Studienreise  1723. 

8)  Zu  Seite  118.  Die  Risse  zur  Kirche  in  Buch  in  der  Ornamentstichsammlung 
des    Berliner    Kunstgewerbemuseums     sind     unterzeichnet ;    J  C  Wiesendt.     Darnach 

374 


dürfte  Conrad  Wiesendt,    der    Erbauer    des  Hausministeriums   in   der  Wilhelmstr.  73 
in  Berlin  (1734  -  1739),  die  Entwürfe  gefertigt  und  Dietrichs  sie  ausgeführt  haben. 

9)  Zu  Seite  150.  Der  ältere  Teil  des  Schlosses  von  Ansbach  ist  der  recht- 
eckige, in  den  Ecken  ausgebuchtete  Hof  mit  (ehemals  offenen,  jetzt  verglasten)  Ar- 
kadenstellungen in  allen  drei  Geschossen  von  dem  Oberitaliener  Gabriel  de  Gabrielis, 
dem  Erbauer  der  Eichstätter  Domfassade.  Die  Arkaden  sind  barocke  Umbildungen 
eines  Paladiomotivs  —  ein  Bogenfenster  zwischen  zwei  gerade  schließenden  Fenstern. 
Sie  wirken  hier  wie  Balkons  von  Theaterlogen,  und  in  der  Tat  ist  der  ringsum  davon 
umzogene  Schloßhof  als  Theaterraum  für  Turniere  und  Feste  gestaltet.  Die  um 
1730  entstandene  Hauptfront  von  Zocha  zeigt  gegenüber  der  bewegten  barocken  Kom- 
position Gabrielis  im  Hofe  die  mehr  klassisch  gebildete  strenge  Pilasterreihung 
der  französischen  Richtung;  durch  das  teilweise  Fehlen  der  Figuren  auf  der  Attika 
kommt  allerdings  der  Rhythmus  der  Fassade  nicht  mehr  voll  zur  Geltung.  Das  um 
1720  von  Richter,  Böhme  und  Dietrichs  erbaute  Schloß  in  Schwedt  hat  ähnliche 
Pilasterstellungen. 

'°)  Zu  Seite  179.  Über  die  süddeutsche  Deckenmalerei  des  18.  Jahrhunderts  ist  auf 
die  inhaltreichen  Schriften  von  Adolf  Feulner,  Christian  Wink  (München  191 1)  und 
die  Zick,  Deutsche  Maler  des  18.  Jahrhunderts  (München  1920),  Jos.  Popp,  Martin 
Knoller  (Innsbruck   1905)   hinzuweisen. 

")  Zu  Seite  194.  Die  Innenausstattung  des  Schlosses  Ansbach  ist  haupt- 
sächlich um  1725  bis  1735  entstanden  und  ist  neben  den  Münchner  Schöpfungen  dieser 
Jahre  wichtig  für  die  letzte  Entwicklung  der  Regeneeornamentik  und  die  Anfänge 
des  Rokoko.  Besonders  reizvoll  ist  das  Kabinett  mit  der  Ausstattung  in  Ansbacher 
und  Meißener  Porzellan,  ferner  im  Vorraum  mit  Ansbacher  Fayencefliesen.  Die  von 
Wilhelmine  eingerichteten  Zimmer  im  Schloß  von  Bayreuth  und  in  der  Eremitage 
gehören  der  besten  Zeit  des  Rokoko  um  1740  bis  1750  an.  Es  zeigen  sich  Anklänge 
an  die  Ausstattungen  ihres  Bruders  in  Potsdam  —  ein  Zimmer  mit  naturalistischen 
Blumenzweigen  und  Papageien,  ein  Musikzimmer  mit  eingelassenen  Bildern,  e'n  zedern- 
holzvertäfelter  Saal  fehlen  nicht  —  allein  künstlerisch  ist  alles  geringer.  Vgl.  die 
Schrift  von  Friedr.  H.  Hof  mann,  Bayreuth  und  seine  Kunstdenkmale,  München  1902. 
Dr.  Hofmann  plant  eine  Herausgabe  der  Schlösser  von  Bayreuth  und  Ansbach  und 
der  übrigen  ehemals  Kgl.  Bayer.  Schlösser. 

12)  Zu  Seite  224.  Von  weiteren  Werken  Andreas  S  c  hl  ü  t  e  rs  sind  noch  die  Stuck- 
gruppen am  Gesimse  des  großen  Saales  im  Potsdamer  Stadtschloß  zu  nennen,  darunter 
ein  prächtiger  Apoll  (1694).  Nicht  von  Schlüter  sind  die  ihm  zugeschriebene  Mar- 
niorbüste  Friedrichs  I.  im  Berliner  Schloß,  die  Büste  des  Landgrafen  Friedrich,  ein  Bronze- 
guß Jacobis,  in  Kassel  und  das  Kanonenrohr  im  Zeughaus,  beide  letzteren  ihm  erst 
kürzlich  zugeschrieben ;  ferner  haben  die  ihm  zugewiesenen  Elfenbeine  im  Kaiser- 
Friedrich-Museum  nichts  mit  Schlüter  zu  tun.  Eher  ist  schon  ein  Schlütersches 
Modell  bei  dem  prächtigen  Nautiluspokal  von  Bernhard  Quippe  in  Berlin  im  Grünen 
Gewölbe  wahrscheinlich.  Ob  auch  der  von  Mannlich  für  Friedrich  I.  gefertigte  silberne 
Sechsundsechzigender-Hirsch,  wie  Paul  Seidel  vermutet,  auf  ein  Modell  des  großen 
Bildhauers  zurückgeht,  vermag  ich,  da  ich  das  Original  nicht  kenne,  nicht  zu  ent- 
scheiden. Die  von  Seidel  herangezogene  Notiz  von  Heinecken  verdient  jedenfalls  höchste 
Beachtung: 

„So  wie  nun  Schlüter  voll  von  Erfindungen  und  dabei  sehr  dienstfertig  war  :  so  half 
er  auch  gerne  allen  Künstlern  mit  seinen  Zeichnungen,  es  mochte  zum  Tapetenwirken 

24a'  375 


oder  zu  Stülen  oder  zur  Goldschmied-  oder  ausgelegter  Arbeit  sein;  und  dadurch  brachte 
er  diese  Stadt  sehr  in  Aufnehmen,  wie  denn  auch  sogar  die  Karossen  eine  bessere  Gestalt 
und  Form  durch  ihn  erlangten,  so  daß  sie  von  vielen  Auswärtigen  gesucht  wurden." 
Auf  einen  Entwuf  Schlüters  möchte  ich  den  Prunkschlitten  Friedrichs  I.  im  Berliner 
Schloß  zurückführen:  Pythus  Apoll  den  Drachen  Python  tötend.  —  Die  Gruppen  der 
Weltteile  in  der  langen  Galerie  von  Eosander  (1708)  sind  nicht  von  Schlüter,  sondern 
mit  Sicherheit  als  Werke  des  in  Rom  gebildeten  Charles  Dubut  zu  bestimmen,  der 
seit  1716  in  München,  in  Nymphenburg  mehrere  noch  erhaltene  und  teilweise  eng  ver- 
wandte Stuckdekorationen  schuf  (f  1742). 

13)  Zu  Seite  225.  Weitere  Barockbildhauer:  Heinrich  Pape  aus  Giershagen 
bei  Brilon;  von  ihm  das  schöne  Grabmal  des  Prinzen  Josias  von  Waldeck  mit  Türken- 
schlacht und  Kriegerfiguren  in  der  Kirche  zu  Wildungen  sowie  das  Grabmal  Georg 
Friedrichs  in  der  Kirche  zu  Corbach  um  1700.  Der  Flame  Joh.  Franz  van  Hel- 
mont,  von  dem  der  holzgeschnitzte  Macchabäeraltar  in  St.  Andreas  in  Köln  1717.  Der 
Flame  Gabriel  von  Grupello,  seit  1095  Hofbildhauer  Jan  Wilhelms,  aus  der 
Schule  des  Quellinus  und  in  Paris  weitergebildet;  außer  der  Reiterstatue  des  Kurfürsten 
(Abb.  4)  von  ihm  Marmorbildwerke  im  Schwetzinger  Park,  Tonmodelle  im  Brüsseler 
Museum.  Am  Hofe  Jan  Wilhelms  wirkte  auch  der  beste  Elfenbeinschnitzer  der  Zeit, 
Ignatius  Elhafen,  dessen  mythologische  Reliefs  meist  im  Münchner  National- 
museum sind.  Über  die  Kunsttätigkeit  am  Hofe  Jan  Wilhelms  bringt  das  Buch  von 
Richard  Klaphek,  Die  Baukunst  am  Niederrhein  1915,  1919,  reiches  Material.  Mit  El- 
hafen wetteifern  als  Elfenbeinschnitzer  Mathias  Steinle,  der  Schöpfer  der  Reiter- 
statuetten Leopolds  I.  (Abb.  i)  und  Josephs  I.  in  Wien  und  die  Maucher,  deren  Haupt- 
werke Schüsseln  und  Kannen  im  Berliner  Schloßmuseum  u.  a.  O.  sind.  Mehrere 
deutsche  Fürsten,  so  Max  Emanuel,  drechselten  selbst  in  Elfenbein,  wie  aus  dem  Werke 
von  Joh.  Martin  Teuber,  Drehkunst  1756,  zu  ersehen;  dieser  war  Kunst-  und  Silber- 
drechsler in  Regensburg. 

14)  Zu  Seite  232.  Über  Ignaz  Günther  vgl.  die  Schrift  von  Adolf  Feulner,  I.  G., 
Kurfürstl.  Bayerischer  Hofbildhauer  (1725 — 1775).  Wien  1920.  Jahresgabe  des  deutschen 
Vereins  für  Kunstwissenschaft. 

15)  Der  Altar  von  E  ge  11  aus  Mannheim  soll  im  deutschen  Museum  aufgestellt  werden. 
Kürzlich  sind  zwei  schöne  zugehörige  Kartuschen  vom  Kaiser-Friedrich-Museum  er- 
worben worden.  Direktor  Demmler  wird  demnächst  die  Arbeiten  Egells  —  ein  Altar 
von  ihm  ist  auch  in  Hildesheim  —  zusammenstellen. 

16)  Von  neueren  Publikationen  über  Barock-  und  Rokokoskulptur  seien  an- 
geführt: C.  List,  Bildhauerarbeiten  in  Österreich -Ungarn  von  dem  Barock  bis  zum 
Empire,  Wien,  und  Feulner,  Münchner  Barockskulptur,  München,  Riehn  und  Reusch. 
—  Die  besten,  in  dem  letzten  Jahrzehnt  sehr  bereicherten  Sammlungen  deutscher  Barock- 
und  Rokokobildwerke  sind  die  des  Münchner  Nationalmuseums  und  des  Kaiser-Fried- 
rich-Museums. Die  letztere  ist  durch  die  Fülle  kleinerer  Holz-  und  Tonmodelle  aus- 
gezeichnet.  Eine  Nennung  der  zahlreichen  weiteren  Meister  müssen  wir  uns  versagen. 

17)  Zu  Seite  234.  Vgl.  über  Tietz  neuerdings  Freiin  Eva  Luise  von  Stößel,  Ferdi- 
nand Tietz,  ein  Rokokobildhauer  und  seine  Tätigkeit  an  den  geistlichen  Fürstenhöfen 
in  Köln,  Trier,  Speyer,  Würzburg,  Bamberg.  Historischer  Verein,  Bamberg.  Die  zwei 
in  rötlichem  Sandstein  gemeißelten  Putten,  deren  eine  in  Abb.  123  wiedergegeben  ist, 
stammen  aus  einem  Würzburger  Hause  bei  der  Liebfrauenkirche.  Ebendaher  die  beiden 
jüngst  ins  Kaiser-Friedrich-Museum  gekommenen  Sandsteingruppen  von  Wagner. 

376 


i8)  Zu  Seite  238.  Über  Melchior  unterrichtet  die  kürzlich  erschienene  Biographie 
von  Friedrich  H.  Hofmann:  Joh.  Peter  Melchior,  1742 — 1825,  München  1921. 

19)  Zu  Seite  259.  Von  der  Therbusch,  geb.  Lisiewska  (ti782),  erwarb  kürzlich  das 
Kaiser-Friedrich-Museum  das  Porträt  eines  Sammlers  mit  einer  Bronze  von  Bertholdo 
vor  sich,  ein  Bildnis  von  Lebensfrische  und  kräftiger  Färbung  und  ohne  englische 
Allüren,  wie  sie  im  letzten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts  in  der  deutschen  Bildnis- 
malerei Mode  werden.    Die  Therbusch  malte  Verschiedenes  für  Friedrich  den  Großen. 

-°)  Zu  Seite  293.  Das  Schloßmuseum  veranstaltet  diesen  Winter  eine  Ausstellung 
von  märkischen  Fayencen.  Dadurch  wird  Berlin  als  der  Hauptsitz  der  von  Hol- 
ländern um  1700  begründeten  Fayencebäckereien  in  der  Mark  festgestellt.  Der  erste 
holländische  Porzellanmacher  van  der  Lee  wird  1678  von  dem  Großen  Kurfürsten  privi- 
legiert. Eine  Besonderheit  der  im  ersten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts  blühenden  Fabrik 
von  Funk  sind  Vasen  mit  farbigen  Fonds  und  figürlichen  Szenen  und  Chinesenbildern  in 
ausgesparten  Feldern  von  derber,  urwüchsiger  Zeichnung  in  Blau  oder  Manganviolett, 
ferner  walzenförmige  Bierkrüge  mit  den  Devisen  Friedrich  Wilhelms  I.  usw.  Es  handelt 
sich,  wie  in  den  meisten  Orten,  um  mehrere  nebeneinander  arbeitende  Fabriken.  Die  älteste, 
von  van  der  Lee  gegründete,  wurde  1683  nach  der  Stralauer  Straße  verlegt,  bis  1697 
führte  sie  Gerh.  Molin,  von  dann  ab  die  Familie  Wolbers.  Eine  zweite  betrieb  Cor- 
nelius Funk,  ein  Holländer,  von  1699  bis  1733.  Um  1740  scheint  die  Berliner  Fabrikation 
aufgehört  zu  haben.  Damals  begann  in  Potsdam  eine  Fayencefabrik  ihre  Tätigkeit 
und  setzte  sie  bis  ins  letzte  Drittel  des  18.  Jahrhunderts  fort;  die  Erzeugnisse  sind  aber 
völlig  provinziell.  Weitere  Fabriken  waren  in  Zerbst,  Frankfurt  a.  O.  und  Rheins- 
berg  (Lüdicke).  O.  von  Falke  und  Dr.  Heiland  in  Potsdam  werden  das  Material  in 
einer  Publikation  bekanntmachen. 

2')  Zu  Seite  303.  Zur  Geschichte  des  Theaters  findet  sich  reiches  Material  und 
reiche  Literatur  in  dem  Buche  von  Martin  Hammitzsch:  Der  moderne  Theaterbau. 
Der  höfische  Theaterbau,  der  Anfang  der  modernen  Theaterbaukunst,  ihre  Entwick- 
lung und  Betätigung  zur  Zeit  der  Renaissance,  des  Barock  und  Rokoko,   Berlin  1906. 

22)  Zu  Seite  333.  Zur  Geschichte  der  Einsiedeleien,  der  Eremitagen,  die  für  die 
Ursprünge  der  Romantik  wichtig  ist,  sei  verwiesen  auf  das  Buch  des  Verfassers: 
,,Die  Gotik  im  deutschen  Kunst-  und  Geistesleben."  Hier  noch  ein  Satz  aus  Fleming, 
Der  Teutsche  Jäger  1724: 

„Sie  (d.  h.  hohe  Standespersonen)  erwählen  hiezu  eine  gewisse  Gegend,  die  entweder 
von  der  Natur  bereits  etwas  wilde  und  rauh  ist,  oder  die  durch  die  Kunst  also  aptirt  worden. 
Es  werden  an  solchen  Orten  Einsiedler-Häusgen  gebauet  von  Holtz  oder  groben  Mauer- 
steinen aufgerichtet.  Die  Fenster  sind  mit  eisernen  Stäben  verwahret;  in  dem  Zimmer, 
welches  vor  einen  Eremiten  angelegt,  siehet  man  ein  Altärgen  mit  einem  Cruzifix  .  .  . 
Einige  lassen  dergleichen  Kunst-Einsiedeleyen  anlegen,  daß  sie  incognito,  damit  sie 
von  anderen  Leuten  nicht  so  gesehen  werden,  sich  divertieren;  manche  bloß  zu  einer 
Veränderung  und  als  ein  Embellissement  in  den  Gärten;  manche  aber  .  .  damit  sie 
Gelegenheit  haben,  sich  hiebey  die  Thorheiten  und  Eitelkeiten  der  Welt  desto  besser 
vorzustellen  und  allerhand  guten  und  erbaulichen  Reflexions  nachzuhängen." 

23)  Zu  Seite  362.  Aus  Salomon  Geßners  Idyllen  sind  einige  Vignetten  unseres 
Buches  entnommen  (Seite  8,  19,  208,  297,  324,  346,  365). 

24)  Das  Wiedererwachen  der  Gotik  im  Zusammenhang  mit  der  Romantik  seit 
der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  behandelt  ausführlich  das  Buch  des  Verfassers:  Die 
Gotik  im  deutschen  Kunst-  und  Geistesleben,  Berlin,  2.  Auflage,  1922. 

377 


25)  Die  Hauptmeister  des  Frühklassizismus  in  Berlin,  Dessau  und  Braunschweig 
behandelt  das  vom  Verfasser  im  Jahre  1914  herausgegebene  Buch:  Berliner  Baumeister 
vom  Ausgang  des  18.  Jahrhunderts.  Eine  Ergänzung  nach  der  Seite  der  Innendekoration 
bildet  das  1920  erschienene  Werk:  Vor  hundert  Jahren;  Festräume  und  Wohnzimmer 
des  deutschen  Klassizismus  und  Biedermeier. 

26)  über  den  allen  Freunden  Goethes  bekannten  treuen  Tischgenossen  des  Dichters 
in  seinem  Alter,  den  Architekten  Clemens  Wenzeslaus  Coudray,  seien  hier  aus 
Familiennotizen  einige  Nachrichten  mitgeteilt,  weil  sie  kennzeichnend  sind  für  diese 
Architektengeneration  auf  der  Wende  des  18.  zum  19.  Jahrhundert.  Die  späteren  Werke 
Coudrays,  das  Mausoleum  Goethes  und  Schillers,  die  Weimarer  Bürgerschule  und 
das  alte  (abgerissene)  Theater  sind  allen  Goethefreunden  vertraut;  aus  Goethes  Schriften 
ferner  seine  Verdienste  um  den  Chausseebau  im  Großherzogtum. 

Coudray  wurde  geboren  im  Jahre  1775  als  Sohn  des  Hoftapezierers  und  Dekorateurs 
Frz.  Ludw.  Coudray  im  Kurfürstlich  Trierischen  Schlosse  Ehrenbreitstein  bei  Coblenz  — 
sein  Großvater  war  als  Bildhauer  von  August  dem  Starken  aus  Paris  nach  Dresden 
berufen  worden;  Arbeiten  von  seiner  Hand  sind  noch  dort.  Der  Jüngling  trat  im 
Jahre  1789  bei  dem  Kurfürstlichen  Gardemeuble  —  der  Kurfürst  war  bekanntlich  Clemens 
Wenzeslaus  —  als  Tapezierer  und  Dekorateur  in  die  Lehre  und  wirkte  im  nächsten 
Jahre  bei  der  Dekoration  zur  Frankfurter  Kaiserkrönung  mit.  Er  arbeitete  als  Zimmer- 
dekorateur bei  der  Ausstattung  des  Koblenzer  Schlosses  (S.  340);  doch  wurde  er  im 
Jahre  1795  durch  die  französische  Revolutionsarmee  nach  Frankfurt  vertrieben.  Im 
Auftrage  der  Dekorationsfirma  Rumpf  führte  er  dort  ein  Meublement  für  das  Hohen- 
lohesche  Schloß  Bartenstein  aus,  und  baute  dem  Fürsten  eine  Orangerie  in  ein  Theater 
um.  Unter  Heine,  einem  Schüler  Weinligs  (S.  344)  studierte  er  in  Dresden  Architektur 
und  lieferte,  nach  Frankfurt  1799  zurückgekehrt,  Zimmerdekorationen  für  mehrere 
Kupferstichveröffentlichungen   (Abb.  Schmitz,  Vor  hundert  Jahren,    S.  64). 

Entscheidend  ist  für  Coudray  der  Aufenthalt  in  Paris  von  1799  bis  1804,  wo  er 
Lieblingsschüler  Durands  an  der  Ecole  polytechnique  wurde.  Er  bildete  sich  also  in 
dem  Kreise  denkwürdigen  Strebens  nach  einer  neuen  sachlichen  Architektur,  aus  dem 
der  jüngere  Gilly,  Gentz,  Catel,  Thouret,  Heß  d.  J.  in  Frankfurt  und  andere  deutsche 
Meister  auf  der  Wende  des  18.  Jahrhunderts  entscheidende  Anregungen  schöpften.  Dies 
zeigen  nun  die  von  1804  bis  1806  in  Fulda  entstandenen  Bauten,  die  Coudray  für  den 
zum  Fürsten  von  Fulda  ernannten  Prinzen  von  Oranien  ausführte  :  das  Landkranken- 
haus und  die  links  vom  Dom  in  der  Ecke  des  herrlichen  Domplatzes  angelegte  Ge- 
bäudegruppe der  Wilhelm-  und  Dekaneistraße.  Die  Häuser  sind  völlig  schmucklos, 
nur  durch  strengste  Verhältnisse  wirkend.  Auf  diese  bescheidene  Anlage  lenken  wir 
am  Schlüsse  unseres  Buches  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  ausdrücklich,  weil  in  ihr 
noch  einmal  die  Kunst  der  Abstimmung  der  Verhältnisse  und  der  Baukörper  in  das 
ganze  Raumbild  offenbar  wird.  Neben  dem  Dientzenhoferschen  barocken  Dombau 
vom  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  stehen  diese  schlichten  Bürgerhäuser  des  beginnenden 
ig.  Jahrhunderts  als  die  letzten  Erben  einer  guten  Tradition  und  weisen  zugleich  in 
eine  neue  Zeit  hinein. 


Der  Verfasser  wäre  für  jede  ergänzende  und  berichtigende  Mitteilung  zu  aufrichtigem 
Dank  verpflichtet. 


378. 


Die  Abbildungen  25,  40,  43,  57,  60,  73,  76,  77,  78,  iig,  124  sind  nach  Aufnahmen  der 
Preußischen  Meßbildanstalt,  jetzt  Staatliche  Bildstelle  in  Berlin,  Schinkelplatz  6,  her- 
gestellt;  die  Vorlagen  zu  den  Abbildungen  115,  117,  118,  120  hat  Herr  Direktor 
Dr.  Demmler  aus  dem  Besitz  des  Kaiser-Friedrich-Museums  freundlichst  zur  Verfügung 
gestellt;  die  Aufnahmen  zu  Abbildung  84  und  121  stammen  von  Herrn  Dr.  Adolf 
Feulner  in  München ;  einige  Porzellanaufnahmen  von  Herrn  Dr  Ludwig  Schnorr  von 
Carolsfeld.  Besonderer  Dank  gebührt  ferner  Herrn  Generaldirektor  von  Falke,  der 
die  Aufnahmen  im  Schloßmuseum  gestattet  hat,  sowie  Herrn  Geheimrat  Jessen,  der 
in  bewährter  Liebenswürdigkeit  das  Material  der  Ornamentstichsammlung  und  der 
Bibliothek  des  Kunstgewerbemuseums  zugänglich  machte. 


379 


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